474. Mieskater Martinichen.

(Nach Arndt Bd. I. S. 340 etc. [II. A.])


Auf der Halbinsel Wittow auf Rügen ist ein Dorf, Namens Putgarden, nicht weit von dem Vorgebirge Arkona. Hier lebte eine reiche Bäuerin, Namens Trine Pipers, die frühzeitig Wittwe geworden war. Dieselbe hatte unzählige Freier, denn sie war jung und frisch, lustig und verträglich und gehörte zu den wohlhabendsten Personen im Dorfe. Sie war aber auch sehr lebenslustig, denn nicht allein, daß sie jeden Sonntag beim Tanz in der Schenke zu finden war, an allen großen Festtagen hielt sie selbst Tanz und Spiel in ihrem Hofe, da ließ sie es an nichts fehlen, Kuchen, Wurst und Fleisch war immer vollauf da und dazu floß das Bier und der Schnaps in Strömen. Da fehlte es denn nun nicht an bösen Zungen, welche meinten, der Ertrag ihrer Felder stehe nicht im Verhältniß zu ihren Ausgaben, es müsse doch einmal mit ihrem Gelde auf die Neige gehen. Allein da dies nicht der Fall war, sondern ihr Wohlstand immer mehr zuzunehmen schien, so raunten sich die Leute bald in die Ohren, entweder habe sie den Drachen, der ihr die Schinken und Mettwürste aus anderer Leute Schornsteinen hole und ihr die Truhe mit Thalern fülle, oder aber sie sei selbst eine Hexe, welche in die Häuser der Nachbarn schleiche und hier stehle. Letzteres wollte man daraus abnehmen, daß sie keinem Kinde in die Augen sehen könne, sie möge noch so freundlich mit ihnen kosen, denn sie habe als Hexe kein Kind in ihren Augen und es thue ihr sehr weh, wenn sie den unschuldigen Kindern, die noch nichts verbrochen hätten, in ihre reinen Augen schauen müsse; da die Wittwe jedoch alle Sonntage zur Kirche ging, Pastor und Küster gern und willig den Zehnten gab und regelmäßig das Abendmahl nahm, so konnte man ihr nichts anhaben, und es blieb bei dem heimlichen Gemunkel. Da sah man auf einmal in ihrem Hause einen großen, dreifarbigen Kater, grau mit gelben Streifen über dem Rücken und einem weißen Fleck am linken Vorderfuße. Weil man nun niemals einen dreifarbigen Kater gesehen hatte und überdem ihrer Erzählung, ihr Bruder, ein Schiffer aus Stockholm habe ihr das Thier von Lissabon mitgebracht, Niemand Glauben beimaß, sie selbst aber fortwährend mit dem Kater spielte, derselbe auch, der den wunderlichen Namen Mieskater Martinichen führte, ihr auf Tritt und Schritt folgte, mit ihr aus einem und demselben Teller aß, aus einer und derselben Tasse trank, ja mit ihr in demselben Bette schlief und sie sogar diejenigen ihrer Leute fortschickte, die es wagten ihn zu schimpfen oder zu schlagen, so zweifelte bald kein Mensch mehr, daß der Kater ihr teufelischer Buhle sei, der unter dieser Verkappung bei ihr wohne und ihr Glück bringe. Das Gerede aber ward bald so arg, daß die Dienstleute Trinens daran ihr Bedenken hatten, die guten Leute, welche sie früher gehabt, zogen von ihr weg, zuletzt bekam sie nur noch die, welche Niemand haben wollte, und auch diese blieben nicht lange. Auch zu ihren Schmäusen wollte Niemand mehr kommen, selbst denen, die doch sonst nur des Essens und Trinkens wegen zu ihr gekommen waren, verging jetzt die Lust, sie wollten mit einer Hexe nicht mehr zusammen sein.

[502] Allein der arme Kater konnte doch unmöglich der Zubringer von Trinens Reichthümern gewesen sein, denn obwohl sie keine Feste und Schmäuse mehr veranstaltete, weil sie sonst ihren Kuchen und ihre Würste hätte allein verzehren müssen, ihr Wohlstand also eigentlich hätte zunehmen sollen, ging ihre Wirthschaft im Gegentheil von Tage zu Tage mehr zurück, ihr Vieh starb, ihre Felder trugen nichts mehr, weil sie von ihren schlechten Dienstleuten so gut wie gar nicht bearbeitet wurden und kein Dünger mehr darauf kam, kein Bettler konnte mehr etwas von ihr bekommen, denn sie hatte selbst nichts mehr, sie selbst saß allein und verlassen, abgemagert von Hunger und Noth ihren dürren Kater auf dem Schooße zwischen den kahlen Wänden ihrer Stube und nährte sich kümmerlich von den Brocken, welche ihr diejenigen ungern zuwarfen, welche sich sonst so oft an ihrem Tische satt gegessen hatten. So hat man sie eines Morgens gefunden todt auf dem Boden ihres Stübchens hingestreckt und ihren treuen Kater Mieskater Martinichen todt auf ihr liegend, und die sonst so reiche Trine, welche der Kirche und dem Geistlichen so reichlich und so gern gab, so lange sie selbst noch etwas zu geben hatte, wurde ohne Sang und Klang, ohne Begleitung irgend eines mitleidigen Nachbars auf einem Winkel des Kirchhofes eingescharrt, schlechter wie die ärmste Bettelfrau. Seit der Zeit geht die Trine aber um als Hexe in der Gestalt einer alten grauen Katze, die man daran kennt, daß sie Augen hat, die wie brennende Kohlen leuchten und daß sie ganz entsetzlich laut sprühet und pustet, wenn man sie jagt. Sie wird noch alle Mitternächte auf der Stelle gesehen, wo ehemals Trinens Haus stand und heult dort erbärmlich, im Winter aber, wenn in den Scheunen und auf den Dächern die wüthigen Katzenhochzeiten sind, ist sie immer voran mit der höllischen Jagd und führt das ganze Getümmel und miaut und winselt am entsetzlichsten.

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TextGrid Repository (2012). Grässe, Johann Georg Theodor. Sagen. Sagenbuch des Preußischen Staats. Zweiter Band. Pommern. 474. Mieskater Martinichen. 474. Mieskater Martinichen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-4052-8