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Der Olympos, der Kissavos,
Die zwei Berge haderten;
Da entgegnend sprach Olympos
Also zu dem Kissavos:
»Nicht erhebe dich, Kissave,
Türken– du Getretener.
Bin ich doch der Greis Olympos,
Den die ganze Welt vernahm.
Zweiundsechzig Gipfel zähl ich
Und zweitausend Quellen klar,
Jeder Brunn hat seinen Wimpel,
Seinen Kämpfer jeder Zweig.
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Auf den höchsten Gipfel hat sich
Mir ein Adler aufgesetzt,
Faßt in seinen mächt'gen Klauen
Eines Helden blutend Haupt.
›Sage, Haupt! wie ist's ergangen?
Fielest du verbrecherisch?‹
›Speise, Vogel, meine Jugend,
Meine Mannheit speise nur!
Ellenlänger wächst dein Flügel,
Deine Klaue spannenlang.
Bei Louron, in Xeromeron,
Lebt ich in dem Kriegerstand,
So in Chasia, auf 'm Olympos
Kämpft ich bis ins zwölfte Jahr.
Sechzig Agas, ich erschlug sie,
Ihr Gefild verbrannt ich dann;
Die ich sonst noch niederstreckte,
Türken, Albaneser auch,
Sind zu viele, gar zu viele,
Daß ich sie nicht zählen mag;
Nun ist meine Reihe kommen,
Im Gefechte fiel ich brav.‹«

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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Goethe, Johann Wolfgang von. 6. [Der Olympos, der Kissavos]. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-619F-A