Johann Wolfgang Goethe
[Einleitung zu:]
Thomas Carlyle, »Leben Schillers«

Der hochansehnlichen
»Gesellschaft für ausländische schöne Literatur«
zu Berlin

[397] Als gegen Ende des vergangenen Jahres ich die angenehme Nachricht erhielt, daß eine mir freundlich bekannte Gesellschaft, welche bisher ihre Aufmerksamkeit inländischer Literatur gewidmet hatte, nunmehr dieselbe auf die ausländische zu wenden gedenke, konnte ich in meiner damaligen Lage nicht ausführlich und gründlich genug darlegen, wie sehr ich ein Unternehmen, bei welchem man auch meiner auf das geneigteste gedacht hatte, zu schätzen wisse.

Selbst mit gegenwärtigem öffentlichen Ausdruck meines dankbaren Anteils geschieht nur fragmentarisch, was ich im [397] bessern Zusammenhang zu überliefern gewünscht hätte. Ich will aber auch das, wie es mir vorliegt, nicht zurückweisen, indem ich meinen Hauptzweck dadurch zu erreichen hoffe, daß ich nämlich meine Freunde mit einem Manne in Berührung bringe, welchen ich unter diejenigen zähle, die in späteren Jahren sich an mich tätig angeschlossen, mich durch eine mitschreitende Teilnahme zum Handeln und Wirken aufgemuntert und, durch ein edles, reines, wohlgerichtetes Bestreben wieder selbst verjüngt, mich, der ich sie heranzog, mit sich fortgezogen haben. Es ist der Verfasser des hier übersetzten Werkes, Herr Thomas Carlyle, ein Schotte, von dessen Tätigkeit und Vorzügen sowie von dessen näheren Zuständen nachstehende Blätter ein mehreres eröffnen werden.

Wie ich denselben und meine Berliner Freunde zu kennen glaube, so wird zwischen ihnen und ihm eine frohe wirksame Verbindung sich einleiten, und beide Teile werden, wie ich hoffen darf, in einer Reihe von Jahren sich dieses Vermächtnisses und seines fruchtbaren Erfolges zusammen erfreuen, so daß ich ein fortdauerndes Andenken, um welches ich hier schließlich bitten möchte, schon, als dauernd gegönnt, mit anmutigen Empfindungen voraus genießen kann.

In treuer Anhänglichkeit und Teilnahme

Weimar, April 1830

J. W. von Goethe


Es ist schon einige Zeit von einer allgemeinen Weltliteratur die Rede, und zwar nicht mit Unrecht: denn die sämtlichen Nationen, in den fürchterlichsten Kriegen durcheinandergeschüttelt, sodann wieder auf sich selbst einzeln zurückgeführt, hatten zu bemerken, daß sie manches Fremde gewahr worden, in sich aufgenommen, bisher unbekannte geistige Bedürfnisse hie und da empfunden. Daraus entstand das Gefühl nachbarlicher Verhältnisse, und anstatt daß man sich bisher zugeschlossen hatte, kam der Geist [398] nach und nach zu dem Verlangen, auch in den mehr oder weniger freien geistigen Handelsverkehr mit aufgenommen zu werden.

Diese Bewegung währt zwar erst eine kurze Weile, aber doch immer lang genug, um schon einige Betrachtungen darüber anzustellen und aus ihr baldmöglichst, wie man es im Warenhandel ja auch tun muß, Vorteil und Genuß zu gewinnen.


Gegenwärtiges, zum Andenken Schillers geschriebene Werk kann, übersetzt, für uns kaum etwas Neues bringen; der Verfasser nahm seine Kenntnisse aus Schriften, die uns längst bekannt sind, so wie denn auch überhaupt die hier verhandelten Angelegenheiten bei uns öfters durchgesprochen und durchgefochten worden.

Was aber den Verehrern Schillers, und also einem jeden Deutschen, wie man kühnlich sagen darf, höchst erfreulich sein muß, ist: unmittelbar zu erfahren, wie ein zartfühlender, strebsamer, einsichtiger Mann über dem Meere in seinen besten Jahren durch Schillers Produktionen berührt, bewegt, erregt und nun zum weitern Studium der deutschen Literatur angetrieben worden.

