[617] 659) Die Stiftung des Klosters zu Gröningen. 1

Es war ein schöner Herbsttag des Jahres 936, wo der junge Sohn des Grafen von Gröningen früh am Fenster stand und in die herrliche waldumgrenzte Flur seines Stammschlosses hinausblickte, da sah er zwei der Jäger seines Vaters in den Wald ziehen und plötzlich ergriff ihn eine ungewöhnliche Sehnsucht, ihnen in den schönen Forst nachzueilen und sich an dem edlen Waidwerk zu erfreuen. Gedacht, gethan, er ergriff seinen Bogen und Jagdspieß und verließ unbemerkt das offene Thor des Schlosses und eilte schnellen Fußes hinab in den Wald. Bald erblickte er einen Hasen, schnell legte er einen Pfeil auf seinen Bogen und sendete denselben dem flüchtigen Thiere nach. Obwohl getroffen, raffte sich dasselbe jedoch auf und eilte durch die Büsche, der Junker aber, unmuthig über seinen halben Fehlschuß, eilte ihm nach, stürzte aber plötzlich in einen von ihm in der Eile des Verfolgens nicht gesehenen tiefen Abgrund. Ein ängstlicher Schrei ward von den nicht weit entfernten Jägern des alten Grafen gehört, sie eilten nach der Richtung, wo derselbe hergekommen war, und fanden tief in einer Schlucht den zerschmetterten Körper ihres Junkers, von dessen Anwesenheit im Walde sie keine Ahnung gehabt hatten. Sie hoben ihn auf und trugen ihn in die nahe Kirche, wo der zufällig anwesende Meßpriester dem Sterbenden die letzte Oelung gab. Dann blieb einer bei dem Leichnam und der andere eilte in's Schloß, um den unglücklichen Eltern die schreckliche Nachricht zu bringen. Mit beklommener Brust stieg er zögernd die große steinerne Wendeltreppe hinauf, die zu dem Gemache der Gräfin führte, in welchem er die Stimme seines geliebten Gebieters vernahm und brachte ihnen die traurige Kunde von dem Tode ihres einzigen Sohnes. Starr und bleich schauten die Eltern dem Boten in's verstörte Antlitz, bis endlich der starre Schmerz in einen Schrei des Entsetzens überging. Dies hörte die Schwester des Verunglückten, welche mit einer Nadelarbeit im Nebenzimmer saß. Unglück ahnend eilte sie herbei und stürzte von den Treppenstufen, welche aus ihrem Gemache in das ihrer Mutter führten, ohnmächtig zur Erde. Aber ach! eine in den Händen gehaltene Scheere, die sie in der Eile wegzulegen vergessen hatte, fuhr ihr tief in die Brust. Hilfreich eilten Eltern und Diener herbei, den Strom des hervorquellenden Blutes zu hemmen, aber umsonst, das Herz war verletzt, sie schlug noch einmal die Augen auf, dann schloß sie der Tod auf ewig. Ach, wie durchtönte das Jammergeschrei der noch kurz zuvor so glücklichen Eltern, die an einem Morgen ihre beiden einzigen Kinder verloren hatten, die Hallen ihres Stammschlosses. Dumpf tönten die Sterbeglocken des Kirchleins in den Trauergesang der Chorknaben, als man nach drei Tagen die entseelten Hüllen des Geschwisterpaars der stillen Familiengruft zutrug. Tief nagte von nun an der Gram an den Herzen des vereinsamten Elternpaars, freudeleer war ihnen die Welt geworden, denn ihr Liebstes hatte man zu Grabe getragen. Ihr einziger Trost bestand im Gebete und so kam es, daß der Beichtvater der Gräfin fast täglich im Schlosse war. Eines Morgens trat der Graf in das Zimmer seiner Gemahlin, wo eben der Priester weilte, und erzählte, er habe diese Nacht einen merkwürdigen Traum gehabt, [618] den ihm der fromme Geistliche deuten möge. Es sei ihm gewesen, als gehe er in einem anmuthigen Garten spazieren, seltsame Blumen blüheten hier, umschwirrt von prachtvollen Käfern und Schmetterlingen; blühend und fruchtbeladen standen junge und alte Bäume und die Sonne schien herrlicher als er sie je gesehen; nur ein Baum, der hoch im Garten stand, hatte keine Blätter, alle seine Zweige waren verdorrt. Auf einmal aber schien derselbe Leben zu bekommen, frische Reiser sproßten aus ihm hervor, fingen an Blüthen zu treiben, aus denen sich kostbare Früchte gestalteten. Damit war der Graf erwacht. Mit großer Aufmerksamkeit hatte der Priester der Erzählung gelauscht, und als der Graf geendet, sprach er: »Ihr, edler Graf, seid der trockene Stamm, aus welchem gar viele Zweige mit Blüthen und Früchten hervortreiben werden, wenn Ihr Eure zeitlichen Güter der Kirche vermacht und davon ein Kloster stiftet.« Mit beredter Zunge wußte er dem Grafen die Segnungen anzupreisen, welche für sein und seiner Familie Seelenheil entspringen würden, wenn er dieses gottselige Werk noch vor seinem Heimgange beendigt haben werde, und so bestimmte denn der Graf die Güter zu Groß- und Klein-Croppenstedt, Wendelingen, Heteborn, Gröningen und Daldorf, so wie einen Theil des Hackelwaldes, der Vietling genannt, zur Stiftung des zu erbauenden Klosters. Fromme Mönche aus Corvey, der edlen Baukunst kundig, legten den Grund zur Klosterkirche und so konnte sie bereits im Jahre 940 am Tage des heil. Vitus zur Ehre der heil. Jungfrau Maria, des heil. Stephanus und des heil. Bischofs Vitus geweiht werden. Graf Siegfried von Gröningen und seine Gemahlin Jutta traten selbst in das Kloster ein und beschlossen in den Mauern ihr freudenloses Leben und wurden schließlich in der stillen Gruft unter der westlichen Krypta der alten Klosterkirche beigesetzt.

Fußnoten

1 S. Sagen aus der Vorzeit des Harzes S. 567 etc.

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TextGrid Repository (2012). Grässe, Johann Georg Theodor. Sagen. Sagenbuch des Preußischen Staats. Erster Band. Der Harz. 659. Die Stiftung des Klosters zu Gröningen. 659. Die Stiftung des Klosters zu Gröningen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-4AE2-0