319. An Maria Anderson

319. An Maria Anderson


Wiedensahl 6 Nov. 1875.


Hierbei mit freundlichem Dank die Bücher zurück! – So eigentlich angeregt hat mich nur die kleine Schrift über het jagen und einer der vorangestellten Wahlsprüche.

[156] Die Folgerung, zu der das Schriftchen kommt, hat meinen vollen Beifall; die Voraussetzung aber ist falsch. Die Voraussetzung: »der unverdorbene Mensch hat von Natur bei allen Leiden seiner Mitgeschöpfe ein unangenehmes Gefühl« – ist falsch, weileinseitig. Das Leiden, die Marter hat vielmehr etwas schauderhaft Anziehendes, es bewirkt Grauen und Ergötzen zugleich. – Haben Sie jemals den Ausdruck von Kindern bemerkt, wenn sie dem Schlachten eines Schweines zusehen? – Nein? – Nun, so rufen Sie sich das Medusenhaupt vor die Seele. Tod, Grausamkeit, Wollust – hier sind sie beisammen. – Muß ich Ihnen sagen, nachdem was ich so oft gesagt, wie das kommt? – Der gute und der böse Dämon empfangen uns bei der Geburt, um uns zu begleiten. Der böse Dämon ist meist der stärkere und gesundere; er ist der heftige Lebensdrang. Der gute Dämon aber winkt zurück, und gute Kinder sterben früh; ihnen sind die Engelsflügel nicht abgeschnitten. – Kurzum, der natürliche, unverdorbene (?) Mensch, also besonders das Kind, muß überwiegend böse sein, sonst ist seines Bleibens nicht in dieser Welt. – Und die Jagdlust? – Die Jagdlust ist ein Stück Lebenslust. Sie ist eine Übung der Daseinsbedingungen: List, Scharfblick, Kraft, Gewandtheit, verbunden mit dem Reiz der Grausamkeit. Sie ist folglich natürlich, folglich bös. – Und die Strafe bleibt nicht aus. – Jeder Jäger wird mal ein Hase, früher oder später, denn die Ewigkeit ist lang. – Was mich betrifft, so werd ich jedenfalls, nachdem ich ein- oder zwei- oder drei- oder hundertmal gestorben, ein Spatz. Mein Weibchen wird ein Nest zusammen zotteln unter dem Dach; es wird Eier legen; und wenn dann die wackelköpfigen Jungen ausgekrochen, so kommt ein flachshaariger Bub daher, holt eine lange Stange, spaltet sie an der Spitze und – heraus mit dem Nest! – Da wird der alte Spatz ein schönes Geschrei erheben!

Und der erwähnte Wahlspruch? »Ik zon liever een ongelukkig mensch dooden dan een vogel in gelukkige vlugt.« – Ein schlimmer Gedanke in treffender Form! – Soll ich darauf zurück kommen?

Ihr W. Busch.

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TextGrid Repository (2012). Busch, Wilhelm. Briefe. 319. An Maria Anderson. 319. An Maria Anderson. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-1203-7