293. Die Sagen von dem Gröditzberg.

(Nach J.G. Bergemann, Sagen der alten Burgfeste Gröditzberg in ein romantisches Gewand eingekleidet. Bunzlau o.J. (1835) in 8°.)


Der in einem schönen romantischen Thale zwischen Löwenberg, Bunzlau, Haynau und Goldberg gelegene 1255 Fuß hohe Gröditzberg soll seinen Namen entweder von dem angeblich hier verehrten alten deutschen Götzen Crodo oder von dem h. Ritter St. Georg haben, dessen Statüe einst auf seinem Gipfel gestanden haben soll, allein da schon in einer Bulle vom Jahre 1245 eine Burg Grodyz (poln. ist Grodz[a] = Befestigung) hier genannt wird, welche das Kreisgericht gehabt haben mag, so ist es wahrscheinlich, daß sein Name hiervon abzuleiten ist. Existirt hat übrigens wahrscheinlich eine Polnische Kastelanei hier schon seit 1089 und bis zum Jahre 1675 gehörte sie der in diesem Jahre erloschenen Familie der Herzöge von Liegnitz aus dem Piastischen Stamme an, im Jahre 1633, 5/6. Oktober, ward die damals sehr feste Burg des Nachts von den Truppen Wallensteins durch Verrath erstiegen und zum Theil in Brand gesteckt und verwüstet und im Jahre 1646 das, was noch von ihr erhalten war, auf Befehl des kaiserlichen Generals Monteverques völlig zerstört, die übrig gebliebenen Theile, der große Thurm und ein Theil des stehengebliebenen Schlosses stürzten 1751 und 1766 völlig ein und erst 1823 sind die ehrwürdigen Trümmer in der jetzigen Weise von dem damaligen Besitzer der ganzen Herrschaft, dem Herrn Benecke von Gröditzberg restaurirt worden. Von diesem Schlosse giebt es nun aber folgende Sagen:

a) Der Mord in der Burgkapelle oder die büßende Burgfrau.

Gegen das Ende der Ritterzeit gehörte die Gröditzburg einem Burggrafen Hans von Ellerborn (?), der aber in der Blüthe seiner Jahre starb und seiner achtzehnjährigen Gattin, einer geborenen von Hohenwald und einer kleinen Tochter alle seine Besitzungen hinterließ. Der jungen schönen Wittwe fehlte es natürlich nicht an Freiern, sie zog aber allen einen hoch in der Gunst der Herzöge von Liegnitz stehenden, sehr begüterten Ritter Georg von Waldeichen, einen tapfern aber harten Mann vor, gab ihm ihre Hand und schenkte ihm im ersten Jahre ihrer Vermählung eine Tochter, die in der Taufe den Namen Elfride erhielt. Obgleich nun der Ritter im Uebrigen ein gegen seine Unterthanen harter und grausamer Mann war, der nebenbei auch noch dem Laster des Geizes fröhnte, so lebte sie doch gegen acht Jahre [353] ganz gut mit ihm, allein von dieser Zeit an wendete sich sein Herz von ihr ab, weil seine Hoffnung, einen Stammhalter von ihr zu erhalten, nicht in Erfüllung ging. Er schenkte von nun an auch seine ganze Liebe der schön aufblühenden Elfride und seine Gattin spielte eigentlich nur noch die Rolle einer geduldeten Person. Gleichwohl ging Alles noch in der gewohnten Weise im Schlosse fort. Die Edelfrau hatte sich an die schmähliche Zurücksetzung gewöhnt und war zufrieden, ihre zwei Töchter zu wahren Schönheiten heranwachsen zu sehen. Indeß waren die beiden Schwestern wie im Aeußern so auch im Innern himmelweit verschieden, ebenso bescheiden und herzensgut die ältere, Rosilda genannt, war, ebenso stolz, gefallsüchtig und falsch war der Charakter Elfridens, allein da sie eben so klug als schön war, so gelang es ihr, Allen eine ganz falsche Meinung von sich beizubringen, Niemand ahnte, daß sie schon, kaum zur Jungfrau herangewachsen, in einem sträflichen Verhältnisse zu dem Burgkaplan der Burg stand und fast jede Nacht einen andern Buhlen bei sich sah. Endlich gingen jedoch ihrer Mutter die Augen auf, allein da alle ihre Vorstellungen Elfriden gegenüber nichts fruchteten, ihr Gatte aber völlig blind gegen die Verirrungen seiner Lieblingstöchter zu sein schien, so berieth sie sich endlich mit einem Freunde ihres ersten Mannes, dem Ritter Dittmar von Borwitz auf Neudorf, der zufällig im Schlosse zum Besuche war, über die Mittel und Wege, wie ihre Tochter auf den Pfad der Tugend zurückgeführt werden könne. Leider aber hatte Elfride diese Unterhaltung belauscht und sie beschloß nun, sich schwer an ihrer Mutter zu rächen, wußte also ihrem Vater es einzureden, daß ihre Mutter im sträflichen Ehebruch mit dem Ritter von Borwitz lebe, und als am nächsten Tage der Ritter mit der Burgfrau in die Schloßkapelle gegangen war, log sie ihm vor, dort am heiligen Orte selbst halte sie ihre Zusammenkünfte, der alte Ritter stürzte wie wahnsinnig hinab, und als er die Beiden dort traf, stieß er dem Ritter auf den Stufen des Altars das Schwert ins Herz, seine Gattin aber ließ er in einen elenden Kerker in dem alten Thurme an der Ecke der Burg nach Nixdorf zu (dem jetzigen Georgenthal) schleppen, in Ketten legen und dort bei Wasser und Brod, wie er befahl, für alle Zeit einsperren, in der Umgegend aber das Gerücht verbreiten, sie sei gestorben, so daß ihr Name ganz aus dem Gedächtnisse der Lebendigen schwand. Mittlerweile trieb Elfride ihr frevelhaftes Leben ungestört fort und daher kam es ihr sehr erwünscht, als der Ritter Erich von Blumen auf Blumen, der einst bei ihrer Abwesenheit vom Schlosse hier eingesprochen, ihre Schwester kennen und lieben gelernt hatte, um deren Hand anhielt und sie nach kurzem Brautstand als seine Gemahlin nach seiner Burg führte.