Mir wenigstens war es rührend zu sehen, wie dieser rein und ruhig denkende Fremde selbst in jenen ersten, oft harten, fast rohen Produktionen unsres verewigten Freundes immer den edlen, wohldenkenden, wohlwollenden Mann gewahr ward und sich ein Ideal des vortrefflichsten Sterblichen an ihm auferbauen konnte.

Ich halte deshalb dafür, daß dieses Werk, als von einem Jüngling geschrieben, der deutschen Jugend zu empfehlen sein möchte; denn wenn ein munteres Lebensalter einen Wunsch haben darf und soll, so ist es der: in allem Geleisteten das Löbliche, Gute, Bildsame, Hochstrebende, genug das Ideelle, und selbst in dem nicht Musterhaften das allgemeine Musterbild der Menschheit zu erblicken.

[399] Ferner kann uns dieses Werk von Bedeutung sein, wenn wir ernstlich betrachten: wie ein fremder Mann die Schillerischen Werke, denen wir so mannigfaltige Kultur verdanken, auch als Quelle der seinigen schätzt, verehrt und dies ohne irgendeine Absicht rein und ruhig zu erkennen gibt.

Eine Bemerkung möchte sodann hier wohl am Platze sein: daß sogar dasjenige, was unter uns beinahe ausgewirkt hat, nun, gerade in dem Augenblicke, welcher auswärts der deutschen Literatur günstig ist, abermals seine kräftige Wirkung beginne und dadurch zeige, wie es auf einer gewissen Stufe der Literatur immer nützlich und wirksam sein werde.

So sind z.B. Herders »Ideen« bei uns dergestalt in die Kenntnisse der ganzen Masse übergegangen, daß nur wenige, die sie lesen, dadurch erst belehrt werden, weil sie durch hundertfache Ableitungen von demjenigen, was damals von großer Bedeutung war, in anderem Zusammenhange schon völlig unterrichtet worden. Dieses Werk ist vor kurzem ins Französische übersetzt; wohl in keiner andern Überzeugung, als daß tausend gebildete Menschen in Frankreich sich immer noch an diesen Ideen zu erbauen haben.


In bezug auf das dem gegenwärtigen Bande vorgesetzte Bild sei folgendes gemeldet: Unser Freund, als wir mit ihm in Verhältnis traten, war damals in Edinburgh wohnhaft, wo er, in der Stille lebend, sich im besten Sinne auszubilden suchte und, wir dürfen es ohne Ruhmredigkeit sagen, in der deutschen Literatur hiezu die meiste Fördernis fand.

Später, um sich selbst und seinen redlichen literarischen Studien unabhängig zu leben, begab er sich, etwa zehen deutsche Meilen südlicher ein eignes Besitztum zu bewohnen und zu benutzen, in die Grafschaft Dumfries. Hier, in einer gebirgigen Gegend, in welcher der Fluß Nith dem nahen Meere zuströmt, ohnfern der Stadt Dumfries, an einer Stelle, welche Craigenputtoch genannt wird, schlug [400] er mit einer schönen und höchst gebildeten Lebensgefährtin seine ländlich einfache Wohnung auf, wovon treue Nachbildungen eigentlich die Veranlassung zu gegenwärtigem Vorworte gegeben haben.


Gebildete Geister, zartfühlende Gemüter, welche nach fernem Guten sich bestreben, in die Ferne Gutes zu wirken geneigt sind, erwehren sich kaum des Wunsches, von geehrten, geliebten, weit abgesonderten Personen das Porträt, sodann die Abbildung ihrer Wohnung sowie der nächsten Zustände sich vor Augen gebracht zu sehen.

Wie oft wiederholt man noch heutigestags die Abbildung von Petrarchs Aufenthalt in Vaucluse, Tassos Wohnung in Sorrent! Und ist nicht immer die Bieler Insel, der Schutzort Rousseaus, ein seinen Verehrern nie genugsam dargestelltes Lokal?

