1031. An Nanda Keßler
1031. An Nanda Keßler
Wiedensahl 2. Juli 95.
Meine liebe Nanda!
Für deinen guten Brief, den Du mir vor drei vier Wochen geschrieben, sag ich Dir besten Dank!
Inzwischen, weil es mir angenehm und nöthig schien, war ich mal in Lüethorst bei meinem Onkel. Er ist zu Pfingsten 89 Jahr alt geworden. Kopf unverändert klar; Appetit vorzüglich. Wie ich ihn so gemüthlich rauchend dasitzen sah zwischen seinen selbstgezogenen Rosen, kam es mir eigentlich gar nicht so übel vor, unter gleichen Bedingungen ebenso alt zu werden, was sich auch sonst dagegen sagen läßt. Da er wenig Platz im Haus hat, aber als Vater, Großvater und Urgroßvater sehr häufig Besuch kriegt, sich auch im Ort kein logierbares Wirthshaus befindet, mußt ich die Zeit abpaßen, um bequemlich und ungestört dort zu sein. Wär dies nicht der- [56] quer gekommen, dann hätt ich mir sicher die Freude gemacht, meine Frankfurter, die ich doch nun ein für allemal gern habe, zu besuchen. So sah ich Euch nur in Gedanken, wie Ihr dahin spatziertet – und die Gegend verziertet – bei Bretzeln und Thee – auf der Ginheimer Höh.
Wo wollt Ihr denn demnächst hindampfen? In welches Gebirg? An welches Gewäßer? Süß oder salzig?
Es wäre nett von Dir, wenn du mir über dergleichen mal schreiben wolltest.
Ich nehme an, daß die blaue Brille im Futterale schlummert und daß ihr alle tadellos munter seid, den Bruder im heißen Felde mit eingeschloßen.
Mit tausend herzlichen Grüßen an Dich und Jene Dein Euch liebender
Onkel Wilhelm.