214. Die Sagen von der Burg Kynast.

a) Kunigunde von Kynast.

(Nach Ziehnert Bd. III. S. 205 etc. und Müller S. 460 etc. Gottschalk, Ritterburgen Bd. I. S. 53 etc. Fischer, Burgvesten Preußens Bd. II. S. 1 etc.)


Die weltberühmte Burgruine des Kynast (angeblich Kienast) liegt auf dem Gipfel eines bewaldeten, 1847 Fuß hohen Granitfelsens gleichen Namens, 1/4 Meile südwestlich von Hermsdorf im Hirschberger Kreise. Die Vollendung des Baues dieser Burg durch Herzog Bolko 1. fällt um's Jahr 1302; sie ist niemals erobert worden, allein am 31. August 1675 ward sie durch einen Blitzstrahl zerstört.

Einer der frühesten Besitzer der Burg Kynast, eine ziemlich zweifelhafte Tradition nennt ihn Bruno von Scharfeneck, besaß nur eine einzige Tochter, Namens Kunigunde. Sie war sehr schön, aber auch sehr eigensinnig, denn ihr Vater hatte ihr als seinem einzigen Kinde in jeder Hinsicht unbeschränkte Willensfreiheit gelassen und sie nicht wie ein Mädchen, sondern wie einen Junker erzogen. Darum bestand ihr Hauptvergnügen und ihre Lieblingsbeschäftigung darin, Rosse herumzutummeln, mit Waffen zu spielen und dem Eber und Hirsch in den den Kynast umgebenden Wäldern nachzujagen. Da trug es sich zu, daß ihr Vater in der Trunkenheit mit seinem Rosse die äußerste Mauer der Burg umreiten wollte, es aber versah und sammt dem Pferde in den Abgrund hinabstürzte. Seine Tochter war untröstlich und ließ ihn in der fast unzugänglichen Tiefe am Höllengrunde, wo er aufgefunden worden war, zur Erde bestatten. Von diesem Augenblicke an aber ward sie nur noch unumgänglicher und abgeschlossener gegen alle mildern Regungen, fast täglich besuchte sie das Grab ihres Vaters und grollte mit den Felsen, die ihn getödtet hatten. Da sie aber sehr reich war, so konnte es nicht fehlen, daß mancher Ritter nach ihrem Besitze lüstern ward, und so geschah es, daß sich bald eine große Anzahl von Freiern zusammenfand, die die reiche Erbin mit ihren Anträgen bestürmten. Sie glaubten ihre Bewerbung am besten dadurch unterstützen zu können, wenn sie nicht eher aus der Burg [242] zu weichen erklärten, als bis die Besitzerin derselben sich für einen von ihnen ausgesprochen habe. So freigebig und gastfrei aber auch Kunigunde war, so ward ihr doch diese Zudringlichkeit sehr bald zur Last und darum erklärte sie, es sollten sich alle ihre Freier am St. Gertrudentag zusammen bei ihr einfinden, da wolle sie ihre Entscheidung kundgeben.

