192) Das todverkündende Gespenst. 1

Zu Anfange des vorigen Jahrhunderts war ein junger Candidat bei einem wohlbegüterten Edelmann in der Neumark Brandenburg als Informator angestellt, wo er drei Junker und zwei Fräuleins zu unterrichten hatte. Der älteste von diesen Junkern, ohngefähr 15 Jahre alt, war von Jugend auf sehr zur Jagd geneigt, daß wo er nur eine Flinte erreichen konnte, er selbige versteckte und mit ihr verstohlenerweise in das dem Edelsitz naheliegende Holz eilte, um einen oder den andern Vogel zu schießen, und ob er schon öfter von dem Informator deswegen mit Worten hart gestraft wurde, so sahen die Eltern selbst ihm durch die Finger, und der Papa ging in seiner Affenliebe gegen den Sohn so weit, daß er ihm eine von seinen eigenen Flinten gab, mit welcher sowohl er als sein jüngerer 12jähriger Bruder sich im Schießen exerciren sollte. Was geschieht nun aber eines Tages, da die Junker Nachmittags in ihrer gewöhnlichen Lehrstunde waren und der Lehrer neben ihnen saß, die Flinte aber an einem Nagel an der Mauer hing, da sie geladen war? Da hörten Alle, wie eine unsichtbare Hand den Hahn ordentlich aufzog und wiederum in Ruhe versetzte, und dieses geschah dreimal hintereinander. Da stand denn der Informator, wiewohl nicht ohne Schaudern auf, um zu sehen, wie dies zugehe; wie er aber zu dem Gewehr kam, fand er dasselbe in demselben Zustand, wie er [172] es selbst hingehängt, und schrieb es seiner starken Einbildungskraft zu, wiewohl die Junker dasselbe Geräusch mit angehört hatten. Kaum hatte er sich wieder an seinen Ort gesetzt und ließ die gewöhnliche Lection aufsagen, da erhob sich das vorige Krachen von Neuem und zwar, wie er ordentlich hörte, viermal hintereinander, also, daß es in Allem siebenmal war, worauf es ganz still ward. Die Junker, absonderlich der größte, erschraken hierüber am meisten, wiewohl dieser davon keine Ursache anzugeben wußte und der Lehrer ihm auch keine beibringen wollte, damit nicht etwa dadurch einige Lehrsätze von den sogenannten Geistern beigebracht würden, was gegen die evangelischen Principien gewesen wäre. Allein trotzdem daß Niemand davon sprach, verlangte doch keiner der zwei Junker mit der Flinte ins Holz zu gehen und die Recreationsstunden mit Ballspiel oder anderem Zeitvertreib zu vollbringen. Allein nach sechs Tagen war dieser Eindruck wieder verschwunden. So gingen beide mit dem Hauslehrer und einem Bedienten in das Holz, wo sie Sprenkel aufgestellt hatten, und waren Alle begierig zu sehen, ob in einem oder dem andern etwas haften möchte. Unterdessen lehnten sie die Flinte an einen Baum. Da nun Alle mit dieser Arbeit beschäftigt waren, ging der zwölfjährige Junker zur Flinte, nahm sie in die Hände und probirte, ob er den Hahn aufziehen könne: da mittlerweile der älteste Junker nebst dem Lakai ihm entgegenlief, um ihm das Gewehr aus den Händen zu nehmen, der Lehrer aber etwas von ihnen entfernt war, ging plötzlich in seinen Händen die Flinte los und schoß seinen ältesten Bruder Knall und Fall zur Erde, so daß er nur noch wenige Minuten gelebt hat, der Lakai aber bekam etliche Schrote sowohl ins Angesicht als in die Brust. Hieraus ist nun aber der nothwendige Schluß zu machen, daß jenes unsichtbare Gespenst, welches damals zuerst den Hahn aufzog, der Schutzgeist des ältern jungen Herrn gewesen ist, der, weil gerade diese Flinte seine Passion war, ihm dadurch anzeigen wollte, und zwar weil es siebenmal geknackt hat, daß er am siebenten Tage und zwar mit demselben Instrument ums Leben kommen sollte, wie es denn auch wirklich erfolgt ist. Die Begebenheit selbst hat sich am 19. September 1724 zugetragen, und der jüngere Bruder war im Jahre 1741 als Hauptmann zu Berlin noch am Leben.

Fußnoten

1 Nach den Monatl. Unterred. aus dem Reiche der Geister Th. III. S. 638 etc.

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TextGrid Repository (2012). Grässe, Johann Georg Theodor. Sagen. Sagenbuch des Preußischen Staats. Erster Band. Die Marken. 192. Das todverkündende Gespenst. 192. Das todverkündende Gespenst. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-4E8A-B