682) Der Jües und der Ochsenpfuhl bei Herzberg. 1

Unter dem Schlosse Herzberg, welches auf einer der letzten südwestlichen Höhen des Harzes liegt, befinden sich zwei große Teiche. Der eine heißt der Jües oder Ghüs, der andere aber der Ochsenpfuhl. Der erstere, an der Ostseite des Fleckens gelegen, bietet zuweilen die merkwürdige Erscheinung dar, daß aus seiner Tiefe verfaulte Tannenstämme emportauchen, obgleich in der Nähe keine Tannen wachsen. Seine Mitte gilt im Volke für unergründlich, bei klarem Wetter aber soll man altes Gemäuer in seinen Gewässern erblicken. Nach der Sage soll hier vor langen Jahren ein Graf gehaust haben, der ein wildes und gottloses Leben führte und da er sich trotz mancher Warnungszeichen nicht zu Gott bekehrte, sondern nur nach seines Herzens Gelüsten lebte, so versank endlich sein Schloß unter Donner und Blitz in einen Erdschlund und Wasser stiegen empor und bedeckten geheimnißvoll die schaurige Tiefe.

Der andere Erdfall, der Ochsenpfuhl, liegt dicht an der Ostseite des Schloßberges und wird durch verborgene Grundquellen genährt, denn sichtbaren Zufluß hat er nur selten; er fließt in eine dunkle Felsenschlucht ab und man weiß nicht, wo seine Gewässer hinkommen. Seine Entstehung wird also erklärt. Vor einigen hundert Jahren hatten sich einer alten Sitte zufolge am zweiten Feiertage des heiligen Osterfestes die jungen Burschen und Mädchen der Umgegend auf einer Wiese versammelt, die sonst da grünte, wo jetzt die unheimlichen Wellen des Teiches in der Abendsonne Schein glitzern, um hier zu spielen und zu tanzen. Alles war im Gange und die Paare drehten sich im lustigen Reigen. Da kam auf einmal ein ungewöhnlich großer schwarzer Ochse des Weges daher. Das Gewühl und Gejauchze der Menge machte ihn wild, das Geschrei der ihn neckenden und verfolgenden Knaben aber verkehrte seine Wildheit in Tollheit und so stürzte er sich denn unversehens unter die fröhlichen Tänzer auf der Wiese. Weiber, Mädchen und Kinder flüchteten im gefährlichsten Gedränge in die nächsten Höfe, hinter die Zäune oder auf die steilen Höhen, die jungen Bursche aber hielten Stand, bewaffneten sich ein Jeder mit dem ersten waffenähnlichen Werkzeug, was er erreichen konnte, sammelten sich und schickten sich an, das schwarze Ungethüm vou ihrem Spielplatz zu vertreiben. Allein sonderbarer Weise bekümmerte sich das wilde Thier so gut wie gar nicht um die Anwesenden, sondern tobte mit dem Gebrüll der schrecklichsten Wuth auf dem grünen Wiesengrunde umher, wetzte seine langen Hörner an den nächsten Baumstämmen und stieß heiße Dampfwolken aus seinen offenen Nüstern. Mitten auf der Wiese hielt er endlich seinen Lauf an, senkte das breite Haupt, riß mit den gewaltigen [641] Füßen scharrend den Rasen auf und bohrte seine Hörner tief in den Boden. Wüthender durch den Widerstand, den das daliegende Gestern seinem Toben entgegensetzte, ließ er nicht nach zu wühlen und Steine und Erde in die Luft zu schleudern, bis auf einmal vor ihm aus dem aufgebrochenen Boden ein dicker Wasserstrahl emporschoß, mehrere Fuß hoch sich zu einem sprudelnden Springbrunnen hob und in kurzer Zeit das trockene Erdreich um den Stier her mit rauschenden Fluthen bedeckte. Das Thier stand Anfargs verwundert da, dann schlürfte es mit gierigen Sippen das frische Wasser aus dem Strudel, allein als das Wasser immer größer ward, zog es sich nach dem festen Lande zurück und ließ sich geduldig fangen und fesseln. Das Fest war aber freilich gestört, die tanzlustige Jugend mußte nach Hause gehen, allein am folgenden Tage quoll das Wasser noch ebenso stark aus der Oeffnung hervor und sehr bald war der Fleck, wo früher munteres üppiges Gras zum Niedersetzen einlud, eine breite Wasserfläche. Schon glaubten die nächsten Grundstücksbesitzer auch ihre Besitzungen gefährdet, als sie bemerkten, daß sich das Wasser selbst einen Ausweg gebahnt hatte, so räthselhaft und außerordentlich, wie sein Hervorquellen gewesen war, nämlich es hatte sich dicht unter dem Schloßberge eine Schlucht geöffnet, wo es hineinlief, und so wenig, wie man weiß, wo es herkam, ebensowenig kennt man den Ort, wo es hinläuft. Das Wasser aber hat bis auf den heutigen Tag den Namen des Ochsenpfuhls behalten.

Fußnoten

1 S. Thüringen und der Harz Bd. III. S. 278.

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TextGrid Repository (2012). Grässe, Johann Georg Theodor. Sagen. Sagenbuch des Preußischen Staats. Erster Band. Der Harz. 682. Der Jües und der Ochsenpfuhl bei Herzberg. 682. Der Jües und der Ochsenpfuhl bei Herzberg. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-4106-C