Als nun der verhängnißvolle Tag anbrach, da erschienen denn auch ihre Bewerber und harrten der Dinge, die da kommen sollten. Kunigunde aber er suchte sie, sich zu gedulden und vorerst mit ihr ein Mahl einzunehmen, um sich zu der feierlichen Handlung zu stärken. Selbstverständlich ward tüchtig auf die Gesundheit des künftigen Burgherrn getrunken, und als nun gegen das Ende des Mahles die Köpfe der Anwesenden von dem starken Wein erhitzt waren, da hob Kunigunde die Tafel auf und forderte ihre Gäste auf ihr zu folgen. Sie eilte in den Burghof hinab, ließ dort von den Knechten viele Fackeln anzünden und stieg nun außerhalb der Veste nicht ohne Anstrengung die grausige Felsschlucht hinab zum Grabe ihres Vaters. Dort knieete sie lautlos nieder, betete ein Vaterunser, ergriff dann ein Crucifix, welches der Burgkaplan, der sie an diesen Ort mitbegleitet hatte, ihr nachgetragen, hob es hoch in die Höhe, küßte es und sprach mit lauter Stimme: »Hier am Grabhügel meines edlen Vaters schwöre ich hoch und theuer, daß nur der mein Gemahl werden soll, der den obern Rand der Burgmauer, von der mein Vater herabgestürzt ist, glücklich umritten haben wird!« Dadurch ward nun freilich die Heirathslust in mancher Brust gewaltig abgekühlt, und von den zahlreichen Bewerbern entfernten sich während der nächstfolgenden Nacht die meisten ohne Abschied zu nehmen. Allein einige blieben doch zurück, und wirklich bestieg einer von ihnen am dritten Tage sein Roß, um den schauerlichen Ritt zu wagen, wozu Kunigunde die Trompeten schmettern und einige Donnerbüchsen krachen ließ, während sie selbst aus dem Erker ihres Gemachs auf den Tollkühnen herabsah und ihm spöttisch viel Glück zum Brautritt wünschte. Wenn aber einmal der Reiter sein Roß über die Zugbrücke auf die verhängnißvolle Mauer gelenkt hatte, da hatte er auch den Pfad des Todes betreten, denn keiner von allen denen, welche den gefährlichen Ritt gewagt, kehrte jemals wieder, alle fanden wie Kunigundens Vater ihren Tod in dem Abgrunde. Bald wurden aber keine Bewerber mehr auf der Burg gesehen und dies machte Kunigunden erst recht mißmuthig, weil sie sich ärgerte, daß Niemand mehr sein Leben um ihre Hand wagen möge. So verstrichen viele Monate, da meldete sich auf einmal wieder ein Ritter zu der gefährlichen Reitprobe. Als er in ihr Gemach trat und sich ihr vorstellte, da kam auf einmal ein sonderbares Gefühl über sie; sein Blick hatte gezündet, und nun bereute sie plötzlich die frevelhafte Aufgabe, welche sie ersonnen und bereits so viele Menschenleben gekostet hatte; allein sie konnte es nicht rückgängig machen, darum versuchte sie dem Ritter, der sich ihr übrigens nicht nennen wollte, abzureden und ihn durch die Schilderung der von ihm zu bestehenden Gefahr von seinem Unternehmen abwendig zu machen. Allein umsonst, er erklärte den Ritt wagen zu wollen. Am nächsten Morgen mit Aufgang der Sonne war der fremde Ritter schon im Schloßhofe, sattelte sein Roß selbst, bestieg es in leichter Kleidung und ganz unbewaffnet und ritt, nachdem er seinen Knappen zärtlich umarmt, hinaus durch das Burgthor zur blutglänzenden Mauer. Alle [243] Bewohner der Burg standen im Schloßhofe, unter ihnen Kunigunde, die das erste Mal in ihrem Leben für das Gelingen des kühnen Unternehmens still zu Gott betete; Niemand durfte sich jedoch der Mauer nähern, und so sah man denn den Ritter langsam die Burg umreiten, und als der erste Strahl der Sonne die Spitzen der hohen Burgthürme beleuchtete, da hatte der Ritter auch die verhängnißvolle Bahn durchritten und lenkte sein schweißbedecktes Roß von der Mauer zum Burgthore hinab, wo das Fräulein ohnmächtig vor Aufregung am Boden lag. Der Knechte Jubelgeschrei und der Trompetenschall weckten sie aber bald und mit den Worten: »Edler Ritter, meines Vaters Tod ist an den tückischen Felsen gerächt und mein Schwur gelöst, hier habt Ihr meine Hand!« eilte sie ihm entgegen. Jener aber versetzte: »Wohl ist Euer Schwur gelöst und Euerem Stolze und frevelhaftem Uebermuth jetzt eine Schranke gesetzt, aber darum allein bin ich hierher gekommen, nicht um Euch und Euer Erbe zu erringen, denn ich, der Landgraf Adalbert von Thüringen, bin längst vermählt und würde auch, wenn ich dies nicht wäre, Euere blutige Hand niemals anrühren.« Da stürzte Kunigunde zerknirscht auf die Kniee, und der Landgraf sprach: »Geht in Euch und sucht durch Frömmigkeit und gute Handlungen Gott für Euern Frevel zu versöhnen, wollt Ihr das aber nicht, so betretet selbst den Pfad, auf dem so viele Edle Eurer wegen ihr Leben gelassen haben, und sühnt das Blut durch freiwilligen Tod an derselben Stelle!« Damit wandte er sein Roß und verließ mit seinem Knappen das Felsenschloß. Darüber nun, was jetzt mit Kunigunden geschehen, giebt es eine dreifache Sage. Nach der einen stürzte sie sich aus Verzweiflung, gekränktem Stolz und verschmähter Liebe in denselben Abgrund, wo ihr Vater und ihre Freier umgekommen waren; nach der andern ging sie in ein Kloster, starb nach kurzer Zeit am gebrochenen Herzen und wurde in derselben Felsschlucht begraben; nach der dritten aber hatte ihr der Landgraf seinen vermeintlichen Knappen, den Ritter Hugo von Erbach zum Ehegemahl empfohlen und ihr vier Wochen Bedenkzeit gegeben. Als nun Letzterer nach Ende des Termins zurückkehrte, reichte sie ihm ihre Hand und vermählte sich mit ihm; die Mauer ließ sie abbrechen, für die Seelen der gefallenen Ritter Messe lesen und suchte durch Liebe, Menschenfreundlichkeit und reichliche Almosen an die Armen ihren früheren Frevel zu sühnen und vergessen zu machen.

