Johann Wolfgang Goethe
Der Großkophta
Ein Lustspiel in fünf Aufzügen

[7]

Personen

Personen.

    • Der Domherr

    • Der Graf

    • Der Ritter

    • Der Marquis

    • Die Marquise

    • Ihre Nichte

    • Der Oberst der Schweizergarde

    • Saint Jean, Bedienter des Domherrn

    • La Fleur, Bedienter des Marquis

    • Jäck, ein Knabe, Diener der Marquise

    • Gesellschaft von Herren und Damen

    • Zwei Hofjuweliere

    • Jünglinge

    • Kinder

    • Ein Kammermädchen

    • Sechs Schweizer

    • Bediente
    • [7]

1. Akt

1. Auftritt
Erster Auftritt
Erleuchteter Saal.
Im Grunde des Theaters an einem Tische eine Gesellschaft von zwölf bis funfzehn Personen beim Abendessen. An der rechten Seite sitzt der Domherr, neben ihm hinterwärts die Marquise, dann folgt eine bunte Reihe; der letzte Mann auf der linken Seite ist der Ritter. Das Dessert wird aufgetragen, und die Bedienten entfernen sich. Der Domherr steht auf und geht nachdenklich am Proscenio bin und wider. Die Gesellschaft scheint sich von ihm zu unterhalten. Endlich steht die Marquise auf und geht zu ihm. Die Ouvertüre, welche bis dahin fortgedauert, hört auf, und der Dialog beginnt.

MARQUISE.

Ist es erlaubt, so zerstreut zu sein? gute Gesellschaft zu fliehen, seinen Freunden die Lust traulicher Stunden zu verderben? Glauben Sie, daß wir scherzen und genießen können, wenn unser Wirt den Tisch verläßt, den er so gefällig bereitet hat? Schon diesen ganzen Abend scheinen Sie nur dem Körper nach gegenwärtig. Noch hofften wir gegen das Ende der Tafel, jetzt, da sich die Bedienten entfernt haben, Sie heiter, offen zu sehen, und Sie stehen auf, Sie treten von uns weg und gehen hier am andern Ende des Saals gedankenvoll auf und nieder, als wenn nichts in der Nähe wäre, das Sie interessieren, das Sie beschäftigen könnte.

DOMHERR.

Sie fragen, was mich zerstreut? Marquise, meine Lage ist Ihnen bekannt – wäre es ein Wunder, wenn ich von Sinnen käme? Ist es möglich, daß ein menschlicher Geist, ein menschliches Herz von mehr Seiten bestürmt werden kann als das meinige! Welche Natur muß ich haben, daß sie nicht unterliegt! Sie wissen, was mich aus der Fassung bringt, und fragen mich?

[8]
MARQUISE.
Aufrichtig, so ganz klar seh ich es nicht ein. Geht doch alles, wie Sie es nur wünschen können!
DOMHERR.
Und diese Erwartung, diese Ungewißheit?
MARQUISE.

Wird doch wenige Tage zu ertragen sein? – Hat nicht der Graf, unser großer Lehrer und Meister, versprochen, uns alle und Sie besonders weiter vorwärts in die Geheimnisse zu führen? Hat er nicht den Durst nach geheimer Wissenschaft, der uns alle quält, zu stillen, jeden nach seinem Maße zu befriedigen versprochen? Und können wir zweifeln, daß er sein Wort halten werde?

DOMHERR.

Gut! er hat. – Verbot er aber nicht zugleich alle Zusammenkünfte, wie eben die ist, die wir jetzt hinter seinem Rücken wagen? Gebot er uns nicht Fasten, Eingezogenheit, Enthaltsamkeit, strenge Sammlung und stille Betrachtung der Lehren, die er uns schon überliefert hat? – Und ich bin leichtsinnig genug, heimlich in diesem Gartenhause eine fröhliche Gesellschaft zu versammeln, diese Nacht der Freude zu weihen, in der ich mich zu einer großen und heiligen Erscheinung vorbereiten soll! – Schon mein Gewissen ängstiget mich, wenn er es auch nicht erführe. Und wenn ich nun gar bedenke, daß seine Geister ihm gewiß alles verraten, daß er vielleicht auf dem Wege ist, uns zu überraschen! – Wer kann vor seinem Zorn bestehen? – Ich würde vor Scham zu Boden sinken – jeden Augenblick! – es scheint mir, ich höre ihn; ich höre reiten, fahren. Er eilt nach der Türe.

MARQUISE
für sich.

O Graf! du bist ein unnachahmlicher Schelm! Der meisterhafteste Betrüger! Immer hab ich dich im Auge, und täglich lern ich von dir! Wie er die Leidenschaft dieses jungen Mannes zu brauchen, sie zu vermehren weiß! Wie er sich seiner ganzen Seele bemächtigt hat und ihm unumschränkt gebietet! Wir wollen sehen, ob unsre Nachahmung glückt.


Der Domherr kommt zurück.

[9]

Bleiben Sie außer Sorgen. Der Graf weiß viel; all wissend ist er nicht, und dieses Fest soll er nicht erfahren. – Seit vierzehn Tagen habe ich Sie, habe ich unsre Freunde nicht gesehen, habe mich vierzehn Tage in einem elenden Landhause verborgen gehalten, manche langweilige Stunde ausdauern müssen, nur um in der Nähe unsrer angebeteten Prinzessin zu sein, manchmal ein Stündchen ihr heimlich aufzuwarten und von den Angelegenheiten eines geliebten Freundes zu sprechen. Heute kehre ich nach der Stadt zurück, und es war sehr freundlich von Ihnen, daß Sie mir auf halbem Wege, hier in diesem angenehmen Landhause, ein Gastmahl bereiteten, mir entgegenkamen und meine besten Freunde zu meinem Empfange versammelten. Gewiß, Sie sind der guten Nachrichten wert, die ich Ihnen bringe. Sie sind ein warmer, ein angenehmer Freund. Sie sind glücklich, Sie werden glücklich sein; nur wünschte ich, daß Sie auch Ihres Glücks genössen.

DOMHERR.
Es wird sich bald geben, bald!
MARQUISE.

Kommen Sie, setzen Sie sich. Der Graf ist abwesend, seine vierzigtägigen Fasten in der Einsamkeit auszuhalten und sich zu dem großen Werke vorzubereiten. Er erfährt unsre Zusammenkunft nicht, sowenig er unser großes Geheimnis erfahren darf. Bedenklich. Könnte es vor der Zeit entdeckt werden, daß die Prinzessin verzeiht, daß sich der Fürst wahrscheinlich durch eine geliebte Tochter bald versöhnen läßt: wie leicht könnte das ganze schöne Gebäude durch die Bemühungen der Mißgunst zugrunde gehen! Ausdrücklich hat mir die Prinzessin, die Ihre Verbindung mit dem Grafen kennt, befohlen, diesem Manne, den sie fürchtet, unsre wichtige Angelegenheit zu verbergen.

DOMHERR.

Ich hange ganz von ihrem Willen ab; auch dieses schwere Gebot will ich erfüllen, ob ich gleich überzeugt bin, daß ihre Furcht ungegründet ist. Dieser große Mann würde uns eher nützen als schaden. Vor ihm sind alle [10] Stände gleich. Zwei liebende Herzen zu verbinden ist sein angenehmstes Geschäft. »Meine Schüler«, pflegt er zu sagen, »sind Könige, wert, die Welt zu regieren, und eines jeden Glückes wert.« – Und wenn es ihm seine Geister anzeigen, wenn er sieht, daß in diesem Augenblick Mißtrauen gegen ihn unsre Herzen zusammenzieht, da er die Schätze seiner Weisheit vor uns eröffnet!

MARQUISE.
Ich kann nur sagen, daß es die Prinzessin ausdrücklich verlangt.
DOMHERR.
Es sei. Ich gehorche ihr, und wenn ich mich zugrunde richten sollte.
MARQUISE.

Und wir bewahren unser Geheimnis leicht, da niemand auch nur von ferne vermuten kann, daß die Prinzessin Sie begünstigt.

DOMHERR.

Gewiß, jedermann glaubt mich in Ungnade, auf ewig vom Hofe entfernt. Mitleidig, ja verachtend sind die Blicke der Menschen, die mir begegnen. Nur durch einen großen Aufwand, durch Ansehn meiner Freunde, durch Unterstützung mancher Unzufriedenen erhalte ich mich aufrecht. Gebe der Himmel, daß meine Hoffnungen nicht trügen, daß dein Versprechen in Erfüllung gehe!

MARQUISE.

Mein Versprechen? – Sagen Sie nicht mehr so, bester Freund. Bisher war es mein Versprechen; aber seit diesem Abend, seitdem ich Ihnen einen Brief überbrachte, gab ich Ihnen nicht mit diesem Briefe die schönsten Versicherungen in die Hände?

DOMHERR.

Ich habe es schon tausendmal geküßt, dieses Blatt. Er bringt ein Blatt aus der Tasche. Laß es mich noch tausendmal küssen! Von meinen Lippen soll es nicht kommen, bis diese heißen begierigen Lippen auf ihrer schönen Hand verweilen können: auf der Hand, die mich unaussprechlich entzückt, indem sie mir auf ewig mein Glück versichert.

MARQUISE.

Und wenn dann der Schleier von diesem Geheimnis hinwegfällt und Sie mit dem völligen Glanze des vorigen Glückes, ja in einem weit schönern vor den Augen [11] der Menschen dastehn, neben einem Fürsten, der Sie wieder erkennt, neben einer Fürstin, die Sie nie verkannt hat: wie wird dieses neue, dieses leuchtende Glück die Augen des Neides blenden, und mit welcher Freude werde ich Sie an dem Platze sehen, den Sie so sehr verdienen! –

DOMHERR.
Und mit welcher Dankbarkeit werde ich eine Freundin zu belohnen wissen, der ich alles schuldig bin!
MARQUISE.

Reden Sie nicht davon. Wer kennt Sie und ist nicht gleich lebhaft für Sie hingerissen? Wer wünscht nicht, Ihnen, selbst mit Aufopferung, zu dienen?

DOMHERR.
Horch! es kommt ein Wagen angefahren. Was ist das?
MARQUISE.

Sein Sie unbesorgt; er fährt vorbei. Die Türen sind verschlossen, die Läden verwahrt; ich habe aufs genaueste die Fenster zudecken lassen, daß niemand den Schein eines Lichts bemerken kann. Niemand wird glauben, daß in diesem Hause Gesellschaft sei.

DOMHERR.
Welch ein Lärm, welch ein Getümmel?
EIN BEDIENTER
tritt ein.

Es ist ein Wagen vorgefahren; man pocht an die Tür, als wenn man sie einschlagen wollte. Ich höre des Grafen Stimme; er droht und will eingelassen sein.

MARQUISE.

Ist das Haus verriegelt? – Macht ihm nicht auf! Rührt euch nicht. Antwortet nicht. Wenn er ausgetobt hat, mag er abfahren.

DOMHERR.
Sie bedenken nicht, mit wem wir zu tun haben. – Macht ihm auf! Wir widerstehn vergebens.
BEDIENTE
die hereinstürzen.
Der Graf! Der Graf!
MARQUISE.
Wie ist er hereingekommen?
BEDIENTER.
Die Türen taten sich von selbst auf, beide Flügel.
DOMHERR.
Wo soll ich hin?
DIE FRAUEN.
Wer wird uns retten!
RITTER.
Nur getrost!
DIE FRAUEN.
Er kommt! er kommt!
[12]
2. Auftritt
Zweiter Auftritt
Der Graf. Vorige.

GRAF
unter der Türe hinterwärts sprechend.

Assaraton! Pantassaraton! Dienstbare Geister, bleibt an der Türe, laßt niemand entwischen! leidet nicht, daß jemand über die Schwelle gehe, der nicht von mir bezeichnet ist.

DIE FRAUEN.
Weh uns!
DIE MÄNNER.
Was soll das werden!
GRAF.

Uriel, du zu meiner Rechten, Ithruriel, du zu meiner Linken, tretet herein. Bestrafet die Verbrecher, denen ich diesmal nicht vergeben werde.

DIE FRAUEN.
Wohin verkriech ich mich!
DOMHERR.
Es ist alles verloren!
GRAF.

Uriel! Pause, als wenn er Antwort vernähme. So recht! – »Hier bin ich!«, das ist dein gewöhnlicher Spruch, folgsamer Geist. – Uriel, fasse diese Weiber!


Die Mädchen tun einen lauten Schrei.

Führe sie weit über Berg und Tal, setze sie auf einen Kreuzweg nieder; denn sie glauben nicht, sie gehorchen nicht, bis sie fühlen. Greif zu!

DIE FRAUEN.
Ai! Ai! Er hat mich! – Großer Meister, um Gottes willen!
MARQUISE.
Herr Graf!
DIE FRAUEN.
Kniend bitten wir unsre Schuld ab.
GRAF.
Uriel, du bittest für sie! Soll ich mich erweichen lassen!
DIE FRAUEN.
Bitte für uns, Uriel!
MARQUISE.
Ist es erlaubt, diese Geschöpfe so zu ängstigen!
GRAF.

Was! Was! Auf Ihre Knie nieder, Madame! Nicht vor mir, vor den unsichtbaren Mächten, die neben mir stehen, auf die Knie! Können Sie ein schuldloses Herz ein freies Angesicht gegen diese himmlischen Gestalten wenden?

[13]
EIN MÄDCHEN.
Siehst du was?
DIE ANDRE.
Einen Schatten, ganz dicht an ihm!
GRAF.
Wie sieht es in Ihrem Herzen aus?
MARQUISE.
Großer Meister! Schone des zarten Geschlechts!
GRAF.

Ich bin gerührt, nicht erweicht. Ithruriel! ergreife diese Männer, führe sie in meine tiefsten Keller.

DOMHERR.
Mein Herr und Meister!
RITTER.

Nicht ein Wort mehr! Ihre Geister erschrecken uns nicht, und hier ist eine Klinge gegen Sie selbst. Glauben Sie nicht, daß wir noch Arm und Mut genug haben, uns und diese Frauen zu verteidigen?

