624) Die neue Kelle bei Bischoffenroda. 1

Eine Meile von der Stadt Nordhausen und nicht weit von der Stadt Ellrich liegt das Gut Bischoffenroda, und in der Nähe desselben ein Wäldchen, in welchem sich eine Höhle befindet, welche die Bewohner der Umgegend die Neue Kelle heißen zum Unterschied der alten Kelle, so nicht weit davon unter freiem Himmel gelegen und ein Erdfall voll Wasser ist, da hingegen die Neue Kelle unter einem mit Bäumen dicht bewachsenen Berge liegt. Der Eingang zu dieser Höhle ist sehr weit und offen, daher auch so viel Licht hineinfällt, daß man zur Beschauung derselben keiner künstlichen Beleuchtung bedarf. Von diesem Eingang aus muß man einen tiefen und steilen Berg bis auf das Wasser herunterklettern; ist man unten angekommen, so sieht man [581] die eigentliche Höhle, deren oberer Theil von der Natur mit einem starken Steinfelsen geschlossen und gleichsam zugewölbt ist, vor sich aber sieht man ein Wasser, welches sich auf dem ganzen Boden der Höhle ausbreitet, hell, still, kalt und unergründlich ist. Mitten durch die Höhle der Länge nach über dem Wasser sind Felsen, welche wie eine Mauer aussehen und das Wasser von einander theilen, so daß man, wenn man einen Stein über diese Felsen wirft, man denselben wohl in das andere jenseits dieses Felsens befindliche Wasser fallen hört, es aber nicht sehen kann.

Zu den Zeiten des Papstthums ist in diese Höhle alljährlich eine Prozession angestellt worden, weil man geglaubt hat, es müsse in derselben jährlich ein Mensch umkommen, wenn ihr nicht auf solche Weise ein Genüge geschehe. Es ist aber diese Versöhnung auf folgende Weise geschehen. Auf dem Berge der Kelle gegenüber hat eine dem heil. Johannes geheiligte Kapelle gestanden, in diese ist ein papistischer Priester aus Ellrich alle Jahre zu gewissen Zeiten in Begleitung seiner Pfarrkinder und mit andern Nachbarn der Höhle in voller Prozession mit vorhergetragenem Kreuz, Fahnen und Bildern der Heiligen gegangen; sobald nun daselbst der heil. Johannes dem papistischen Gebrauch nach genugsam verehrt worden, hat derselbe mit eben derselben Prozession sich fort nach der Höhle gemacht und in dieselbe ein Kreuz herabgelassen, auch wieder herausgezogen. Als nun solches ebenfalls geschehen, hat er dem umstehenden Volke diese Reime zugerufen:


Kommt und kucket in die Kelle, So kommt Ihr nicht in die Hölle.

Fußnoten

1 S. Behrens S. 82.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Grässe, Johann Georg Theodor. Sagen. Sagenbuch des Preußischen Staats. Erster Band. Der Harz. 624. Die neue Kelle bei Bischoffenroda. 624. Die neue Kelle bei Bischoffenroda. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-5298-8