Wenn man auf den Kynast kommt, so bringen gewöhnlich die Kinder des Schloßverwalters ein ungestaltetes hölzernes weibliches Brustbild, einen Haubenstock mit Igelborsten statt der Haare. Dies soll die schöne Kunigunde vorstellen. Man wird von ihnen aufgefordert, das häßliche Bild zu küssen, und muß sich durch ein Geldgeschenk loskaufen.

b) Der Sprung vom Kynast.

Franz von Chila, ein Page Herzogs Ludwig II. von Liegnitz, hatte eine heimliche Liebe gefaßt zu seiner Gebieterin, der schönen Elisabeth, Tochter des Burggrafen von Zollern. Nun begab es sich aber, daß einst der Herzog mit seiner Gemahlin einen Besuch auf dem Kynast machte und natürlich der junge Edelknecht mit von der Parthie war. Der Burgherr hatte zur Feier des hohen Besuches Festlichkeiten im Burghofe veranstaltet, Armbrustschießen, Wettlaufen und ein Fußturnier. Der Herzog aber, der auch etwas [244] zur Feier des Tages beitragen wollte, erhob sich von der Tribüne, auf welcher er saß, ergriff einen goldenen Becher, den er mitgebracht hatte, und sprach: »Diesen Becher lege man auf die höchste Zinne des Schloßthurmes, wer zur Brüstung desselben sich hinaufschwingt, und ihn dort auf das Wohl seiner Schönen leert, der soll ihn zum Lohn seines Muthes erhalten!« Zwar versuchten Mehrere das kühne Wagstück, aber Keinem gelang es das Ziel zu erreichen, da erbat sich der Page von seiner Gebieterin die Erlaubniß, auch einen Versuch zum Erringen des Preises zu machen, und schwang sich, nachdem ihm solche geworden war, im kecken Klettern glücklich hinauf bis auf die höchste Zinne, da ergriff er den Becher und rief mit lauter Stimme: »Frei darf ich es jetzt vor Allen sagen, was ich bisher stumm in meiner Brust verschließen mußte, dieser Becher, Frau Herzogin, gilt Euch. Meine Liebe und Treue will ich mit dem Tode besiegeln!« Damit sprang er von dem Thurme muthig in die schauerliche Tiefe, und endete hier sein junges Leben.

c) Der gefangene Riter im Thurm.

Einst hatte ein Burgherr auf dem Kynast einen seiner schlimmsten Feinde in einer Fehde in seine Gewalt bekommen. Da er nun ein harter, grausamer Mann war, so ließ er ihn in ein wohlverwahrtes Gemach hoch oben im Burgthurme einsperren und schwur, sein Feind solle es niemals lebend wieder verlassen. Vergebens machte sich die junge und schöne Hausfrau des gefangenen Ritters auf und bat den harten Mann fußfällig um die Loslassung ihres Gemahles. Sie ward schnöde abgewiesen, nur das erreichte sie, daß jener ihr gestattete, das Brod, welches derselbe zu essen bekam, für ihn backen zu dürfen. Sie buk also einst ein sehr großes Brod und sandte es dem Gefangenen, als derselbe es aber aufschnitt, fand er darin eine scharfe Feile und ein sehr langes Seil verborgen. Heimlich feilte er nun des Nachts damit das Gitter seines Gemaches durch und ließ sich in einer stürmischen Nacht mit dem Seile von der Höhe des Thurmes herab. Es gelang ihm auch glücklich hinab und dann über die Burgmauer ins Freie und endlich auch wieder in seine Burg zu seiner Gattin zu kommen. Sein Feind aber sah sich von einer einfachen Frau überlistet. Das an einer Seite durchbrochene Gitter am Thurme ist noch heute als Wahrzeichen treuer Liebe und Frauenlist vorhanden.

d) Der goldene Schleier.