GRAF.

Törichter Jüngling! Zieh völlig, ziehe! Stoß hieher, hieher auf diese freie unbeschützte Brust! stoß her, daß ein Zeichen geschehe für dich und alle. Ein dreifacher Harnisch, der Rechtschaffenheit, der Weisheit, der Zauberkraft, schützt diese Brust. Stoß her und suche die Stücke deiner zerbrochenen Klinge beschämt zu meinen Füßen.

DIE MÄNNER.
Welche Majestät!
DIE FRAUEN.
Welche Gewalt!
DIE MÄNNER.
Welche Stimme!
DIE FRAUEN.
Welch ein Mann!
DER RITTER.
Was soll ich tun?
DOMHERR.
Was kann das werden?
MARQUISE.
Was soll ich sagen?
GRAF.

Steht auf! ich begnadige das unverständige Geschlecht. Meine verirrten Kinder will ich nicht ganz verstoßen; doch alle Züchtigung erlaß ich euch nicht. Zu den Männern. Entfernt euch!


Die Männer treten in den Grund zurück.

Zu den Frauen. Und ihr, faßt und sammelt euch!Als wenn er vertraulich zu den Geistern spräche. Uriel! Ithruriel! geht zu euren Brüdern! Zu den Frauen. Nun laßt hören, ob ihr meiner Lehren noch eingedenk seid. – Was sind die Haupttugenden der Weiber?

[14]
ERSTES MÄDCHEN.
Geduld und Gehorsam.
GRAF.
Was ist ihr Sinnbild?
ZWEITES MÄDCHEN.
Der Mond.
GRAF
gegen die Marquise.
Warum?
MARQUISE.

Weil er sie erinnert, daß sie kein eigen Licht haben, sondern daß sie allen Glanz vom Manne erhalten.

GRAF.

Wohl, das merkt euch! – Und nun, wenn ihr nach Hause fahrt, werdet ihr linker Hand das erste Viertel am klaren Himmel erblicken; dann sprecht untereinander: »Seht, wie zierlich es da steht! welches gemäßigte Licht! welche schöne Taille! welche Sittsamkeit! das wahre Bild einer liebenswürdigen heranwachsenden Jungfrau.« Erblickt ihr künftig den Vollmond, so ermahnt euch untereinander und sprecht: »Wie schön glänzt das Bild einer glücklichen Hausfrau! sie wendet ihr Gesicht gerade ihrem Manne zu; sie fängt die Strahlen seines Lichtes auf, die sanft und lieblich von ihr widerglänzen.« Das bedenkt recht und führt untereinander dieses Bild aus, so gut ihr nur könnt; setzt eure Betrachtungen so weit fort, als ihr vermöget; bildet euren Geist, erhebt euer Gemüt: denn so nur könnt ihr würdig werden, das Angesicht des Großkophta zu schauen. – Nun geht! übertretet keines meiner Gebote, und der Himmel behüte euch vor dem abnehmenden Lichte, vor dem betrübten Witwenstande! – Ihr fahrt sogleich sämtlich nach der Stadt, und nur eine strenge Buße kann euch Vergebung erwerben und die Ankunft des Großkophta beschleunigen. Lebt wohl.

MARQUISE
beiseite.

Der verwünschte Kerl! Er ist ein Phantast, ein Lügner, ein Betrüger; ich weiß es, ich bin's überzeugt; und doch imponiert er mir!


Die Frauenzimmer neigen sich und gehen ab.

[15]
3. Auftritt
Dritter Auftritt
Die Vorigen außer den Damen.

GRAF.

Nun, Ritter und ihr andern, tretet herbei! Ich hab euch vergeben; ich seh euch beschämt, und meine Großmut überläßt eurem eigenen Herzen Strafe und Besserung.

RITTER.
Wir erkennen deine Huld, väterlicher Meister.
GRAF.

Wenn ihr aber in der Folge meine Verordnungen überschreitet, wenn ihr nicht alles anwendet, den begangenen Fehler wiedergutzumachen, so hoffet nie, das Angesicht des Großkophta zu sehen, nie, an der Quelle der Weisheit eure durstigen Lippen zu erquicken. – Nun, laßt hören, habt ihr gefaßt, was ich euch überlieferte? – Wann soll ein Schüler seine Betrachtungen anstellen?

RITTER.
Bei Nachtzeit.
GRAF.
Warum?
ERSTER SCHÜLER.
Damit er desto lebhafter fühle, daß er im Finstern wandelt.
GRAF.
Welche Nächte soll er vorziehen?
ZWEITER SCHÜLER.
Nächte, wenn der Himmel klar ist und die Sterne funkeln.
GRAF.
Warum?
RITTER.

Damit er einsehe, daß viele tausend Lichter noch nicht hell machen, und damit seine Begierde nach der einzig erleuchtenden Sonne desto lebhafter werde.

GRAF.
Welchen Stern soll er vorzüglich im Auge haben?
ERSTER SCHÜLER.
Den Polarstern.
GRAF.
Was soll er sich dabei vorstellen?
ZWEITER SCHÜLER.
Die Liebe des Nächsten.
GRAF.
Wie heißt der andere Pol?
ERSTER SCHÜLER.
Die Liebe der Weisheit.
GRAF.
Haben diese beiden Pole eine Achse?
RITTER.

Freilich, denn sonst könnten sie keine Pole sein. Diese Achse geht durch unser Herz, wenn wir rechte Schüler der Weisheit sind, und das Universum dreht sich um uns herum.

[16]
GRAF.
Sage mir den Wahlspruch des ersten Grades.
RITTER.
Was du willst, daß dir die Leute tun sollen, wirst du ihnen auch tun.
GRAF.
Erkläre mir diesen Spruch.
RITTER.
Er ist deutlich, er bedarf keiner Erklärung.
GRAF.
Wohl! – Nun geht in den Garten, und faßt den Polarstern recht in die Augen.
RITTER.
Es ist sehr trübe, großer Lehrer; kaum daß hie und da ein Sternchen durchblinkt.
GRAF.

Desto besser! – So bejammert euren Ungehorsam, euren Leichtsinn, eure Leichtfertigkeit; das sind Wolken, welche die himmlischen Lichter verdunkeln.

RITTER.
Es ist kalt, es geht ein unfreundlicher Wind, wir sind leicht gekleidet.
GRAF.

Hinunter! hinunter mit euch! Darf ein Schüler der Weisheit frieren? – Mit Lust solltet ihr eure Kleider abwerfen, und die heiße Begierde eures Herzens, der Durst nach geheimer Wissenschaft sollte Schnee und Eis zum Schmelzen bringen. Fort mit euch! fort!


Der Ritter und die andern mit einer Verbeugung ab.
4. Auftritt
Vierter Auftritt
Der Graf. Der Domherr.

GRAF.

Nun hervor mit Ihnen, Domherr! hervor! Sie erwartet ein strenger Gericht. – Ihnen hätte ich es nicht zugetraut. Der Schüler, dem ich mehr als allen andern die Hand reiche, den ich mit Gewalt zu mir heraufziehe, dem ich schon die Geheimnisse des zweiten Grades enthüllt habe – dieser besteht so schlecht bei einer geringen Prüfung! – Nicht die Drohungen seines Meisters, nicht die Hoffnung, den Großkophta zu sehen, können ihn abhalten, seine Gelage nur wenige Nächte zu verschieben. Pfui! ist das männlich? ist das weise? Die Lehren des größten Sterblichen! die Hülfe der Geister! die Eröffnung [17] aller Geheimnisse der Natur, eine ewige Jugend, eine immer gleiche Gesundheit, eine unverwüstliche Stärke, eine nie verschwindende Schönheit! Um diese größten Schätze der Welt bemühest du dich und kannst nicht einem Abendschmause entsagen!

DOMHERR
niederkniend.

Du hast mich oft zu deinen Füßen gesehen; hier lieg ich wieder. Vergib mir! entziehe mir nicht deine Huld. – Die Reize – die Lockung – die Gelegenheit – die Verführung! – Nie sollst du mich wieder ungehorsam finden! gebiete! lege mir auf, was du willst!

GRAF.

Wie kann ich mit dir zürnen, du mein Liebling! wie kann ich dich verstoßen, du Erwählter des Schicksals! Steh auf, komm an meine Brust, von der du dich, selbst mit Gewalt, nicht losreißen kannst.

DOMHERR.

Wie entzückst du mich! – Aber darf ich in diesem Augenblicke, wo ich büßen und trauren sollte, darf ich als ein Zeichen der Versöhnung mir eine Gnade von dir ausbitten?

GRAF.
Sprich, mein Teurer!
DOMHERR.

Laß mich nicht länger in Ungewißheit, gib mir ein helleres Licht über den wunderbaren Mann, den du Großkophta nennst, den du uns zeigen willst, von dem du uns so viel versprichst. Sage mir: wer ist er? Wo ist er? Ist er schon nah? Werd ich ihn sehen? Kann er mich würdigen? Kann er mich aufnehmen? Wird er mir die Lehren überliefern, nach denen mein Herz so heftig begehrt?

GRAF.

Mäßig! mäßig, mein Sohn! Wenn ich dir nicht gleich alles entdecke, so ist dein Bestes meine Absicht. – Deine Neugierde zu wecken, deinen Verstand zu üben, deine Gelehrsamkeit zu beleben, das ist es, was ich wünsche! so möchte ich mich um dich verdient machen. – Hören und lernen kann jedes Kind; merken und raten müssen meine Schüler. – Als ich sagte: Kophta, fiel dir nichts ein?

DOMHERR.

Kophta! Kophta! – Wenn ich dir es gestehen soll, wenn ich mich vor dir nicht zu schämen brauche! [18] Meine Einbildungskraft verließ sogleich diesen kalten, beschränkten Weltteil; sie besuchte jenen heißen Himmelsstrich, wo die Sonne noch immer über unsäglichen Geheimnissen brütet. Ägypten sah ich auf einmal vor mir stehen; eine heilige Dämmerung umgab mich; zwischen Pyramiden, Obelisken, ungeheuren Sphinxen, Hieroglyphen verirrte ich mich; ein Schauer überfiel mich. – Da sah ich den Großkophta wandeln; ich sah ihn umgeben von Schülern, die wie mit Ketten an seinen klugen Mund gebunden waren.

GRAF.

Diesmal hat dich deine Einbildungskraft nicht irregeführt. Ja, dieser große herrliche, und ich darf wohl sagen, dieser unsterbliche Greis ist es, von dem ich euch sagte, den ihr zu sehen dereinst hoffen dürfet. In ewiger Jugend wandelt er schon Jahrhunderte auf diesem Erdboden. Indien, Ägypten ist sein liebster Aufenthalt. Nackt betritt er die Wüsten Libyens; sorglos erforscht er dort die Geheimnisse der Natur. Vor seinem gebieterisch hingestreckten Arm stutzt der hungrige Löwe; der grimmige Tiger entflieht vor seinem Schelten, daß die Hand des Weisen ruhig heilsame Wurzeln aufsuche, Steine zu unterscheiden wisse, die wegen ihrer geheimen Kräfte schätzbarer sind als Gold und Diamanten.

DOMHERR.
Und diesen trefflichen Mann sollen wir sehen? Gib mir einen Wink, auf welche Weise es möglich sei?
GRAF.
O du Kurzsichtiger! welche Winke soll ich dir geben? Dir, dessen Augen geschlossen sind!
DOMHERR.
Nur ein Wort!
GRAF.
Es ist genug! – Was der Hörer wissen soll, pflege ich ihm nie zu sagen.
DOMHERR.

Ich brenne vor Begierde, besonders seitdem du mich in den zweiten Grad der Geheimnisse erhoben hast. Oh! daß es möglich wäre, daß du mir auch sogleich den dritten schenktest!

GRAF.
Es kann nicht geschehen!
DOMHERR.
Warum?
[19]
GRAF.
Weil ich noch nicht weiß, wie du die Lehren des zweiten Grades gefaßt haben magst und ausüben wirst.
DOMHERR.
Prüfe mich sogleich.
GRAF.
Es ist jetzt nicht Zeit.
DOMHERR.
Nicht Zeit?
GRAF.

Hast du schon vergessen, daß die Schüler des zweiten Grades ihre Betrachtungen bei Tage und besonders morgens anstellen sollen?

DOMHERR.
So sei es denn morgen bei guter Zeit.
GRAF.

Gut! Nun aber zuvörderst die Buße nicht versäumt! – Hinunter zu den andern in den Garten! – – Aber du sollst einen großen Vorzug vor ihnen haben. – – Wende ihnen den Rücken zu – schaue gegen Mittag. Von Mittag kommt der Großkophta; dieses Geheimnis entdeck ich dir allein. Alle Wünsche deines Herzens eröffne ihm; sprich, so leise du willst, er hört dich.

DOMHERR.
Ich gehorche mit Freuden. Er küßt dem Grafen die Hand und entfernt sich.
5. Auftritt
Fünfter Auftritt
Der Graf. Saint Jean.

SAINT JEAN
der vorsichtig hereintritt.
Hab ich meine Sachen nicht recht gemacht?
GRAF.
Du hast deine Pflicht erfüllt.
SAINT JEAN.

Flogen die Türen nicht auf, als wenn Geister sie voneinander sprengten? Meine Kameraden erschraken und flohen; es hat keiner was gesehen noch gemerkt.

GRAF.

Es mag gut sein! Ich hätte sie auch ohne dich aufgebracht; nur verlangt eine solche Operation mehr Umstände. Ich nehme nur manchmal zu gemeinen Mitteln meine Zuflucht, um die edlen Geister nicht immer zu inkommodieren. Einen Beutel eröffnend. Hier für deine Mühe! Gib dies Geld nicht frevelhaft weg; es ist philosophisches Gold. Es bringt Segen! – – Wenn man's in der Tasche behält, wird sie nie leer.