In eben diesem Sinne hab ich mir die Umgebungen meiner entfernten Freunde im Bilde zu verschaffen gesucht, und ich war um so mehr auf die Wohnung Herrn Thomas Carlyles begierig, als er seinen Aufenthalt in einer fast rauhen Gebirgsgegend unter dem 55. Grade gewählt hatte.

Ich glaube, durch solch eine treue Nachbildung der neulich eingesendeten Originalzeichnungen gegenwärtiges Buch zu zieren und dem jetzigen gefühlvollen Leser, vielleicht noch mehr dem künftigen, einen freundlichen Gefallen zu erweisen und dadurch, so wie durch eingeschaltete Auszüge aus den Briefen des werten Mannes, das Interesse an einer edlen allgemeinen Länder- und Weltannäherung zu vermehren.


Thomas Carlyle an Goethe


Craigenputtoch, den 25. September 1828


»Sie forschen mit so warmer Neigung nach unserem gegenwärtigen Aufenthalt und Beschäftigung, daß ich einige Worte hierüber sagen muß, da noch Raum dazu [401] übrigbleibt. Dumfries ist eine artige Stadt mit etwa 15000 Einwohnern und als Mittelpunkt des Handels und der Gerichtsbarkeit anzusehen eines bedeutenden Distrikts in dem schottischen Geschäftskreis. Unser Wohnort ist nicht darin, sondern funfzehn Meilen (zwei Stunden zu reiten) nordwestlich davon entfernt, zwischen den Granitgebirgen und dem schwarzen Moorgefilde, welche sich westwärts durch Galloway meist bis an die Irische See ziehen. In dieser Wüste von Heide und Felsen stellt unser Besitztum eine grüne Oase vor, einen Raum von geackertem, teilweise umzäuntem und geschmücktem Boden, wo Korn reift und Bäume Schatten gewähren, obgleich ringsumher von Seemöwen und hartwolligen Schafen umgeben. Hier, mit nicht geringer Anstrengung, haben wir für uns eine reine, dauerhafte Wohnung erbaut und eingerichtet; hier wohnen wir in Ermangelung einer Lehr- oder andern öffentlichen Stelle, um uns der Literatur zu befleißigen, nach eigenen Kräften uns damit zu beschäftigen. Wir wünschen, daß unsre Rosen und Gartenbüsche fröhlich heranwachsen, hoffen Gesundheit und eine friedliche Gemütsstimmung, um uns zu fördern. Die Rosen sind freilich zum Teil noch zu pflanzen, aber sie blühen doch schon in Hoffnung.

Zwei leichte Pferde, die uns überall hintragen, und die Bergluft sind die besten Ärzte für zarte Nerven. Diese tägliche Bewegung, der ich sehr ergeben bin, ist meine einzige Zerstreuung; denn dieser Winkel ist der einsamste in Britannien, sechs Meilen von einer jeden Person entfernt, die mich allenfalls besuchen möchte. Hier würde sich Rousseau ebensogut gefallen haben als auf seiner Insel Saint-Pierre.

Fürwahr, meine städtischen Freunde schreiben mein Hierhergehen einer ähnlichen Gesinnung zu und weissagen mir nichts Gutes; aber ich zog hierher allein zu dem Zweck, meine Lebensweise zu vereinfachen und eine Unabhängigkeit zu erwerben, damit ich mir selbst treu bleiben könne. Dieser Erdraum ist unser, hier können wir leben, [402] schreiben und denken, wie es uns am besten deucht, und wenn Zoilus selbst König der Literatur werden sollte.

Auch ist die Einsamkeit nicht so bedeutend, eine Lohnkutsche bringt uns leicht nach Edinburgh, das wir als unser britisch Weimar ansehen. Habe ich denn nicht auch gegenwärtig eine ganze Ladung von französischen, deutschen, amerikanischen, englischen Journalen und Zeitschriften, von welchem Wert sie auch sein mögen, auf den Tischen meiner kleinen Bibliothek aufgehäuft!

