1350. Die Unterirdischen.

(S. Der Lappenkorb v. Gabe Schneider, herausgeg. v.K.J. Clement. Leipzig o.I. in 8. S. 330.)


Auf Amrum gab es viele Unterirdische, kleine Männlein oder Zwerge, nicht höher als ein Tisch, welche rothe Kappen auf dem Kopfe trugen. Bei einem neugebornen Kinde mußte man wachen, ehe es die Taufe empfing, aus Furcht, die Unterirdischen könnten es umtauschen. In der Tenne durfte man nicht gegen die Sonne, sondern mußte mit der Sonne, beim Reinigen des gedroschenen Kornes, umfegen, der Unterirdischen wegen. Einst saß eine Frau in ihrer Tenne, und warf mit der Wurfschaufel das gedroschene Korn aus. Sie hatte ihren kleinen Sohn bei sich, und als sie genau zusehen wollte, siehe da saßen zwei Knaben da, die waren einander so ähnlich, daß sie nicht wußte, wer von beiden der ihrige sei. Da begann der eine Knabe zu lachen. [1091] »Worüber lachst Du?« sprach die Frau. »Eben war mein Vater herein«, antwortete der Knabe, »und holte sich eine halbe Tonne Roggen, und er fiel und brach ein Bein.« Da nahm das Weib den Knaben und warf ihn aus dem Tennenfenster und sah weder ihn noch seinen Vater mehr. Das waren also Unterirdische. Diese Unterirdischen hatten ihre Bleichen auf der Heide, auf Todtenhügeln und an an dern Oertern. Auf dem Merham-Wasser hat man sie Schlittschuh laufen sehen. Der Unterirdische hielt sich häufig in Häusern auf, aber unsichtbar und wiegte die Kinder. Er mußte ein Stücklein Butter in seinen Brei haben und durfte bei keiner Mahlzeit vergessen werden. Beim Mittagsessen mußte ein Löffel und Messer und Gabel mehr aufgelegt werden. Die Wiege wiegte dann von selbst, wenn die Mutter aus war. Eine Familie auf Amrum vergaß einst die Butter im Brei und der Kleine blieb weg, seine Schale stand unberührt. Man goß sie aus und fand unten in der Schale ein Stücklein Butter, welches im heißen Brei ungeschmolzen lag. Auf solche Weise rächte er sich. J. N's Leute hatten einen Stein bei ihrem Hause, wenn sie den aufgruben, hatten sie keinen Frieden vor den Unterirdischen. Wenn sie aus waren, ging die Wiege von selbst, denn sie hatten einen Unterirdischen oben auf dem Boden logiren, sie haben ihn aber nur ein einziges Mal gesehen. Der Stein bei jenem Hause ragte eben über dem Grunde. Einmal gruben sie ihn auf, da war ein großes Lärmen der Unterirdischen im Hause, als wären sie in großem Streit, darum mußte der Stein wieder eingegraben und unter der Erde versenkt werden.

Die Sage, wie die Unterirdischen aus dem Leben schieden, ist folgende. Ein Mensch kam vom Felde und erzählte von einer wunderbaren Stimme, die erschollen sei von dem Tode des Fürsten der Unterirdischen. Und als er solches im Dorfe erzählte, kam eine andere Stimme, woher? ist unbekannt. Die es hörten, erschracken sehr. Das waren Stimmen solcher Unterirdischen. Ihr Ursprung nach der Volkssage ist dieser.

Der Herr Christus kam einst in ein Haus, wo ein Weib wohnte, die hatte 5 hübsche und 5 häßliche Kinder. Sie versteckte die 5 häßlichen im Keller. Der Herr Christus fragte nun, wo ihre andern Kinder wären. Das Weib sprach: »Andere Kinder habe ich nicht.« Da verwünschte der Herr Christus die fünf häßlichen und sprach: »Was unten ist, soll unten bleiben, und was oben ist, soll oben bleiben!« Als nun das Weib zum Keller kam, waren die fünf häßlichen Kinder verschwunden. Aus ihnen entstanden die Unterirdischen. Mit ihnen hat's zwar jetzt ein Ende, aber mit den Zaubermächten nicht.

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TextGrid Repository (2012). Grässe, Johann Georg Theodor. Sagen. Sagenbuch des Preußischen Staats. Zweiter Band. Schleswig-Holstein. 1350. Die Unterirdischen. 1350. Die Unterirdischen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-5467-6