[20]
SAINT JEAN.
So! da will ich's wohl verwahren.
GRAF.
Wohl, und spare dir immer zwei, drei Goldstücke dazu, du wirst Wunder sehen.
SAINT JEAN.
Haben Sie das Gold selbstgemacht, Herr Graf?
GRAF.
Ich gebe gar kein andres aus.
SAINT JEAN.
Wie glücklich sind Sie!
GRAF.
Weil ich Glückliche mache.
SAINT JEAN.
Ich bin Ihnen mit Leib und Seele ergeben.
GRAF.

Das soll dein Schade nicht sein. Gehe hin und schweige, damit nicht andre diese Quelle kennenlernen. In wenig Zeit sollst du die Stelle haben, um die du gebeten hast.


Bedienter ab.
6. Auftritt
Sechster Auftritt
Der Graf.

DER GRAF.

Glücklicherweise find ich hier eine wohlbesetzte Tafel, ein feines Dessert, treffliche Weine. Der Domherr läßt's nicht fehlen. Wohl, hier kann ich meinen Magen restaurieren, indes die Menschen glauben, ich halte meine vierzigtägigen Fasten. Ich scheine ihnen auch darum ein Halbgott, weil ich ihnen meine Bedürfnisse zu verbergen weiß.

2. Akt

1. Auftritt
Erster Auftritt
Wohnung des Marquis.
Der Marquis, hernach La Fleur.

DER MARQUIS
in einem sehr eleganten Frack vor dem Spiegel.

Geburt, Rang, Gestalt, was sind sie alle gegen das Geld! Wie dank ich der kühnen Industrie meiner Frau, daß sie mir [21] soviel verschafft. Wie anders seh ich aus, da ich nun das erstemal nach meinem Stande gekleidet bin! Ich kann nicht erwarten, bis ich mich öffentlich zeige. Er klingelt.

LA FLEUR.
Was befehlen Sie, gnädiger Herr?
MARQUIS.
Gib mir die Schatulle.
LA FLEUR
bringt sie.
So schwer hab ich noch nie daran getragen.
MARQUIS
indem er die Schatulle öffnet.
Was sagst du, sind diese beiden Uhren nicht schön, die ich gestern kaufte?
LA FLEUR.
Sehr schön.
MARQUIS.
Und diese Dose?
LA FLEUR.
Kostbar und zierlich.
MARQUIS.
Dieser Ring?
LA FLEUR.
Gehört auch Ihnen?
MARQUIS.

Diese Schnallen? Diese Stahlknöpfe? Genug, alles zusammen! Findest du mich nicht elegant und vornehm gekleidet?

LA FLEUR.
Sie zeichnen sich nun auf dem Spaziergange gewiß vor vielen aus.
MARQUIS.

Wie wohl mir das tut! – Aus Not ewig in der Uniform zu gehen, immer in der Menge verloren zu sein, die Aufmerksamkeit keines Menschen zu reizen! Ich hätte lieber tot sein mögen als länger so leben. – Ist die Nichte schon aufgestanden?

LA FLEUR.

Ich glaube kaum. Sie hat wenigstens das Frühstück noch nicht gefordert. Es scheint mir, sie ist erst wieder eingeschlafen, seitdem Sie heute früh von ihr wegschlichen.

MARQUIS.
Unverschämter! – Stille!
LA FLEUR.
Unter uns darf ich doch aufrichtig sein!
MARQUIS.
Wenn dir in Gegenwart meiner Frau so ein Wort entführe!
LA FLEUR.
Glauben Sie nicht, daß ich Herr über meine Lippen bin?
MARQUIS.

Noch kann die Marquise unmöglich etwas argwöhnen. Sie hält die Nichte für ein Kind, in drei Jahren [22] haben sie sich nicht gesehen; ich fürchte, wenn sie das Kind recht ansieht –

LA FLEUR.

Das möchte noch alles gehen. Wenn sie nur nicht die Bekanntschaft mit dem alten Hexenmeister hätte; vor dem fürchte ich mich. Der Mann ist ein Wunder! Alles weiß er, alles verraten ihm seine Geister. Wie ging es im Hause des Domherrn? Der Zauberer entdeckte ein wichtiges Geheimnis, und nun sollte es der Kammerdiener verschwatzt haben.

MARQUIS.
Er ist eben, soviel ich weiß, nicht der größte Freund meiner Frau.
LA FLEUR.
Ach, er bekümmert sich um alles; und wenn er seine Geister fragt, bleibt ihm nichts verborgen.
MARQUIS.
Sollte denn das alles wahr sein, was man von ihm erzählt?
LA FLEUR.
Es zweifelt niemand daran. Nur die Wunder, die ich gewiß weiß –
MARQUIS.
Es ist doch sonderbar! – Sieh zu, es fährt ein Wagen vor.

La Fleur ab.
MARQUIS.

Wenn meine Frau mein Verhältnis zur schönen Nichte erfahren könnte! – Nun, es käme auf den ersten Augenblick an. Wenn sie ihre Plane durchsetzt, wenn ich ihr zum Werkzeug diene, läßt sie mich dann nicht machen, was ich will? – Sie selbst!

2. Auftritt
Zweiter Auftritt
Der Marquis. Die Marquise.

MARQUISE.
Ich komme früher, als ich dachte.
MARQUIS.
Ich freue mich, dich endlich wiederzusehen.
MARQUISE.
Warum kamst du mir nicht auch entgegen? Der Domherr hatte dich eingeladen.
MARQUIS.

Verzeih mir! Ich hatte eben gestern vieles zu berichtigen. [23] Du schriebst mir ja, daß ich mich zu einer Reise vorbereiten sollte.

MARQUISE.

Du hast nicht viel verloren. Der Domherr war unleidlich und die Gesellschaft verstimmt. Zuletzt überraschte uns noch der Graf und jagte uns auseinander. Man muß sich nun einmal die Tollheiten dieses Menschen gefallen lassen.

MARQUIS
lächelnd.
Wie geht es denn mit deiner Unterhandlung? Ironisch. Hast du dich bei Hofe recht eingeschmeichelt?
MARQUISE.

Es ist wahr, wir haben uns lange nicht gesehen. Du warst abwesend, als ich verreiste. Gleich als der Fürst und die Prinzessin auf das Lustschloß hinausgezogen waren, mietete ich mir ein kleines Landhaus in der Nähe und wohnte da ganz im stillen, indes sich der Domherr einbildete, ich sähe die Prinzessin täglich. Ich schickte ihm Boten, ich erhielt Briefe von ihm, und seine Hoffnung war aufs äußerste gespannt. Denn wie unglücklich dieser Mann ist, seitdem ihn sein unkluges Betragen vom Hofe entfernt hat, wie leichtgläubig, wenn seinen Hoffnungen geschmeichelt wird, läßt sich nicht denken. Ich brauchte es nicht so künstlich anzulegen, als ich es getan habe, und ich überredete ihn doch.

MARQUIS.
Aber auf die Länge kann dieses Märchen nicht halten.
MARQUISE.

Dafür laß mich sorgen. Er ist jetzt nahe dem Gipfel seiner Glückseligkeit. Heute nacht, als er mich auf seinem Landhause empfing, brachte ich ihm einen Brief von der Prinzessin –

MARQUIS.
Von der Prinzessin?
MARQUISE.

Den ich selbst geschrieben hatte. Er war in allgemeinen Ausdrücken gefaßt; die Überbringerin, hieß es, würde mehr sagen.

MARQUIS.
Und weiter?
MARQUISE.

Ich kündigte ihm die Gnade der Prinzessin an; ich versicherte ihn, daß sie sich bei ihrem Vater verwenden [24] und die Gnade des Fürsten gewiß für ihn wiedererlangen würde.

MARQUIS.
Gut! aber welchen Vorteil versprichst du dir von allem diesem?
MARQUISE.

Erstlich eine Kleinigkeit, in die wir uns auf der Stelle teilen wollen. Sie zieht einen Beutel hervor.

MARQUIS.
Bestes Weib!
MARQUISE.

Das erhielt ich vom Domherrn, um die Garderobe der Fürstin mir günstig zu machen. Zähle dir nur gleich deine Hälfte davon ab.


Marquis tritt an den Tisch und zählt, ohne auf das, was sie sagt, achtzugeben.
MARQUISE.

aber, wie gesagt, eine Kleinigkeit! – Gelingt mir mein Anschlag, so sind wir auf immer geborgen. – Die Hofjuweliere haben schon lange ein kostbares Halsband liegen, das sie gern verkaufen möchten; der Domherr hat so viel Kredit, daß sie es ihm wohl einhändigen, wenn er ihnen eine terminliche Zahlung garantiert, und ich –

MARQUIS
der nach ihr hinsieht.
Was sagst du von Terminen? von Zahlung?
MARQUISE.
Merkst du denn nicht auf? Du bist so ganz bei dem Gelde.
MARQUIS.

Hier hast du deine Hälfte! Die meine soll gut angewendet werden. Sieh einmal, wie ich mich herausgeputzt habe. Er zeigt sich ihr; dann tritt er vor den Spiegel.

MARQUISE
für sich.
O des eitlen, kleinlichen Menschen!
MARQUIS
sich herumkehrend.
Was wolltest du sagen?
MARQUISE.

Du hättest besser aufgemerkt, wenn du hättest ahnen können, von welcher wichtigen Sache ich sprach. Es ist nichts weniger, als mit einem einzigen Schlage unser ganzes Glück zu machen.

MARQUIS.
Und wie?
MARQUISE.

Erinnerst du dich, von dem kostbaren Halsbande gehört zu haben, das die Hofjuweliere arbeiten [25] ließen, in Hoffnung, der Fürst solle seiner Tochter damit ein Geschenk machen?

MARQUIS.

Ganz recht! Ich habe es sogar diese Woche noch bei ihnen gesehen, als ich diesen Ring kaufte; es ist von unglaublicher Schönheit. Man weiß nicht, ob man die Größe der Steine, ihre Gleichheit, ihr Wasser, die Anzahl oder den Geschmack, womit sie zusammengesetzt sind, am meisten bewundern soll. Ich konnte mich vom Anblick nicht scheiden; dieser Ring verschwand zu nichts dagegen; ich ging recht unzufrieden weg und konnte mir das Halsband einige Tage nicht aus dem Sinne schaffen.

MARQUISE.
Und dieses Halsband soll unser werden!
MARQUIS.
Dieses Halsband? Unser? Du erschreckst mich! Welch ein ungeheurer Gedanke!
MARQUISE.

Glaubst du, daß ich weiter keine Absicht habe, als dir für Uhren, Ringe und Stahlknöpfe zu sorgen? Ich bin gewohnt, armselig zu leben, aber nicht armselig zu denken. – Wir haben uns lange genug elend beholfen, unter unserm Stande, unter der Würde meiner großen Vorfahren leben müssen; jetzt, da sich eine Gelegenheit darbietet, will ich gewiß nicht kleinlich sein und sie entschlüpfen lassen.

MARQUIS.
Aber um's Himmels willen, was ist dein Plan? Wie ist es möglich, ihn auszuführen?
MARQUISE.

Höre mich! Dem Domherrn mach ich glauben, die Prinzessin wünsche das Halsband zu besitzen, und daran sage ich keine ganze Unwahrheit: denn man weiß, daß es ihr außerordentlich gefallen hat und daß sie es gern besessen hätte. Ich sage dem Domherrn ferner: die Prinzessin wünsche das Halsband zu kaufen, und verlange von ihm, daß er nur seinen Namen dazu hergeben solle, daß er den Kauf mit den Juwelieren schließe, die Termine festsetze und allenfalls den ersten Termin bezahle. Sie wolle ihn völlig schadlos halten und diesen Dienst als ein Pfand seiner Treue, seiner Ergebenheit ansehen.

[26]
MARQUIS.
Wie verblendet muß er sein, so viel zu wagen!
MARQUISE.

Er glaubt ganz sicher zu gehen. Auch habe ich ihm schon ein Blatt zugestellt, in welchem die Prinzessin ihm Sicherheit zu versprechen scheint.

MARQUIS.
Liebe Frau, das wird gefährlich!
MARQUISE.

Schäme dich! Mit mir darfst du alles wagen. Ich habe mich schon vorgesehen in Absicht auf die Ausdrücke, die Unterschrift. Sei nur ruhig! – Und wenn alles entdeckt würde, bin ich nicht als ein Seitenzweig der fürstlichen Familie so gut als anerkannt? – Höre nur! Der Domherr ist jetzt voller Freuden über dieses Vertrauen; er sieht darin ein gewisses Zeichen der neugeschenkten Gunst und wünscht nichts sehnlicher, als daß der Kauf zustande und das Halsband schon in ihren Händen sei.

MARQUIS.
Und dieses Halsband denkst du zu unterschlagen?
MARQUISE.

Natürlich! Mache dich nur immer reisefertig. Sobald der Schatz in unsern Händen ist, wollen wir ihn nutzen. Wir brechen den Schmuck auseinander, du gehst nach England hinüber, verkaufest, vertauschest zuerst die kleinen Steine mit Klugheit; ich komme nach, sobald mir meine Sicherheit nicht mehr erlaubt, hier zu bleiben; indessen will ich die Sache schon so führen und so verwirren, daß der Domherr allein steckenbleibt.

MARQUIS.

Es ist ein großes Unternehmen; aber sage mir, fürchtest du dich nicht, in der Nähe des Grafen, dieses großen Zauberers, solch einen Plan zu entwerfen?

MARQUISE.

Ein großer Schelm ist er! Seine Zauberei besteht in seiner Klugheit, in seiner Unverschämtheit. Er fühlt wohl, daß ich ihn kenne. Wir betragen uns gegeneinander, wie sich's gebührt; wir verstehen einander, ohne zu sprechen; wir helfen einander ohne Abrede.

