609) Die Sage von dem Schacht, genannt die Hoffnung, bei Goslar. 1

Vor dreihundert Jahren befanden sich die Grafen Stolberg-Wernigerode im Besitz mehrerer Erzgruben auf dem Harz. Von einer derselben, die Hoffnung genannt, giebt es folgende Volkssage.

Ganz nahe bei Goslar wohnte ein armer Bergmann, Hans Bunkert [560] genannt, der nahm einst am 23. December des Jahres 1522 seine Axt und wollte während eines schauerlichen Schneegestöbers noch sein Haus verlassen, während sein hochschwangeres Weib bereits im Schlafe zu liegen schien. Allein dieselbe bemerkte sein Weggehen dennoch und fragte ihn, wo er hin wolle, er aber sagte, er wolle nur in den nahen Wald gehen, um einen Christbaum für die Kinder zu fällen. Zwar redete sie ihm ab fortzugehen und sie in ihren Umständen so allein zu lassen, allein er ließ sich nicht halten und ging hinaus in den finstern Wald und suchte sich unter den dort stehenden Tannenbäumen ein schlankes Stämmchen aus, das er mit einem Hiebe seiner Axt fällte. Allein kaum lag das Bäumchen vor ihm, da stand auch ein hoher Jägersmann hinter ihm und fragte ihn mit ernstem Tone, was er da mache. Der arme Bergmann jedoch entschuldigte sich mit seiner Armuth, wie er keinen Pfennig habe, um sich ein Christbäumchen zu kaufen und doch am heiligen Weihnachtsabend seinen Kindern, denen er weiter nichts bieten könne, wenigstens einen Lichterbaum habe anzünden wollen und dadurch zu diesem Eingriff in fremdes Eigenthum verleitet worden sei. Der Jäger fragte ihn nun nach seinen übrigen Verhältnissen aus und als er erfuhr, daß er bald Kindtaufen halten werde, da ließ er sich erbitten, schenkte ihm das Bäumchen und sagte, wenn seine Frau ein Mädchen zur Welt bringen werde, so solle er sie Maria nennen, er selbst wolle zum Taufessen kommen und das Nöthige mitbringen. Damit schenkte er ihm noch einen Albertsthaler, um seinen übrigen Kindern Spielsachen zu kaufen und führte ihn selbst nach seinem Hause zurück. Dort angekommen hörte er die Stimme eines neugeborenen Kindes, denn seine Frau war während seiner Abwesenheit von einem kleinen Mädchen entbunden worden. Am dritten Tage des Weihnachtsfestes war die Taufe und die Pathen saßen mit der Bergmannsfamilie bei dem sehr kärglich bestellten Gevatteressen, da öffnete sich plötzlich die Thür und herein trat der fremde Jäger und hinter ihm sein Bursche, der einen schweren, mit Wein und guten Speisen gefüllten Korb trug. Der Jäger trat hin zu der Wöchnerin, wünschte ihr Glück und bat, sie möge ihm doch ihr kleines Mädchen zeigen. Dies that sie auch, der Jäger nahm das Kindchen auf den Arm, küßte und segnete es und hing ihm eine goldene Schaumünze um mit halbverwischtem Gepräge und sagte: »Verwahret dieses Kleinod wohl, denn von ihm hängt Euer und des Kindes Glück ab.« Sprach's, legte die Kleine wieder in der Mutter Schooß, drückte dem Vater und allen anwesenden Bergleuten die Hand und schied in finsterer Sturmnacht von dannen. Nicht lange darauf pochte es an die Hausthür und als der Bergmann öffnete, stand eine vor Frost und Ermüdung ganz in sich zusammengesunkene Zigeunerin vor derselben, welche flehentlich bat, sie für diese Nacht in einer warmen Stube sich ausruhen zu lassen. Vater Bunkert, dem heute so viel Günstiges begegnet war, gewährte ihr auch ihre Bitte und rief sie herein, labte sie auch mit Speise und Trank und bereitete ihr dann ein weiches Lager am warmen Ofen. Am andern Morgen, als sie Abschied nahm, ließ sie sich die Hände des Bergmanns und seiner Gattin zeigen, um wenigstens durch ein prophetisches Wort ihren Dank zu bezeigen. Sie betrachtete dieselben genau und sprach: »Das Glück ist bei Euch eingekehrt, doch trauet ihm nicht, sondern haltet an Gott, so wird Euer Ende sanft sein und ein Grab Euch in der nämlichen Stunde bergen.« Jetzt forderte sie auch [561] die kleine Maria, besah dieselbe lange und sagte: »Schön wie ein Engel wird sie werden, nur wahret sie vor der Liebe, sonst ist sie für Euch verloren!«

