652) Der Hühnenstein. 1

In Halberstadt herrschte in alten Zeiten ein gar willkürliches Regiment, der Bürgermeister und die Rathsherren übten die Gesetze nur so weit aus, als es ihnen selbst paßte, im Uebrigen aber behandelten sie die Bürgerschaft schlecht genug und brauchten dieselbe nur, um von dem, was dieselbe im Schweiße ihres Angesichts verdiente, ihren Seckel zu füllen. Wer den Muth hatte, sich gegen diese Bedrückungen aufzulehnen oder auch nur wagte, darüber zu reden, ward ohne Erbarmen ins Gefängniß gesteckt und dort saß er so lange, als es den gestrengen Herren gefiel. Einer der schlimmsten von ihnen war ein baumlanger Mann, der schon in seiner Jugend wegen seiner ungeheuren Größe der Hühne genannt ward. Derselbe war dabei ein arger Verschwender und Prasser und so kam es, daß er trotz seiner reichen Einkünste, die freilich nicht die besten Quellen hatten, bald in schwere Schulden und Noth gerieth. Aendern wollte er aber auch seine verschwenderische Lebensweise nicht und so beschloß er denn, sich dem Teufel zu verschreiben, um sein Leben so forttreiben zu können. Er machte auch wirklich Bekanntschaft mit demselben und schloß mit ihm einen Contract ab, nach welchem derselbe, wenn er ihn mit Allem, was er brauche, versehen wolle, so daß es ihm nie an etwas fehle, nach dreißig Jahren seine Seele zu eigen haben solle. Da hatte er denn nun wiederum vollauf, alle Tage ging es bei ihm in Saus und Braus und das Geld warf er mit vollen Händen weg, so daß der Böse [613] immer nur neues zu schaffen hatte. Gleichwohl vergingen aber bei diesem Lasterleben die Jahre, ehe der Bösewicht es sich versah. So saß er denn auch, als der letzte Tag des dreißigsten Jahres erschienen war, beim Bürgermeister an einer reichbesetzten Tafel und hatte keine Idee, daß der Contract mit dem heutigen Tage ablaufe; der Teufel aber wollte ihn nicht stören, sondern dachte, es sei immer noch Zeit, wenn er ihn Abends beim Nachhausegehen abhole. Als der Rathsherr nun gegen Mitternacht sich aufmachte, um nach Hause zu gehen, da hatte der Teufel bereits bei der Brücke, die noch heute die Teufelsbrücke heißt, sich auf die Lauer gelegt, um ihn dort in Empfang zu nehmen; allein sei es, daß der Rathsherr vorher noch in irgend ein schlechtes Haus gehen wollte oder eine Ahnung von der Nähe seines Herrn und Meisters hatte, er schlug einen andern Weg ein und lenkte seine Schritte sehr eilig nach dem Kloster Lohra, wo er doch unter dem Schutze der heiligen Väter sicher vor den Klauen des Bösen gewesen wäre. Er hatte auch schon einen ziemlichen Vorsprung gewonnen, als er unglücklicher Weise ein Käuzchen, das eben auf der Mäusejagd war, durch seine schnellen Schritte aufschreckte; dasselbe ließ seinen ängstlichen Schrei: komm mit, komm mit! erschallen und so kam ihm der Teufel auf die Fährte, der bis dahin keine Ahnung gehabt hatte, daß ihm sein Schützling entgehen könne. Da machte er sich aber flugs auf, schoß ihm wie ein Habicht nach und ergriff ihn mit seinen Krallen, ehe er noch in die Klosterpforte gelangt war; im Nu hatte er ihm den Hals auf den Rücken gedreht und seine Seele mit sich in die Hölle entführt. Am nächsten Morgen fand man den Rathsherrn todt auf dem Felde nach Lohra hin, man trug ihn in die Stadt in sein Haus und die Aerzte kamen und schnitten ihm den Leib auf, um zu sehen, was ihm widerfahren war: da fanden sie statt des Herzens ein braunrothes, hartes Ding wie ein Kieselstein. Dicht am Wege aber, der von Strausberg nach Lohra geht, wird noch heute der Hühnenstein an der Stelle gezeigt, wo ihm der Teufel den Hals umgedreht hatte.

Fußnoten

1 S. Sagen aus der Vorzeit des Harzes S. 282.

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TextGrid Repository (2012). Grässe, Johann Georg Theodor. Sagen. Sagenbuch des Preußischen Staats. Erster Band. Der Harz. 652. Der Hühnenstein. 652. Der Hühnenstein. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-3AA6-6