MARQUIS.
Aber die Geister, die er bei sich hat?
MARQUISE.
Possen!
MARQUIS.
Die Wunder, die er tut?
MARQUISE.
Märchen!
MARQUIS.
So viele haben doch gesehen –
[27]
MARQUISE.
Blinde!
MARQUIS.
So viele glauben –
MARQUISE.
Tröpfe!
MARQUIS.
Es ist zu allgemein! Die ganze Welt ist davon überzeugt!
MARQUISE.
Weil sie albern ist!
MARQUIS.
Die Wunderkuren –
MARQUISE.
Scharlatanerie!
MARQUIS.
Das viele Geld, das er besitzt –
MARQUISE.
Mag er auf ebendem Wege erlangt haben, wie wir das Halsband zu erlangen gedenken.
MARQUIS.
Du glaubst also, daß er nicht mehr weiß als ein anderer?
MARQUISE.

Du mußt unterscheiden – wenn du kannst. Er ist kein gemeiner Schelm. Er ist so unternehmend und gewaltsam als klug, so unverschämt als vorsichtig; er spricht so vernünftig als unsinnig; die reinste Wahrheit und die größte Lüge gehn schwesterlich aus seinem Munde hervor. Wenn er aufschneidet, ist es unmöglich zu unterscheiden, ob er dich zum besten hat oder ob er toll ist. – – Und es braucht weit weniger als das, um die Menschen verwirrt zu machen.

JÄCK
hereinspringend.
Ihre Nichte fragt, ob sie aufwarten kann? – Sie ist hübsch, Ihre Nichte!
MARQUISE.
Gefällt sie dir? – Laß sie kommen.

Jäck ab.
MARQUISE.

Ich wollte dich eben fragen, wie dir es gegangen ist, ob du sie glücklich in die Stadt gebracht hast? Wie ist sie geworden? Glaubst du, daß sie ihr Glück machen wird?

MARQUIS.

Sie ist schön, liebenswürdig, sehr angenehm; und gebildeter, als ich glaubte, da sie auf dem Lande erzogen ist.

MARQUISE.

Ihre Mutter war eine kluge Frau, und es fehlte in ihrer Gegend nicht an guter Gesellschaft. – Da ist sie.

[28]
3. Auftritt
Dritter Auftritt
Die Vorigen. Die Nichte.

NICHTE.
Wie glücklich bin ich, Sie wiederzusehen, liebste Tante!
MARQUISE.
Liebe Nichte! Sein Sie mir herzlich willkommen.
MARQUIS.
Guten Morgen, Nichtchen! Wie haben Sie geschlafen?
NICHTE
beschämt.
Ganz wohl.
MARQUISE.
Wie sie groß geworden ist, seit ich sie nicht gesehen habe!
NICHTE.
Es werden drei Jahre sein.
MARQUIS.
Groß, schön, liebenswürdig! Sie ist alles geworden, was ihre Jugend uns weissagte.
MARQUISE
zum Marquis.
Erstaunst du nicht, wie sie unserer Prinzessin gleicht?
MARQUIS.

So obenhin. In der Figur, im Wuchse, in der Größe mag eine allgemeine Ähnlichkeit sein; aber diese Gesichtsbildung gehört ihr allein, und ich denke, sie wird sie nicht vertauschen wollen.

MARQUISE.
Sie haben eine gute Mutter verloren.
NICHTE.
Die ich in Ihnen wiederfinde.
MARQUISE.
Ihr Bruder ist nach den Inseln.
NICHTE.
Ich wünsche, daß er sein Glück mache.
MARQUIS.
Diesen Bruder ersetze ich.
MARQUISE
zum Marquis.
Es ist eine gefährliche Stelle, Marquis!
MARQUIS.
Wir haben Mut.
JÄCK.
Der Ritter! – Er ist noch nicht freundlicher geworden.
MARQUISE.
Er ist willkommen!

Jäck ab.
MARQUISE
zur Nichte.
Sie werden einen liebenswürdigen Mann kennenlernen.
[29]
MARQUIS.
Ich dächte, sie könnte seinesgleichen schon mehr gesehen haben.
4. Auftritt
Vierter Auftritt
Die Vorigen. Der Ritter.

MARQUISE.
Es scheint, Sie haben sowenig geschlafen als ich.
RITTER.

Gewiß, diesmal hat der Graf unsere Geduld sehr geprüft, besonders die meine. Er ließ uns eine völlige Stunde im Garten stehen, dann befahl er uns, in die Wagen zu sitzen und nach Hause zu fahren; er selbst brachte den Domherrn herein.

MARQUISE.
So sind wir denn glücklich alle wieder in der Stadt zusammen.
RITTER.
Ist dieses Frauenzimmer Ihre Nichte, die Sie uns ankündigten?
MARQUISE.
Sie ist's.
RITTER.
Ich bitte, mich ihr vorzustellen.
MARQUISE.
Dies ist der Ritter Greville, mein werter Freund.
NICHTE.
Ich freue mich, eine so angenehme Bekanntschaft zu machen!
RITTER
nachdem er sie aufmerksam betrachtet.

Ihre Tante hat nicht zuviel gesagt; gewiß, Sie werden die schönste Zierde unsers gemeinschaftlichen Kreises sein.

NICHTE.

Ich merke wohl, daß man sich in der großen Welt gewöhnen muß, diese schmeichelhaften Ausdrücke zu hören. Ich fühle meine Unwürdigkeit und bin von Herzen beschämt; noch vor kurzer Zeit würden mich solche Komplimente sehr verlegen gemacht haben.

RITTER.
Wie gut sie spricht!
MARQUISE
setzt sich.
Sagt ich Ihnen nicht voraus, daß sie Ihnen gefährlich werden könnte?
RITTER
setzt sich zu ihr.
Sie scherzen, Marquise!

[30] Marquis ersucht pantomimisch die Nichte, ihm an der Hutkokarde, an dem Stockbande etwas zurechtezumachen; sie tut es, indem sie sich an ein Tischchen der Marquise gegenübersetzt. Der Marquis bleibt bei ihr stehen.
MARQUISE.
Wie haben Sie den Domherrn verlassen?
RITTER.

Er schien verdrießlich und verlegen; ich verdenk es ihm nicht. Der Graf überraschte uns, und ich darf wohl sagen: er kam uns allen zur Unzeit.

MARQUISE.
Und Sie wollten sich mit gewaffneter Hand den Geistern widersetzen?
RITTER.

Ich versichere Sie, schon längst war mir die Arroganz des Grafen unerträglich; ich hätte ihm schon einigemal die Spitze geboten, wenn nicht sein Stand, sein Alter, seine Erfahrung, seine übrigen großen Eigenschaften mehr als seine Güte gegen mich mir wiederum die größte Ehrfurcht einflößten. Ich leugne es nicht, oft ist er mir verdächtig: bald erscheint er mir als ein Lügner, als ein Betrüger; und gleich bin ich wieder durch die Gewalt seiner Gegenwart an ihn gebunden und wie an Ketten gelegt.

MARQUISE.
Wem geht es nicht so?
RITTER.
Auch Ihnen?
MARQUISE.
Auch mir.
RITTER.
Und seine Wunder? Seine Geister?
MARQUISE.

Wir haben so große, so sichere Proben von seiner übernatürlichen Kraft, daß ich gerne meinen Verstand gefangennehme, wenn bei seinem Betragen mein Herz widerstrebt.

RITTER.

Ich bin in dem nämlichen Fall, wenn meine Zweifel gleich stärker sind. Nun aber muß sich's bald entscheiden, heute noch! denn ich weiß nicht, wie er ausweichen will. – Als er uns heute gegen Morgen aus dem Garten erlöste – denn ich muß gestehen, wir gehorchten ihm pünktlich, und keiner wagte nur einen Schritt –, trat er endlich zu uns und rief: »Seid mir gesegnet, die ihr die strafende Hand eines Vaters erkennt und gehorcht. Dafür soll euch der schönste Lohn zugesichert werden. Ich habe tief in [31] eure Herzen gesehn. Ich habe euch redlich gefunden. Dafür sollt ihr heute noch den Großkophta erkennen.«

MARQUISE.
Heute noch?
RITTER.
Er versprach's.
MARQUISE.
Hat er sich erklärt, wie er ihn zeigen will? Wo?
RITTER.
In dem Hause des Domherrn, in der ägyptischen Loge, wo er uns eingeweiht hat. Diesen Abend.
MARQUISE.
Ich verstehe es nicht. Sollte der Großkophta schon angelangt sein?
RITTER.
Es ist mir unbegreiflich!
MARQUISE.
Sollte ihn der Domherr schon kennen und es bis hieher geleugnet haben?
RITTER.

Ich weiß nicht, was ich denken soll; aber es werde nun, wie es wolle, ich bin entschlossen, den Betrüger zu entlarven, sobald ich ihn entdecke.

MARQUISE.

Als Freundin kann ich Ihnen ein so heroisches Unternehmen nicht raten; glauben Sie, daß es so ein leichtes sei?

RITTER.

Was hat er denn für Wunder vor unsern Augen getan? Und wenn er fortfährt, uns mit dem Großkophta aufzuziehen – wenn es am Ende auf eine Mummerei hinausläuft, daß er uns einen Landstreicher seinesgleichen als den Urmeister seiner Kunst aufdringen will: wie leicht werden dem Domherrn, wie leicht der ganzen Schule die Augen zu öffnen sein!

MARQUISE.

Glauben Sie es nicht, Ritter! Die Men schen lieben die Dämmerung mehr als den hellen Tag, und eben in der Dämmerung erscheinen die Gespenster. Und dann denken Sie, welcher Gefahr Sie sich aussetzen, wenn Sie einen solchen Mann durch eine rasche, durch eine übereilte Tat beleidigen. Ich verehre ihn noch immer als ein übernatürliches Wesen. – Seine Großmut, seine Freigebigkeit und sein Wohlwollen gegen Sie! Hat er Sie nicht in das Haus des Domherrn gebracht? Begünstigt er Sie nicht auf alle Weise? Können Sie nicht hoffen, durch ihn Ihr Glück zu machen, wovon Sie als ein dritter Sohn [32] weit entfernt sind? – – Doch Sie sind zerstreut – Irre ich, Ritter? oder Ihre Augen sind mehr auf meine Nichte als Ihr Geist auf mein Gespräch gerichtet!

RITTER.
Verzeihen Sie meine Neugierde. Ein neuer Gegenstand reizt immer.
MARQUISE.
Besonders wenn er reizend ist.
MARQUIS
der bisher mit der Nichte leise gesprochen.
Sie sind zerstreut, und Ihre Blicke scheinen nach jener Seite gerichtet zu sein.
NICHTE.
Ich sah meine Tante an. Sie hat sich nicht geändert, seitdem ich sie gesehen habe.
MARQUIS.
Desto mehr verändert find ich Sie, seitdem der Ritter eingetreten ist.
NICHTE.
Seit diesen wenigen Augenblicken?
MARQUIS.
O ihr Weiber! ihr Weiber!
NICHTE.
Beruhigen Sie sich, Marquis! Was fällt Ihnen ein?
MARQUISE.
Wir machen doch diesen Morgen eine Tour, Nichtchen?
NICHTE.
Wie es Ihnen gefällt.
RITTER.
Darf ich mich zum Begleiter anbieten?
MARQUISE.

Diesmal nicht, es würde Ihnen die Zeit lang werden. Wir fahren von Laden zu Laden. Wir haben viel einzukaufen: denn es muß dieser schönen Gestalt an keinem Putze fehlen. Diesen Abend finden wir uns in der ägyptischen Loge zusammen.

5. Auftritt
Fünfter Auftritt
Die Vorigen. Jäck. Der Graf.

JÄCK.
Der Graf! –
GRAF
der gleich hinter Jäck hereinkommt.

Wird nirgends angemeldet. Keine Tür ist ihm verschlossen, er tritt in alle Gemächer unversehens herein. Und sollte er auch unerwartet, unwillkommen herabfahren wie ein Donnerschlag: so wird er doch nie hinweggehen, ohne, gleich einem [33] wohltätigen Gewitter, Segen und Fruchtbarkeit zurückzulassen.


Jäck, der indes unbeweglich dagestanden, den Grafen angesehen und ihm zugehört, schüttelt den Kopf und geht ab.
DER GRAF
setzt sich und behält in diesem sowie in den vorhergehenden und folgenden Auftritten den Hut auf dem Kopfe, den er höchstens nur, um jemand zu grüßen, lüftet.

Auch Sie treff ich wieder hier, Ritter? Fort mit Ihnen, überlassen Sie sich der Meditation; und diesen Abend zur gesetzten Stunde finden Sie sich in dem Vorzimmer des Domherrn.

RITTER.
Ich gehorche. Und Ihnen allerseits empfehle ich mich. Ab.
NICHTE.
Wer ist dieser Herr?
MARQUIS.
Der Graf Rostro, der größte und wunderbarste aller Sterblichen.
GRAF.
Marquise! Marquise! Wenn ich nicht so nachsichtig wäre, wie würde es um Sie stehen?
MARQUISE.
Wie das, Herr Graf?
GRAF.

Wenn ich nicht so nachsichtig und mächtig zugleich wäre! Ihr seid ein leichtsinniges Volk! Wie oft habt ihr mich nicht fußfällig gebeten, daß ich euch weiter in die Geheimnisse führen soll! Habt ihr nicht versprochen, euch allen Prüfungen zu unterwerfen, wenn ich euch den Großkophta zeigen, wenn ich euch seine Gewalt über die Geister sehen und mit Händen greifen ließe; und was habt ihr gehalten?

MARQUISE.
Keine Vorwürfe, bester Graf! Sie haben uns genug gestraft.
GRAF.

Ich lasse mich erweichen. Nach einigem Nachdenken. Ich sehe wohl, ich muß anders zu Werke gehen und euch durch eine ganz besondere Weihung, durch die kräftigste Anwendung meiner Wundergaben in wenig Augenblicken rein und fähig machen, vor dem Wundermann zu erscheinen. Es ist eine Operation, die, wenn sie nicht gerät, uns allen gefährlich sein kann. Ich sehe es immer [34] lieber, wenn meine Schüler sich selber vorbereiten, damit ich sie als umgeschaffene Menschen ruhig und sicher in die Gesellschaft der Geister führen kann.

MARQUISE.