Zu derselben Zeit, wo sich der Brautritt auf dem Kynast ereignete, also gegen das Jahr 1270, lebte auf dieser Burg wenig beachtet eine Verwandte der schönen Kunigunde, Namens Irmgard, welche der Vater derselben als Waise in sein Haus genommen hatte. Ihre Thätigkeit war lediglich der Hauswirthschaft gewidmet, und da sie nicht besonders schön war, ward ihre Abwesenheit von den lediglich der Besitzerin der Burg wegen dorthin kommenden Rittern nicht bemerkt. Da begab es sich, daß einst einige verwandte Frauen zum Besuche auf die Burg kamen und da dieselben natürlich nicht an den Jagdparthieen Kunigundens Theil nehmen konnten oder wollten, letztere aber keine Lust hatte, ihrer wegen zu Hause still zu sitzen, so erhielt Irmgard den Auftrag, sie zu unterhalten. Um ihnen die [245] Zeit zu vertreiben, schlug sie ihnen vor, eine kleine Reise in das Riesengebirge zu machen. Einige der jungen Ritter, die gerade auf der Burg verweilten, erboten sich sie zu begleiten und so zogen sie denn hinreichend mit Mundvorräthen versehen hinaus in die im frischen Frühlingsgrün prangenden Auen. Nachdem sie einige Stunden marschirt waren, kamen sie auf eine lachende Waldwiese am Hochwald und beschlossen hier ihr Frühstück einzunehmen. Um das selbe zu würzen brachte Irmgard die Rede auf Rübezahl, den hier heimischen Berggeist, und erzählte einige seiner Possen. Der fremde Besuch hörte zwar aufmerksam zu, allein man sah wohl, daß kein rechter Glaube an diesen mächtigen Dämon vorhanden war. Da vernahm man plötzlich im nahen Unterholz ein lautes Krachen und Prasseln und plötzlich stürzte ein ungeheurer Eber, einen Pfeil in der Seite, heraus auf die Waldblöße, schnell nach ihm kam aber ein prächtig gerüsteter Ritter herbeigeeilt, der ihm fast mitten unter der aufgeschreckten Gesellschaft sein Schwert in den Hals stieß und so der jenen scheinbar drohenden Gefahr ein schnelles Ende machte. Der Fremde ward eingeladen unter der lustigen Reisegesellschaft Platz zu nehmen und sich von seiner Anstrengung zu erholen, da sahen auf einmal die Begleiter der Damen, daß ihre Waffen, die sie der Bequemlichkeit wegen, als sie sich gelagert, abgelegt hatten, nicht mehr an ihrem Orte waren, sondern hoch oben auf dem Gipfel eines Baumes hingen, und Irmgard rief aus: »Das hat Rübezahl gethan!« Nun war freilich ihren Begleitern der Glaube in die Hand gekommen, und der fremde Ritter, der sich für einen Lehnsmann des Markgrafen von Brandenburg ausgab, der hier in der Nachbarschaft Verwandte aufgesucht und die Gelegenheit benutzt habe, das Riesengebirge zu durchstreifen und so auf der Jagd in diese Gegend gekommen sei, ließ sich ebenfalls von diesem Beherrscher des Riesengebirges erzählen. Auf einmal hörte man aus dem Walde her Klagelaute; Irmgard und der fremde Ritter eilten dem Schalle nach und fanden einen mit blutenden Wunden bedeckten Jäger, der ihnen sagte, daß er von einem angeschossenen wilden Schweine gehauen und zu Boden gestreckt worden sei. Augenblicklich zerriß Irmgard ihren Schleier und verband mit dessen Fetzen den Verwundeten, während ihre Begleiter, die mittlerweile auch herzugekommen waren, denselben unterstützten. Plötzlich aber riß sich der angeblich Verwundete von ihnen los, sprang lustig herum und umarmte die tödtlich erschrockene Irmgard, lud das erlegte Schwein auf seinen Rücken und sprach: »Euer Schleier besitzt, wie Ihr seht, Wunderkraft, er hat mich wieder gesund gemacht; es ist billig, daß ich ihn durch einen andern eben so kräftigen ersetze!« Damit riß er aus des Ebers Rücken eine Anzahl Borsten, schleuderte sie über Irmgard's Kopf in die Luft, wo sie sich zu einem goldenen Schleier verwebt auf die Jungfrau wieder herabsenkten, und verschwand dann unter einem furchtbaren Donnerschlage.