Mittlerweile war der leichtsinnigen Elfride aber der Gemahl ihrer Schwester, ein schöner Mann, selbst als begehrenswerth erschienen, sie besuchte also dieselbe öfters in ihrer neuen Heimath und bald gelang es ihr, den jungen, leider allzu lockern Ehemann, der an der etwas kalten Tugend seiner Gemahlin keinen rechten Geschmack fand, in ihr Netz zu locken und zur Untreue zu verführen, den Bitten ihrer armen Schwester, von diesem strafbaren Verhältnisse abzustehen, setzte sie kalten Hohn und Spott entgegen und als jene drohte, sich bei ihrem Stiefvater zu beschwören, beschloß sie ihren Tod. Sie dung zwei Knappen um jene, während sie in der Kapelle betete, zu ermorden und als sie in dieselbe tretend bemerkte, daß jene doch aus [354] Furcht vor der Strafe Gottes, zögerten die That zu vollbringen, stieß sie ihr selbst von hinten am Altare den Dolch ins Herz und befahl nun den beiden Knechten gegen hohe Belohnung den Leichnam einzuscharren. Dazu entschlossen sich dieselben auch, als sie aber dabei waren denselben in das frisch gegrabene Grab einzusenken, spürten sie plötzlich Leben in der Gemordeten und da die beiden Männer nicht blutdürstig waren, so beschlossen sie, die Unglückliche wo möglich wieder ins Dasein zurückzurufen. Dies gelang ihnen auch, sie kam wieder zu sich und auf ihr Bitten brachten sie sie zu ihrer alten Amme Salome nach Großhartmannsdorf, der schändlichen Elfride aber sagten sie, sie hätten sie tief unter den Rasen gebettet, und diese wieder wußte dem treulosen Gatten einzureden, sie sei entflohen, und kurze Zeit nachher erzählte sie ihm, sie sei gestorben, und da man das, was man wünscht auch glaubt, so ließ er sich leicht davon überzeugen und hatte von jetzt an nur blos noch Gedanken auf Elfridens Hand. Natürlich konnte diese bei aller ihrer Rücksichtslosigkeit gegen Zucht und Ordnung ihm dieselbe nicht sofort reichen und so vergingen einige Jahre, während welcher sie natürlich mit ihm so lebte, als wäre sie wirklich seine angetraute Gattin. Endlich aber gab sie seinem Drängen nach, es ward ein Tag bestimmt, an welchem die kirchliche Trauung vor sich gehen sollte, als derselbe aber erschien, fehlte es ihr an einer Schleppträgerin, denn ihre Erzieherin Petrina, die aber auch ihre Schwester mit unter ihrer Aufsicht hatte großwachsen sehen, hatte sich entschieden geweigert, dieses Amt zu versehen und war deshalb von der schändlichen Elfride aus Rache durch ein von dem Burgkaplan gemischtes Giftpulver aus dem Wege geschafft worden. Da fiel ihr Gedanke auf ihre Mutter, ihr unnatürlicher Vater trat selbst in den Kerker der Unglücklichen, nöthigte sie, festliche Kleider anzulegen und ihm in den Rittersaal zu folgen, wo Niemand die geisterartige Erscheinung mehr kannte, sondern Jedermann dieselbe wie ein Wesen aus einer unbekannten Welt anstaunte. Endlich setzte sich der Hochzeitszug in Bewegung, unterdessen aber war ein schweres Unwetter heraufgezogen und verhüllte den Tag in grauenvolle Dämmerung, fürchterlich brüllte der Donner, Blitze zuckten durch die Luft und ein furchtbarer Sturm brauste durch die Bäume, zerriß ihre Kronen, entführte den Brautjungfern ihre Kränze und auch Elfridens Brautkrone flog, trotz ihrer Juwelenschwere, auf das nahe Beinhaus der Burgkapelle, wo sie getraut werden sollte. Elfride, voll Wuth, daß sie den Elementen nicht so wie ihren Dienern gebieten konnte, stieß im Innern bittere Verwünschungen aus, da fuhr plötzlich ein feuriger Strahl herab, ihm folgte ein krachender Schlag, und als sich der Ritter von Waldeichen von todtenähnlicher Betäubung erholte, da lag der Burgkaplan erschlagen vor ihm, seine Tochter Elfride aber niedergeschmettert am Boden und den Ritter von Blumen, der ebenfalls vom Schlage getroffen zu sein schien, trugen seine Leute auf einer Bahre aus der Kapelle.

