792) Die Freischützen bei Paderborn. 1

Nahe bei Paderborn hatte ein Edelmann einen sehr großen Wald, über den er zur Aufsicht einen Förster gesetzt hatte. Diesen fand man nun eines Tages im Walde erschossen und Niemand konnte ermitteln, ob er sich selbst oder ein Anderer ihn getödtet habe. Das erstere war aber sehr unwahrscheinlich, weil der Förster ein guter und ordentlicher Mann war, und das letztere unbegreiflich. Da sich das Geschehene nicht ändern ließ, wählte sich der Edelmann einen andern Förster. Aber auch diesen und noch einige seiner Nachfolger fand man gleich nach Antritt ihres Amtes erschossen im Walde, denn sobald sie nur den Wald betraten, fiel in der Ferne ein Schuß, der den unglücklichen Förstern mitten durch die Stirne fuhr. Woher aber die Kugel kam, war trotz aller Sorgfalt nicht zu ermitteln. Der Edelmann mußte nun seinen Wald ohne Aufsicht lassen und zahlreiche Holzdiebereien dulden, die nicht von seinen Unterthanen, welche den verhängnißvollen Wald möglichst mieden, sondern von Fremden herrührten. Nach einiger Zeit meldete sich wieder ein Jäger in den erledigten Försterdienst. Der Edelmann erzählte ihm das traurige Schicksal seiner Vorgänger und wollte lieber Holzverluste dulden, als das Leben eines Menschen auf's Spiel setzen. Der Jäger aber versicherte mit kecker Zuversicht, daß, wenn ihm das Försteramt anvertraut würde, er sich vor dem unsichtbaren Scharfschützen schon Ruhe verschaffen wolle. Der Edelmann willigte endlich, obwohl ungern ein. Am nächsten Tage trat er sein Amt an und wurde von dem Edelmann selbst und einigen andern handfesten Männern nach dem lebensgefährlichen Walde begleitet. Am Eingange desselben blieben sie zurück und der neue Förster betrat sein neues Revier; aber kaum hatte er einige Schritte hinein gethan, als in der Ferne ein Schuß fiel. Schnell warf der Jäger seinen Hut in die Höhe, der von einer Kugel durchlöchert herabfiel. »Nun aber ist die Reihe an mir«, sagte der Förster, lud murmelnd seine Büchse und schoß sie mit den Worten in die Luft: »die Kugel bringt Antwort.« Darauf bat er den Edelmann und seine Begleiter mit ihm zu gehen und den unbekannten Schützen zu suchen. Nachdem sie den ganzen Wald durchstreift und nichts Verdächtiges hatten entdecken können, kamen sie zu einer am jenseitigen Ende des Waldes gelegenen Mühle und fanden den Müller todt vor der Thüre liegen. Eine Kugel war ihm mitten durch die Stirn gefahren. Alle staunten und traten mit einiger Scheu vor dem Förster zurück. Der Edelmann behielt ihn einige Zeit in seinem Dienste, um dadurch seinen Wäldern Ruhe [746] vor Dieben zu sichern. Als er aber sah, daß sein Förster bei jedem Schusse traf, was er treffen wollte, das Wild an jedem ihm beliebigen Orte festbannte und aus seiner Jagdtasche die geschossenen Feldhühner wieder lebendig in die Küche fliegen ließ, ward es ihm doch unheimlich in seiner Nähe und er entließ ihn bei dem ersten schicklichen Vorwande aus dem Dienste.

Fußnoten

1 S. Ziehnert Bd. III. S. 244.

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TextGrid Repository (2012). Grässe, Johann Georg Theodor. Sagen. Sagenbuch des Preußischen Staats. Erster Band. Westphalen. 792. Die Freischützen bei Paderborn. 792. Die Freischützen bei Paderborn. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-4E0E-1