40. Auf Graf Erdmann Ludwig Henkels Ende

1725.


Und du wirst weggerükt, des Vaters Augen-Weide,
Ein einig lieber Sohn, ein Hoffnung-volles Kind!
Wer richtet ihn wol auf bey einem solchen Leide,
Und wie bezeigen wir, was treue Brüder sind?
Hier, schreibet mir ein Freund, soll sich dein Kiel bemühn:
Das ists auch, was ich kan, die Liebe tröste ihn.
Nur möcht' ein andrer Kopf den Plan dazu entwerfen,
Ein Kopf, der ein Gemüth von zärtrer Neigung führt:
Der meine hat die Art dem Leser einzuschärfen,
Daß einen Christen leicht kein zeitlich Leiden rührt,
Auch hat er Grund dazu; weil Petrus ungescheut,
Beym Leiden froh zu seyn, den Gläubigen gebeut.
Und wenn ich von Verlust der Kinder reden solte;
Verschrieb ich mich vielleicht, und spräche von Gewinn:
Wenn auch ein Vater-Herz vor Schmerzen brechen wolte;
Ich fragte dennoch wol: Wo mit den Kindern hin?
Sie sollen mit der Zeit vor Gottes Throne stehn.
Ists nöthig, daß sie erst der Sünd ins Netze gehn?
O seliger Verlust! So will ich stets verlieren,
Wenn dadurch, daß mirs fehlt, die Liebe Zugang krigt,
Ein solcher Sieg ist werth darum zu triumphiren,
Wo man den Feind zugleich gesehen und besiegt.
[121]
Pflegt bey dergleichen Fall der Lust was abzugehn;
So kan uns auch daraus nicht so viel Streit entstehn.
Allein, wem wolte ich hiebey den Argwohn wehren,
Daß dieser Ausspruch nur ein Eigenwille sey?
Vielleicht beschweret es, die Kinder zu ernehren?
Sie binden heftig an, man ist wol lieber frey;
Sie brauchen Sorg und Müh, man mühet sich nicht gern;
Drum überläßt man sie aus Trägheit an den Herrn?
Wohlan! ich suche nicht dem Vorwurf auszuweichen:
Ich halte, Gott sey Dank! nichts auf Entschuldigung,
Um aber meinen Zwek im Haupt-Punct zu erreichen;
So ist diß eine Wort vielleicht Beweis genung:
Es setze sich ein Kind vergeblich aus der Ruh,
Sobald es Kummer hat, was doch der Vater thu.
Gewiß, du theurer Freund, du liebes Kind der Liebe!
Das sich Immanuels schon lange nicht mehr schämt,
Diß eben samlet dir die ausgeschweifften Triebe;
Diß macht, daß dein Gemüth sich heute nicht mehr grämt;
Die Sorge presset dir kein banges Stöhnen aus,
Wer einen Vater hat, dem hält der Vater Haus.
Du lässest deinen Sohn in allzuguten Händen,
Die Schule, die er hier nur angefangen hat,
Die mag er auf dem Schooß der Liebe vollends enden;
Wo lernt man hurtiger, als in der neuen Stadt?
Dein Auge, das bisher für diesen Sohn gewacht,
Das gebe führohin allein auf Jesum Acht.
Ich habe schon gesagt, wenn meine Saiten klingen,
Gescheh' es blosserdings die Freundschaft darzuthun.
Bedarfst du aber Trost, den soll die Liebe bringen;
Allein ich seh dich schon in ihrem Willen ruhn.
Drum mache dieser Schrift, die ich verkürzen muß,
Nur dieser herzliche und treue Wunsch den Schluß:
[122]
Dein Erdmann ist ins Reich der Himmel eingedrungen,
So männlich, als es ihm dein theures Eh-Gemahl,
Da sie beym letzten Kampf ihr Schwanen-Lied gesungen,
Aus mütterlicher Macht, im Glauben anbefahl.
Du Tochter bleibe nun des Herren Jesu Lamm,
Und du, mein Bruder! bleib ein Freund vom Bräutigam.

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TextGrid Repository (2012). Zinzendorf, Nikolaus Ludwig von. Gedichte. Teutsche Gedichte. 40. Auf Graf Erdmann Ludwig Henkels Ende. 40. Auf Graf Erdmann Ludwig Henkels Ende. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-BBFA-9