Mittlerweile ward Elfride in ihr Zimmer gebracht und dort niedergelegt, da aber Jedermann sah, daß sie nicht lange mehr zu leben habe, so holte man aus dem Franziskanerkloster zu Goldberg den ehrwürdigen Pater Isidorus um ihre Beichte zu hören. In Todesangst gestand sie ihm denn auch, daß sie von den frühesten Jahren ihrer Mädchenzeit an bis zum heutigen Tage mit dem Burgkaplan im verbotenen Umgang gelebt habe und dieser ihr Verführer, Rathgeber und zum Theil Vollstrecker ihrer Schandthaten [355] gewesen sei, sie bekannte, daß sie mit vielen Andern in gleich sträflichem Verhältniß gelebt, drei Kinder heimlich geboren, solche ermordet und im Kamin ihres Gemaches aufgehängt habe, daß durch ihren Betrieb ihre fromme Mutter unschuldig im Thurme schmachte und die ihr angedichtete Untreue rein erlogen sei, daß sie durch ihre Buhlerkünste den Gatten ihrer Schwester an sich gelockt und diese selbst aus Neid und Haß in der Burgkapelle ermordet habe, daß sie einen Ritter und zwei Knappen aus Eifersucht und Neid habe ermorden lassen und ihre Erzieherin Petrina neuerlich vergiftet habe. Alles dies mußte der Franziskaner genau aufschreiben und versprechen, ihrem Vater am siebenten Tage nach ihrem Tode übergeben zu wollen. Auf einmal überkam sie aber wieder ihr böser Geist, sie weigerte sich zu beten und ihre Sünden zu bereuen und plötzlich erhob sich ein Getöse, Blitze erleuchteten das Gemach und mitten unter Donnergebrüll stand der Höllenfürst an ihrem Bett und nahm ihre Seele in Empfang.

