[5] 2) Die Vision Andreas Otto's von Tangermünde, wie er sie seinem Schwager, Hainno Flörcke, Cantzlei-Actuarius daselbst, erzählt und sie derselbe von Wort zu Wort aufgeschrieben.

Ein Christlicher und Gottesfürchtiger Mann, Nahmens Andreas Otto, von 89 Jahren, aus Tangermünde an der Elbe bürtig, wo sein Vater ein Tuchmacher gewesen, und im Monat October 1532 geboren, hernach zum Dohm-Custos zu Berlin an der Kirche zur h. Dreifaltigkeit bestellet worden, hat Anno 1620 in der Oster-Nacht zwischen dem 8. und 9. April des Morgens gegen 2 Uhr einen sonderbaren und merkwürdigen Traum gehabt, derselbe aber sey ihm vorgekommen, als wenn er wahrhaftig dahin geführet und sichtbarlich alles gesehen, was auf dem Churfürstlichen Althan, der vom Schlosse nach der Kirche gehet, passiret sey, und erzehlet es folgender Gestalt: Ein altbelebter Greis kommt zu mir und rufet meinen Nahmen dreimal: Andreas! stehe auf und gehe mit, ich will dich führen, da du Wunderdinge sehen sollst! Und da er mich zum Althan der ersten Ecke geführet (denn der Althan war vom Schloß nach der Kirche im Quadrat in 4 Ecken gebaut, daß man die Stadt an allen 4 Ecken übersehen konnte), die nach der breiten Straße zuging, mich an das Fenster führte und daselbst mir anzeiget, dabey auch sagte: Das, was du in den 4 Ecken des Althans wirst sehen, wird in Zeit von 200 Jahren erfüllet werden. Den Greis betrachtete ich mit einem dreyfachen Gesichte, und hierüber, da ich mich entsetzte, sagte der Greis: Fürchte dich nicht, diese Visiones, so du in den 4 Ecken sehen wirst, werden unter vier Regierungen dieses Hofes geschehen. Es wird groß und herrlich werden und der letzte wird über alle steigen und ein großer Monarch werden, so das Antichristische Reich über Haufen und Gog und Magog stürtzen wird.

