764. Das Fettmilchgäßchen.

(S. Lersner S. 192 etc. Enslin S. 115 etc. Balton, Oertl. Beschr. v. Frankfurt H. II. 1863 S. 251 etc.)


Geht man von dem Trierschen Plätzchen nach der Zeil zu und wendet sich in der Töngesgasse etwas links, so kommt man, ein Haus von der Hasengasse weiter links, auf ein Plätzchen, dem man ansieht, daß ursprünglich daselbst ein Haus gestanden hat. Dies war das Fettmilchgäßchen. Jetzt steht ein Brunnen da.

Es haben nämlich in den Jahren 1612 bis 1614 in Frankfurt die Bürger einen großen Aufruhr gegen den Stadtrath angesponnen, die Judengasse geplündert und gräßliche Unthaten verübt. Zuletzt sind aber die Rädelsführer dieses Aufruhrs zur Strafe gezogen worden, nachdem der Kaiser Matthias am 4. September des Jahres 1614 den Lebküchler Vincenz Fettmilch und seine Genossen Conrad Schoppe und Conrad Gerngroß in die Acht erklärt hatte. Ersterer stets mit Pistolen und Dolchen bewaffnet setzte sich heftig zur Wehre, wurde aber niedergeworfen und mit Stricken gebunden in den Thurm geführt. Er rief seinen Anhängern zu: »Laßt mich nicht stecken«, und diese stürmten unter furchtbarem Tumulte den Thurm und führten Fettmilch in großem Triumphe nach seiner Behausung in der Töngesgasse. Hier verschanzte er sich, befestigte es in allen drei Stockwerken bis unter das Dach, stellte an den Fenstern mehrere seiner Anhänger mit Musketen auf und an den Eingang seines Hauses vor der Stiege einen Mörser mit [681] Pulver und Kugeln gefüllt. Am nächsten Morgen (28. November 1614) wurden die Stadtthore geschlossen, in allen Gassen Ketten gespannt und die bewaffnete Mannschaft aller Quartiere kam nebst den Stadtsoldaten vor Fettmilchs Haus gezogen. Er ward wiederholt aufgefordert, sich zu ergeben, was er aber nicht that. Da wurden die Zimmerleute beordert, die Hauptpfosten des Hauses einzuschlagen, und bei längerer Weigerung Fettmilchs sollte das Haus mit Kanonen zusammengeschossen werden. Fettmilch ließ sich mehrmals wohlgerüstet an der Hausthüre sehen, aber erst nachdem der Sturm schon anbefohlen und bereits mehrere Schüsse von Seiten der Bürgerschaft auf das Haus geschehen waren, ergab er sich nebst seinen Anhängern gutwillig. Die vier Urheber dieses Aufstandes wurden auf dem Roßmarkt enthauptet und deren Häupter auf den Brückenthurm gesteckt, Vincenz Fettmilchs Wohnhaus in der Töngesgasse abgebrochen und zum Gedächtniß eine viereckige steinerne Säule mit einer doppelten Umschrift auf denselben Platz, der seit dieser Zeit das Vincenzplätzchen hieß, gesetzt. Dieselbe lautet: »Vincentius Fettmilch Dulciarius Tribunus falsa spe litteris et sigillis seditiose motis, magistratu mutato Judaeis publicatis Principum Commissariorum Legatis derisis ipsaque Caesarea proscriptione occupato commeatu ac propugnaculis pertinaciter spreta, cum bonos in summam non semel trepidationem tam sponte quam corruptus adduxisset, pridie Cal. Mart. MDCXVI digitis perjuris capiteque ad pontem a Turri porrecto, plexus, corpore vero de quatuor furcis in diversas vias publicas suspenso, conjugi, liberisque exilium sibi domus dejectae loco cippum hunc infamem promeruit. Sempiternae Rebellionis memoriae.«

Die deutsche Inschrift lautete:

Daß dieser Platz bleibt öd und wüst,

Dran Vincenz Fettmilch schuldig ist,

Welcher diß Stadt drei gantzer Jahr

Gebracht hat in manch groß Gefahr,

Dessen er endlich hat darvon

Getragen diesen bösen Lohn,

Daß er endlich an der Richtstatt

Sein zwey Finger verlohren hat,

Hernach den Kopf geviertheilt drauf

Und die vier Theil gehenkt auf,

An die vier Straßen dieser Stadt

Den Kopf man aufgestecket hat,

Am Brücken Thurm auch Weib und Kind

Ewig des Lands verwiesen sind,

Das Haus geschleift das ich allhier

Zur treuen Warnung stehe dir.

XXVIII Febr. MDCXVI.


Die steinerne Schandsäule stand bis zum Jahre 1719, in welchem Jahre sie nach einer großen Feuersbrunst durch Einsturz einer Mauer zertrümmert ward. Von den vier auf der eisernen mit vier Spitzen versehenen Stange des Brückenthurms aufgesteckten Schädeln (d.V. Fettmilch, C. Gerngroß, C. Schoppe u. Georg Eibel) hatte sich einer noch bis zum Ende des 18. Jhdts., wo ihn Göthe noch gesehen hat, erhalten, bis der Brückenthurm selbst im Jahre 1801 eingerissen ward. Was übrigens die über diesen Köpfen unten am Boden des vorstehenden Zwerghauses angebrachte lange Tafel mit einem Gemälde, welches eine liegende nackte Figur in Lebensgröße vorstellte, mit der Umschrift M. Manlius Oppugnator Patriae Libertatis eigentlich bedeuten sollte, ist unsicher.


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TextGrid Repository (2012). Grässe, Johann Georg Theodor. 764. Das Fettmilchgäßchen. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-522F-3