590) Der Sudemerberg bei Goslar. 1

Kaiser Heinrich der Vogelsteller hat sich viel und gern in Goslar aufgehalten und man weiß dort noch Manches von ihm zu erzählen. Vor Allem aber, sagen sie, sei es zu verwundern gewesen, von wie herrlicher Schönheit seine Frau war, so daß sich der Kaiser auch kaum trösten konnte, als sie endlich gestorben war. Als aber sein Schmerz sich etwas gelegt, da hat er seine eigene Tochter, die ihre Mutter an Schönheit fast noch übertroffen, freien wollen und hat ihr sein sündhaftes Verlangen kund gethan; sie aber hat ihm darüber gebührende Vorhaltung gemacht und hat ihn endlich dahin vermocht, erst an die Höfe aller Könige und Herzöge in Europa zu ziehen, ob er nicht dort vielleicht eine Gemahlin finde, die schöner sei als sie. Da ist er denn fortgereist und weit und breit umhergezogen, aber endlich ist er heimgekehrt und hat gesagt, es sei rings keine schönere zu finden. Aber auch da noch hat sie seinen Bitten und Liebkosungen widerstanden, so daß er endlich die Bedingung gemacht, wenn sie eine Decke wirken könne, auf welcher alle Thiere, die sich auf dem Erdboden fänden, zu schauen wären, dann wolle er von seinem Begehren abstehen. Da ist sie in die kleine Kapelle in der obern Stadt gegangen und hat inbrünstig zu Gott gebetet, aber keine Beruhigung im Gebet gefunden, so daß sie endlich in ihrer Verzweiflung den Teufel angerufen, daß der kommen möge ihr zu helfen. Der ist auch sogleich erschienen und hat gesagt, er wolle ihr die Decke bringen, wenn er sie nach drei Tagen und drei Nächten hier noch wachend fände. Da hat sie denn ihr Hündlein mit in die Kapelle genommen und hat unter unablässigem Gebet ihre Zeit dort zugebracht; als es aber in der dritten Nacht gegen Morgen kam, da hat sie der Schlaf fast überwältigt; im selben Augenblick kam [543] auch der Teufel daher, und das Hündlein, welches ihn sah, zerrte sie so heftig am Kleide, daß sie sogleich aufsprang. Da ließ der Teufel zornig die Decke fallen, warf das Hündlein wüthend gegen die Mauer der Kirche und verschwand. Als sie aber ihrem Vater die Decke brachte, da hat ihn gewaltiger Schmerz erfaßt und er hat nicht länger leben mögen, sondern sich in den Sudemerberg bei Goslar, der durch seine alte Warte weit in der Gegend sichtbar ist, verwünscht und da sitzt er noch bis auf den heutigen Tag, und wird erst wiederkehren, wenn Goslar einmal in großen Nöthen ist oder wenn der jüngste Tag anbricht.

Andere sagen auch, der Kaiser sitze im Rammelsberge und habe noch vor seinem Tode drei Steine in die Mauern von Goslar einmauern lassen und gesagt, wenn diese herausfielen, dann werde er wiederkehren; Niemand weiß aber, welche Steine das sind.

Fußnoten

1 Nach Kuhn und Schwarz S. 184.

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TextGrid Repository (2012). Grässe, Johann Georg Theodor. Sagen. Sagenbuch des Preußischen Staats. Erster Band. Der Harz. 590. Der Sudemerberg bei Goslar. 590. Der Sudemerberg bei Goslar. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-3CB2-B