Lassen Sie uns nicht länger warten. Machen Sie uns noch heute glücklich, wenn es möglich ist. Lieber will ich mich der größten Gefahr aussetzen, die nur einen Augenblick dauert, als mich dem strengen Gebot unterwerfen, das mir monatelang Tage und Nächte raubt.

GRAF.

Leicht wollt ihr alles haben, leicht und bequem! und ihr fragt nicht, wie schwer mir nun die Arbeit werden muß?

MARQUISE.
Ihnen schwer? – Ich wüßte nicht, was Ihnen schwer werden könnte.
GRAF.

Schwer! sauer! und gefährlich! – Glaubt ihr, der Umgang mit Geistern sei eine lustige Sache? Man zwingt sie nicht, wie ihr die Männer, mit einem Blick, mit einem Händedruck. Ihr denkt nicht, daß sie mir widerstehen, daß sie mir zu schaffen machen, daß sie mich überwältigen möchten, daß sie auf jeden meiner Fehler achthaben, mich zu überlisten. Schon zweimal in meinem Leben habe ich gefürchtet, ihnen unterzuliegen; darum trage ich dieses Gewehr – Er zieht ein Terzerol aus der Tasche. – immer bei mir, um mich des Lebens zu berauben, wenn ich fürchten müßte, ihnen untertänig zu werden.

NICHTE
zum Marquis.

Welch ein Mann! Es zittern mir die Knie vor Schrecken! So hab ich nie reden hören! von solchen Dingen hab ich nie reden hören! von solchen Dingen hab ich nichts geträumt!

MARQUIS.
Wenn Sie erst die Einsichten, die Gewalt dieses Mannes kennen sollten, Sie würden erstaunen.
NICHTE.
Er ist gefährlich! mir ist angst und bange!

Der Graf sitzt indes unbeweglich und sieht starr vor sich hin.
MARQUISE.

Wo sind Sie, Graf? Sie scheinen abwesend! – So hören Sie doch! Sie faßt ihn an und schüttelt ihn. Was ist das? Er rührt sich nicht! Hören Sie mich doch!

[35]
MARQUIS
tritt näher.

Sie sind ein Kenner von Steinen, wie hoch schätzen Sie diesen Ring? – – Er hat die Augen auf und sieht mich nicht an.

MARQUISE
die ihn noch bei dem Arm hält.
So steif wie Holz, als wenn kein Leben in ihm wäre!
NICHTE.
Sollte er ohnmächtig geworden sein? Er sprach so heftig! Hier ist etwas zu riechen!
MARQUIS.
Nein doch, er sitzt ja ganz gerade, es ist nichts Hinfälliges an ihm.
MARQUISE.
Stille! er bewegt sich!

Der Marquis und die Nichte treten von ihm weg.
GRAF
sehr laut und heftig, indem er vom Stuhle auffährt.
Hier! halt ein, Schwager! hier will ich aussteigen!
MARQUISE.
Wo sind Sie, Graf?
GRAF
nachdem er tief Atem geholt hat.

Ah – Sehen Sie, so geht mir's! Nach einer Pause. Da haben Sie ein Beispiel! Pause. Ich kann es Ihnen wohl vertrauen. – Ein Freund, der gegenwärtig in Amerika lebt, kam unversehens in große Gefahr; er sprach die Formel aus, die ich ihm anvertraut habe; nun konnte ich nicht widerstehen! Die Seele ward mir aus dem Leibe gezogen, und ich eilte in jene Gegenden. Mit wenig Worten entdeckte er mir sein Anliegen, ich gab ihm schleunigen Rat; nun ist mein Geist wieder hier, verbunden mit der irdischen Hülle, die inzwischen als ein lebloser Klotz zurückblieb. – Pause. Das sonderbarste ist dabei, daß eine solche Abwesenheit sich immer damit endigt, daß es mir vorkommt, ich fahre entsetzlich schnell, sehe meine Wohnung und rufe dem Postillion zu, der eben im Begriff ist, vorbeizufahren. – Hab ich nicht so was ausgerufen?

MARQUISE.
Sie erschreckten uns damit. – Sonderbar und erstaunlich! Leise. Welche Unverschämtheit!
GRAF.

Sie können aber nicht glauben, wie ich ermüdet bin. Mir sind alle Gelenke wie zerschlagen; ich brauche Stunden, um mich wieder zu erholen. Davon ahnet ihr nichts; [36] ihr wähnt, man mache nur alles bequem mit dem Zauberstäbchen.

MARQUIS.
Wunderbarer, verehrungswürdiger Mann! Leise. Welch ein dreister Lügner!
NICHTE
herbeitretend.
Sie haben mir recht bange gemacht, Herr Graf.
GRAF.
Ein gutes, natürliches Kind! Zur Marquise. Ihre Nichte?
MARQUISE.

Ja, Herr Graf! Sie hat vor kurzem ihre Mutter verloren; sie ist auf dem Lande erzogen und erst drei Tage in der Stadt.

GRAF
die Nichte scharf ansehend.
So hat mich Uriel doch nicht betrogen.
MARQUISE.
Hat Ihnen Uriel von meiner Nichte was gesagt?
GRAF.
Nicht geradezu; er hat mich nur auf sie vorbereitet.
NICHTE
leise zum Marquis.
Um Gottes willen, der weiß alles, der wird alles verraten.
MARQUIS
leise.
Bleiben Sie ruhig, wir wollen hören.
GRAF.

Ich war diese Tage sehr verlegen, als ich die wichtige Handlung überdachte, die noch heute vorgehen soll. – Sobald sich euch der Großkophta wird offenbart haben, wird er sich umsehen und fragen: Wo ist die Unschuldige? Wo ist die Taube? Ein unschuldiges Mädchen muß ich ihm stellen. Ich dachte hin und wider, wo ich sie finden, wie ich sie zu uns einführen wollte. Da lächelte Uriel und sagte: »Sei getrost, du wirst sie finden, ohne sie zu suchen. Wenn du von einer großen Reise zurückkehrest, wird die schönste, reinste Taube vor dir stehen.« – Alles ist eingetroffen, wie ich mir's gar nicht denken konnte. Ich komme aus Amerika zurück, und dieses unschuldige Kind steht vor mir.

MARQUIS
leise.
Diesmal hat Uriel gewaltig fehlgegriffen.
NICHTE
leise.
Ich zittre und bebe!
MARQUIS
leise.
So hören Sie doch aus.
[37]
MARQUISE.

Dem Großkophta soll ein unschuldiges Mädchen gebracht werden? Der Großkophta kommt von Orient? Ich hoffe nicht –

GRAF
zur Marquise.

Entfernen Sie alle fremden, alle leichtfertigen Gedanken! Zur Nichte, sanft und freundlich. Treten Sie näher, mein Kind! nicht furchtsam, treten Sie näher! – So! – Ebenso zeigen Sie sich dem Großkophta. Seine scharfen Augen werden Sie prüfen; er wird Sie vor einen blendenden, glänzenden Kristall führen, Sie werden darin die Geister erblicken, die er beruft, Sie werden das Glück genießen, wornach andere vergebens streben, Sie werden Ihre Freunde belehren und sogleich einen großen Rang in der Gesellschaft einnehmen, in die Sie treten, Sie, die jüngste, aber auch die reinste. – – Wetten wir, Marquise! dieses Kind wird Sachen sehen, die den Domherrn höchst glücklich machen. Wetten wir, Marquise?

MARQUISE.
Wetten? Mit Ihnen, der alles weiß?
NICHTE
die bisher ihre Verlegenheit zu verbergen gesucht.
Verschonen Sie mich, Herr Graf! Ich bitte Sie, verschonen Sie mich!
GRAF.
Sein Sie getrost, gutes Kind! die Unschuld hat nichts zu fürchten!
NICHTE
in der äußersten Bewegung.
Ich kann die Geister nicht sehen! ich werde des Todes sein!
GRAF
schmeichelnd.

Fassen Sie Mut. Auch diese Furcht, diese Demut kleidet Sie schön und macht Sie würdig, vor unsre Meister zu treten! Reden Sie ihr zu, Marquise!


Die Marquise spricht heimlich mit der Nichte.
MARQUIS.
Darf ich nicht auch ein Zeuge dieser Wunder sein?
GRAF.

Kaum! Sie sind noch unvorbereiteter als diese Frauen. Sie haben diese ganze Zeit unsere Versammlungen gemieden.

MARQUIS.
Verzeihen Sie, ich war beschäftigt.
[38]
GRAF.
Sich zu putzen, das Sie den Weibern überlassen sollten.
MARQUIS.
Sie sind zu strenge.
GRAF.

Nicht so strenge, daß ich den ausschließen sollte, der mich noch hoffen läßt. Kommen Sie, kommen Sie! Lassen Sie uns eine Viertelstunde spazierengehn. Wenigstens muß ich Sie examinieren und vorbereiten. Leben Sie wohl! Auf Wiedersehn beide!

NICHTE
die den Grafen zurückhält.
Ich bitte, ich beschwöre sie!
GRAF.

Noch einmal, mein Kind: verlassen Sie sich auf mich, daß Ihnen nichts Schreckliches bevorsteht, daß Sie die Unsterblichen mild und freundlich finden werden. Marquise! geben Sie ihr einen Begriff von unsern Versammlungen, belehren Sie das holde Geschöpf. Unser Freund, der Domherr, fragt den Großkophta gewiß nach dem, was ihm zunächst am Herzen liegt; ich bin überzeugt, die Erscheinung wird seine Hoffnungen stärken. Er verdient, zufrieden, verdient, glücklich zu werden; und wie sehr, meine Taube, wird er Sie schätzen, wenn die Geister ihm durch Sie sein Glück verkündigen. Leben Sie wohl. Kommen Sie, Marquis!

NICHTE
dem Grafen nacheilend.
Herr Graf! Herr Graf!
6. Auftritt
Sechster Auftritt
Die Marquise. Die Nichte.
Nichte. Da der Graf und der Marquis abgegangen sind, bleibt sie in einer trostlosen Stellung im Hintergrunde stehen.

MARQUISE
an dem vordern Teile des Theaters für sich.

Ich verstehe diese Winke; ich danke dir, Graf, daß du mich für deines gleichen hältst. Dein Schade soll es nicht sein, daß du mir nutzest. – Er merkt schon lange, daß ich dem Domherrn mit der Hoffnung schmeichle, die Prinzessin für ihn zu gewinnen. Von meinem großen Plan ahnet er nichts; er[39] glaubt, es sei auf kleine Prellereien angelegt. Nun denkt er mir zu nützen, indem er mich braucht; er gibt mir in die Hand, dem Domherrn durch meine Nichte vorzuspiegeln, was ich will, und ich kann es nicht tun, ohne den Glauben des Domherrn an die Geister zu stärken. Wohl, Graf! so müssen Kluge sich verstehen, um törichte leichtgläubige Menschen sich zu unterwerfen. Sich umkehrend. Nichtchen, wo sind Sie? Was machen Sie?

NICHTE.
Ich bin verloren! Geht mit unsichern Schritten auf die Tante los und bleibt auf halbem Wege stehen.
MARQUISE.
Fassen Sie sich, meine Liebe!
NICHTE.
Ich kann – ich werde die Geister nicht sehen!
MARQUISE.
Gutes Kind, dafür lassen Sie mich sorgen. Ich will Ihnen schon raten, schon durchhelfen.
NICHTE.

Hier ist kein Rat, keine Hülfe! Retten Sie mich! Retten Sie eine Unglückliche vor öffentlicher Schmach! Der Zauberer wird mich verwerfen, ich werde keine Geister sehen! Ich werde beschämt vor allen dastehen!

MARQUISE
für sich.
Was kann das bedeuten?
NICHTE.

Auf meinen Knien, ich bitte! Ich flehe! Erretten Sie mich! Alles will ich bekennen! Ach Tante! Ach liebe Tante! Wenn ich Sie noch so nennen darf! Sie sehen kein unschuldiges Mädchen vor sich. Verachten Sie mich nicht! Verstoßen Sie mich nicht!

MARQUISE
für sich.
Unerwartet genug! Gegen die Nichte. Stehn Sie auf, mein Kind!
NICHTE.

Ich vermöchte nicht, wenn ich auch wollte! Meine Knie tragen mich nicht! Es tut mir wohl, so vor Ihnen zu liegen. Nur in dieser Stellung darf ich sagen: vielleicht bin ich zu entschuldigen! Meine Jugend! Meine Unerfahrenheit! Mein Zustand! Meine Leichtgläubigkeit –

MARQUISE.

Unter den Augen Ihrer Mutter glaubt ich Sie sicherer als in einem Kloster. Stehen Sie auf. Sie hebt die Nichte auf.

NICHTE.
Ach! Soll ich sagen, soll ich gestehn?
[40]
MARQUISE.
Nun?
NICHTE.
Erst seit dem Tode meiner Mutter ist die Ruhe, die Glückseligkeit von mir gewichen.
MARQUISE.
Wie? Abgewendet. Sollt es möglich sein? Laut. Reden Sie weiter!
NICHTE.

O Sie werden mich hassen! Sie werden mich verwerfen! Unglückseliger Tag, an dem Ihre Güte selbst mich zugrunde richtete!

MARQUISE.
Erklären Sie sich!
NICHTE.

O Gott! Wie schwer ist es auszusprechen, was uns ein unglücklicher Augenblick so süß vorschmeichelt! – Vergeben Sie, daß ich ihn liebenswürdig fand! Wie liebenswürdig war er! Der erste Mann, der mir die Hand mit Inbrunst drückte, mir in die Augen sah und schwur, er liebe mich. Und in welcher Zeit? In den Augenblicken, da mein Herz, von dem traurigsten Verluste lange unaussprechlich gepreßt, sich endlich in heißen Tränen Luft machte, weich, ganz weich war; da ich in der öden Welt um mich her durch die Wolken des Jammers nur Mangel und Kummer erblickte; wie erschien er mir da als ein Engel; der Mann, den ich schon in meiner Kindheit verehrt hatte, erschien als mein Tröster! Er drückte sein Herz an das meinige. – Ich vergaß, daß er nie der Meine werden konnte – daß er Ihnen angehört – Es ist ausgesprochen! – Sie wenden Ihr Gesicht von mir weg? Hassen Sie mich, ich verdiene es! Verstoßen Sie mich! Lassen Sie mich sterben! Sie wirft sich in einen Sessel.