Auch an altertümlichen Studien fehlt es nicht. Von einigen unsrer Höhen entdeck ich, ohngefähr eine Tagereise westwärts, den Hügel, wo Agricola und seine Römer ein Lager zurückließen; am Fuße desselben war ich geboren, wo Vater und Mutter noch leben, um mich zu lieben. Und so muß man die Zeit wirken lassen. Doch wo gerat ich hin! Lassen Sie mich noch gestehen, ich bin ungewiß über meine künftige literarische Tätigkeit, worüber ich gern Ihr Urteil vernehmen möchte; gewiß schreiben Sie mir wieder und bald, damit ich mich immer mit Ihnen vereint fühlen möge.«


Wir nach allen Seiten hin wohlgesinnten, nach allgemeinster Bildung strebenden Deutschen, wir wissen schon seit vielen Jahren die Verdienste würdiger schottischer Männer zu schätzen. Uns blieb nicht unbekannt was sie früher in den Naturwissenschaften geleistet, woraus denn nachher die Franzosen ein so großes Übergewicht erlangten.

In der neuern Zeit verfehlten wir nicht, den löblichen Einfluß anzuerkennen, den ihre Philosophie auf die Sinnesänderung der Franzosen ausübte, um sie von dem starren Sensualism zu einer geschmeidigern Denkart auf dem Wege des gemeinen Menschenverstandes hinzuleiten. Wir verdankten ihnen gar manche gründliche Einsicht in die wichtigsten Fächer britischer Zustände und Bemühungen.

Dagegen mußten wir vor nicht gar langer Zeit unsre ethisch-ästhetischen Bestrebungen in ihren Zeitschriften [403] auf eine Weise behandelt sehen, wo es zweifelhaft blieb, ob Mangel an Einsicht oder böser Wille dabei obwaltete; ob eine oberflächliche, nicht genug durchdringende Ansicht oder ein widerwilliges Vorurteil im Spiele sei. Dieses Ereignis haben wir jedoch geduldig abgewartet, da uns ja dergleichen im eignen Vaterlande zu ertragen genugsam von jeher auferlegt worden.

In den letzten Jahren jedoch erfreuen uns aus jenen Gegenden die liebevollsten Blicke, welche zu erwidern wir uns verpflichtet fühlen und worauf wir in gegenwärtigen Blättern unsre wohldenkenden Landsleute, insofern es nötig sein sollte, aufmerksam zu machen gedenken.


Herr Thomas Carlyle hatte schon den »Wilhelm Meister« übersetzt und gab sodann vorliegendes »Leben Schillers« im Jahre 1825 heraus.

Im Jahre 1827 erschien »German Romance« in vier Bänden, wo er aus den Erzählungen und Märchen deutscher Schriftsteller, als Musäus, La Motte-Fou qué, Tieck, Hoffmann, Jean Paul und Goethe, heraushob, was er seiner Nation am gemäßesten zu sein glaubte.

Die einer jeden Abteilung vorausgeschickten Nachrichten von dem Leben, den Schriften, der Richtung des genannten Dichters und Schriftstellers geben ein Zeugnis von der einfach-wohlwollenden Weise, wie der Freund sich möglichst von der Persönlichkeit und den Zuständen eines jeden zu unterrichten gesucht und wie er dadurch auf den rechten Weg gelangt, seine Kenntnisse immer mehr zu vervollständigen.

In den Edinburgher Zeitschriften, vorzüglich in denen, welche eigentlich fremder Literatur gewidmet sind, finden sich nun außer den schon genannten deutschen Autoren auch Ernst Schulze, Klingemann, Franz Horn, Zacharias Werner, Graf Platen und manche andere von verschiedenen Referenten, am meisten aber von unserm Freunde beurteilt und eingeführt.

[404] Höchst wichtig ist, bei dieser Gelegenheit zu bemerken, daß sie eigentlich ein jedes Werk nur zum Text und Gelegenheit nehmen, um über das eigentliche Feld und Fach sowie alsdann über das besondere Individuelle ihre Gedanken zu eröffnen und ihr Gutachten meisterhaft abzuschließen.

Diese »Edinburgh Reviews«, sie seien dem Innern und Allgemeinen oder den auswärtigen Literaturen besonders gewidmet, haben Freunde der Wissenschaften aufmerksam zu beachten: denn es ist höchst merkwürdig, wie der gründlichste Ernst mit der freisten Übersicht, ein strenger Patriotismus mit einem einfachen reinen Freisinn in diesen Vorträgen sich gepaart findet.


