147. Die Wahrzeichen von Breslau.

(S. Schäfer in der Illustr. Zeitung 1858 S. 194.)


Man nannte diese Stadt früher die Krone Schlesiens und als einen im Mittelalter schon wohlbekannten Ort die Zierde des deutschen Reiches. Man sagte auch von ihr, sie habe die höchste Brücke in Niederschlesien, weil die beiden Thürme der Maria-Magdalenenkirche durch eine Brücke verbunden sind. Man hatte von Breslau auch das Räthsel: »Wo giebt es die meisten Schlangen in Deutschland?« denn die Auflösung: »zu Breslau« bezog sich auf die daselbst üblichen Bierschankszeichen, die hier statt der anderwärts gewöhnlichen Bierkegel aus großen bunten Schlangen, die man aufzustecken pflegte, bestanden. Andere Breslau angehende Räthsel heißen: »Wo fahren zwei Wagen über einander?« »In Breslau!« weil vor dem Schweidnitzer Keller unter dem Markte hinweg seit 1519 nach dem gegenüberliegenden Hause, dem ehemaligen Stadtbrauhause, ein hoher, breiter, gewölbter Gang führte, durch welchen das Bier in den Keller zu Wagen geschafft werden konnte. Ein anderes Räthsel lautete: »Wo sind zwei Kirchen über einander?« »In Breslau!« weil sich zu Breslau unter der Kreuzkirche eine alte Krypta, die Bartholomäuskirche genannt, befindet. Hierher gehören einige zu Breslau vor Einführung der Hausnummern übliche sonderbare Hausbezeichnungen, die zum Theil in die deutsche Wandergeographie übergingen wie: der Polnische Herrgott, der große und der kleine Christophel, die kalte Asche, das goldene A B C, die stille Musik 1, Sieh Dich für (wobei Galgen, Rad, Kanone, Pechhütte und Hölle bildlich) etc. Endlich gehörte noch zu diesen wahrzeichenartigen Merkwürdigkeiten der Stadt die auf die Sage von einem einst zu erwartenden Untergang Breslaus durch Erdbeben sich gründende Erzählung vom »unterirdischen Breslau«, die allerdings auch durch Nachgrabungen sich zum Theil bestätigt findet. Ingleichen hatte Breslau bei den Handwerksburschen das Wahrzeichen, daß man hier drei Marktplätze zu gleicher Zeit sehen könne, nämlich bei den großen Fleischbänken, wo man einen Theil des Salzrings (der auch als komische Räthselfrage diente), den Paradeplatz und den Neumarkt zugleich sehen kann. Nicht weniger gab der [161] Name »Altbüßergasse«, über deren Etymologie man lange in Ungewißheit war, zu Spöttereien Veranlassung, weil man diese Benennung von den Büßern oder Flagellanten ableitete, während derselbe doch von den »Altbüßern oder Altbisseren« d.h. Schuh- oder Altflickern seinen Ursprung hat. Aehnliche Spöttereien veranlaßten auch Namen wie Brustgasse, Flederwischgäßchen 2, Wanzengäßchen, die Fürsten- oder Wurstgasse, die Hummerei 3, den Kugelzipfel 4, das Sitzegäßchen, den Venusberg etc., den Spruch im Schweidnitzerkeller an der Wand:


Wenn mancher Mann wüßte, wer mancher Mann wäre,

Mancher Mann theilte manchem Mann größere Ehre.


Eine andere Merkwürdigkeit Breslaus war aber auch das berühmte Bier »Schöps«, von dem sich gerade wie von dem Leipziger Raster, der Goslarischen Gose etc., einige sogenannte versus memoriales finden:


Scheps caput ascendit neque scalis indiget ullis

Sessitat in stirnis mirabilis intus in hirnis

O Scheps Scheps te libenter bibit omnis plebs.

Sonst hatte man auch noch von dem weisen Stadtrath daselbst folgenden Spruch:

Einer schönen Heerd ein schönrer Hirt

Am Rath zu Breslau gefunden wird.


Wer im Schweidnitzer Keller (auf der Mittagsseite des Rathhauses und so genannt, weil man dort das berühmte Schweidnitzer Bier verkaufte) ein Glas mit Fleiß zerbrach, der wurde mit einem hellklingenden Lümmel (Linkel) hinaus becomplimentirt, nachdem er acht Groschen bezahlt (that er es zufällig, nur die Hälfte), stützte aber einer sich mit dem Arme auf, ward dreimal mit demselben Lümmelglöcklein geläutet. Die Juden, welche zur Jahrmarktszeit hier öffentlich feilbieten wollten, mußten bis ins vorige Jahrhundert ein gelbes Zeichen an der Brust tragen und solches für einen Thaler lösen. Sonst wurde ihnen dort ein bestimmtes Eidesformular vorgelegt, und während des Schwörens mußten sie mit den Füßen auf eine Schweinshaut treten und den rechten Arm auf die heiligen zehn Gebote legen.

Es giebt aber auch noch andere sichtbare Wahrzeichen Breslaus, die sich zum Theil noch vollständig erhalten haben; diese sind: die große Glocke des Maria-Magdalenen Kirchthurms, das steinerne Gesicht am Dome, der Hahnenstein oder die Hahnkrähe und die drei Kreuze vor dem Nicolaithore, die von Engeln getragene Kirchthurmspitze am Elisabethenthurme, die steinerne Säule bei der Magdalenenkirche, die Eicheln am Thürmchen über dem Schweidnitzer Keller, sowie die Dohle am Giebel der Kreuzkirche, endlich die sogenannte Igelkeule im Schweidnitzer Keller, mit der Eltern ihre Kinder schreckten, indem sie ihnen erzählten, wer nach Breslau zum ersten Male komme, müsse sie küssen.

Fußnoten

1 Ein solches Haus giebt es bekanntlich auch zu Dresden; es ist eine bekannte Restauration in Antonstadt auf der Bautzner Straße. Früher standen im Garten nach der Straße zu die Sandsteinfiguren zweier Geiger in alter Tracht, dieselben sind aber seit circa 30 Jahren verschwunden. Man sagt, es hätten hier einst zwei Brüder, Musikanten, gewohnt, die sich in ein und dasselbe Mädchen verliebt; zurückgewiesen von ihr wären sie wahnsinnig geworden und hätten dann bis an ihren Tod den ganzen Tag so scheinbar geigend im Garten gestanden, ohne einen Ton hervorzubringen.

2 Ein solches war früher auch in Leipzig beim Neuenkirchhofe.

3 Von Hummern oder Hummeln d.h. Malztennen. Es gab auch sonst in Leipzig einen solchen Ort, die Hummelei.

4 Weil hier ursprünglich Kugeln d.h. Barette verkauft wurden. Diese Benennung war mit der Mäntlergasse und Harnisch- oder Harrasgasse (wo die Weber den Harras feilboten) sowie mit der Saurotstraße homogen.


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TextGrid Repository (2012). Grässe, Johann Georg Theodor. 147. Die Wahrzeichen von Breslau. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-52D9-5