801) Das verwünschte Kirchlein bei Lügde. 1

Der Kirchberg bei Lügde ist nächst der Hermannsburg bei Pyrmont die ansehnlichste Höhe im ganzen Thale. Jetzt ist der Berg mit Fruchtgärten und Getreidefeldern bedeckt, aber vor Zeiten war es nicht so, da standen hier hohe Buchen und Ulmen und es gab auf dem ganzen Berge keine einzige baumfreie Stelle. Mitten aber im Walde wohnte der sogenannte Bergförster, ein noch junger stattlicher Mann, der aber in der ganzen Gegend als wohlhabend bekannt war. Gleichwohl hatte er kein Glück bei den Frauenzimmern, es war ihm noch nicht gelungen, für sein Haus eine fleißige Wirthin zu finden. Wo er hinkam, fand er die Mädchen bereits mit Liebhabern versehen und sein Reichthum vermochte keine zu locken. Namentlich hatte er sein Auge auf ein frisches munteres Bauerndirnlein, Elsbeth genannt, die unten im Thale wohnte, geworfen, aber diese wollte ebenso wenig von seinen Liebesanträgen etwas wissen, als alle die andern Mädchen im Dorfe, und wenn er am Abend den Berghang hinab nach ihrem Hüttchen schlich, da fand er Thüre und Läden für sich verschlossen und am andern Tage mußte er hören, daß der oder jener Bauerbursche unterdessen bei dem Mädchen gewesen war. Gleichwohl nahm deshalb seine Neigung zu der schönen Elsbeth mehr zu als ab und das Verlangen, sie zu besitzen, ließ ihm weder Tag noch Nacht Ruhe. Da fiel ihm ein, er wolle seine Zuflucht zu einer klugen Frau nehmen, die in der Schlucht, wo es heute zur Hölle heißt, wohnte und von der die Leute sagten, sie wisse mehr wie andere Leute und verstehe Liebestränke zu brauen und Mancher habe sich schon bei ihr Rath und Hilfe geholt. Und wie sehr es ihn auch eigentlich vor der Alten graute, er faßte sich Muth und stieg hinab zu ihr. Er fand die Alte am Spinnrocken in ihrer Hütte sitzen, sie rief ihm zu: »Ich weiß schon, was Ihr wollt, wäret Ihr eher gekommen, so könntet Ihr schon lange in der schönen Elsbeth Armen ruhen. Ich will Euch auch recht gern helfen, denn ich kenne alle die Kräuter und Wurzeln, die man zu einem Zaubertränklein braucht. Aber eins müßt Ihr selber herbeischaffen und das ist es, was dasselbe am Meisten kräftigt. Zehn Tropfen geweihten Weins, wie der [752] Priester ihn bewahrt am Altare, muß ich haben, wenn meine Arbeit etwas nützen soll. Kommt Ihr, wenn wieder der Vollmond glänzt und bringt Ihr mir den Wein, den Ihr selbst aus der Kirche holtet, so ist in wenigen Tagen das Mädchen Euer. Nur hütet Euch, daß Ihr Euch mit dem Kelche in der Hand etwa umschaut, denn da wäre es um Euch geschehen!« Damit schob sie ihn zu ihrer Hütte hinaus. Nun stand aber oben auf dem Gipfel des Berges ein uraltes Bergkirchlein, zu welchem im Frühjahr immer eine große Wallfahrt aus der Umgegend stattfand und wo dann ein Hochamt gehalten wurde. Zu dieser Kirche hatte aber der Förster die übrige Zeit des Jahres hindurch den Schlüssel in Verwahrung. Lange kämpfte der Förster mit sich, ob er den gottlosen Raub wagen sollte, immer hoffte er das Mädchen noch auf andere Weise gewinnen zu können und so verging der Sommer. Als aber der Spätherbst kam und die Blätter fielen und der Förster immer die Elsbeth noch nicht errungen hatte, da beschloß er die That zu wagen. Und als der Vollmond wieder aufging, da litt es ihn nicht länger in seinen vier Wänden, er nahm den Schlüssel, hing die Büchse über die Schulter und trat in die Nacht hinaus. Schwarzes Gewölk jagte der Sturm über den Himmel und die Eulen wurden im Walde wach und riefen ihren Unglücksruf, als wollten sie ihn warnen, aber er ließ sich nicht abhalten und schon sah er das Kirchlein nahe über sich, unten aber tief in der Schlucht erglänzte Feuer und als er hinabsah, da sah er die Alte an einem großen Kessel sitzen, gerade als hätte sie ihn au diesem Tage erwartet. Da sprang er muthig die letzten Stufen nach dem Kirchlein hinauf, steckte den Schlüssel ins Schloß, die alte Pforte öffnete sich, er trat ein in den von dem Vollmond erleuchteten Raum und schritt nach dem Altare. Mit zitternder Hand griff er nach dem heiligen Schreine, der das Blut des Herrn in sich schloß, und morsch und alt wie es war, zerbrach das Kästlein von der stürmischen Berührung. Aber auch diese letzte Warnung rührte ihn nicht, er griff nach dem heiligen Naß, zählte und tröpfelte dasselbe in seinen Becher hinein, da kam tiefes angstvolles Seufzen aus des Berges Grunde herauf, so schwer und grauenhaft, daß sich der Förster unbedacht umsah und dabei den Kelch fallen ließ, der schrillend am Boden hinrollte. Da fuhr es eisigkalt wie der Tod über ihn, sein Athem stockte, sein Blut geronn in den Adern, sein Herz stand still, er ward zu Stein. Als aber die Leute am nächsten Mai wieder in das Betkirchlein kamen und sahen, was vorgegangen war, denn hier hätte den verschwundenen Förster Niemand gesucht, da meinten sie, das Steinbild am Altare mit den verzerrten Zügen müsse wohl ein böser Geist sein und hielten das Kirchlein für verwünscht. Nachher wallfahrte Niemand mehr zu dem Berge und die Kirche verwitterte und sank nach und nach in Trümmer, die man auf dem Berge, der nach ihr der Kirchberg hieß, noch zu Anfang dieses Jahrhunderts sehen konnte.

Fußnoten

1 S. Seiler S. 49 etc.

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TextGrid Repository (2012). Grässe, Johann Georg Theodor. Sagen. Sagenbuch des Preußischen Staats. Erster Band. Westphalen. 801. Das verwünschte Kirchlein bei Lügde. 801. Das verwünschte Kirchlein bei Lügde. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-38BD-4