Genießen wir nun von dort in demjenigen, was uns hier so nah angeht, eine reine einfache Teilnahme an unsern ethisch-ästhetischen Bestrebungen, welche für einen besondern Charakterzug der Deutschen gelten können, so haben wir uns gleichfalls nach dem umzusehen, was ihnen dort von dieser Art eigentlich am Herzen liegt. Wir nennen hier gleich den NamenBurns, von welchem ein Schreiben des Herrn Carlyle folgende Stelle enthält:

»Das einzige einigermaßen Bedeutende, was ich seit meinem Hiersein schrieb, ist ein Versuch über Burns. Vielleicht habt ihr niemals von diesem Mann gehört, und doch war er einer der entschiedensten Genies, aber in der tiefsten Klasse der Landleute geboren und durch die Verwicklungen sonderbarer Lagen zuletzt jammervoll zugrunde gerichtet, so daß, was er wirkte, verhältnismäßig geringfügig ist; er starb in der Mitte der Mannsjahre (1796).

Wir Engländer, besonders wir Schottländer, lieben Burns mehr als irgendeinen Dichter seit Jahrhunderten. Oft war ich von der Bemerkung betroffen, er sei wenig Monate vor Schiller in dem Jahr 1759 geboren, und keiner dieser beiden habe jemals des andern Namen vernommen. Sie glänzten als Sterne in entgegengesetzten Hemisphären, [405] oder, wenn man will, eine trübe Erdatmosphäre fing ihr gegenseitiges Licht auf.«

Mehr jedoch, als unser Freund vermuten mochte, war uns Robert Burns bekannt; das allerliebste Gedicht »John Barley-Corn« war anonym zu uns gekommen, und verdienterweise geschätzt, veranlaßte solches manche Versuche, unsrer Sprache es anzueignen. Hans Gerstenkorn, ein wackerer Mann, hat viele Feinde, die ihn unablässig verfolgen und beschädigen, ja zuletzt gar zu vernichten drohen. Aus allen diesen Unbilden geht er aber doch am Ende triumphierend hervor, besonders zu Heil und Fröhlichkeit der leidenschaftlichen Biertrinker. Gerade in diesem heitern genialischen Anthropomorphismus zeigt sich Burns als wahrhaften Dichter.

Auf weitere Nachforschung fanden wir dieses Gedicht in der Ausgabe seiner poetischen Werke von 1822, welcher eine Skizze seines Lebens voransteht, die uns wenigstens von den Äußerlichkeiten seiner Zustände bis auf einen gewissen Grad belehrte. Was wir von seinen Gedichten uns zueignen konnten, überzeugte uns von seinem außerordentlichen Talent, und wir bedauerten, daß uns die schottische Sprache gerade da hinderlich war, wo er des reinsten, natürlichsten Ausdrucks sich gewiß bemächtigt hatte. Im ganzen jedoch haben wir unsre Studien so weit geführt, daß wir die nachstehende rühmliche Darstellung auch als unsrer Überzeugung gemäß unterschreiben können.

Inwiefern übrigens unser Burns auch in Deutschland bekannt sei, mehr als das Konversationslexikon von ihm überliefert, wüßte ich, als der neuen literarischen Bewegungen in Deutschland unkundig, nicht zu sagen; auf alle Fälle jedoch gedenke ich die Freunde auswärtiger Literatur auf die kürzesten Wege zu weisen: »The Life of Robert Burns. By J. G. Lockhart«. Edinburgh 1828, rezensiert von unserm Freunde im »Edinburgh Review«, Dezember 1828.

Nachfolgende Stellen, daraus übersetzt, werden den [406] Wunsch, das Ganze und den genannten Mann auf jede Weise zu kennen, hoffentlich lebhaft erregen.


