[495] 12. Der glückliche Pater.

Es war einmal ein Pater, der war so zufrieden und glücklich, daß er über seine Hausthür schreiben ließ ›Ich lebe ohne Sorgen‹. Da kam einst der König des Landes vorüber und las das und ließ den Pater zu sich kommen: wenn er so ohne Sorgen lebe, dann wolle er ihm etwas aufgeben, was er binnen acht Tagen lösen solle. Er solle zu ihm kommen, nicht nackt und nicht bekleidet, nicht reitend, nicht fahrend, nicht spazierend; dann solle er ihm sagen, wie tief das Meer, wie hoch der Himmel und wie schwer der Mond sei; was er, der König, werth sei; wo der Mittelpunkt der Erde zu finden, und was er, der König, denke.

Der Pater blieb sorgenvoll und nachdenklich zurück, wie er das anzufangen habe. Das bemerkte sein Schäferknecht und fragte ihn, warum er so traurig sei. Da erzählt ihm der Pater seine Sorge. ›Wenns weiter nichts ist,‹ sagt der Schäfer, und bittet den Pater so lange die Schafe zu hüten, bis er hingehe und die Fragen beantworte. Das geschieht auch. Der Schäfer entkleidet sich nun, wickelt sich in ein Fischernetz und geht in die Nähe des Schlosses. Wie er in die Nähe des Königs kommt, läßt er sich auf alle Viere nieder und kriecht vor ihn hin. Ueber die Tiefe des Meeres befragt, gibt er an, es sei einen Steinwurf tief; der Himmel aber sei keine Tagereise hoch, da unser Herr Christus am Nachmittage zu dem Schächer gesagt habe ›Heute noch sollst du mit mir im Paradiese sein‹; der Mond bestehe aus vier Vierteln, vier Viertel aber seien ein Pfund, drum sei der Mond grade ein Pfund schwer. Was den Werth des Königs angehe, so sei unser Herr Christus für dreißig Silberlinge verkauft worden; wenn er den König zu neunundzwanzig, also um einen weniger, an Werth anschlage, so möchte das wohl seinem Werthe entsprechen. Wie er nun den Mittelpunkt der Erde bezeichnen sollte, ging er auf den Hof hinaus und hat verschiedene Kreise in demselben gezogen. Zuletzt nahm er einen Stock und steckte ihn im Mittelpunkte eines Kreises in die Erde. Da solle der König hineingraben lassen, da werde er grade auf den Mittelpunkt der Erde kommen. Die letzte Frage beantwortete er dahin, der König denke, er sei der Pater, [496] dem sei aber nicht so, indem er nur des Paters Schäfer sei. Da erstaunte der König über den klugen Schäfer und machte ihn zum Pater, dieser aber mußte fortan die Schafe hüten.

Von dem 85jährigen Statthalter Schön in Zierstorf, durch Pogge in Pölitz; vgl. Müllenhoff S. 153.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Bartsch, Karl. Märchen und Sagen. Sagen, Märchen und Gebräuche aus Meklenburg. Erster Band: Sagen und Märchen. Märchen und Legenden. 12. Der glückliche Pater. 12. Der glückliche Pater. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-E84E-8