Der Zigeunerin Prophezeiung traf ein; Hans Bunkert machte gute Geschäfte und wo er einschlug, gab es gute Ausbeute; zwar nicht reich, aber wohlhabend verlebte er nebst seiner fleißigen Hausfrau zufriedene Tage, seine ärmliche Hütte war zu einem freundlichen Häuschen umgebaut worden und es fehlte der Familie nichts zu einem bescheidenen Auskommen. So verflossen funfzehn Jahre, weder der Jäger noch die Zigeunerin hatten sich wieder sehen lassen, wohl waren die Kinder groß geworden und die älteste Tochter sollte das väterliche Haus verlassen, denn sie war eben mit einem schmucken Bergknappen getraut worden. Noch saßen Eltern, Brautleute und Hochzeitsgäste beim Hochzeitsschmause, während draußen um das Haus Schneesturm und Unwetter brausten. Da pochte es an die Thüre und als dieselbe geöffnet ward, da trat ein schöner junger Jägersmann herein und bat, man möge ihm erlauben ein Stündlein hier zu rasten, um dem schlimmen Wetter draußen zu entgehen. Gern ward ihm seine Bitte gewährt, er setzte sich neben der zu einer bildschönen Jungfrau aufgeschossenen Maria auf eine Bank und schaute sie so innig mit seinen großen blauen Augen an, daß dem Mädchen ganz wunderlich ums Herz ward. Unterdessen legte sich der Sturm, der Mond ging auf und schon schlug die alte Wanduhr Eins, da stand der Jäger auf, dankte den Eltern für Herberge und Bewirthung, hing der Braut ein elfenbeinernes, mit Silber eingefaßtes Kreuz zum Andenken um den Hals und nahm Abschied, während Maria ihm das Geleite gab.

Von diesem Augenblick an konnte das Mädchen das Bild des Jägers nicht wieder aus ihrem Herzen los werden, sie mußte jede Minute an ihn denken. Da trug es sich einst zu, daß sie spät am Abend von ihrer verheiratheten Schwester nach Hause zurückkehrte. Auf einmal stand der junge Jägersmann vor ihr, ergriff sie bei der Hand und fragte sie, ob sie noch manchmal an ihn denke. Das junge Mädchen erröthete zwar vor Ueberraschung, allein bald ward sie gesprächiger, erzählte ihm von ihren häuslichen Verhältnissen und beim Abschied erwiederte sie seinen Händedruck. Der Winterschnee war geschmolzen und die Schneeglöckchen blüheten schon, als eines Tages Maria ihrem Vater und Brüdern das Mittagsessen in den Schacht tragen wollte. Da trat ihr im Birkenhain, den sie deshalb durchschreiten mußte, der Jäger in den Weg, fragte sie, wohin sie wolle und bat sie, heute den Weg nicht zu gehen, sondern ihm die Besorgung des Korbes zu überlassen, er müsse einmal in den Schacht und könne schneller gehen als sie. Zwar wollte das Mädchen erst nicht einwilligen, allein der Jäger wußte sie zu überreden und so verbrachte sie längere Zeit mit ihm in freundlichem Kosen, bis er sagte, er müsse fort. Sie kehrte nach Hause zurück, allein noch war sie nicht lange daselbst wieder angekommen, als ihr Vater und ihre Brüder ängstlich ins Haus gestürzt kamen und nach ihr fragten. Verwundert fragte sie, warum sie so um sie besorgt gewesen seien, da hörte sie, daß drei Bergmannsfrauen, mit denen sie gewöhnlich einzufahren pflegte, eben ums Leben gekommen seien, die morsche Fahrt sei zerbrochen und sie alle seien auf der Stelle todt geblieben. Ob sie nun wohl nicht gesehen worden sei, habe der Korb mit dem Essen bei ihnen gestanden und sie hätten daher geglaubt, sie müsse sich auf irgend eine Weise entweder gerettet haben oder noch [562] im Schachte sein, und deswegen seien sie heraufgekommen, um selbst nach ihr zu sehen.

