689) Das heilige Kreuz zu Freckenhorst. 1

In alter Zeit lebte einst eine Aebtissin zu Freckenhorst, die Tag und Nacht in frommes Gebet zu Gott versunken war. Einst kam ihr der Gedanke in den Sinn, sie wolle Gott um eine Gabe und ein Heiligthum bitten, woraus sie sähe, daß sie ganz bei ihm in Gnaden wäre, und welches gleichzeitig eine ewige Zierde für Kloster und Kirche sein sollte. Als sie nun eines Tages auf dem Estrich des Chores kniete und Gott mit aller Inbrunst um eine solche Wundergabe anflehete, kam plötzlich aus dem Gewölbe der Kirche ein schönes heiliges Kreuz, vom Himmel gesandt, und fiel vor die Füße der Aebtissin in einen Stein, auf dem es stehen blieb, als wäre es in weiches Wachs gedrückt, und Edelsteine funkelten an demselben. Die Aebtissin erschrak und schrie, rief aber den Priester herbei, und nun wurde das Kreuz auf den Altar gesetzt und Gott und dem Kreuze erscholl Lobgesang von dem ganzen Stifte.

Eines Tages kam aber der Bruder der Aebtissin in das Kloster und klagte, daß er große Verluste durch seine Feinde erfahren hätte; die Aebtissin aber theilte ihm mit, daß sie im Besitz dieses wunderthätigen Kreuzes sei, und daß er mit dessen Hilfe möglicher Weise seinem Schaden wieder beikommen könne. Auf sein Bitten trat sie es ihm auch gegen die Uebergabe von 60 Ritterburgen für eine kleine Weile ab, und so wie er im Besitz des Heiligthums war, schlug und vernichtete er alle seine Feinde ohne Mühe. Da kam ihm der gottlose Gedanke, es gar nicht wieder zurückzugeben; allein seine Ritter bestanden darauf, daß er es erst wieder zurückgeben müsse, er könne es sich ja nachher wieder mit Gewalt holen, dann habe er sein Wort erfüllt. Wie gesagt, so gethan; er raubte es nach geschehener Zurückgabe, und die Aebtissin starb vor Kummer über den Verlust.

Als das ihr Bruder hörte, ward er traurig und zog weg nach Lievland, das Kreuz aber gab er doch nicht wieder aus seinen Händen. Als nun einst ein Priester vor dem Altar Messe lesen wollte, worauf das Kreuz stand, erscholl der Ruf, daß Feinde im Anzuge seien, in die Kirche; Alles eilte hinaus, der Priester brach die Messe ab und vergaß das Kreuz mitzunehmen. Da erscholl an Lengwyck, einen frommen Diener Gottes, der allein in der Kirche zurückgeblieben war und für das Heil der Stadt betete, [670] eine himmlische Stimme: er solle das Kreuz nehmen und es nach einem Orte tragen, der Freckenhorst heißt. Derselbe eilte nach dem Altar, nahm das Kreuz und ging aus der Kirche. Bald aber ward es ruchbar, daß das Kreuz gestohlen sei, und rings wurden alle Straßen bewacht und die Thore geschlossen. Lengwyck trug das Kreuz in einer Feldtasche und kam zum Thore. Er betete zu Gott, er möge ihn nicht verlassen, und schritt dann kühn vorwärts. Wie er nun dem Thore nahe war und die Soldaten auf ihn zukamen, da sah er, wie das Kreuz aus der Tasche kam und in's Wasser sprang. Als die Soldaten nichts bei ihm fanden, ließen sie ihn seines Weges ziehen. Als er eine Stunde gegangen war, betete er, Gott möge ihm doch das Kreuz wiedergeben, sah mit frommem Glauben in seine Tasche, und siehe, das Kreuz lag darin wie vorher. Er wanderte fort und kam zu einer Wittwe in die Nachtherberge. Er bat diese, ihm die Tasche zu verwahren, und die Frau verschloß sie in einer Kiste in dem Zimmer, wo sie selbst schlief. Um Mitternacht weckten sie wunderbare Stimmen aus dem Schlafe, wie Engelgesänge, und auf der Kiste brannten viele Wachskerzen. Da dachte sie, es müsse ein großes Heiligthum sein, was ihr der Fremde zu behüten gegeben habe. Als er also abreisen wollte, so gab sie ihm die leere Tasche und schwur, nichts Anderes erhalten zu haben, und wies ihm zornig die Thüre. Er ging aber im Vertrauen auf die himmlische Stimme seines Weges. Als er nun eine Strecke gegangen war, betete er zu Gott, daß er ihm das Kreuz wiedergeben möge, sah mit frommem Glauben in seine Tasche, und siehe, von Stund' an war das Kreuz wieder bei ihm. So kam er zu einem großen Baume in der Nähe von Freckenhorst und legte sich unter ihm hin, um zu schlafen. Es war spät im Herbste und überall das Laub gelb. Als er erwachte, vermißte er das Kreuz, rings um ihn her aber war Alles grün wie im Frühling, und über ihm sangen die Engel; als er aber aufsah, stand das Kreuz hoch auf einem Baume, umgeben von brennenden Wachskerzen. Da ließ er das Kreuz dort, eilte nach Freckenhorst und zeigte der Aebtissin und der ganzen Versammlung die wunderbare Veranlassung und den Zweck seiner Reise an. Die Aebtissin aber versammelte die ganze Kirche, und das heilige Kreuz ward unter Prozession und Glockengeläute wieder in die Kirche, wo es früher gestanden hatte, zurückgebracht.

Hier wird es noch gehalten und gezeigt. Es ist ein steinernes Kreuz von ohngefähr gleichen Balken, die1/2 Fuß lang sein mögen; Edelsteine sind nicht mehr daran zu sehen, statt deren aber acht glänzende steinerne Buckel auf der Vorderseite, und es ist möglich, daß dies die in der Sage bezeichneten Edelsteine sind. Es ist in Verbindung gesetzt mit dem Behälter der Reliquie vom Kreuze Christi und wird so an dem Kreuzerfindungstag in Prozession herumgetragen. Der Horst aber, wo Lengwyck schlief, heißt heute noch Gronhorst (der Name einer heutigen Bauerschaft), weil er grünte, während um ihn Alles gelb war.

Fußnoten

1 S. Münsterische Geschichten S. 53.

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TextGrid Repository (2012). Grässe, Johann Georg Theodor. Sagen. Sagenbuch des Preußischen Staats. Erster Band. Westphalen. 689. Das heilige Kreuz zu Freckenhorst. 689. Das heilige Kreuz zu Freckenhorst. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-5603-5