MARQUISE
für sich.

Verführt – durch meinen Gemahl! – Beides überrascht mich, beides kommt mir ungelegen. – – Fasse dich! – Weg mit allen kleinen beschränkten Gesinnungen! Hier ist die Frage, ob du nicht auch diesen Umstand benutzen kannst? – – Gewiß! – – Oh! sie wird nur desto geschmeidiger sein, mir blindlings gehorchen – – und über meinen Mann gibt mir diese Entdeckung auch neue Vorteile. – Wenn ich meine Absichten erreiche, so ist mir das übrige alles gleichgültig! –Laut. Kommen [41] Sie, Nichte, erholen Sie sich! Sie sind ein gutes, braves Kind! Alles vergebe ich! Kommen Sie, werfen Sie Ihren Schleier über, wir wollen ausfahren, Sie müssen sich zerstreuen.

NICHTE
indem sie aufsteht und der Marquise um den Hals fällt.
Beste, liebste Tante, wie beschämen Sie mich!
MARQUISE.

Sie sollen eine Freundin, eine Vertraute an mir finden. Nur der Marquis darf nicht wissen, daß ich es bin; wir wollen ihm die Verlegenheit ersparen.

NICHTE.
Welche Großmut!
MARQUISE.
Sie werden ihn auf eine geschickte Weise vermeiden; ich werde Ihnen behülflich sein.
NICHTE.
Ich bin ganz in Ihren Händen!
MARQUISE.

Und was die Geister betrifft, will ich Ihnen die wunderbarsten Geheimnisse entdecken; und Sie sollen diese fürchterliche Gesellschaft lustig genug finden. Kommen Sie! Kommen Sie nur!

3. Akt

1. Auftritt
Erster Auftritt
Zimmer des Domherrn.
Im Grunde ein Kamin, auf dessen beiden Seiten zwei Bilder in Lebensgröße, eines ältlichen Herrn und einer jungen Dame.

DER DOMHERR
Papiere in der Hand haltend.

Soll ich denn wieder einmal, angebetete Fürstin, vor dein schönes Bild mit hoffnungsvoller Freude treten! Soll die Sehnsucht, die zu dir hinaufblickt, endlich einigen Trost von deinen Lippen erwarten dürfen! – Noch schweb ich in Ungewißheit. Diese köstlichen Züge seh ich vor mir – Auf die Papiere deutend. ich erkenne deine Hand, ich fühle deine Gesinnungen; [42] aber noch ist es nur allgemeine Höflichkeit, noch steht keine Silbe von dem, was ich so heftig wünsche, auf diesen Blättern. – Tor! und was verlangst du? – Ist es nicht schon genug, daß sie schreibt? Dir so viel schreibt. Und wäre nicht ihr bloßer Namenszug schon ein Zeuge ihrer glücklich veränderten Gesinnungen? – Veränderten? – Nein, sie hat sich nie verändert. Sie schwieg, als man mich verstieß; sie verstellte sich, um mir zu nutzen. Und nun belohnt sie mich mit zehnfachem Vertrauen und wird bald Gelegenheit finden, mich wieder heraufzuführen. – Sie wünscht das kostbare Halsband, sie gibt mir den Auftrag, ohne Vorbewußt ihres Vaters ihr dieses Kleinod zu verschaffen, sie sendet mir ihre Garantie, sie wird wegen der Zahlungen immer in Verbindung mit mir bleiben; gerne lege ich den ersten Termin aus, um sie noch fester an mich zu knüpfen. – Ja, du wirst – du wirst – darf ich es in der Gegenwart deines Bildes aussprechen? – du wirst mein sein! – Welch ein Wort! – Welch ein Gedanke! – Schon füllt die Glückseligkeit wieder ganz mein Herz aus. Ja! dieses Bild scheint wieder sich zu bewegen, mir zu lächeln, mir freundlich zuzuwinken. – Schon hebt sich der Ernst von des Fürsten Stirne hinweg. Huldreich sieht er mich an, wie in jenen Tagen, als er mir diese kostbaren Gemälde unvermutet schenkte. Und sie! – Komm herab, Göttin, herab! – Oder hebe mich zu dir hinauf, wenn ich nicht vor deinen Augen sterben soll!

2. Auftritt
Zweiter Auftritt
Der Domherr. Ein Bedienter, hernach die Hofjuweliere.

BEDIENTER.
Euer Gnaden haben die Hofjuweliere befohlen; sie sind vor der Türe.
DOMHERR.

Laß sie hereinkommen! Zu den Juwelieren. Nun, wie sind Sie mit dem Entwurfe [43] des Kontrakts zufrieden, den ich Ihnen zugeschickt habe?

JUWELIER.
Wegen der Summe hätten wir noch einige Erinnerungen zu machen.
DOMHERR.

Ich dächte doch, der Schmuck wäre gut bezahlt. Sie finden nicht leicht einen Käufer. Liegt Ihnen das Halsband nicht schon ein Jahr müßig?

JUWELIER.
Leider! – Und dann – Verzeihen Sie, gnädiger Herr –
DOMHERR.
Was ist's noch?
JUWELIER.

Wenn wir auch mit der gebotenen Summe uns begnügen und sie in den festgesetzten Terminen annehmen wollten, so werden Sie doch nicht ungnädig nehmen, wenn wir auf Ihre bloße handschriftliche Versicherung ein so kostbares Stück abzuliefern Bedenken tragen. Es ist gewiß nicht Mißtrauen; nur unsre Sicherheit in einem so wichtigen Geschäfte –

DOMHERR.

Ich verdenke Ihnen nicht, daß Sie mir eine so große Summe nicht geradezu anvertrauen wollen. Ich habe Ihnen aber schon gesagt, daß ich das Halsband nicht für mich, sondern für eine Dame kaufe, die allerdings so viel Kredit bei Ihnen haben sollte.

JUWELIER.
Wir trauen völlig Ihren Worten und wünschten nur eine Zeile von der Hand unsrer gnädigsten Käuferin.
DOMHERR.

Ich sagte Ihnen schon, daß es nicht angeht, und empfehle Ihnen nochmals das Geheimnis. Genug, ich werde Ihr Schuldner. Damit Sie aber nicht glauben, als handelte ich übereilt und hätte nicht gewußt, mich und Sie zu decken: so lesen Sie hier. Er gibt ihnen ein Papier und spricht für sich, indem sie es lesen. Zwar hat die Marquise ausdrücklich verlangt, ich soll das Blatt niemanden zeigen, soll es nur zu meiner eigenen Sicherheit verwahren. – Wenn nun aber diese Leute auch an ihre Sicherheit denken, wenn sie nun auch wissen wollen, wer mir und ihnen für eine so große Summe steht – Laut. Was sagen Sie nun, meine Herren?

[44]
JUWELIER
indem er das Blatt zurückgibt.

Wir bitten um Vergebung, wir zweifeln keinen Augenblick. – Auch ohne dies würden wir das Halsband ausgeliefert haben. Hier ist es. Wäre es gefällig, den Kontrakt zu unterschreiben?

DOMHERR.

Sehr gern. Er unterschreibt und wechselt das Papier gegen das Schmuckkästchen aus. Leben Sie wohl, meine Herren! Die Termine sollen richtig abgetragen werden, und künftig haben wir mehr miteinander zu tun.


Die Juweliere, gehen mit tiefen Verbeugungen ab.
3. Auftritt
Dritter Auftritt
Domherr, nachher ein Bedienter, dann Jäck.

DOMHERR
indem er das Halsband betrachtet.

Kostbar, sehr kostbar! – und wert des schlanken weißen Halses, der dich tragen soll, wert des himmlischen Busens, den du berühren wirst. Eile zu ihr, glänzender Schmuck, damit sie einen Augenblick lächle und gefällig an den Mann denke, der viel wagt, um ihr diese Freude zu verschaffen. Geh, sei ihr ein Zeuge, daß ich alles für sie zu tun bereit bin. Den Schmuck ansehend. Wäre ich ein König, du solltest sie als ein Geschenk überraschen und bald durch kostbarere Geschenke wieder verdunkelt werden. – Ach, wie betrübt's mich, wie demütigt's mich, daß ich jetzt nur den Mäkler machen kann!

BEDIENTER
ein Billett bringend.
Ein Bote von der Marquise!
DOMHERR.
Er soll warten.

Bedienter ab.
DOMHERR
liest.

»Wenn der Schmuck in Ihren Händen ist, so geben Sie ihn gleich dem Überbringer. Ich habe die schönste Gelegenheit, ihn hinauszuschicken; eine Kammerfrau ist in der Stadt; ich schicke verschiedene Putzwaren an die [45] Göttliche und packe die Juwelen bei. Der Lohn für diesen kleinen Dienst erwartet Sie schon heute nacht. In einer Viertelstunde bin ich bei Ihnen. Was steht uns nicht heute bevor! Das Angesicht des Großkophta und das Angesicht eines Engels. Leben Sie wohl, liebster Auserwählter. Verbrennen Sie dies Blatt.«

Traue ich meinen Augen? Noch heute nacht? Geschwinde! geschwinde! Sei der Vorläufer des Glücklichsten unter allen Sterblichen. Er schreibt wenige Worte und siegelt das Schmuckkästchen ein. Warum muß auch heute sich alles zusammendrängen? Soll ein einziger Abend mich für soviel Langeweile, soviel Ungeduld und Schmerzen entschädigen? Erscheine, sehnlich erwarteter Zeitpunkt meines Glücks! Führet mich, ihr Geister, ins Heiligtum der geheimen Kenntnisse; führe mich, o Liebe, in dein Heiligtum! Er klingelt.


Bedienter tritt ein.
DOMHERR.
Wer ist von der Marquise da?
BEDIENTER.
Ihr Jäck.
DOMHERR.
Laß ihn hereinkommen!

Bedienter ab.
DOMHERR.
Ich habe keine Ruhe, bis ich das Kleinod in ihren Händen weiß.
JÄCK
tritt auf.
Was befehlen Ihro Gnaden?
DOMHERR.
Bringe dies Paket deiner gnädigen Frau. Eile und halt es fest, damit du es nicht etwa verlierst.
JÄCK.
Sowenig als meinen Kopf.
DOMHERR.
Du bist so leichtsinnig.
JÄCK.
Nicht im Bestellen.
DOMHERR.
So geh hin.
JÄCK.
Gnädiger Herr! Sie verwöhnen die Boten.
DOMHERR.
Ich verstehe. Gibt dem Knaben Geld. Hier, wende es wohl an!
JÄCK.

Ich geb es gleich aus, damit ich es nicht verliere. Ich [46] danke untertänig! Halblaut, als spräche er für sich, doch so, daß es der Domherr hören kann. Welch ein Herr! Fürst verdient er zu sein!Mit vielen mutwilligen Bücklingen ab.

DOMHERR.

Eile nur! eile! – Wie glücklich, daß ich diesen Auftrag so schnell ausrichten konnte! – Nur das einzige macht mit Sorge, daß ich es dem Grafen verbergen mußte. – Es war der Fürstin ausdrücklicher Wille. – O ihr guten Geister, die ihr mir so sichtbar beistandet, bleibt auf meiner Seite und verbergt die Geschichte nur auf kurze Zeit eurem Meister!

4. Auftritt
Vierter Auftritt
Domherr. Ritter. Bedienter.

ST.
JEAN. Der Ritter.
DOMHERR.
Drei Sessel!

St. Jean stellt die Sessel.
RITTER.

Hier bin ich! Kaum habe ich diesen Augenblick erwarten können. Schon lange geh ich ungeduldig auf der Promenade hin und wider; es schlägt die Stunde, und ich fliege hieher.

DOMHERR.
Sein Sie mir willkommen.
RITTER.

Den Grafen fand ich auf der Treppe. Er redete mich liebreich an, mit einem sanften Tone, den ich nicht an ihm gewohnt bin. Er wird gleich hier sein.

DOMHERR.
Ist er hinüber ins Logenzimmer gegangen?
RITTER.
So schien mir's.
DOMHERR.

Er bereitet sich zu feierlichen Handlungen, Sie erst hier in den zweiten Grad aufzunehmen, dann mich in den dritten zu erheben und uns dem Großkophta vorzustellen.

RITTER.

Ja, er hatte die Miene eines Wohltäters, eines Vaters. Diese Miene ließ mich viel hoffen. O wie schön glänzt die Güte vom Angesicht des Gewaltigen!

[47]
5. Auftritt
Fünfter Auftritt
Die Vorigen. Der Graf.

GRAF
indem er seinen Hut abnimmt und gleich wieder aufsetzt.
Ich grüße euch, Männer des zweiten Grades!
DOMHERR.
Wir danken dir!
RITTER.
Nennst du mich auch schon so?
GRAF.
Den ich so grüße, der ist's. Er setzt sich auf den mittelsten Sessel. Bedeckt euch.
DOMHERR.
Du befiehlst es! Er setzt auf.
GRAF.
Ich befehle nicht. Ihr bedient euch eures Rechtes; ich erinnere euch nur.
RITTER
beiseite, indem er den Hut aufsetzt.

Welche Milde! Welche Nachsicht! Ich brenne vor Begierde, die Geheimnisse des zweiten Grades zu hören.

GRAF.
Setzt euch, meine Freunde, setzt euch, meine Gehülfen!
DOMHERR.

Die Gehülfen sollten vor dem Meister stehen, um, gleich dienstbaren Geistern, seine Befehle schleunig auszurichten.

GRAF.
Wohl gesprochen! Aber sie sitzen bei ihm, weil sie seine Räte mehr als seine Diener sind.

Beide setzen sich.
GRAF
zum Ritter.
Wie nennt man die Männer des zweiten Grades?
RITTER.
Wenn ich eben recht hörte: Gehülfen.
GRAF.
Warum mögen sie diesen Namen tragen?
RITTER.