Da er nun zum ersten Eck am Fenster hinaussah, fand er das damahlige Berlin in seinem jetzigen Zustande; ich sahe an alte Wohnungen und Gebäude, die Einwohner gingen in ihrer jetzigen Tracht und die Hofbedienten und Großen gingen zu Fuß, ich sah nicht mehr als 4 Kutschen und des alten Churfürstens, Georg Wilhelms, Kutsche war mit Tuch und seidenen Franzen ausgeschlagen. Doch gingen die Leute in ihrer saubern Tracht, hatten alles, was sie trugen, von massiven Silber. Die Redlichkeit war im Handel und Wandel aufrichtig: was ein Mann bey seinem langen großen Bart und mit dem Daum versprach, das war wie ein Evangelium. Indem ich mich nun nach dem Greis wendete und wieder hinaussehen wollte, wie eine große Veränderung fand ich. Und als ich hierüber erschrack, sagte der alte Greis zu mir: das wird in 40 Jahren alles erfolgen. Der Prinz, so in diesem Jahre geboren und in der Wiege liegt, wird diese Stadt in seiner erfolgten Regierung in solchen Stand setzen, die Stadt befestigen, noch eine Stadt erbauen und sie mit Wällen und Zug-Brücken verschließen; wo du vormahls Schlag-Brücken und Kuppel-Dämme gesehen, stehen jetzo die schönsten Portale, und aus den alten hölzernen Häusern sind steinerne geworden. Ich sahe die neue Stadt, so Friedrichs-Werder, und auch eine kleine Neu-Stadt, nach dem Thier-Garten zu, so Dorotheen-Stadt, nach dessen Gemahlin Nahmen genennet war. Es war der Mühlendamm mit schönen gemauerten Buden bebauet, ein neuer Cran und die Schleuße war alles wohl [6] gebauet, daß große Schiffe einlauffen konnten; man konnte unter den gewölbten Buden auf den Mühlen-Damm trocken gehen, mitten stund das Porträt auf dem Portal, da eine Brücke angelegt war, daß man wieder nach einer neu angelegten Stadt gehen konnte. Die Leute waren schon politisch und ihre Trachten waren nach der französischen Mode eingerichtet, und also waren auch die Gemüther, in ihren deutschen Knäbel-Bärten anders eingerichtet. Und indem der Greis mir erzählen wollte, von Potsdam, daß er daselbst ein Schloß angeleget und nach ihm hinsah, war der alte Greis weg, und dann ein muntrer, junger Mann in silbern Stück und Purpur-Mantel und glänzte auf seinem Haupt eine Krone, ich erstaunete; aber er sprach: Komm an andere Eck und sieh die Veränderungen an. Als ich dahin kam, hatte Berlin eine ganz andere Gestalt bekommen: es stunden schöne Palläste, das Schloß war umgekehrt, verändert und erweitert. Dieser Mann sagte zu mir: das hat dessen Nachfolger in Zeit von 25 Jahren also in seiner Regierung gethan und zuweg gebracht, er ward König, und also veränderte und vergrößerte sich der Staat; er war ein Liebhaber des Friedens, und war doch dabey ein Sohn Martis et Apollinis, indem er schöne und propre Soldaten hatte, einen großen Hof-Staat führte und also alles in Berlin zu seiner Magnificence und Pracht lebete. Dieser Regent, wie du da siehst, hat die neue Parochial-Kirche in der Kloster-Straße, worauf das Glocken-Spiel, gebauet, das große Arsenal, die Charlottenburg, die vielen Kirchen und die prächtigen Lust-Häuser um Berlin. Absonderlich ist das Andenken von dem seligen Vater, dem großen Chur-Fürsten von Brandenburg, Friedrich Wilhelm, in der messingenen Statue zu Pferde, auf der langen Brücke zu admiriren. Und da ich dieses alles mit der größten Admiration ansahe, und den Pomp, Splendeur und Lüstre des Hofes, auch das Wimmeln des Volckes und Rasseln der Carossen ansahe, mich nach demselben umsehend zu fragen: Stand ein anderer in muntern Gesicht, mit Helm, Pantzer und Schild angethaner, großmüthiger heroischer Held, aus dessen Auge die Majestät hervorblitzte, hinter mir, der sagte: Komm und sieh die Veränderung des dritten Ecks, in selbigem wirst du ersehen, als du dort wahrgenommen, denn dieser Regent führet keinen magnifiquen aber doch propren Staat, und wirst bekennen müssen, daß bey dem alten vorigen Glantz, dieser Glantz denselben übertrifft. Als ich nun hinaussah, fand ich alles in dem größten Flor und Wohlseyn, und da ich mit dem jungen Mann reden wollte, da diese Vision biß in das 1800te Seculum hinläuft, so sprach derselbe zu mir: Weil Chur-Haus Brandenburg zum Königlichen Hof gestiegen, so betrachte dessen Königlichen Staat und die neuerbaute Hof-Stadt, die da im hellen Glantz prangt, wenn 24 Trompeter und 2 Paar Heer-Paucken jedesmahl zur Tafel blasen. Bey dem Anschauen aller dieser splendeusen Aufzüge und Aufführungen, die ich so prächtig niemahls gesehen, nebst andern großen Kostbarkeiten, wurde ich gantz außer mir selbst gesetzt, und in die größte Verwunderung gebracht, als mir auch der junge Held den König in Lebens-Größe auf einem Piedestal von Messing gegossen auf dem Molcken-Markt und an dem Arsenal im Brustbilde anzeigte, daß derselbe des großen Friedrich Wilhelms Nachfolger und Sohn, Friedrich der Erste, König der Preußen wäre, der das Königreich und Churfürstenthum zu diesem großen Glantz und höchsten Würde gebracht. Nun wirst du aber an diesem dritten [7] Eck die Folge desselben ersehen, und als ich nun dahin meine Augen wandte, so erblickte ich in verschiedenen Veränderungen der vergangenen Zeit, indem ich statt des Rasselns der Carossen die Straßen mit lauter Soldaten wimmeln sahe, und selbige waren vortrefflich disciplinirt und in Exercitien perfect. Hierbey deuchte mich, als wenn die Einwohner nicht so munteres Gemüths waren, wie vor diesem, doch florirten die Handwerker, die da wegen des vielen Bauen große Verdienste bekamen, wenn die Häuser egal, propre und in einer Couleur geziert wurden, welches sehr magnific lasse. Und da die Stadt in ihrem Bezirk prächtig anzusehen war, so schiene es, daß gegen der vorigen Zeit, das man damals nicht angemercket, gewisser Geld-Mangel unter Hohen und Niedrigen sich hervorthat, allermassen die Großen kleinere Besoldung und die Niedrigen keine Nahrung hatten, dem alles durch die Freiheit sehr gehindert, also abgenommen, daß es bei manchen außerhalb den Straßen glänzet und in dem Hause schlecht und elend anzuschauen war. Als ich nun alle diese Magnificence und Pracht in meinem unruhigen Gemüthe betrachtete, und nicht penetriren konnte, wo diese nahrlosen Zeiten herrührten, tief in Gedanken stund, mich umsah, und den alten Greis wiederum bey mir fand, so neben sich einen muntern Jüngling stehen hatte, mich an das vierte Eck hinführte, und mir anzeigte die Magnificence und Herrlichkeit, welche im vollen Glantz wieder hervorbrechen wollte, daß auch alles Volck sich munter regete und bewegete, die Gemüther in vergnügter Ruhe und Zufriedenheit wandelten und lebeten, und alles in vollkommenem Flor sich zeigete. Dieses alles betrachtend, ersahe ich als in einem Blitz, eine große Krone über dem Königl. Palais schimmernd schweben und 9 kleine um deroselben herum so gleichsam tantzend sich bewegten, mit der Schrift, die ein großer schwartzer Adler in dem Munde über den Kronen schwebend führte, auf welchen einen ESTO FIDELIS (sey treu) und auf der andern MANEBIS (wirst bleiben) stunde, nicht ohne große Verwunderung entzücket solches anschauete. Siehe, darauf erhub sich ein großer Sturm und gab sich von allen 4 Ecken des Althans zusammen, da dann in der Luft ein großes Prasseln und Rasseln erfolgte, auch ein schwartzer Dampff sich über der St. Petri-Kirche erhub, der sich in helle Flammen ausbreitete durch das große Lamentiren und Geschrei der Einwohner, weil hernach aus den großen Flammen und Dampff von der Kirche sich an dem Himmel ein großes feuriges W zeigete. Hierauf erfolgte ein gräßliches Wehklagen und ich erschrack, es zitterte mir mein gantzer Leib, und darüber erwachte ich aus meinem ängstlichen Traum, gleich da es 3 Uhr war, konnte auch nicht wieder zu meinen Gedancken kom men, sondern da mir dieses stets in Sinn und Gedancken lag, den folgenden Tag dem hochw. Ministerio diesen Traum offenbahrte und erzehlete, die es aufnotiren ließen. Von der Zeit an ich also des Bettes biß an meinen Sterbe-Tag hüten müssen, welcher auch am Himmelfahrts-Tage den 18. May erfolgte und also mein Leben beschloß. 1