Man meldete nun ihrem Vater ihren Tod und derselbe befahl ihren Leichnam im Brautschmuck sieben Tage lang im Rittersaal auszustellen, allein siehe, jede Nacht flohen die zur Bewachung desselben bestellten Wächter ängstlich davon, denn obwohl ihr Herz in einer Kapsel auf dem Betpulte ihres verblendeten Vaters stand, so erzählten doch die Wächter, daß ihr Körper Athem hole, die kalten Lippen bewege, als wenn er sprechen wolle, stöhne und am Morgen anders liege, als man den Abend vorher ihn gelegt. Auf alle diese Nachrichten hin beschloß ihr Vater, sie in das in der Kapelle für sie neu erbaute Grab legen zu lassen. So trugen nun 12 Mönche den Sarg hinab in die Gruft, dort ließ der Ritter den Sarg noch einmal öffnen, um die übeln Gerüchte, die bereits unter dem Volke verbreitet waren, möglichst zu unterdrücken. Da setzte sich Elfride, deren Gesicht die Qualen einer Verdammten ausdrückte, im Sarge auf und rief: »Mir gebührt kein Grab in geweihter Erde!« worauf sie wieder zurückfiel und als man im Begriffe war, den Deckel wieder aufzusetzen, da fiel aus wolkenlosem Himmel ein heftiger Blitzstrahl in den Sarg und verwandelte die ganze Leiche in Staub, aus dem ein qualmender Schwefeldampf aufstieg und als derselbe sich verzogen, war auch nicht die geringste Spur von einer Leiche mehr darin vorhanden. Um Mitternacht aber, als der Burgherr ermattet, aber schlaflos auf seinem Lager lag, tönte auf einmal von unsichtbaren Händen in Bewegung gesetzt die Burgglocke, unter gräßlichen Blitzen und heulendem Sturm öffnete sich die Thüre seines Gemaches und hereintrat Elfride in einer schwefelblauen glänzenden Wolke, im bräutlichen Schmucke und in ihrer gräßlich zerschmetterten Gestalt und rief: »Wehe, wehe! Gott, an den ich nie geglaubt, hat mich gerichtet, als verkörperter Geist bin ich zu rastloser Wanderung verurtheilt, morgen wirst Du mein Sündenbekenntniß erhalten.«