Jetzt wußten Alle, wer unter ihnen gewesen sei, sie fühlten sich jedoch etwas unheimlich und so brachen sie denn zusammen nach dem nächsten Dorfe auf, um dort zu übernachten. Der fremde Ritter ward von Irmgard zwar eingeladen, auf den Kynast zu kommen und sein Glück bei ihrer Base zu versuchen, allein er wies die Einladung mit kurzen Worten zurück und trennte sich am nächsten Morgen von ihnen. Er verweilte auch nicht mehr lange bei seinen Verwandten, sondern brach mit seinem Knappen bald [246] auf, um seine Reise weiter fortzusetzen. Allein da er keinen Führer mitgenommen hatte, so verirrten sie sich sehr bald in den dichten Schluchten des Gebirges; sie irrten rathlos hin und her und als nun, wie es dort sehr oft der Fall ist, plötzlich dicker Nebel die ganze Gegend einhüllte, wollte plötzlich das Roß des Ritters nicht weiter; er spornte es zwar, allein es bäumte sich widerspenstig, und da er es dennoch zum Weitergehen zwang, machte es einen Seitensprung und stürzte mit ihm in die Tiefe. Als er aus seiner tiefen Betäubung erwachte, fand er sich auf einem weichen Mooslager in der niedrigen Hütte eines Einsiedlers und erfuhr von demselben auf sein Befragen, wie er hierher gekommen sei, daß ihn am Abend zuvor ein rüstiger Jäger auf seiner Schulter hierher gebracht, erzählt, daß er ihn an der Seite seines todten Pferdes in einer Schlucht gefunden, und dann seiner Pflege dringend empfohlen habe. Unterdessen hatte sich auch sein Knappe hierhergefunden und ward von ihm, der noch nicht gehen konnte, beauftragt, nach Hirschberg zu gehen und ein anderes Pferd zu kaufen. Er selbst mußte sich freilich noch längere Zeit gefallen lassen, in der Einsiedelei zu bleiben, da seine Glieder von dem schweren Falle noch nicht vollständig wieder zu brauchen waren. Indeß vermochte er doch von Tage zu Tage weiter in der Umgegend herumzustreifen und so hörte er denn eines Tages, als er hoch oben auf einer Felsenkoppe saß und sich ausruhte, aus dem Thale unten wunderschönes Harfenspiel erklingen. Neugierig, wer die Künstlerin wohl sei, kletterte er hinab; als er aber unten ankam, hatte sich dieselbe bereits entfernt; es war Irmgard gewesen. Nach völlig wieder erlangter Gesundheit begab er sich vorerst nach Hirschberg, um dort noch Einiges hinsichtlich seines neu erkauften Rosses zu besorgen, und ging, weil gerade Messe war, um Gott für seine unverhoffte Rettung aus schwerer Todesgefahr zu danken, in die dortige St. Pancratiuskirche. Dort aber sah er zum ersten Male die schöne, prächtig gekleidete Kunigunde vom Kynast, gegen welche freilich die mit anwesende Base derselben sehr weit zurückstand. Das schöne Mädchen machte einen tiefen Eindruck auf ihn, allein gleichwohl konnte er sich doch nicht entschließen, den gefährlichen Ritt für den Besitz der herzlosen Person zu wagen. Er ritt also an ihrem Schlosse vorbei graden Weges durch Böhmen nach Wien, wohin ihn sein Reiseziel rief.

