368. Eine Historia von einem Knaben, so zu Stettin ist verloren worden.

(Beschrieben durch Lucas Mützell bei Friedeborn a.a.O. Th. II. S. 109 etc.)


Im Jahre 1576 im September ist zu Stettin ein Knabe von 10 Jahren, mit Namen Carsten Schnöckell, dessen Eltern zu Colberg wohnten, auf einen Freitag verloren gegangen und erst den nächstfolgenden Sonntag Abends wiedergekommen. Diesen Knaben hatte aber Peter Malchow's Hausfrau, eine Tuchwäscherin auf der Lastadie bei sich, denn es war ihrer Schwester Sohn. Wie nun viele vornehme und ehrliche Leute den Knaben gefragt haben, wie er weggekommen und wo er gewesen sei, so hat er mit Seufzen und großem Verstande berichtet, er sei zur Thüre hinausgegangen, da habe ihn alsbald etwas wie eine Wolke umgeben, darin habe ihn ein alter Mann hinweggeführt und zuerst an einen finstern Ort gebracht, wo es gegrunzt habe, gleichsam als wäre dort eine große Heerde Schweine. Da nun der Knabe den Alten fragte, was das wäre, so hat dieser geantwortet, es seien Todtengräber und dies der Ort, wo die Seelen der Gottlosen Gottes gestrenges Gericht und ewigen Zorn erwarteten. Von da hat ihn der Alte an einen sehr schrecklichen Ort geführt, wo viele Stühle in Feuerflammen gestanden und schwarze Hunde an glühenden Ketten gelegen haben, denen das Feuer zum Rachen herauskam, und die Hunde haben den Knaben greulich angefahren, als wollten sie ihn zerreißen. Da hat der Knabe diese Worte gebraucht: »Die Hunde knurren mich an!« Der alte Mann aber hat dem Knaben zugesprochen und gesagt, er solle sich nicht fürchten, es werde ihm kein Leid widerfahren. Als nun der Knabe von dem Schrecken wieder zu sich kam, hat er wieder gefragt, was das wäre? Der Alte aber antwortete, die Hunde seien böse Geister, welche mit feurigen Ketten gebunden seien und nicht mehr thun könnten, als ihnen von Gott nachgegeben und zugelassen werde. Auf den feurigen Stühlen aber sollten alle gottlosen und ungerechten [428] Richter sitzen, und dies sei der Ort, wo die Gottlosen mit allen Teufeln in alle Ewigkeit sollten gepeinigt werden.

Nachdem hat der alte Mann ihn wiederum an einen überaus lustigen und schönen Ort gebracht, daß auch der Knabe sagte, es sei ihm unmöglich, die Herrlichkeit des Ortes auszusprechen, es wäre aber Alles wie die Sonne und helles Licht gewesen, dazu unaussprechliche Freude, und alle, die da gewesen, hätten weiße Hemden angehabt, und vor Freuden gesungen:»Gloria, Gloria!« Da hat der Knabe gefragt, ob das der Himmel sei? Er aber hat geantwortet: »Nein, sondern es wäre ein Vorlauf des Himmels, da der Gottesfürchtigen Seelen des jüngsten Tages und Gottes herrlicher und fröhlicher Zukunft warteten, und sei der ewigen und himmlischen Freude nicht zu vergleichen.« Da hat der Knabe gebetet, daß er daselbst bleiben möchte. Der Alte aber sprach, hier könne kein Mensch bleiben, er müsse denn zuvor sterben. Doch solle er dann wieder an denselben Ort kommen.

Nach diesem allen, wie obgedacht, ist der Knabe auf den dritten Tag am Abend vor des Weibes Thür, bei welcher er war, gekommen. Als ihn nun dieselbe bedroht und gefragt, wo er gewesen, hat er gesagt: »Ach Mutter (also hat er sie geheißen) schlagt mich nicht, denn ich bin an seltsamen Orten gewesen« und hat ihr Alles, wie oben gedacht, angezeigt.

Ferner hat er vermeldet mit großem Seufzen, er könne wohl von vielen zukünftigen Plagen und Unglück sagen, aber er dürfe es nicht offenbaren, und wenn die Leute das große Unglück wüßten, was sich in wenigen Jahren zutragen würde, wäre es unmöglich, daß ein Mensch fröhlich sein könne. Als nun aber einige vornehme Leute gebeten haben, er solle vermelden was es sei, sie wollten ihm ein neues Kleid geben, hat er geantwortet, wenn es möglich wäre, daß man ihm aller Welt Güter geben könne, wolle er es doch nicht sagen, denn es werde ihm nicht wohl gehen. Nur möchten die Leute fleißig beten. Da sie ihn nun gefragt, ob es Pestilenz oder Krieg wäre, hat er geantwortet: »Ja Pestilenz, Krieg«, er dürfe es aber nicht alles sagen.

Da sie ihn nun ferner gefragt, ob er auch den Befehl habe, den Prädicanten wegen der Lehre etwas anzuzeigen, hat er gesagt: »Nein, Ihr habt gute Prädicanten, die Euch Gottes Wort recht lehren, wenn nur die Leute sich bekehren und beten möchten!« Da man ihn gefragt, ob er auch bete, spricht er: »Sollte ich denn nicht beten, ich bitte Tag und Nacht, daß ich an den herrlichen Ort, wo ich gewesen, wiederkommen soll!« Der Knabe hat aber nicht wie ein Kind von zehn Jahren, sondern wie ein alter weiser Mann mit großem Verstande und vielem Seufzen solches geredet. Nach kurzer Zeit aber, da er Tücher wegtragen sollte, ist er ins nächste Haus gekommen und hat dort die Frau gebeten, ob sie nicht seiner Mutter den Korb mit den Tüchern zustellen wolle, denn es wäre ihm so seltsam, und dann ist er wieder aus dem Hause gegangen.

Wie ihm nun das Weib alsbald auf dem Fuße gefolgt ist, da sie wußte, daß er zuvor schon einmal verloren gegangen war, so ist er ihr doch aus dem Gesichte gekommen und wiederum verloren worden. Und es ist wohl anzunehmen, daß er entrückt worden und an den herrlichen Ort gebracht worden ist, wo er gewesen war. Solches haben mir, Lucas Mützell'n, dieweil ich dazumal, als sich dies zugetragen, zu Stettin gewesen, etliche glaubwürdige [429] und vornehme Leute berichtet, so den Knaben zu Worten gehabt. Ich habe auch selbst das Weib, bei welchem er dazumal gewesen ist, gesprochen, ich würde auch selbst mit dem Knaben geredet haben, wo er nicht sobald zum andern Male weggekommen wäre. Ich habe aber dazumal Alles aufgeschrieben, und dieweil ich es jetzt unter meinen Büchern gefunden, habe ich es in dieser bösen gefährlichen Zeit zur Warnung und Vernehmung an den Tag geben wollen.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Grässe, Johann Georg Theodor. Sagen. Sagenbuch des Preußischen Staats. Zweiter Band. Pommern. 368. Eine Historia von einem Knaben. 368. Eine Historia von einem Knaben. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-4548-1