43. Die wunderbare Nonne zu Gräfrath.

(Nach Caesar. Heisterb. VII. 35 poetisch behandelt von Montanus Bd. I. S. 350 etc.)


Der Vogt von Angermund hatte eine wunderschöne Tochter, Gunhilde geheißen, die aber ebenso fromm als schön war. Zwar buhlten viele Ritter um ihre Hand, allein sie wies alle zurück, und als mittlerweile ihre Mutter gestorben war, da gelobte sie am Grabe derselben sich als Braut dem himmlischen Bräutigam Jesus Christus. Sie begab sich hierauf ins Kloster Gräfrath und ward dort unter die Nonnen aufgenommen, allein ihr Glaube mußte doch kein wahrer, ihre Sehnsucht nach dem Himmel keine innige gewesen sein, sie lieh leider den Lockungen und Schmeicheleien des Pater Goswin, eines üppigen Mannes, der aber in dem Kloster die Stelle eines Beichtvaters bekleidete, ein geneigtes Ohr und ließ sich von ihm verleiten, mit ihm in einer dunkeln Nacht zu fliehen und die finstern Klostermauern mit der heitern Weltlust zu vertauschen. Sie eilten in ferne Länder und lebten dort als Mann und Frau, aber schnell waren die wenigen Mittel, die sie hatten mitnehmen können, verzehrt, Mangel und Noth trat ein, mit ihnen verblichen aber die Rosen auf den Wangen der ungetreuen Himmelsbraut, ihr Buhle fühlte bald seine Liebe erkalten und eines schönen Morgens fand sie sich allein und verlassen. Er war unter eine Räuberbande gegangen, denn arbeiten hatte er nicht gelernt und bußfertig seine Sünde bereuen wollte er auch nicht. Sie aber bettelte sich von Ort zu Ort bis zurück an die Pforte des Klosters Gräfrath. Dort klopfte sie an und als ihr aufgethan ward, da gestand sie unter Thränen der Pförtnerin, was sie gethan und daß sie jetzt komme, um [57] ihre Sünden abzubüßen. Diese aber fiel vor ihr auf die Kniee und pries sie wegen ihrer unendlichen Demuth und als sie sie durch die Räume des Klosters nach ihrer frühern, wie sie meinte, jetzt vereinsamten Zelle führte, da sah sie voll Verwunderung, wie alle die Schwestern, an denen sie vorüber ging, sich voll Demuth und Verehrung vor ihr neigten. Als sie aber in ihrer Zelle angelangt sich auf die Kniee warf und inbrünstig zu dem dort aufgehängten Bilde der h. Jungfrau um Vergebung ihrer Sünden flehte, da sprach eine Stimme aus demselben zu ihr: »Beruhige Dich, Niemand weiß hier im Kloster von Deiner siebenjährigen Abwesenheit, ich wußte, daß Du zurückkehren würdest, und weil Du früher mit so inniger Liebe mir anhingest, hat in Deiner Abwesenheit ein heiliger Engel an Deiner Statt und in Deiner Gestalt diese Zelle bewohnt, sodaß man Dich nie vermißt hat.«

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TextGrid Repository (2012). Grässe, Johann Georg Theodor. Sagen. Sagenbuch des Preußischen Staats. Zweiter Band. Die Rheinprovinz. 43. Die wunderbare Nonne zu Gräfrath. 43. Die wunderbare Nonne zu Gräfrath. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-3C2B-E