615) Römerstein und Nixei. 1

Wie die Teufelsmauer am Nordrande des Harzes vom Teufel als Grenzscheide seines Reiches errichtet wurde, so an der Südseite der Römerstein. Von fruchtbaren Aeckern und Wiesen umgeben, auf einer Seite mit frischem Laubholze bekränzt, steigt der kegelförmige nackte Berg empor, auf dessen Rücken zackige Felsen wie Ruinen einer Burg sich erheben. Nach der Volkssage wohnten sonst hier gewaltige Riesen, drüben aber im blanken Alabaster des Sachsensteins gegenüber mächtige Zwerge mit ihrem Könige, und vor diesen kleinen Leuten hatten gleichwohl die mächtigen Riesen solche Furcht, [574] daß sie diese Felsburg aufthürmten, um vor dem Zwergkönige drüben sicher zu sein. Sein Haupthaar und Bart war weiß wie das Gestein hier umher, vom Scheitel aber war ihm eine helle Krystallkrone emporgeschossen. Einst durchschweifte ein Jüngling, Romar genannt, den Wald und fand unter einem Baume schlafend die Ruma, eine wunderschöne Jungfrau; ihre Herzen fanden sich, aber Beide erschracken, als sie entdeckten, daß er ein Hünenkind, sie die Tochter des Zwergkönigs war, daß sie also zwei sich gegenseitig feindselig gesinnten Mächten angehörten. Jedoch die Liebe verscheuchte jegliches Bedenken, jahrelang lebten Beide in glücklicher, aber heimlicher Ehe. Da überraschte sie einst bei ihrer Umarmung der Zwergkönig; zornentbrannt schleppte er seine Tochter in die tiefsten Berghöhlen, zerschmetterte sie an dem zackigen Felsen, den Jüngling aber packten zahllose Zwergschaaren und trieben ihn blutend von dannen. Die unglückliche Ruma, von boshaften Kobolden bewacht, versuchte auf jede Art ihre Rettung; sie verwandelte sich in eine Wassernixe und suchte als Quelle einen Ausgang, um an das Tageslicht und zu ihrem Gatten zu kommen, aber immer wieder drängte sie ihr grausamer Vater in die Erdtiefe zurück. Endlich nach vielen Jahren gelang es ihr als vollendeter Strom hervorzubrechen. Die Höhle, worin die trauernde Frau so lange eingekerkert geweint hatte, heißt der Garten des Weinens oder das Weingartenloch und in ihr bezeichnen tiefe Erdfälle und das schauerliche Rauschen unterirdischer Bäche den Weg der Nixe, bis an der Grenze des Gypsfelsens ein Strom hervorbricht, die Rume, zum Andenken der Verbannten so geheißen. Die Stelle, wo Romar die Nixe Ruma zuerst sah, heißt jetzt noch Nixei, und der Fels, auf welchem Romar einsam sein Leben vertrauern mußte, wurde Römerstein genannt. Doch nicht ganz und gar und immer mußten die beiden Gatten einander meiden. Denn der Zwergkönig war bei der Wiederkehr gewisser Zusammenstellungen der Gestirne von gänzlicher Ohnmacht gefesselt, und dann erschien plötzlich in dem alten Bette der Spiegel des Nixteiches in der Nähe des Römersteins, verschwand aber ebenso schnell mit der Rückkehr des Zwergkönigs.

Fußnoten

1 Nach Pröhle S. 202.

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TextGrid Repository (2012). Grässe, Johann Georg Theodor. Sagen. Sagenbuch des Preußischen Staats. Erster Band. Der Harz. 615. Römerstein und Nixei. 615. Römerstein und Nixei. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-4C4C-5