662) Der Einsiedler bei Ellrich. 1

Bei dem Städtchen Ellrich liegt eine Höhle, schauerlich-romantisch-schön, zwischen dunklen Gebüschen und bemoosten Felsen, die eine weite tiefe Kluft bilden. Im Innern befindet sich ein Teich klaren Wassers, das aus einer verborgenen Quelle entspringt. Vor dieser uns schon bekannten Höhle, der sogenannten Kelle (s. oben S. 581) saßen einst zwei Liebende, die man für das schönste Paar im ganzen Gau hielt. Sie sprachen von der Zukunft und das Mädchen, Mechtild genannt, äußerte ihre Besorgniß, daß ihr ihr Konrad, so hieß ihr Geliebter, doch wohl nicht immer treu bleiben und sein Herz einer andern Schönern zuwenden werde. Allein ihr Bräutigam fand sich ob dieses Mißtrauens schwer beleidigt und schwor ihr bei allen Heiligen, daß er nie ein anderes Mädchen als sie lieben werde. Aber auch diese erneuerten Liebesbetheuerungen vermochten sie nicht zu beruhigen, sie blieb traurig und in ihrem Auge standen Thränen. Da knieete Konrad vor ihr nieder und flehte auf's Innigste, sie möge ihm doch Vertrauen schenken, sie versprach es auch und so schieden sie versöhnt. Allein das arme Mädchen hatte sich nicht getäuscht, der Flatterhafte verließ sie und suchte sich eine andere Braut, Mechtild aber härmte sich zu Tode. Wieder kam aber der Tag, wo ein Jahr vorher Konrad seinem Mädchen ewige Treue geschworen hatte, und sonderbarer Weise führte er seine neue Geliebte wieder an denselben Ort, um dort im traulichen Abenddunkel mit ihr zu kosen. Sie weilten, bis die Nacht heranbrach und der Mond im ersten Viertel am westlichen Himmel matt zu leuchten begann. Da weckte aus der Höhle ein zarter Lichtschein die Liebenden aus ihren Umarmungen. Sie fuhren erschrocken in die Höhe und vor ihnen stand im Todtenkleide Mechtild und sprach: »Konrad, hast Du vergessen, daß Du vor einem Jahre mir an diesem Orte Treue für die Ewigkeit geschworen hast? und jetzt sagst Du ganz dasselbe einer andern Braut. Mich hat der Gram zum Selbstmord getrieben, mein Leib liegt hier unten im Wasser, dort laß mich ruhen!« Konrad wollte ihre Hand fassen, allein er griff nur in leere Luft, die Gestalt seiner Braut entflog wie ein Wölkchen in die Höhe. Da sank Konrad auf seine Kniee, klagte sich als ihren Mörder an und schwur, der Hingeschiedenen doch seine Treue bis zum Tode zu bewahren. Diesmal hielt er redlich Wort, sofort trennte er sich von seiner Braut, verkaufte all sein Eigenthum und baute sich bei Mechtild's Grabe eine ärmliche Hütte, in der er als Einsiedler lebte. Alles Uebrige schenkte er den Armen, denn zum Leben brauchte er nur wenig, weil er nur von Brod und Wasser und groben Hülsenfrüchten lebte. Nach wenigen Jahren starb er und ward neben dem Leichnam seiner Mechtild, den er aus dem Wasser hatte nehmen und bei seiner Hütte begraben lassen, zur Erde bestattet. Diese Begebenheit hat die Sage unter dem Namen des Einsiedlers in der Kelle erhalten.

Fußnoten

1 Nach Ziehnert Bd. I. S. 153 etc.

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TextGrid Repository (2012). Grässe, Johann Georg Theodor. Sagen. Sagenbuch des Preußischen Staats. Erster Band. Der Harz. 662. Der Einsiedler bei Ellrich. 662. Der Einsiedler bei Ellrich. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-3BEE-F