Fußnoten

1 Derselbe H. Flörcke erwähnt in seiner Erzählung auch die Lehnin'sche Prophezeiung und sagt, die von ihm erzählte Vision habe mit derselben viele Aehnlichkeit; allein derselbe muß sich einer ganz andern Abschrift derselben bedient haben, denn er citirt folgende Stelle derselben: »Eine gebratene Gans bereitet dem Hause Brandenburg einen herrlichen Tisch; eine Palme geht in Brennus Hause auf und beleuchtet das ganze Prutenische Reich im höchsten Glantze. Der schwarze Adler im weißen Thal steigt herauf mit Macht, mit seinen Riesen überwältiget er das Gebürge und macht sich derselben unterthan, doch regieren unter denselben große Drangsalen. Ein Jüngling aber von 25 Jahren, aus dieses Adlers Federn entsprossen, erhebet seinen Flug und steiget über des Alten Stärcke empor. Der Nahme Friedenreich ist dem Hause glücklich und gesegnet; der letztere davon wird durch ein finsteres Thal endlich in das gelobte Land kommen und alle seine Nachstellungen überwinden; die Trübsalen werden aufhören und er wird der Simson seyn, so des Löwen Rachen aufreißt. Ein gewaltiger Fürst wird aus diesem Hause dem Pabst an die Crone tasten, daß er taumelnd dahin fällt und so leicht nicht wieder aufstehen kann, weil ihm Kraft und Macht benommen ist. Das ist ein Wunder vor unsern Augen, so die Welt wird in Erstaunen setzen. Der schwartz- und weißgewürffelte Lappen-Hund, so aus dem Baltischen Meere hervorsteiget, bekommt von dem Adler im weißen Thal einen tapffern Stoß und dieser scheut sich auch nicht der Sonne zu weichen.«

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TextGrid Repository (2012). Grässe, Johann Georg Theodor. Sagen. Sagenbuch des Preußischen Staats. Erster Band. Die Sagen des Hauses Hohenzollern. 2. Die Vision Andreas Otto's von Tangermünde. 2. Die Vision Andreas Otto's von Tangermünde. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-4827-6