563) Die Sage von der Roß-Trappe und Kretpfuhl. 1
Dieser wunderseltsame Felsen liegt in dem Unterharz und nicht fern von dem Dorfe Thal. Will man dorthin kommen, so geht man zuerst durch ein buschiges und an etlichen Orten steiniges Gebirge, die Fall-Ente genannt, ohngefähr anderthalb Stunden lang, dann gelangt man an zwei Felsen, die zwar in etwas von einander liegen, doch aber von einem niedrigen Querfelsen dergestalt an einander gewachsen sind, daß derjenige, welcher nicht mit Schwindel behaftet ist, ohne Gefahr über denselben gehen und also von einem Felsen auf den andern kommen kann. Unter vorgedachten Felsen ist nun einer, welcher zwar überaus hoch, scharf und spitzig, doch aber oben etwas breit ist, darauf sieht man eine sehr große Pferde- oder Roßtrappe, welche meistentheils voll Wasser ist. Dieses Zeichen ist der Grund, daß der Felsen selbst die Roßtrappe genannt wird. Woher aber dieses Hufeisen-Zeichen [511] entstanden sei, darüber sind zweierlei Meinungen. Denn Einige halten es für ein natürliches Werk, Andere aber sind derselben Meinung wie die gemeinen Leute dieser Gegend, welche davon erzählen, wie vor Alters ein König auf einem da herum gelegenen alten Schlosse gewohnt, der eine sehr schöne Tochter gehabt, welche einstmals ein Verliebter durch Hilfe der schwarzen Kunst entführen wollte, wobei es sich zugetragen, daß das Pferd mit einem Fuße auf diesen Felsen gesprungen und mit dem Hufeisen dieses Wahrzeichen eingeschlagen habe. Andere sagen aber, es hätte einst eines Hünenkönigs Tochter eine Wette angestellt, mit ihrem Pferde an gedachtem Orte dreimal von einem Felsen zum andern zu springen, welches sie zwei Mal glücklich verrichtet hätte, zum dritten Male sei aber das Roß rückwärts übergeschlagen und mit ihr in den sogenannten Creful oder Kretpfuhl (d.h. Teufelspfuhl) gestürzt, worin sie sich auch noch befinde, maßen solche einstmals von einem Taucher, Einigen zu Gefallen, um ein Trinkgeld soweit außer Wasser gebracht worden, daß man etwas von der Krone sehen können; als aber derselbe solches zum dritten Male thun sollen, hätte er anfänglich nicht daran gewollt, endlich aber dasselbe gewagt und dabei vermeldet, daß, wenn aus dem Wasser ein Blutstrahl aufstiege, er alsdann von der Jungfrau umgebracht sein würde und die Zuschauer geschwinde davoneilen möchten, sonst sie ebenfalls in Lebensgefahr kämen, welches Alles dann vorbesagter Maßen erfolgt ist.
Nach einer andern Volkssage 2 wäre vor mehreren tausend Jahren das ganze große Land rings um den Harz her von Riesen bewohnt gewesen, welche Hei den waren und Zauberer, die keine andere Freude kannten als Raub, Mord und Gewaltthat. In dem Böhmer Walde hauste zu dieser Zeit ein Riese, Bohdo genannt, ungeheuer groß und stark; vor ihm krümmten sich alle Riesen in Böhmen und Franken, aber die Königstochter vom Riesengebirge, Emma genannt, vermochte er nicht zur Liebe zu zwingen. Hier half nicht Stärke, nicht List, denn sie stand mit einem mächtigen Geist im Bunde. Einst sah Bohdo seine Geliebte jagend auf der Schneekoppe und sattelte sogleich sein Roß, das meilenlange Fluren in Minuten übersprang, und eilte ihr schneller wie ein Habicht nach. Fast hätte er sie erreicht, ehe sie es merkte, daß ihr Feind sich nahe. Doch als sie ihn zwei Meilen von sich erkannte, wie er als Schild die Thorflügel eines zerstörten Städtleins vor sich herhielt, da wandte sie schnell ihr Roß. Und