190) Das Gespenst zu Kossenblat. 1

Zu Kossenblat, einem Brandenburgischen Adelssitze, starb im Jahre 1665 Herr David von Oppen, ehemaliger Besitzer desselben Gutes, aus einer sehr alten Familie. Es wurde demselben nach hergebrachtem Brauch von David Stern, Pastor desselbigen Orts und des ganzen Kreises Senior, die Parentation und Leichenrede gehalten, 2 da er denn unter andern Umständen seines Lebenslaufes folgende merkwürdige Dinge hat mit einschließen lassen.

In den angehenden Jahren des menschlichen Alters hat sich bei dem wohlseligen Herrn David von Oppen ein Geist eingefunden in Gestalt einer weißgekleideten Jungfer, welcher sich vor ihm hat sehen und hören lassen, mit ihm geredet, eins und das andere von ihm begehrt, ihn auf allerlei Weise gequält, den Leib zerdehnet u. dergl. Dieser Geist nun ist sowohl Tags als Nachts wiewohl nicht beständig vor seinem Bette gestanden und hat ihm mit mancherlei Art solcher Aengstigung zugesetzt. Woher ihm das Unglück entstanden, hat man nicht wissen können, wiewohl man auf eine gewisse Jungfer den Verdacht geworfen, inmaßen dieser Geist allezeit in solcher Tracht und Kleidung sich gezeigt, womit dieselbe zu eben solcher Zeit angethan gewesen. Man hat derowegen offen an den Ort hingeschickt, wo die Jungfer sich befunden,[166] und ihren Habit in Augenschein nehmen lassen, dieser denn allezeit mit demjenigen, welchen der Geist gehabt, übereingekommen, so daß sogar die Stecknadeln in dem Schleier und anderswo auf gleiche Art sind eingesteckt gewesen. Die Geistlichkeit selbst, da sie von der Sache Nachricht erhalten, konnte sich in dieses ungewöhnliche Schattenspiel nicht finden noch begreifen, was es damit für eine Bewandniß habe. Nach einiger Zeit, da gedachter David von Oppen im Begriff war, sich seinem Stande gemäß zu vermählen, wollte dieser Geist solches auf keine Weise zugeben, wie sich denn auch jener von seinem Vorhaben abschrecken ließ, bis er endlich auf Zureden seiner Brüder sich dennoch entschloß, seinen Vorsatz ins Werk zu richten. Hierauf ist der Geist nächtlicher Weise zu ihm in die Kammer gekommen, da auch andere Personen, so bei ihm zugegen waren, denselben gesehen und gehört, wie grimmig er sich bezeiget und sich an sein Bette gelehnet, als wenn er mit Gewalt hinein oder ihn herausziehen wollte, und wie er darauf mit großer Wuth in der Kammer hin- und hergelaufen. Zu gleicher Zeit schlief Herr Dr. Gottfried Weidner, Professor zu Frankfurt, so ihm bei diesem Zufall gedient, in derselben Kammer; desselben Jungen hat der Geist aus dem Bette genommen und ihn mitten in der Kammer niedergeworfen. Nunmehro kam dem Herrn Doctor der Glaube in die Hände, welcher es vorhin dem von Oppen nicht hat glauben wollen, sondern Alles für seine Phantasie gehalten hatte. Noch merkwürdiger sind die Umstände an dem Hochzeitstage selbst gewesen, welche nicht sattsam können beschrieben werden. Denn der Geist hat sich nicht allein an Braut und Bräutigam gemacht, zwischen denselben sich in das Brautbett gelegt und nach seinem Gefallen mit ihnen umgegangen, sondern es hat auch die ganze Freundschaft und Gesinde seine Anfechtung empfinden müssen. Etliche sind niedergefallen und gleichsam für todt liegen geblieben. Ist einer aufgestanden, hat der andere wieder fallen müssen. Einige hat er zum Tanzen genöthigt, wobei sie sich der besten Art und Weise bedient, dergleichen keiner von ihnen jemals gelernt oder gesehen hatte. Er hat gemacht, daß sie sich aufs Hurtigste und zwar einer immer allein herumdrehen müssen; die Pferde in den Ställen sind von ihm gequält, und die Schafe ausgelassen worden. Unter die Musikanten hat er sich gleichfalls gemischt, daß nichts als Unordnung und Verwirrung unter ihnen entstanden. Die Speisen wurden von dem Tische geworfen, die mit Wein angefüllten Gläser bewegten sich, und was dergleichen ungemeine Wirkungen mehr waren. Nach der Zeit hat der Geist den Trauring von ihm verlangt, da er ihm aber denselben nicht geben wollte, sondern ihn festgehalten, hat er ihm solchen auf dem Finger zerbrochen, wiewohl auf eine besondere Weise und Art, daß er zwar einen großen Knall gehöret, der Ring aber auch alsobald in Stücken gegangen. Da sich der Herr von Oppen einstmals, um einige Ruhe zu genießen, bei dem Herrn von Holzendorf zu Bretschen aufgehalten, hat dieser Geist ihn nicht nur heftig gequälet, sondern auch die güldenen Armbänder von ihm haben wollen, und ob er sich gleich dessen geweigert, sind ihm selbige dennoch von den Armen und Händen weggekommen, daß er nicht gewußt, wo selbige geblieben. Es hat ihm zwar der Geist angezeigt, daß sie da und dort zu finden wären, aber allezeit solche Oerter genannt, da man ohne Gefahr