Mittlerweile trug es sich aber zu, daß die arme Irmgard zu Anfange des Frühlings des nächsten Jahres, als sie ihrer Gewohnheit nach in den den Kynast umgebenden Thälern herumstreifte, um die schöne Natur zu genießen, von den Leuten der damaligen Besitzerin des Hausberges, welche in Fehde mit ihrer Base lebte, gefangen genommen ward, da man sie für die schöne Kunigunde gehalten hatte. Zwar ergab sich das stattgefundene Mißverständniß sofort, als die Jungfrau auf dem Hausberge angelangt war; allein diese Entdeckung nützte ihr nichts, denn man behielt sie dennoch als Gefangene, weil man erwartete, daß ihre Verwandte sie auslösen werde. Indeß geschah dies nicht, und so mußte sie denn geduldig ausharren. Sie suchte sich die Zeit ihrer Gefangenschaft nach Möglichkeit durch Harfenspiel zu vertreiben und so wollte es der Zufall, daß als sie eines Abends bei offenem Fenster sang und spielte, der Brandenburger Ritter auf seiner Rückkehr vom kaiserlichen Hofe unter dem Hausberge vorüberreitend ihre Stimme vernahm und sogleich inne ward, daß dies dieselbe Sängerin sein müsse, die[247] er das Jahr vorher, freilich an einem andern Orte, gehört und bewundert hatte. Er näherte sich dem Wallgraben so gut als er konnte und knüpfte ein Gespräch mit der Sängerin an, durch welches er erfuhr, wer sie sei und weshalb sie hier festgehalten werde. Er entschloß sich kurz, begab sich an das Burgthor und verlangte Einlaß. Den erhielt er auch und nachdem er sich zu der Besitzerin des Schlosses hatte führen lassen, verlangte er ohne Umstände die Freilassung der Jungfrau. Zwar weigerte sich jene und verwies ihm mit harten Worten seine Kühnheit, dergleichen Dinge zu verlangen, allein als er ihr sagte, daß wenige Meilen von hier sein Schwager, ein Ritter von Falkenstein hause und es ihm keine Mühe kosten werde, denselben zu bewegen, ihn bei einer bewaffneten Unternehmung gegen den Hausberg zu unterstützen, willigte jene ein ihm das Mädchen zu überlassen, da ihr der Besitz derselben schon darum nichts helfen konnte, weil ihre Base, die schöne Kunigunde, sich gar nicht um sie kümmerte, also auch kein Lösegeld für sie zu erwarten wäre. So zogen sie denn zusammen nach dem Kynast, wo ihnen Kunigunde verwundert entgegenkam, als sie ihre Base wieder frei sah. Sie wußte aber leider den jungen Ritter durch ihr liebenswürdiges Betragen so für sich einzunehmen, daß er sich entschloß, entweder ihre Hand zu gewinnen oder im Felsenschlunde des Kynast den Tod zu finden. Es ward also für den nächsten Tag die gefährliche Probe festgesetzt. Die arme Irmgard aber, welche sich sterblich in den Brandenburger Ritter verliebt hatte, eilte in voller Verzweiflung aus dem Schlosse, um sich in Waldeseinsamkeit auszuweinen, denn sie sah wohl, daß ihr Geliebter von ihrer bösen Base umgarnt und nicht zu retten sei. Als sie nun so weinend auf einem Baumstamme dasaß und über ihr trauriges Schicksal nachsann, da trat ein fremder Jägersmann, derselbe, der sie einst am Kochelfall geäfft hatte, zu ihr und fragte sie, was ihr fehle; zwar wollte sie erst nicht mit der Sprache heraus, allein der Jäger kam ihr zuvor und erzählte ihr mit kurzen Worten, was vorgefallen sei, so daß sie sah, daß er vollständig von Allem unterrichtet sei. Er versprach ihr indeß seine Hülfe und gab ihr ein Fläschchen, welches eine Flüssigkeit enthielt, die sie, wie er sagte, nur ihrer Base beim Schlafengehen in ihren Nachttrunk zu träufeln habe, da werde sie nicht wieder erwachen und somit nicht blos das Hinderniß, was zwischen ihr und dem Brandenburger Ritter stehe, aus dem Wege geräumt, sondern sie auch als nächste Verwandte Kunigunden's Besitzerin des Kynast werden. Irmgard aber wies dieses hinterlistige Anerbieten entschieden zurück und erklärte, durch ein Verbrechen wolle sie niemals reich und glücklich werden. Darauf