es flog, von ihren Sporen getrieben, von Berg zu Berg, von Klippe zu Klippe, durch Thäler und Moräste und Wälder, daß von dem Hufschlag getroffen die Buchen und Eichen umherstoben wie Stoppeln. So flog sie durch das Thüringer Land und kam in die Gebirge des Harzes. Oft hörte sie, einige Meilen hinter sich, das Schnauben von Bohdo's Roß und jagte dann den nimmer müden Zelter zu neuen Sprüngen auf. Jetzt stand ihr Roß sich verschnaufend auf dem furchtbaren Fels, der von dem Jubeltanz des Bösen der Teufelstanzplatz heißt. Zitternd blickte die Reiterin und schaudernd ihr Roß in die Tiefe. Denn mehr als tausend Fuß ging senkrecht wie ein Thurm die Felsenmauer herab [512] zum grausenden Abgrund. Tief unter sich hörte sie das dumpfe Rauschen des Stromes, der sich hier in einem furchtbaren Wirbel dreht. Der entgegenstehende Fels auf der andern Seite des Abgrundes schien ihr noch weiter entfernt als der Strudel und kaum Raum zu haben für einen Vorderfuß ihres Rosses. Da stand sie staunend und zweifelnd; hinter sich dachte sie den Feind, den sie ärger haßte als den Tod, und vor sich sah sie den Abgrund, der seinen Rachen weit gegen sie aufthat. Da hörte sie von Neuem das Schnauben von Bohdo's keuchendem Roß. In der Angst ihres Herzens rief sie die Geister ihrer Väter um Hilfe und ohne Besinnung drückte sie ihrem Zelter die ellenlangen Sporen in die Seite. Und das Roß sprang! sprang über den tausendfüßigen Abgrund weg, erreichte glücklich die spitze Klippe und schlug seinen Huf vier Fuß tief in das harte Gestein, daß die stiebenden Funken wie Blitze durch das ganze Land umherflogen. Das ist die Roßtrappe; die Länge der Zeit hat die Vertiefung kleiner gemacht, aber kein Regen kann sie ganz verwaschen. Sie war gerettet, aber die centnerschwere goldene Krone der Königstochter fiel während des Sprungs des Pferdes von ihrem Kopfe herab in die Tiefe. Bohdo, der nur die Jungfrau sah, aber nicht den Abgrund, sprang der Fliehenden nach mit seinem Streitroß und stürzte in den Strudel des Stromes, dem er seinen Namen, Bode, gab. Hier verwandelt in einen schwarzen Hund, bewacht er die goldene Krone der Prinzessin, daß kein Golddurstiger sie hervorhole aus dem wirbelnden Schlunde. Ein Taucher wagte dies einst unter großen Versprechungen. Er stieg in die Tiefe hinab, fand die Krone und hob sie in die Höhe, daß das zahllos versammelte Volk schon die goldenen Spitzen sah. Aber zweimal entstürzte die schwere Krone seinen Händen, das Volk rief ihm zu, noch einmal hinabzusteigen, er that es, und ein Blutstrahl sprang hoch in die Höhe. Der Taucher kam nicht wieder herauf.
Schüchtern und grausend naht sich noch jetzt der Wanderer der Schlucht, denn sie deckt schwarze Nacht. Die Stille des Todes schwebt über dem Abgrunde, kein Vogel fliegt über ihn hin, und in der Mitte der Nacht hört man oft in der Ferne das dumpfe Hundegeheul des Heiden. Noch jetzt heißt der Strudel, wo der Hund die goldene Krone bewacht, der Kretpfuhl, und der Fels, wo die Königstochter die Hilfe der Geister der Hölle erflehte, des Teufels Tanzplatz.
Fußnoten
1 Nach Behrens, Hercynia Curiosa S. 130. cf. S. 120.
2 Bei Otmar S. 181 etc. Romantisch behandelt in den Sagen und Geschichten aus der Vorzeit des Harzes S. 198 etc. Daselbst ist auch S. 209 etc. eine ganz verschiedene Sage über die Entstehung des Namens Bode und die Ursache von deren Vereinigung mit der Holzemme (in Versen) mitgetheilt.