Darauf verschwand sie, wie sie erschienen war, wieder und hinterließ einen fast erstickenden Schwefeldampf, der Ritter Waldeichen aber hielt Alles nur für einen bösen Traum oder für ein Blendwerk der Hölle, welches seine Gattin, die er für eine Hexe hielt, ihm vorgemacht habe. Kaum war er aber am andern Tage erwacht, da meldete ihm ein Knappe, es bitte ein Franziskanermönch aus dem benachbarten Goldberg um seine Gastfreundschaft. Er hieß ihn natürlich heraufkommen und siehe es war derselbe Mönch Isidorus, welcher die Beichte Elfridens gehört hatte. Der Ritter forderte ihn auf [356] seinen Morgenimbiß mit ihm zu theilen und so geschah es denn, daß er ihm beim Essen alle die Trübsale erzählte, die ihn seit einer Reihe von Jahren betroffen hatten. Der Ritter entblödete sich nicht zu gestehen, daß er seine Gattin, die er für eine böse Hexe halte, immer noch in einem finstern Kerker verwahre, und als der Mönch ihm vorstellte, daß er sich doch möglicher Weise irren und seine Gemahlin unschuldig sein könne, schwur er einen theuern Eid, daß sie nicht unschuldig sei und bis an ihren Tod in jenem finstern Loche sitzen solle. In demselben Augenblicke aber durchrollte ein mehrmaliges und anhaltendes Donnern den Speisesaal, blendende Blitze durchschlängelten denselben und eine unsichtbare Stimme rief: »Beginne Dein Werk, der gerechte Gott wird Dir beistehen!« Wie vom Donner gerührt warf sich jetzt Waldeichen vor den Mönch auf die Kniee und bat ihn, ihm zu sagen, wer er sei, denn er müsse ihn allerdings für ein übermenschliches Wesen ansehen. Da warf der Mönch die Kutte ab und vor ihm stand der Ritter Borwitz, den er in der Kapelle ermordet zu haben glaubte, in seiner Ritterkleidung. Derselbe gestand ihm, daß er seine Erhaltung dem Burgvogt, der ihn auf Waldeichens Befehl hatte verscharren sollen, verdanke, da dieser seine Lebensgeister wieder zurückgerufen, ihn heimlich geheilt und dann aus dem Schlosse gebracht habe, und forderte ihn auf das Sündenbekenntniß Elfridens, welches er mitgebracht hatte, zu lesen. Der alte Ritter ergriff es schaudernd, als er es aber gelesen, da öffnete sich prasselnd die Thür und Elfridens verkörperter Geist von blauen Schwefelflammen umzischt, in ihrer zerschmetterten bleichen Gestalt wie in Spinneweben gehüllt, trat herein und betheuerte ihrem Vater, daß sie dieses Bekenntniß dem frommen Mönch aufzuschreiben befohlen habe, um nicht blos ihm, sondern andern Frevlerinnen zur Warnung zu dienen. Waldeichen, der nun nicht mehr zweifeln konnte, eilte mit dem Pater Isidorus, der inzwischen seine Kutte wieder angelegt hatte, von Fackeln tragenden Knappen begleitet nach dem Thurme, wo seine Gattin eingesperrt war, um dieselbe frei zu machen. Als die Thüre geöffnet war, fanden sie dieselbe sanft auf ihrem elenden Strohlager entschlafen, aufgeweckt richtete sie zuerst ihren fast erloschenen Blick nach ihrem an der Wand errichteten Crucifix, betete und erklärte dann ihrem Gemahl, alles sei ihm verziehen. Freudig erschreckt, daß auch der arme Borwitz noch lebend vor ihr stehe, ließ sie sich von dem Burggesinde, welches sie freilich mit Mühe nur wiedererkannte, aus dem Kerker, in welchem sie fast vier Jahre verbracht hatte, hinaus tragen, ihr Gemahl und der alte Burgvogt folgten gerührt, und als sie eben den Fuß über die Schwelle des Kerkers setzen wollten, da ertönten hinter ihnen die Worte: »Hier soll keine Unschuld mehr schmachten!« Erschrocken sah Waldeichen zurück, konnte aber nicht wahrnehmen, woher diese Stimme kommen könne, siehe da löste sich der gekreuzigte Heiland von der Wand los, schwebte in einer glänzenden hoffnungsgrünen Wolke in die Höhe, verschwand durch die Decke und bald darauf stürzte das Gewölbe krachend ein. Eiskalt lief es ihm über den Rücken und er entfernte sich mit seinen Begleitern in fürchtender Eile. Es bedurfte allerdings viel Zeit, ehe die Burgfrau wieder einigermaßen zu Kräften gelangte, allein kaum war dies geschehen, so ließ Waldeichen im Rittersaale eine Festfeier veranstalten, an der alle seine Nachbarn Antheil nehmen mußten, der Mönch Isidorus segnete das wiedergefundene Paar aufs Neue ein, aber [357] kaum war dies geschehen, so drängte sich eine schwarzverschleierte Dame an sie heran, sank vor ihnen nieder und gab sich als die todtgeglaubte Rosilda zu erkennen, und kaum war diese Ueberraschung vorüber, so trat eine neue ein, ein am Eingange des Saales lehnender schwarzer Ritter schlug sein Visir auf, es war der ebenfalls für todt erklärte Blumen. Auch die Hände dieses Paares legte Pater Isidorus wieder zusammen und nach beendigtem Festmahl kehrte der Ritter mit seiner wiedergefundenen Gattin auf sein Schloß zurück. Die entweihte Burgkapelle ließ Waldeichen niederreißen und an ihrer Stelle ein Kirchlein zu Ehren des h. Georg errichten, allein er erlebte ihre Einweihung nicht, er und sein Schwiegersohn starben noch ehe das erste Gebet darin verrichtet worden war. Bald folgte ihnen auch die Burgherrin, allein diese hatte noch die Freude, Elfridens Geist ihre Verzeihung zu erkennen geben zu können. Nicht lange nachher folgte ihr auch ihre Tochter, allein Elfridens schwarze Gestalt irrte noch lange ruhelos durch die öden Gemächer der jetzt ganz verwaisten Gröditzburg.

b) Der Burggeist im rothen Mantel.