Maria bat ihren Vater, nicht weiter mit Fragen in sie zu dringen, sondern damit zufrieden zu sein, daß sie gerettet sei, und in demselben Augenblicke pochte es an's Fenster und draußen stand die Zigeunerin, die ihr einst kurz nach ihrer Geburt ihre Zukunft prophezeit hatte. Sie ward von der Bergmannsfamilie gut aufgenommen, ließ sich die Hand des Mädchens zeigen und sprach: »Meine Tochter, willst Du bei Deinen Eltern und in der frischen Jugendwelt bleiben und Dich der Sonne und des Mondes freuen, dann meide den Jäger!« Mit diesen Worten verschwand sie.

Die Eltern glaubten nun, dieser bösen Prophezeiung nicht anders die Spitze abbrechen zu können, als wenn sie ihre Tochter anderweitig verheiratheten. Dazu bot sich auch bald Gelegenheit, denn der Sohn des Obersteigers in dem Bergwerke, wo Hans Bunkert arbeitete, hatte schon lange um sie gefreit und diesem bewilligten sie ihre Hand. Maria liebte zwar den jungen Mann nicht, allein sie wagte doch sich ihren Eltern nicht zu widersetzen und so ward die Verlobung mit demselben festgesetzt. Am Abend vor dem dazu bestimmten Tage saß sie mit ihrem Zukünftigen im Garten hinter dem Hause in einer Fliederlaube, da stand auf einmal der Jäger zwischen ihnen und sprach mit fester Stimme: »Freund, sucht unter den Jungfrauen der Stadt eine andere Braut, diese ist nicht für Euch.« Und wie unter einem geheimen Bann stehend vermochte der junge Mann nicht sich zu widersetzen, er verließ den Garten, allein dafür kam ihre Mutter herbei, fragte den Jäger, was er hier zu suchen habe und hieß ihn nicht mit den freundlichsten Worten gehen, was er auch sofort that.

Am Morgen darauf saß Maria voller tiefer Gedanken in ihrer Kammer. Da stand plötzlich der Jäger vor ihr, fragte, was ihr fehle und ob sie ihn noch liebe und seine Frau werden wolle, sie müsse aber mit ihm weit, weit fortziehen. Maria weigerte sich zwar lange, aber endlich ließ sie sich doch überreden und versprach ihm zu folgen, wohin es auch sei. Da bat sie der Jäger um die goldene Kette sammt der Schaumünze um ihrem Halse als Unterpfand ihrer Treue und Liebe. Auch dieses theure Andenken konnte sie ihm nicht abschlagen, allein kaum hatte sie es hingegeben und ihr der Jäger zum Dank einen Kuß auf ihre Lippen gedrückt, als sie auf einmal entschlummerte und beim Erwachen sich nicht mehr in ihrer Kammer, sondern in einer schönen Grotte erblickte, auf weichem Mooslager, an ihrer Seite aber einen engelschönen Jüngling, nicht mehr ein Jäger, nunmehr der König der Erbgeister. Zwar schauderte sie anfangs vor solcher Vermählung, doch die Liebe zog sie wieder hin zu ihrem Gatten, sie schmiegte sich an ihn, um auf ewig die Seinige zu bleiben.