Wahrscheinlich, weil sie der Meister aufgeklärt und tätig genug findet, zu seinen Absichten mitzuwirken und seine Zwecke zu erfüllen.

GRAF.
Was denkst du von den Endzwecken dieses Grades?
RITTER.

Ich kann mir nichts anders denken, als daß wir nun erst ausüben sollen, was uns der erste Grad gelehrt hat. Dem Schüler zeigt man von weitem, was zu tun ist; dem [48] Gehülfen gibt man die Mittel an die Hand, wie er das Ziel erreichen könne.

GRAF.
Was ist das Ziel, das man den Schülern vorsteckt?
RITTER.
Das eigene Beste in dem Besten der andern zu suchen.
GRAF.
Was erwartet nun der antretende Gehülfe?
RITTER.
Daß ihm der Meister die Mittel anzeigen soll, das allgemeine Beste zu befördern.
GRAF.
Erkläre dich näher.
RITTER.

Du weißt besser als ich selbst, was ich zu sagen habe. In jedes gute Herz ist das edle Gefühl von der Natur gelegt, daß es für sich allein nicht glücklich sein kann, daß es sein Glück in dem Wohl der andern suchen muß. Dieses schöne Gefühl weißt du in den Schülern des ersten Grades zu erregen, zu stärken, zu beleben! – Und wie nötig ist es, uns zum Guten Mut zu machen! Unser Herz, das von Kindheit an nur in der Geselligkeit sein Glück findet, das sich so gern hingibt und nur dann am höchsten und reinsten genießt, wenn es sich für einen geliebten Gegenstand aufopfern kann – ach! dieses Herz wird leider durch den Sturm der Welt aus seinen liebsten Träumen gerissen! Was wir geben können, will niemand nehmen; wo wir zu wirken streben, will niemand helfen; wir suchen und versuchen und finden uns bald in der Einsamkeit.

GRAF
nach einer Pause.
Weiter, mein Sohn.
RITTER.

Und was noch schlimmer ist, mutlos und klein. Wer beschreibt die Schmerzen eines verkannten, von allen Seiten zurückgestoßenen menschenfreundlichen Herzens? Wer drückt die langen, langsamen Qualen eines Gemüts aus, das, zu wohltätiger Teilnehmung geboren, ungern seine Wünsche und Hoffnungen aufgibt und sich doch zuletzt derselben auf ewig entäußern muß? Glücklich, wenn es ihm noch möglich wird, eine Gattin, einen Freund zu finden, denen er das einzeln schenken kann, was dem ganzen Menschengeschlechte zugedacht war; [49] wenn er Kindern, wenn er – Tieren nützlich und wohltätig sein kann!

GRAF.
Ihr habt noch mehr zu sagen, fahrt fort.
RITTER.

Ja, dieses schöne Gefühl belebt Ihr in Euren Schülern aufs neue. Ihr gebt ihnen Hoffnung, daß die Hindernisse, die dem sittlichen Menschen entgegenstehen, nicht unüberwindlich sei'n, daß es möglich sei, sich nicht allein zu kennen, sondern sich auch zu bessern; daß es möglich sei, die Rechte der Menschen nicht nur einzusehen, sondern auch geltend zu machen, und indem man für andere arbeitet, zugleich den einzigen schönen Lohn für sich gewinnen –

GRAF
zum Domherrn, der sich bisher unruhig auf seinem Sessel bewegt hat.
Was sagt Ihr zu diesen Äußerungen unsers Ritters?
DOMHERR
lächelnd.
Daß sie von einem Schüler kommen und von keinem Gefährten.
RITTER.
Wie?
DOMHERR.
Es ist nicht von ihm zu verlangen, er muß belehrt werden.
RITTER.
Was?
DOMHERR.
Sage mir den Wahlspruch des ersten Grades.
RITTER.
Was du willst, daß die Menschen für dich tun sollen, das tue für sie.
DOMHERR.

Vernimm dagegen den Wahlspruch des zweiten Grades: Was du willst, daß die Menschen für dich tun sollen, das tue für sie nicht.

RITTER
aufspringend.
Nicht? Hat man mich zum besten? – Darf ein vernünftiger, ein edler Mensch so reden?
GRAF.

Setze dich nieder und höre zu. Zum Domherrn. Wo ist der Mittelpunkt der Welt, auf den sich alles beziehen muß?

DOMHERR.
In unserm Herzen.
GRAF.
Was ist unser höchstes Gesetz?
DOMHERR.
Unser eigener Vorteil.
GRAF.
Was lehrt uns der zweite Grad?
DOMHERR.
Weise und klug zu sein.
[50]
GRAF.
Wer ist der Weiseste?
DOMHERR.
Der nichts anders weiß noch will als das, was begegnet.
GRAF.
Wer ist der Klügste?
DOMHERR.
Der in allem, was ihm begegnet, seinen Vorteil findet.
RITTER
der wieder aufspringt.
Entlaßt mich! Es ist mir unmöglich, es ist mir unerträglich, solche Reden zu hören.
DOMHERR
halb lachend.

Ging es mir doch beinahe ebenso wie Ihnen. Zum Grafen. Es ist ihm zu verzeihen, daß er sich so ungebärdig stellt. Zum Ritter: Beruhigen Sie sich, Sie werden schon über sich selbst lachen und uns das Lächeln verzeihen, das Sie in diesem Augenblick verdrießt. Aus dem Felde der jugendlichen Schwärmerei, worin der Meister seine Schüler gängelt, glaubt man über eine goldene Brücke in eine reizende Feenwelt hinübergeführt zu werden. Und freilich ist es unerwartet, wenn man unsanft in die wirkliche Welt wieder zurückgebracht wird, aus der man sich zu entfernen glaubte.

RITTER.
Meine Herren, Sie erlauben, daß ich gehe, daß ich mich von meinem Erstaunen erhole.
DOMHERR.

Gehn Sie nur, gehn Sie und sehn Sie sich in der Welt, sehn Sie sich in Ihrem Herzen um. Bedauren Sie meinetwegen die Toren; aber ziehen Sie Vorteil aus der Torheit. Sehn Sie, wie jeder vom andern soviel als möglich zu nehmen sucht, um ihm sowenig als möglich zurückzugeben. Jeder mag lieber befehlen als dienen, lieber sich tragen lassen als tragen. Jeder fordert reichlich Achtung und Ehre und gibt sie so spärlich als möglich zurück. Alle Menschen sind Egoisten; nur ein Schüler, nur ein Tor kann sie ändern wollen. Nur wer sich selbst nicht kennt, wird leugnen: daß es in seinem Herzen ebenso bestellt sei.

RITTER.
Wohin bin ich geraten!
DOMHERR.

Diesen Lauf der Welt wird Ihnen der Meister im zweiten Grade ganz enthüllen. Er wird Ihnen zeigen, daß [51] man von den Menschen nichts verlangen kann, ohne sie zum besten zu haben und ihrem Eigensinne zu schmeicheln; daß man sich unversöhnliche Feinde macht, wenn man die Albernen aufklären, die Nachtwandler aufwecken und die Verirrten zurechtweisen will; daß alle vorzüglichen Menschen nur Marktschreier waren und sind – klug genug, ihr Ansehn und ihr Einkommen auf die Gebrechen der Menschheit zu gründen.

RITTER.
Abscheulich! Abscheulich!
GRAF.

Es sei genug! Er mag nun selbst denken; und noch ein Wort, eh wir uns trennen. Wie nennt man den ersten Grad?

DOMHERR.
Die Lehre.
GRAF.
Warum?
DOMHERR.
Damit die Schüler glauben, sie lernen etwas.
GRAF.
Wie nennt man den zweiten Grad?
DOMHERR.
Die Prüfung.
GRAF.
Und weswegen?
DOMHERR.
Weil der Kopf eines Menschen darin geprüft wird und man sieht, zu was er fähig ist.
GRAF.
Vortrefflich! Leise zum Domherrn. Laß uns allein; ich muß diesen Trotzkopf zu begütigen suchen.
DOMHERR.
Ich hoffte, du würdest meine Wünsche erhören und mich in den dritten Grad erheben.
GRAF.

Ich darf dem Großkophta nicht vorgreifen. Warte seine Erscheinung ab; in kurzer Zeit werden alle deine Wünsche befriedigt sein.

6. Auftritt
Sechster Auftritt
Der Graf. Der Ritter.

GRAF.
Junger Mann!
RITTER
der indessen nachdenklich und unbeweglich gestanden.
Leben Sie wohl, Herr Graf!
GRAF.
Wo wollen Sie hin? Ich lasse Sie nicht weg.
[52]
RITTER.
Halten Sie mich nicht! Ich lasse mich nicht halten!
GRAF.
Bleiben Sie!
RITTER.

Nicht länger, als bis ich Ihnen Dank gesagt für das Gute, das Sie mir erzeigt, für die Bekanntschaften, die Sie mir gemacht, für den guten Willen, den Sie mir versichert. Und nun leben Sie wohl! auf ewig wohl! denn ich möchte mich nicht undankbar zeigen gegen meinen Wohltäter. Leben Sie wohl! und lassen mich nur noch das sagen: Ihre Wohltaten beschämten mich nicht, denn ich glaubte sie einem edlen großen Manne zu verdanken.

GRAF.
Weiter! weiter! Reden Sie aus, eher kommen Sie nicht von der Stelle.
RITTER.

Sie wollen es? Sie befehlen es? Es sei denn! O Graf! wie haben Sie in dieser Viertelstunde mein Glück, meine Hoffnungen zernichtet! Haben Sie mich nicht besser gekannt, nicht besser beurteilt?

GRAF.

Worin hab ich mich denn so sehr betrogen? Ich lernte Sie als einen jungen Mann kennen, der sein Glück zu machen wünschte; der mit Eifer, ja mit Heftigkeit nach Rang, nach Vermögen strebte, und desto heftiger, je weniger ihm seine Lage Ansprüche zu großen Hoffnungen erlaubte.

RITTER.

Wohl! Aber zeigte ich mich nicht auch mit einem Herzen, das niedrige, gewöhnliche Mittel verschmähete? Wünschte ich nicht meine beste Empfehlung von meiner Redlichkeit, meiner Gesetzlichkeit, meiner Treue, von allen jenen Eigenschaften, die einen edlen Mann, die einen Soldaten zieren? – Und nun?

GRAF.
Und nun erschrecken Sie über den Fuchspelz, mit dem Sie Ihre Löwenmähne bedecken sollten.
RITTER.

Scherzen Sie nur, ich will ernsthaft reden; ernsthaft zum letzten Male mit einem Manne, den ich für meinen Freund hielt. Ja, ich gesteh es Ihnen: Ihr Betragen war mir längst verdächtig. Diese geheimen Wissenschaften, in deren Vorhof mir dunkler ward als vorher in der [53] freien Welt, diese wunderbaren Kräfte, die uns auf guten Glauben versichert wurden, diese Verwandtschaft mit Geistern, diese unfruchtbaren Zeremonien, alles weissagte mir nichts Gutes; nur die Großheit Ihrer Gesinnungen, die ich in vielen Fällen kennenlernte, die Entäußerung von jedem Eigennutz, Ihre Teilnehmung, Ihre Dienstfertigkeit, Ihre Freigebigkeit, das alles deutete mir dagegen auf einen tiefen Grund eines edlen Herzens. Ich hing an Ihrem Munde, saugte Ihre Lehren ein bis auf diesen Augenblick, der alle meine Hoffnungen zerstörte. Leben Sie wohl! – Wenn ich je ein kleinlicher, niedriger Schelm werden, wenn ich dem Strome nachschwimmen und nur einen augenblicklichen elenden Vorteil für mich zum Schaden der andern gewinnen sollte: so bedurft es nicht dieser Vorbereitungen, dieser Anstalten, die mich beschämen und erniedrigen. Ich verlasse Sie! Aus mir werde, was da will.

GRAF.
Ritter, sehen Sie mich an!
RITTER.
Was verlangen Sie von mir?
GRAF.
Was Sie mich tun sehn, tun Sie auch. Er nimmt den Hut ab.
RITTER.
Sollen wir mit Zeremonien scheiden?
GRAF.
Selbst die Höflichkeit gebietet Ihnen, zu folgen.
RITTER
indem er den Hut abnimmt.
Nun denn, so empfehle ich mich Ihnen.
GRAF
der seinen Hut wegwirft.
Nun, Ritter?
RITTER.
Was soll das?
GRAF.
Ich verlange, daß Sie mir nachfolgen.
RITTER
der seinen Hut wegwirft.
So sei denn zum letzten Male etwas Unverständliches, etwas Törichtes getan!
GRAF.

Nicht so töricht, wie du glaubst. Er geht mit offnen Armen auf ihn zu. Siehe mich von Angesicht zu Angesicht, du Erwählter. Komm in meine Arme, schließe dich an meine Brust, erhabener Meister!

RITTER.
Was soll das? Lassen Sie mich los!
GRAF.

Niemals, wenn ich dich nicht eher lassen sollte, als [54] bis meine Freude über diesen meinen trefflichen Freund erschöpft wäre!

RITTER.
Erklärt Euch, Ihr macht mich verwirrt.
GRAF.
Erinnerst du dich, wie nannte der Domherr den zweiten Grad?
RITTER.
Mich dünkt: die Prüfung.
GRAF.
Gut, die hast du überstanden.
RITTER.
Erklärt Euch !
GRAF.
Laß mich erst meine lebhafteste Freude in diesen Umarmungen ausdrücken.
RITTER.
Ich verstumme!
GRAF.
Wie selten hab ich sie genossen! Ich wünsche Euch Glück und mir.
RITTER.
Laß mich nicht länger in Ungewißheit.
GRAF.

Du hast das sonderbarste Abenteuer überstanden, du hast dir die Würde eines Meisters selbst gegeben, du hast dir die Vorzüge des dritten Grades wie mit stürmender Faust erobert.

RITTER.
Noch immer bin ich in Zweifel und Ungewißheit!
GRAF.