verließ sie der Jäger und meinte, sie werde doch noch zu ihm ihre Zuflucht nehmen müssen. Am nächsten Morgen aber schmückte sie sich mit ihrem Goldschleier und begab sich in den Burghof, um den gefährlichen Ritt mit anzusehen, fest entschlossen, der Ausgang desselben möge sein, welcher er wolle, sich in den Abgrund zu stürzen und so auf einmal ihrem Kummer ein Ende zu machen. Muthig bestieg der Ritter sein Roß, vorsichtig und behende schritt dasselbe eine Zeit lang auf der Mauer hin; schon hatte es die größere Hälfte des gefährlichen Pfades im Rücken, da strauchelte es und stürzte sammt seinem Reiter in den Abgrund hinab. Lauter Jammerruf des zuschauenden Burggesindes verkündete den Unfall, und Irmgard war schon im Begriff auf die Mauer zu treten und sich ihrem Geliebten nachzustürzen, da [248] erhob sich auf einmal ein furchtbarer Sturmwind, ein schweres Gewitter kam heraufgezogen und umgab die Burg mit seinem schwarzen Gewölk, so daß Niemand auch nur eine Hand breit vor sich sehen konnte, nur Irmgard gewahrte plötzlich, wie zwei blaue Flämmchen aus dem Schloßbrunnen aufstiegen und langsam nach dem Schloßthore hinzogen; sie folgte ihnen und gelangte, immer hinter ihnen hergehend, auf langsamem Umwege in's Thal hinab und plötzlich sah sie auf weichem Rasen ihren Geliebten unversehrt, aber in tiefem Schlummer neben seinem todten Rosse liegen, und während sie sich zu ihm hinabbeugte, um zu sehen, ob noch Athem in ihm sei, da stand auf einmal auch der räthselhafte Waidmann neben ihr und fragte sie, ob sie noch gesonnen sei, die Gemahlin des Ritters zu werden, wenn derselbe zum Bewußtsein und zur Erkenntniß zurückgekehrt sein werde. Als sie nun aber versetzte, daß sie dies wohl wünsche, aber keine Aussicht habe, seine Liebe zu gewinnen, da er ja ihre schöne Base vorziehe, da zog der Jäger einen silbernen Spiegel aus der Tasche und hieß die Jungfrau hineinsehen; diese aber kannte sich selbst nicht mehr, so hatte sie sich verändert. Ihre Gesichtszüge waren allerdings immer noch dieselben, aber der Zauberschleier hatte denselben eine solche Anmuth verliehen, daß der Eindruck, den sie auf Jeden, der sie ansah, machen mußte, ein unwiderstehlicher war. Die Probe konnte sie sogleich mit dem durch den Jäger aus dem Schlummer erweckten Brandenburger machen; er starrte sie gleich einer überirdischen Erscheinung an, verwandte kein Auge von ihr und weigerte sich lange entschieden, mit ihr auf den Kynast zurückzukehren und sich dort als gerettet der Kunigunde vorzustellen. Da es nun aber doch schließlich nicht anders ging, so mußte er sich wohl zu diesem unangenehmen Gange bequemen. Irmgard führte ihn den Berg hinan zur Burg und erzählte dort, sie habe ihn, als sie nach seiner Leiche gesucht, unversehrt im Thale gefunden; er aber sagte, es sei ihm beim Hinabstürzen gewesen, als habe ihn ein starker Arm aufgefangen und langsam hinab in die Tiefe getragen. Er hielt nun gleichzeitig um die Hand Irmgard's an, und Kunigunde, welcher die Anwesenheit derselben an sich schon nicht sehr angenehm gewesen war, bewilligte ihm dieselbe ohne Umstände, ließ sich es jedoch nicht nehmen, ihnen eine prächtige Hochzeit auszurüsten. Kaum war aber der Vermählungstag vorüber, da zog auch das junge Brautpaar in die Heimath des Ritters nach Brandenburg, wo sie jedoch nicht lange blieben, denn nach kurzer Zeit kam ein Bote und meldete ihnen, wie ein Thüringer Landgraf, Adalbert II., den Ritt glücklich bestanden, aber die Hand Kunigunden's zurückgewiesen und diese ihren Aerger in einem Kloster begraben habe. Vorher hatte sie jedoch den Kynast an ihre Verwandte abgetreten. So ward Letztere doch noch Besitzerin der Burg, auf der sie noch lange glücklich mit ihrem Gemahle lebte; wo jedoch nach ihrem Tode der Goldschleier hingekommen, davon berichtet die Sage nichts.