»Burns war in einem höchst prosaischen Zeitalter, dergleichen Britannien nur je erlebt hatte, geboren, in den allerungünstigsten Verhältnissen, wo sein Geist, nach hoher Bildung strebend, ihr unter dem Druck täglich harter körperlicher Arbeit nachzuringen hatte, ja unter Mangel und trostlosesten Aussichten auf die Zukunft; ohne Fördernis als die Begriffe, wie sie in eines armen Mannes Hütte wohnen, und allenfalls die Reime von Ferguson und Ramsay als das Panier der Schönheit aufgesteckt. Aber unter diesen Lasten versinkt er nicht; durch Nebel und Finsternis einer so düstern Region entdeckt sein Adlerauge die richtigen Verhältnisse der Welt und des Menschenlebens, er wächst an geistiger Kraft und drängt sich mit Gewalt zu verständiger Erfahrung. Angetrieben durch die unwiderstehliche Regsamkeit seines inneren Geistes, strauchelt er vorwärts und zu allgemeinen Ansichten, und mit stolzer Bescheidenheit reicht er uns die Frucht seiner Bemühungen, eine Gabe dar, welche nunmehr durch die Zeit als unvergänglich anerkannt worden.

Ein wahrer Dichter, ein Mann, in dessen Herzen die Anlage eines reinen Wissens keimt, die Töne himmlischer Melodien vorklingen, ist die köstlichste Gabe, die einem Zeitalter mag verliehen werden. Wir sehen in ihm eine freiere, reinere Entwicklung alles dessen, was in uns das Edelste zu nennen ist; sein Leben ist uns ein reicher Unterricht, und wir betrauern seinen Tod als eines Wohltäters der uns liebte sowie belehrte.

Solch eine Gabe hat die Natur in ihrer Güte uns an Robert Burns gegönnt; aber mit allzu vornehmer Gleichgültigkeit warf sie ihn aus der Hand als ein Wesen ohne Bedeutung. Es war entstellt und zerstört, ehe wir es anerkannten, ein ungünstiger Stern hatte dem Jüngling die Gewalt gegeben, das menschliche Dasein ehrwürdiger zu machen, aber ihm [407] war eine weisliche Führung seines eigenen nicht geworden. Das Geschick – denn so müssen wir in unserer Beschränktheit reden –, seine Fehler, die Fehler der andern lasteten zu schwer auf ihm, und dieser Geist, der sich erhoben hätte, wäre es ihm nur zu wandern geglückt, sank in den Staub, seine herrlichen Fähigkeiten wurden in der Blüte mit Füßen getreten. Er starb, wir dürfen wohl sagen, ohne jemals gelebt zu haben. Und so eine freundlich warme Seele, so voll von eingebornen Reichtümern, solcher Liebe zu allen lebendigen und leblosen Dingen! Das späte Tausendschönchen fällt nicht unbemerkt unter seine Pflugschar, sowenig als das wohlversorgte Nest der furchtsamen Feldmaus, das er hervorwühlt. Der wilde Anblick des Winters ergötzt ihn; mit einer trüben, oft wiederkehrenden Zärtlichkeit verweilt er in diesen ernsten Szenen der Verwüstung; aber die Stimme des Windes wird ein Psalm in seinem Ohr; wie gern mag er in den sausenden Wäldern dahinwandern: denn er fühlt seine Gedanken erhoben zu dem, der auf den Schwingen des Windes einherschreitet. Eine wahre Poetenseele! sie darf nur berührt werden, und ihr Klang ist Musik.

Welch ein warmes allumfassendes Gleichheitsgefühl! Welche vertrauensvolle grenzenlose Liebe! Welch edelmütiges Überschätzen des geliebten Gegenstandes! Der Bauer, sein Freund, sein nußbraunes Mädchen sind nicht länger gering und dörfisch, Held vielmehr und Königin; er rühmt sie als gleich würdig des Höchsten auf der Erde. Die rauhen Szenen schottischen Lebens sieht er nicht im arkadischen Lichte, aber in dem Rauche, in dem unebenen Tennenboden einer solchen rohen Wirtlichkeit findet er noch immer Liebenswürdiges genug. Armut fürwahr ist sein Gefährte, aber auch Liebe und Mut zugleich; die einfachen Gefühle, der Wert, der Edelsinn, welche unter dem Strohdach wohnen, sind lieb und ehrwürdig seinem Herzen. Und so über die niedrigsten Regionen des menschlichen Daseins ergießt er die Glorie seines eigenen Gemüts, und sie steigen, durch Schatten und Sonnenschein gesänftigt [408] und verherrlicht, zu einer Schönheit, welche sonst die Menschen kaum in dem Höchsten erblicken.