Als am andern Morgen Maria nicht zum Frühgebete herunter zu ihren Eltern kam und diese hierauf in ihre Schlafkammer eilten, um sie zu holen, fanden sie ihr Bett unberührt und die Stube leer, auf dem Kopfkissen ihres Lagers lag aber von Myrthen und Rosenknospen umkränzt eine zerknickte Lilie. Die armen Eltern ahnten den Zusammenhang und betrauerten sie manches Jahr; während dem hatte ihr älterer Bruder Gotthold sich verheirathet und nur ihr jüngster Bruder Joseph war noch zu Hause. Der hatte aber die verlorene Schwester nicht vergessen können und dachte immer und immer an [563] sie. So saß er einst nebst Vater und Mutter beim Mittagsbrod in der Grube und sprach: »Ach, meine gute Maria, wo magst Du umherirren und Jammer und Elend ertragen?« – »Vertraue Gott!« mahnte scheltend der Vater, »Mariens und unser Schicksal liegt in seiner Hand!« und damit falteten Alle die Hände und beteten für das verlorene Kind. Kaum hatten sie aber Amen gesprochen, da rollte über ihnen Donnerkrachen, Gesteinmassen stürzten herab und verschütteten die Grube; Joseph meinte zwar, es sei noch möglich sich durchzuhauen und legte auch bereits Hand an, allein immer mehr verdichtete sich die Luft und jammernd sanken Vater, Mutter und Sohn zu Boden. Jetzt erschien wie einst am Kindtauffeste der Jäger, eine Fackel in der Hand und sprach: »Retten kann ich Euch nicht, aber erlösen vom qualvollen Tode«, damit berührte er sie und sie versanken in ewigen Schlaf. Der Berggeist aber, dessen Wohnung neben dem Schachte zur Hoffnung war und der in den Felsen eine Krystallspalte angebracht hatte, durch welche Maria täglich ungesehen ihre Verwandten erblicken konnte, hatte den Zusammensturz des Gesteins wohl bemerkt, aber nicht verhindern können, er rief also seine Gemahlin, nahm sie bei der Hand und führte sie hin zu den Schlummernden, die Felsenblöcke bildeten auf sein Geheiß ein Gewölbe über ihnen, und hier schliefen sie von einer glänzenden Flamme beleuchtet den Todesschlaf.

Mehrere Jahre waren seit diesem Vorfall verflossen, da beschloß man zu Goslar, die Grube wieder gangbar zu machen und wo möglich die Verschütteten wieder aufzufinden. So zog denn am 26. Juni des Jahres 1563 ein langer Zug Bergleute zu diesem Zwecke dahin, an ihrer Spitze Gotthold Bunkert, jetzt Obersteiger, und Johannes, sein jüngster Bruder, jetzt Pfarrer zu Elbingerode. Nach einer rührenden Rede, worin der Geistliche seiner hier ums Leben gekommenen Anverwandten gedachte, that der Obersteiger einen gewaltigen Schlag in das feste Gestein, hell tönte es wieder und ein blinkendes Licht strahlte ihm entgegen. Der Prediger aber trat, die Bibel in der Hand, hin zu der Hoffnung, aus welcher das Feuer erglänzte und sprach: »Wer Du auch sein magst, Geist oder Kobold, ich beschwöre Dich im Namen der heil. Dreieinigkeit, Dein Blendwerk zu lassen und die frommen Knappen nicht in ihrer Arbeit zu stören!« Da dröhnten unter ihm die Felsenstücke, der ganze Berg schien sich zu bewegen, mit furchtbarem Geräusch rollte ein Granitblock vor ihnen hinab und die beiden Brüder sahen vor sich ein hellerleuchtetes Gewölbe auf Feldstücken ruhend und mit den lieblichsten Blumen geschmückt und drinnen lagen freundlich und lächelnd Hans Bunkert mit seiner Barbara und seinem Joseph, neben diesem Maria die holde Jungfrau, einen Kranz frischer Rosen im Haar, und in einer Vertiefung ein Jüngling in grünem Gewande, der ihnen ernst zurückwinkte. Da sanken Alle betend auf die Kniee, und als das Gebet vollendet war, da rollte es wie ferner Donner, ein Felsen stürzte herab, dicht vor den Erschrockenen und verschloß ihren Augen das geschmückte Flammengrab. Und als ein frevelnder Knappe das Eisen ansetzte und einen verwegenen Schlag auf den Granitblock that, wankte der Felsen und ein furchtbarer Donnerschlag erschütterte die schwüle Luft. Alles eilte hinauf, als aber der letzte Mann zu Tage war, da dröhnte die Erde und mit furchtbarem Geprassel stürzte die Hoffnung zusammen. So oft man später versuchte, die Grube zu befahren, stürzte bei Nacht wieder ein, was am Tage gearbeitet wurde. Seit zwei Jahrhunderten hat man den Versuch nicht mehr wiederholt.

Fußnoten

1 Romantisch behandelt von Fischer, Burgvesten der Preuß. Monarchie. Bd. II. S. 315 etc.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Grässe, Johann Georg Theodor. Sagen. Sagenbuch des Preußischen Staats. Erster Band. Der Harz. 609. Die Sage von dem Schacht, genannt die Hoffnung. 609. Die Sage von dem Schacht, genannt die Hoffnung. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-5257-7