Ungefähr seit dem Jahre 1159 war die Veste Gröditzberg der Sitz eines argen Raubritters, Namens Rüdiger von Busewey. Derselbe hatte von seiner frühverstorbenen Gattin eine einzige Tochter, welche mitten unter den Bösewichtern und den feilen Dirnen, welche die Burg in sich faßte, gehütet von einer rechtschaffenen Zofe ihrer Mutter zu einer schönen Jungfrau heranwuchs. Während ihr Vater mit seinen Raubgesellen die Zeit, welche er nicht auf seinen Streifzügen gegen Reisende und Kaufleute verbrachte, unter üppigen Gelagen verschwendete, war ihre einzige Zerstreuung, in der Nachbarschaft Kranke und Arme zu besuchen und so einigermaßen wenigstens das viele Böse, welches ihr Vater that, wieder gut zu machen. Auf diesen Wanderungen hatte sie nun aber die Bekanntschaft des Ritters Zedlitz auf Alzenau gemacht, derselbe gewann bald ihre Liebe, allein die Liebenden hatten keine Aussicht ein Paar zu werden, denn der Vater der Jungfrau war der bitterste Feind der Zedlitze, weil diese längst schon mit andern Rittern der Umgegend sich berathen hatten, auf welche Weise dem Treiben des Besitzers der Gröditzburg ein Ende gemacht werden könne, und der Ritter also von ihnen das Schlimmste zu fürchten hatte.

Nun ließ sich aber damals auf der Gröditzburg eine Art Burggeist sehen, ein hoher Mann in einem rothen Mantel. Derselbe nahm sich namentlich der unglücklichen Jungfrauen an, welche von den Raubgesellen häufig gefangen ins Schloß gebracht wurden, um dort das Spiel ihrer Lüste zu werden, sehr vielen verhalf er zur Flucht. Derselbe trat mehrere Male vergebens dem bösen Rüdiger als Warner in den Weg, allein immer vergebens, endlich aber erschien er ihm einst, als derselbe nach einem Zechgelage im Rittersaale eingeschlafen war, in seiner wahren Gestalt, ganz so wie er auf einem alten Porträt im Ahnensaale dargestellt war, und sagte ihm, er sei einst gerade so gottvergessen gewesen wie er, so habe er einst dem Ritter Henschel von Zedlitz seine junge Gemahlin, eine Tochter des Ritters von Stiebitz auf Warthau geraubt, allein da dieselbe seinen Anträgen tapfer widerstand, so ließ er sie in das Burgverließ werfen und dort verhungern. Zur Strafe rührte ihn am Zechtische der Schlag und er ward [358] verdammt, so lange ruhelos auf Erden herumzuwandeln, bis abermals einer seiner Nachkommen an Schandthaten ihm gleich eine Tochter haben werde, die einen von Zedlitz auf Alzenau wahrhaft liebe und sich ihm in voller Unschuld vermählen werde. Werde aber dieser letzte Nachkomme sein ruchloses Leben nicht verlassen, so solle dieser ebenfalls nach seinem Tode als böser Geist zum Schrecken aller Bösewichter so lange umherirren, bis er als guter Geist ihn unschädlich gemacht und seine Ruhe bewirkt habe. Es sei also jetzt die höchste Zeit für ihn, das bisher geführte ruchlose Leben zu verlassen und ein treuer Hausvater zu werden, seine Tochter aber dem jungen Eberhard von Zedlitz zur Hausfrau zu geben und so zwei tugendhafte Liebende glücklich zu machen. Damit verschwand er. Alles fruchtete jedoch nichts, im Gegentheil, Rüdiger ward von Tage zu Tage noch wüster und grausamer, in kurzer Zeit ermordete er mehrere edle Jungfrauen, da sie sich nicht zum Spielball seiner Wollust hergeben wollten und natürlich vermaß er sich seiner Tochter gegenüber hoch und theuer, daß sie nie die Gemahlin des Herrn von Zedlitz werden solle. Da erhob sich eines Tages, gerade als der Ritter mit seinen Genossen und Buhlerinnen beim üppigen Mahle saß, ein furchtbarer Gewittersturm, unter Donner und Blitz trat der Burggeist unter die Frevler und rief ihnen mit furchtbarer Stimme zu, ihre Stunde sei gekommen, und gleichzeitig erhob sich wildes Kriegsgeschrei auf dem Schloßhofe, die benachbarten Ritter hatten ein kleines Heer gesammelt und während auf der Gröditzburg Alles sich der Schwelgerei hingab, die Mauern erstiegen. Die Reisigen Busewey's leisteten nur geringen Widerstand, er selbst ward gefangen und nur auf Bitten des Ritters von Zedlitz, der einer seiner Gegner war, mit dem Tode verschont, dafür aber in seinem eigenen Schlosse in den tiefsten Kerker geworfen. Hier endlich in tiefer Einsamkeit rührte ihn das Gewissen, er ließ vor seinem Geiste alle die Bilder seiner schändlichen Vergangenheit vorüberziehen, und betete zu Gott, ihm zu verzeihen und ihm die Möglichkeit an die Hand zu geben, seine Verbrechen wenigstens einigermaßen zu sühnen. Da erschien ihm der Rothmantel zum letzten Male und verhieß ihm die göttliche Gnade, wenn er die Hände der beiden Liebenden in einander legen, sein Besitzthum zu wohlthätigen Zwecken verwenden und selbst dem Herrn Zeit seines Lebens dienen wolle. Dies that er auch getreulich, übergab Eberhard von Zedlitz seine Tochter und die Gröditzburg, ging dann erst in das Franziskanerkloster zu Goldberg, nach einem halben Jahre aber in eine Einsiedelei, die er sich auf dem sogenannten blauen Berge hatte bauen lassen und hier starb er nach langen Jahren, von allen dorthin Pilgernden als ein frommer Mann hochverehrt. Er wurde nach seinem Tode auf seinen Wunsch dort begraben und von dieser Zeit an nannte man diesen Berg der Mönchsberg.

