427) Der Riesenstein. 1

Zwei Stunden von Nordhausen liegt der sogenannte Riesenstein. Der soll seinen Namen davon haben, daß in grauer Zeit in dessen Nähe ein gewaltiger Riese und Menschenfresser hauste, der Alles, was in seinen Bereich kam, fing und verschlang. Es wagte sich kein Bewohner von Nordhausen mehr zum Thore hinaus, aus Furcht gefressen zu werden. Da trug es sich zu, daß der Riese steif und lahm ward, man sagt, durch den heil. Michael, und nicht mehr im Stande war sich zu bücken und einen Vorübergehenden zu fressen und zum Munde zu führen. So hätte er denn verhungen müssen, allein da rief er in seiner Herzensangst den bösen Feind an und bat ihn, er solle ihn doch von seiner Lähmung herstellen. Derselbe war auch gleich dazu bereit, verlangte aber, er solle ein Papier unterschreiben, in welchem er erkläre, daß er nach Ablauf von drei Jahren ihm zu eigen sein wolle. Der Hunger nöthigte den Riesen zur Unterschrift, der Teufel strich ihm einige Male den Rücken und siehe, er ward wieder so beweglich wie zuvor. Natürlich ging er nun sofort wieder auf Menschenraub aus und lebte drei Jahre in Saus und Braus. Da trug es sich gerade am letzten Tage der dreijährigen Frist zu, daß ihm vor den Thoren der Stadt eine ganze Kinderschaar begegnete, indeß da er gerade satt war, so beschloß er, sich die Kinder zum Frühstück aufzuheben, nahm sie mit in seine Höhle und sperrte sie dort ein. Allein um Mitternacht war seine Zeit abgelaufen, der Teufel kam, brach ihm das Genick, riß ihm das Herz aus, warf es weg und fuhr mit ihm durch die Luft. Als aber am andern Morgen die bekümmerten Eltern ihre Kinder suchten, fanden sie sie noch am Leben in der Riesenhöhle, am Wege lag aber ein großer Stein, der früher nicht dagewesen war, das war das zu Stein gewordene Riesenherz.

Fußnoten

1 Metrisch behandelt bei Ziehnert Bd. I. S. 59.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Rechtsinhaber*in
TextGrid

Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Grässe, Johann Georg Theodor. Sagen. Sagenbuch des Preußischen Staats. Erster Band. Provinz Sachsen und Thüringen. 427. Der Riesenstein. 427. Der Riesenstein. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-5120-D