Hat er auch ein Selbstbewußtsein, welches oft in Stolz ausartet, so ist es ein edler Stolz, um abzuwehren, nicht um anzugreifen, kein kaltes mißlaunisches Gefühl, ein freies und geselliges. Dieser poetische Landmann beträgt sich, möchten wir sagen, wie ein König in der Verbannung; er ist unter die Niedrigsten gedrängt und fühlt sich gleich den Höchsten; er verlangt keinen Rang, damit man ihm keinen streitig mache. Den Zudringlichen kann er abstoßen, den Stolzen demütigen, Vorurteil auf Reichtum oder Altgeschlecht haben bei ihm keinen Wert. In diesem dunklen Auge ist ein Feuer, woran sich eine abwürdigende Herablassung nicht wagen darf; in seiner Erniedrigung, in der äußersten Not vergißt er nicht für einen Augenblick die Majestät der Poesie und Mannheit. Und doch, so hoch er sich über gewöhnlichen Menschen fühlt, sondert er sich nicht von ihnen ab, mit Wärme nimmt er an ihrem Interesse teil, ja er wirft sich in ihre Arme, und wie sie auch seien, bittet er um ihre Liebe. Es ist rührend zu sehen, wie in den düstersten Zuständen dieses stolze Wesen in der Freundschaft Hülfe sucht und oft seinen Busen dem Unwürdigen aufschließt, oft unter Tränen an sein glühendes Herz ein Herz andrückt, das Freundschaft nur als Namen kennt. Doch war er scharf- und schnellsichtig, ein Mann vom durchdringendsten Blick, vor welchem gemeine Verstellung sich nicht bergen konnte. Sein Verstand sah durch die Tiefen des vollkommensten Betrügers, und zugleich war eine großmütige Leichtgläubigkeit in seinem Herzen. So zeigte sich dieser Landmann unter uns: eine Seele wie Äolsharfe, deren Saiten, vom gemeinsten Winde berührt, ihn zu gesetzlicher Melodie verwandelten. Und ein solcher Mann war es, für den die Welt kein schicklicher Geschäft zu finden wußte, als sich mit Schmugglern und Schenken herumzuzanken, Akzise auf den Talg zu berechnen und Bierfässer zu visieren. In solchem Abmühen ward dieser [409] mächtige Geist kummervoll vergeudet, und hundert Jahre mögen vorübergehen, eh uns ein gleicher gegeben wird, um vielleicht ihn abermals zu vergeuden.«


Und wie wir den Deutschen zu ihrem Schiller Glück wünschen, so wollen wir in eben diesem Sinne auch die Schottländer segnen. Haben diese jedoch unserm Freunde so viel Aufmerksamkeit und Teilnahme erwiesen, so wär es billig, daß wir auf gleiche Weise ihren Burns bei uns einführten. Ein junges Mitglied der hochachtbaren Gesellschaft, der wir Gegenwärtiges im ganzen empfohlen haben, wird Zeit und Mühe höchlich belohnt sehen, wenn er diesen freundlichen Gegendienst einer so verehrungswürdigen Nation zu leisten den Entschluß fassen und das Geschäft treulich durchführen will. Auch wir rechnen den belobten Robert Burns zu den ersten Dichtergeistern, welche das vergangene Jahrhundert hervorgebracht hat.


Im Jahr 1829 kam uns ein sehr sauber und augenfällig gedrucktes Oktavbändchen zur Hand: »Catalogue of German Publications, Selected and Systematically Arranged for W. H. Koller and Jul. Cahlmann. London.«