c) Die schwarze Ahnfrau mit dem silbernen Kreuz.

Auf der Gröditzburg ließ sich im 13. Jhdt. eine Ahnfrau sehen, sie trug ein schwarzes Gewand und ein großes silbernes Kreuz auf der Brust, und lange schwarze Haare wallten über ihren weißen Nacken herab. Sie beschützte tugendhafte Bewohner der Burg und that vielem Unrecht Einhalt. Sie konnte aber durch das Kreuz selbst sofort unterscheiden, mit wem sie es zu thun hatte, stand sie vor einem frommen und tugendhaften Menschen, so [359] blieb das Kreuz rein und blank, bei gottlosen aber lief es an und verwandelte sich bis zum dunkelsten Schwarz.

Einst hatte nun aber ein Burggraf von Gröditzburg seine einzige Tochter an den wüsten Ritter Bodo von Sturmbach auf der Geiersburg verlobt, obwohl dieselbe einen andern liebte. Schon nahte der Tag der verhaßten Trauung heran, da stand plötzlich die Ahnfrau mit dem silbernen Kreuz vor der in Thränen gebadeten unglücklichen Braut, befahl ihr zu folgen und führte sie allen unsichtbar durch einen geheimen Gang bis an die Mauer des Kirchhofes, befahl ihr dieselbe zu übersteigen und brachte sie mit Hilfe eines weiten Mantels, der sich beim Hinabspringen wie ein Fallschirm ausbreitete, glücklich und unversehrt auf die andere Seite hinab – die Stelle heißt bis heute noch der Jungfernsprung – von wo sie dann auf den Gockenberg entrann. Leider aber ward sie von den Verfolgern hier bald entdeckt, zurückgebracht und zur Strafe in das tiefste Burgverließ geworfen, allein auch von hier entführte sie die Ahnfrau wieder, da sich vor ihr alle Thüren und Schlösser öffneten, und brachte sie zu einem alten Einsiedler in den Hanwald bei Goldberg, wo sie so lange versteckt blieb, bis es ihrem Geliebten gelang mit Hilfe seiner Freunde die Geiersburg zu erobern und die Umgegend von dieser Landplage zu befreien, den Raubritter Bodo selbst aber vermochten sie nicht zu fangen, ihn hatte während des Kampfes der Höllenfürst, dem er sich verschrieben, in eigener Person geholt.

Das Burgfräulein aber wurde mit ihrem Geliebten vermählt, denn ihr Vater war denn doch zur Erkenntniß gekommen, weß Geistes Kind sein erst so gern gesehener Schwiegersohn sei. Am Hochzeitstage erschien der Neuvermählten die Ahnfrau und schenkte ihr das silberne Kreuz mit dem Bedeuten, daß es auch in ihrem Besitz seine frühern Eigenschaften behalten werde. Es ist in der Familie derer von Pechwinkel, denn so hieß der von der Jungfrau erwählte Bräutigam, bis zum 30jährigen Kriege aufbewahrt worden und hat stets seinen Besitzerinnen Ehre und Glück gebracht, bis es um diese Zeit im Kriegsgetümmel verloren gegangen ist.


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TextGrid Repository (2012). Grässe, Johann Georg Theodor. 293. Die Sagen von dem Gröditzberg. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-5013-6