wegen der Höhe nicht hat hinkommen können. Endlich hat er gesagt, daß sie zu Bretschen oben in der Stube unter dem [167] getäfelten Boden lägen, allwo sie auch hernachmals gefunden wurden. Gleichwohl hat sich keine Spalte noch Ritze allda gezeiget, durch welche sie ein Mensch hätte hineinbringen können, und hat man die Dielen von dem Tischler des Ortes aufreißen lassen. Noch mehr ist aber zu bewundern, daß das erste Kind aus dieser Ehe todt auf die Welt gekommen, gleichwie dieser Geist ihnen vorher angezeiget und sich mit diesen Drohworten vernehmen lassen: wenn er je die Ehe nicht verhindern könnte, so sollte doch die erste Frucht nicht lebendig zur Welt kommen. Sonsten hat wohlgedachter Herr von Oppen mancherlei Krankheit, Qual, Pein, Marter, Anfechtung und Versuchung von dem Geiste auszustehen gehabt, wie auch solches allhier zu Kossenblat insgesammt zur Genüge bekannt ist. Am allermeisten wird die hochbetrübte Wittwe des Verstorbenen davon zu berichten gewußt haben, welche solche Mühe, Herzeleid, Schrecken, Sorge und Angst bei Tage und bei Nacht mit ihm ausgestanden, auch manchmal ganze Wochen ohne einigen Schlaf oder Ruhe zugebracht, daß kein Wunder gewesen wäre, sie hätte vor Gram und Bekümmerniß vorlängst das Leben eingebüßt oder wenigstens die Augen mit unaufhörlichem Weinen verdorben. Zwar hat der Geist sich während der Ehe des Verstorbenen nicht so oft sehen und spüren lassen, doch hat er ihm auf andere Art mehr als zuviel geschadet, indem er ihm oftmals die gefährlichen Gedanken beigebracht, er solle sich nur das Leben verkürzen, ihm auch sogar die Mittel angezeigt, wie bald und leicht er davon kommen könnte. Er hat ihn überredet, daß seine Gestalt sehr häßlich und scheußlich sei, daher er sich oftmals vor keinem Menschen hat wollen sehen lassen, sich an abgesonderte finstere Oerter gemacht, und die Fenster, um das Tageslicht wegzunehmen, mit Tüchern verhüllen lassen. Et ist erschrocken, wenn Jemand zu ihm gekommen, hat auch den Seinigen befohlen, Niemand zu ihm zu lassen. Des Morgens und mit abnehmendem Tage ist ihm am Uebelsten zu Muthe gewesen, er hat sich auf nichts besinnen können, sondern ist gleichsam in der Epilepsie dagelegen, daß es ein Jammer anzusehen gewesen. Auch hat er sich oft besorgt, er werde seinen Verstand verlieren und von Sinnen kommen. Inzwischen muß man sich wundern, daß, wenn er gegen Abend Linderung empfunden und Gesellschaft gehabt, ihm gleichwohl möglich gewesen, mitzuessen, zu trinken, zu spielen und mit Andern um die Wette guter Dinge zu sein; zuweilen hat er auf seinen Gütern weder Rast noch Ruhe gehabt, sondern hat mit Gewalt hinaus und hinweg gemußt, oder so er je zu Hause geblieben, hat er sich müssen inne halten, nicht dürfen aus dem Gemache kommen noch über die Schwelle treten, viel weniger an die Haushaltung gedenken, welches Alles manchmal bei ihm lange gewährt. Zum Oefteren hat er sich auch von seinem Gute hinweggemacht, an andere Oerter begeben und daselbst Ruhe gesucht, aber auch bei diesem Unternehmen wenig Besserung gefunden. Auch dieses ist nicht mit Stillschweigen zu übergehen, daß wenn er gleich sich wohlauf befunden, daß er auch seine Nachbarn und gute Freunde besuchen und bei ihnen guter Dinge sein können, ihm dennoch, sobald er nur nach Hause gedacht oder die Zeit seiner Abreise herangerückt, eine Furcht und innerliches Grauen angekommen. Es hat sich zu solcher Zeit sogar seine Farbe verändert und er ist mit großer Angst und Bangigkeit überfallen worden. Oder wo ihm je an dem fremden Ort nichts gefehlet, so ist ihm dennoch, wenn er kaum auf die Grenze seines Gutes [168] gelanget, daß er dasselbige sehen können, immer übeler geworden, je mehr er sich demselben genähert. Wenn er in sein Haus getreten, ist er niedergefallen und in eine Ohnmacht gesunken, daß man ihn reiben und kühlen müssen. Bei der Nacht hörte er unterschiedene Wehklagen, bald hier zu Kossenblat, bald zu Falkenberg, nachdem es vorher etliche Male an die Thür geklopft, bald zu Bako in seiner Tochter Begräbniß, da es denn solche grauerliche Klagen geführet, geächzet, gewinselt und gefluchet, daß es kein Mensch in der Welt nachmachen kann, zu geschweigen, daß ihm auch dann und wann bei der Nacht in der Kammer helle Säulchen erschienen sind.

Fußnoten

1 S. Monatl. Unterred. Bd. III. S. 7 etc.

2 Gedruckt zu Frankfurt a.d.O. durch Erasmus Stößner 1666 in 4°.

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TextGrid Repository (2012). Grässe, Johann Georg Theodor. Sagen. Sagenbuch des Preußischen Staats. Erster Band. Die Marken. 190. Das Gespenst zu Kossenblat. 190. Das Gespenst zu Kossenblat. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-44AD-9