e) Der Wolf und das Schaf.

In der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts war ein gewisser Johann Andreas Thieme Prediger zu Obergiersdorf, einem zum Kynast gehörigen Dorfe. Dieser Mann soll die Gabe gehabt haben, aus der Constellation der Planeten die Schicksale der Menschen vorherzusagen, so man ihm nur die Geburtsstunde derselben angeben konnte. Nun befand derselbe sich gerade [249] am Geburtstage des später zu Regensburg hingerichteten Grafen Johann Ulrich von Schaffgotsch, den 2. März 1635, auf dem Kynast, wo eben eine zahlreiche Gesellschaft zur Feier dieses Festtages eingeladen war. Der Graf selbst war jedoch nicht unter ihnen, er verbrachte, wie immer, diesen Tag in seinem Zimmer betend und fastend und Gott mit inbrünstiger Andacht für die verliehenen Jahre dankend. Während nun aber die Gäste beisammen saßen und sich von dem und jenem unterhielten, kam auch die Rede auf die Geschicklichkeit des Pastors, in den Sternen zu lesen, und dieser beging die Taktlosigkeit, seine Vorhersagekunst an dem Herrn des Hauses, der doch auch sein Patronatsherr war, zu üben und zu erklären, »daß der Saturn und der Mars bei der Geburt des Grafen in dem vierten Hause der Sonne eine gefährliche Opposition gehabt hätten, welches auf den gewaltsamen Tod des Grafen und zwar durch ein kaltes Eisen deute«. Die Gäste waren von dieser unvorsichtigen Aeußerung auf's Unangenehmste berührt und der mit anwesende Kammerdiener des Grafen vermaß sich hoch und theuer, dieselbe seinem Herrn zu hinterbringen, nicht etwa darum, weil er daran glaube, sondern damit er die Frechheit des besagten Pfarrers kennen lerne. Zwar redeten alle Anwesenden dem Diener ab, dies zu thun, damit er seinem Gebieter nicht unnöthig Angst mache, allein derselbe theilte ihm demohngeachtet Abends beim Auskleiden die Prophezeiung Thieme's mit. Der Graf lachte, besann sich einen Augenblick, wie er wohl den Pfarrer mit seiner Sterndeuterei am besten bloßstellen könne, und befahl, sämmtlichen Gästen reitende Boten nachzuschicken mit der Bitte, sich den andern Tag wiederum auf dem Kynast bei ihm einzufinden, um mit ihm eine Jagdparthie zu machen und dann ein fröhliches Mittagsmahl einzunehmen. Als nun am nächsten Tage Alle wieder beisammen waren, ließ er ein saugendes Lamm holen und sagte zum Prediger Thieme, »er habe von seiner Weissagungsgabe gehört und wünsche davon einen Beweis zu erhalten. Hier wäre ein Lamm, er möge so gut sein und diesem die Nativität stellen.« Thieme weigerte sich lange; er meinte, daß ein großer Unterschied zwischen einem Thiere und einem Menschen sei; allein der Graf ließ nicht nach in ihn zu dringen. Nun hätte der Prophet seine gestern gethane unüberlegte Aeußerung wieder gut machen und Unfähigkeit in diesem Falle vorschützen können, allein sein Gelehrtenstolz ließ das nicht zu; er bat daher, man möge den Schäfer der Heerde, von welcher dies Lamm sei, kommen lassen. Diesen fragte er, an welchem Tage und in welcher Stunde das Lamm geboren sei. Nach erhaltener Antwort machte er einige astronomische Berechnungen und sprach dann: »Dies Lamm wird der Wolf fressen.« Alle lachten laut, der Graf aber befahl das Lamm sogleich zu schlachten und es ganz zu braten, ohne jedoch dem Koche die Ursache davon zu sagen, und nun begab sich bis zum Mittagsmahl die ganze Gesellschaft auf die Jagd. Auf dem Schlosse lief nun aber schon seit zehn Jahren ein zahmer Wolf herum, der wie ein Haushund überall hin, selbst in die Küche durfte, wo er jedoch nie etwas angerührt hatte, was ihm nicht vorgeworfen worden war, und wo er sogar oft zum Drehen der Bratmaschine verwendet wurde. Zufällig kam dieser Wolf in die Küche, als das Lamm am Spieße stak und schon halb gebraten war, und da den Koch eben ein Geschäft aus der Küche entfernt hatte, so machte sich der Wolf, ganz gegen seine Gewohnheit, über den [250] Lammsbraten her und fraß ihn rein auf. Dem Koch war es jedoch ärgerlich, als er bei seiner Rückkehr kaum noch die Reste fand, er prügelte auch den Wolf tüchtig durch; da er aber die Wichtigkeit dieses Umstandes nicht kannte, so glaubte er, daß bei der Menge der übrigen Gerichte dieser Braten nicht vermißt werden würde, und war getröstet. Die Jagdgesellschaft kam zurück. Man setzte sich fröhlich zur Tafel, scherzte mit dem Pastor Thieme, und der Graf freute sich schon auf den Augenblick, wo er ihm das Lamm werde gebraten vorzeigen können. Aber das Lamm blieb aus. Der Graf ließ nach der Ursache fragen, warum dasselbe nicht aufgetragen werde, und da trat denn der Mundkoch herein, warf sich zu seines Herrn Füßen und erzählte das Geschehene zum Erstaunen und Entsetzen der Anwesenden. Der Graf aber legte ruhig sein Messer mit folgenden Worten auf den Tisch: »Der Wille des Herrn geschehe! ich weiß, daß ich jederzeit meinem Kaiser treu gedient und des Landes Bestes redlich gesucht habe. Herr, du wirst meine Unschuld gewiß an den Tag bringen!« Er mußte sich aber doch zu Bette begeben, da er sich nicht wohl fühlte, und die Gäste schlichen traurig nach Hause.

Thieme's traurige Prophezeiung ging aber schon nach vier Monaten in Erfüllung; er ward auf Veranlassung der Jesuiten am 25. Junius nach Regensburg gefordert und dort angeblich weil er mit dem Könige von Schweden heimliche Correspondenz geführt, die an das in Ungarn zu versorgen habende Detaschement zu zahlenden Gelder unterschlagen, um dadurch diese Soldaten zu einer Revolte zu bringen, und weil er seine lutherischen Unterthanen in Schlesien aufgewiegelt habe, sich zusammenzurotten und die Katholiken zu vertilgen, in Anklagestand versetzt, trotzdem daß man ihm nichts beweisen konnte, zum Tode verurtheilt und am 23. Juli hingerichtet. In Hermsdorf unter dem Kynast wird das Schwert, mit welchem er hingerichtet worden ist, noch aufbewahrt, aber nicht gezeigt.


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TextGrid Repository (2012). Grässe, Johann Georg Theodor. 214. Die Sagen von der Burg Kynast. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-3C17-9