Dieses Büchlein, mit besonderer Kenntnis der deutschen Literatur in einer die Übersicht erleichternden Methode verfaßt, macht demjenigen, der es ausgearbeitet, und den Buchhändlern Ehre, welche ernstlich das bedeutende Geschäft übernehmen, eine fremde Literatur in ihr Vaterland einzuführen, und zwar so, daß man in allen Fächern übersehen könne, was dort geleistet worden, um sowohl den gelehrten, den denkenden Leser als auch den fühlenden und Unterhaltung suchenden anzulocken und zu befriedigen. Neugierig wird jeder deutsche Schriftsteller und Literator der sich in irgendeinem Fache hervorgetan, diesen Katalog aufschlagen, um zu forschen: ob denn auch seiner darin gedacht, seine Werke mit andern verwandten freundlich aufgenommen worden. Allen deutschen Buchhändlern [410] wird es angelegen sein zu erfahren: wie man ihren Verlag über dem Kanal betrachte, welchen Preis man auf das Einzelne setze, und sie werden nichts verabsäumen, um mit jenen die Angelegenheit so ernsthaft angreifenden Männern in Verhältnis zu kommen und dasselbe immerfort lebendig zu erhalten.


Wenn ich nun aber das von unserm schottischen Freunde vor so viel Jahren verfaßte »Leben Schillers«, auf das er mit einer ihm so wohl anstehenden Bescheidenheit zurücksieht, hiedurch einleite und gegenwärtig an den Tag fördere, so erlaube er mir, einige seiner neusten Äußerungen hinzuzufügen, welche die bisherigen gemeinsamen Fortschritte am besten deutlich machen möchten.


Thomas Carlyle an Goethe

Den 22. Dezember 1829

»Ich habe zu nicht geringer Befriedigung zum zweiten Male den Briefwechsel gelesen und sende heute einen darauf gegründeten Aufsatz über Schiller ab für das ›Foreign Review‹. Es wird Ihnen angenehm sein zu hören, daß die Kenntnis und Schätzung der auswärtigen, besonders der deutschen Literatur sich mit wachsender Schnelle verbreitet, so weit die englische Zunge herrscht, so daß bei den Antipoden, selbst in Neuholland, die Weisen Ihres Landes ihre Weisheit predigen. Ich habe kürzlich gehört, daß sogar in Oxford und Cambridge, unsern beiden englischen Universitäten, die bis jetzt als die Haltpunkte der insularischen eigentümlichen Beharrlichkeit sind betrachtet worden, es sich in solchen Dingen zu regen anfängt. Ihr Niebuhr hat in Cambridge einen geschickten Übersetzer gefunden, und in Oxford haben zwei bis drei Deutsche schon hinlängliche Beschäftigung als Lehrer ihrer Sprache. Das neue Licht mag für gewisse Augen zu stark sein; jedoch kann niemand an den guten Folgen zweifeln, die am Ende daraus hervorgehen [411] werden. Laßt Nationen wie Individuen sich nur einander kennen, und der gegenseitige Haß wird sich in gegenseitige Hülfleistung verwandeln, und anstatt natürlicher Feinde, wie benachbarte Länder zuweilen genannt sind, werden wir alle natürliche Freunde sein.«


Wenn uns nach allem diesem nun die Hoffnung schmeichelt, eine Übereinstimmung der Nationen, ein allgemeineres Wohlwollen werde sich durch nähere Kenntnis der verschiedenen Sprachen und Denkweisen nach und nach erzeugen, so wage ich von einem bedeutenden Einfluß der deutschen Literatur zu sprechen, welcher sich in einem besondern Falle höchst wirksam erweisen möchte.

Es ist nämlich bekannt genug, daß die Bewohner der drei britischen Königreiche nicht gerade in dem besten Einverständnisse leben, sondern daß vielmehr ein Nachbar an dem andern genugsam zu tadeln findet, um eine heimliche Abneigung bei sich zu rechtfertigen.

Nun aber bin ich überzeugt, daß, wie die deutsche ethisch-ästhetische Literatur durch das dreifache Britannien sich verbreitet, zugleich auch eine stille Gemeinschaft von Philogermanen sich bilden werde, welche in der Neigung zu einer vierten, so nah verwandten Völkerschaft auch untereinander als vereinigt und verschmolzen sich empfinden werden.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Werke. Theoretische Schriften. [Einleitung zu:] Thomas Carlyle, »Leben Schillers«. [Einleitung zu:] Thomas Carlyle, »Leben Schillers«. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-5EE0-6