Ich wünschte nun, daß dein Verstand dir er klärte, was dein Herz ausgeübt hat; mit weniger Aufmerksamkeit wirst du es leicht. Was waren deine Hoffnungen als Schüler des ersten Grades?

RITTER.

Besser zu werden, als ich bin, und, durch Eure Hülfe, das Gute, was ich erkenne, in Ausübung zu bringen.

GRAF.
Und was erfuhrst du, als du aus dem Munde des Domherrn die Grundsätze des zweiten Grades vernahmst?
RITTER.

Ich erfuhr zu meinem Entsetzen: daß Ihr Euch bisher nur verstelltet und die Schüler zum besten hattet; daß man die, die Ihr Gehülfen nennt, zu weltklugen Menschen machen, sie zu Egoisten stempeln, die zartesten Empfindungen der Freundschaft, der Liebe, der Treue und jeder schönen Anforderung, die unser Herz unwiderstehlich macht, aus ihrem Busen reißen und sie, ich darf es wohl sagen, zu gemeinen, ganz gemeinen, schlechten, ganz [55] schlechten Menschen machen wollte. Du weißt, mit welchem Abscheu ich diesen Übergang verwarf. Weiter hab ich nichts zu sagen: ich verändere meine Gesinnungen nicht, und – entlaß mich!

GRAF.

Eben deswegen schließ ich dich an mein Herz, werfe meinen Hut vor dir weg und grüße dich als Meister. Du hast die Prüfung überstanden, du bist der Versuchung entgangen, du hast dich als einen Mann gezeigt, den ich suche. Alles, was du aus dem Munde des Domherrn gehört hast, was leider dieser Unglückliche nebst mehrern andern für Wahrheit hält, ist nur Prüfung, nur Versuchung. Wenn die erhabenen, großen, uneigennützigen Meister einen Lehrling, der sich gut anläßt, weiter vorwärts führen wollen, so versuchen sie ihn erst, und am sichersten geschieht es, wenn sie ihm die scheinbaren Vorteile eines eigennützigen Betragens vorlegen. Greift er darnach, so tut er einen Schritt zurück, indem er glaubt, einen vorwärts zu tun. Wir lassen ihn lange Zeit in seinem Sinne hingehen, und glücklich ist er, wenn wir ihn nach und nach durch große Umwege zum Licht führen.

RITTER.

Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Glaubt denn der Domherr, daß die Grundsätze, die er mir mit soviel Behaglichkeit vorgetragen, die rechten, die wahren sind?

GRAF.
Freilich glaubt er's, der Unglückliche!
RITTER.
Und du, sein Busenfreund, ziehst ihn nicht aus diesem Irrtum?
GRAF.

Ich arbeite daran. Es ist aber schwerer, als du denkst. Der Eigendünkel eines halbklugen Egoisten hebt ihn über alle Menschen hinweg; indem er sie zu übersehen glaubt, läßt er sich alles nach und gibt andern eben dadurch Gelegenheit, ihn zu übersehen, ihn zu beherrschen.

RITTER.
Ihr solltet nicht ruhen, bis ihm die Augen geöffnet sind.
GRAF.

Damit du einsehen lernst, wie schwer das ist, sollst du mir helfen, ihn auf den rechten Weg zu bringen.

[56]
RITTER
nach einer Pause.

So wäre es denn wahr, daß ich mich an Euch nicht geirrt habe? daß ich in dir, je länger ich dich kenne, immer den Bessern, den Größern, den Unbegreiflichen finde? Meine Dankbarkeit ist grenzenlos, meine Freude verstummt in dieser Umarmung.

GRAF.

Nun gehe, mein Sohn. Drüben in dem Zimmer sind Kleider zurechtgelegt, in denen man sich nur dem Großkophta zeigen darf. Wären alle, die sich ihm heute vorstellen, rein wie du, so würde er von seiner Erscheinung selbst große Freude haben. Du wirst große Wunder sehen und wirst sie bald verstehen, ja bald selbst hervorbringen lernen. Gehe, staune und schweige.

RITTER.
Ich bin ganz, ich bin ewig dein!
7. Auftritt
Siebenter Auftritt
DER GRAF
allein.

So wäre denn auch dieser nach seiner Art zur Ordnung gewiesen. Man muß die Angeln, die Netze nach Proportion der Fische einrichten, die man zu fangen gedenkt, und wenn es ein Walfisch ist, wirft man mit Harpunen nach ihm. Den Mäusen stellt man Fallen, Füchsen legt man Eisen, Wölfen gräbt man Gruben, und die Löwen verscheucht man mit Fackeln. Diesen jungen Löwen habe ich auch mit einer Fackel zur Ruhe gebracht, und ich darf den Meisterstreich wagen, der mein Ansehen bei allen befestigen muß. Die Dekoration ist in Ordnung, die Marquise hat mich verstanden, und es wird alles glücklich vonstatten gehen.

EIN BEDIENTER
in einem langen weißen Feierkleide.

Alles ist fertig, Herr Graf! Der Domherr, der Ritter, die Damen sind alle gekleidet. Wollen Sie sich hier anziehen? Soll ich Ihre Kleider herüberbringen?

GRAF.
Nein, ich komme! Folge mir und tue dein Amt.
[57]
8. Auftritt
Achter Auftritt
Vorsaal und Eingang in die ägyptische Loge.
Musik.
Sechs Kinder kommen gepaart in weißen langen Kleidern, mit fliegendem Haar, Rosenkränze auf dem Kopfe und Rauchfässer in den Händen.
Sechs Jünglinge hinter ihnen, weiß, aber kurz gekleidet, gleichfalls mit Rosenkränzen auf dem Haupte, jeder zwei Fackeln kreuzweise über der Brust. Sie ziehen anständig über das Theater und stellen sich an beide Seiten.

CHOR DER KINDER.
Schon eröffnet ist der Tempel,
Sind die Hallen, sind die Grüfte.
Weihrauch reinige die Lüfte,
Die um diese Säulen wehn.
CHOR DER JÜNGLINGE.
Holde Kinder, zarte Sprossen,
Bleibet in dem Vorhof stehn,
Und ihr Weisen, ihr Genossen,
Eilt, ins Heiligtum zu gehn.

Musik.
Die Genossen der Loge kommen zwei und zwei aus entgegengesetzten
Kulissen, jedesmal ein Frauenzimmer und eine Mannsperson. Sie begegnen einander, grüßen sich und treten an die Tür der Loge.
CHOR DER KINDER UND JÜNGLINGE.
Klein und ärmlich wie die Zwerge,
Tief umhüllt von Rauch und Wahn,
Stehn wir vor dem heil'gen Berge –
Geister, dürfen wir hinan?
CHOR VON INNEN.
Bringet Ernst zur ernsten Sache,
Kommt zum Licht aus Dunst und Wahn.
Daß der Kophta nicht erwache –
Leise, leise tretet an.

[58] Die Pforte öffnet sich. Die Genossen treten hinein; die Pforte schließt sich, und es kommt wieder ein neues Paar. Zeremonie und Gesang werden wiederholt. Es fügt sich, daß der Domherr und die Nichte zusammentreffen und miteinander ins Heiligtum gehen. Sie sind die letzten. Die Musik verliert sich ins Pianissimo, die Kinder treten in die Kulissen, die Jünglinge fallen auf die Knie zu beiden Seiten des Proscenii.
9. Auftritt
Neunter Auftritt
Der Vorhang geht auf, und es zeigt sich ein Saal mit ägyptischen Bildern und Zieraten. In der Mitte steht ein tiefer Sessel, auf welchem eine in Goldstoff gekleidete Person zurückgelehnt liegt, deren Haupt mit einem weißen Schleier bedeckt ist. Zur rechten Hand kniet der Domherr, zur linken der Ritter, vorwärts neben dem Domherrn die Marquise, neben dem Ritter der Marquis, dann die Nichte. Die Musik verliert sich.

DOMHERR.

Erhabener unsterblicher Greis! Du erlaubst Unwürdigen, sich deinen Füßen zu nähern, Gnade und Hülfe von dir zu erbitten. Du schläfst, oder vielmehr du scheinst zu schlafen: denn wir wissen, daß du selbst in deiner Ruhe aufmerksam und tätig bist und das Wohl der Menschen beförderst. Gib uns ein Zeichen, daran wir erkennen, daß du uns hörst, daß du uns hold bist!


Musik, nur wenige Töne. Der Verschleierte hebt die rechte Hand auf.
RITTER.

Du siehst hier eine Anzahl Menschen vor dir, die, aufgemuntert durch das Versprechen deines würdigsten Schülers, in vollem Vertrauen sich zu dir nahen und hoffen, daß du ihre Bedürfnisse befriedigen werdest. Freilich sind diese Bedürfnisse sehr verschieden; doch selbst das Mannigfaltigste wird einfach vor deinem allgemeinen Blick, vor deiner ausgebreiteten Macht. Wirst du uns erhören, wenn wir gleich unwürdig sind?


Musik, wie oben, nach Verhältnis. Der Verschleierte richtet sich auf.
[59]
MARQUISE.

Verzeihe der Ungeduld eines Weibes, laß uns dein Angesicht sehen, wir schmachten schon monatelang nach deiner Gegenwart.


Musik, wie oben. Der Verschleierte steht auf und bleibt vor dem Sessel stehen.
MARQUIS.

Erlaube, daß wir uns dir nahen, daß wir den Saum deines Rockes küssen. Die Wünsche, die so lange in unsern Herzen schliefen, sind jetzt aufgewacht; in deiner Gegenwart werden sie unerträglich unruhig.


Musik, wie oben. Der Verschleierte tritt sachte die Stufen herunter.
NICHTE
leise.
Mir zittern alle Glieder!
DOMHERR.
Versage uns nicht länger den Glanz deines Angesichts!
ALLE.
Großer Kophta, wir bitten!

Musik, wenige rasche Töne.
Der Schleier fällt.
ALLE
indem sie auf einmal aufstehen und weiter vortreten.
Der Graf!

Die Jünglinge stehen auf.
GRAF
der hervortritt.

Ja, der Graf! Der Mann, den ihr bisher mit einem Namen nanntet, unter dem ihn die Welt in dem gegenwärtigen Augenblicke kennt. O ihr Blinden! Ihr Hartherzigen! Fast ein Jahr gehe ich mit euch um, ich unterrichte eure Unwissenheit, ich belebe euren toten Sinn, ich deute euch auf den Großkophta, ich gebe euch die entscheidendsten Winke; und es geht euch kein Licht auf, daß ihr denselben Mann, den ihr sucht, beständig vor euch habt, daß ihr die Güter, nach denen ihr euch sehnt, täglich von seinen Händen empfangt, daß ihr mehr Ursache habt, zu danken als zu bitten. Doch ich habe Mitleiden mit eurem irdischen Sinn, ich lasse mich zu eurer Schwäche herab. Seht mich denn in meiner Herrlichkeit; mögen eure Augen mich erkennen, wenn euer Herz mich [60] verkannt hat! Und wenn die Gewalt, die ich über eure Gemüter ausübte, euren Glauben schwach ließ, so glaubt nun an die Wunder, die ich außer euch, aber in eurer Gegenwart vollende!

DOMHERR
beiseite.
Ich erstaune!
RITTER
beiseite.
Ich verstumme!
MARQUISE
beiseite.
Seine Unverschämtheit übertrifft meine Erwartung.
MARQUIS
beiseite.
Ich bin neugierig, zu sehen, wo das hinauswill.
GRAF.

Ihr steht bestürzt? Ihr seht vor euch nieder? Ihr getraut euch kaum, mich von der Seite anzublicken? Wendet euer Gesicht zu mir, seht mir freudig und zutraulich in die Augen, werft alle Furcht weg und erhebt euer Herz! – Ja, ihr seht den Mann vor euch, der, so alt als die ägyptischen Priester, so erhaben als die indischen Weisen, sich in dem Umgange der größten Männer gebildet hat, die ihr seit Jahrhunderten bewundert; der über allen Rang erhaben ist, keiner Güter bedarf, in der Stille das Gute wirkt, das die Welt bald dieser, bald jener Ursache zuschreibt; der in einer geheimen, durch die ganze Welt ausgebreiteten Gesellschaft von Männern lebt, die mehr oder weniger einander gleich sind, sich selten persönlich, öfters aber durch ihre Werke offenbaren.

DOMHERR.
Ist es möglich, daß es noch mehrere deinesgleichen gebe?
GRAF
in die Höhe deutend.
Alles findet seinesgleichen, außer ein Einziger!
RITTER.
Welch ein erhabener Gedanke!
MARQUISE
beiseite.
Welch ein Schelm! Das Heiligste in seine Lüge zu verweben!
GRAF.

Ja, seht her. Diesem Haupte kann die brennende Sonne, der beizende Schnee nichts anhaben. Mit diesem unbewehrten vorgestreckten Arm habe ich in den libyschen Wüsten einen brüllenden hungrigen Löwen aufgehalten, mit dieser Stimme, die zu euch spricht, ihm gedroht, [61] bis er mir zu meinen Füßen schmeichelte. Er erkannte seinen Herrn, und ich konnte ihn nachher auf die Jagd ausschicken; nicht für mich, der ich blutige Speise nicht genieße, ja kaum einer irdischen Speise bedarf, sondern für meine Schüler, für das Volk, das sich oft in der Wüste um mich versammelte. Diesen Löwen habe ich in Alexandrien gelassen; ich werde bei meiner Rückkunft einen treuen Gefährten an ihm finden.

DOMHERR.
Haben die übrigen Meister deiner Gesellschaft auch so große Fähigkeiten als du?
GRAF.
Die Gaben sind verschieden ausgeteilt; keiner von uns darf sagen: er sei der größte.
RITTER.

Ist denn der Zirkel dieser großen Männer geschlossen, oder ist es möglich, darin aufgenommen zu werden?

GRAF.
Vielen wäre es möglich; wenigen gelingt es. Die Hindernisse sind zu groß.
DOMHERR.

Wenn uns deine Erscheinung nicht unglücklicher machen soll, als wir bisher waren, so gib uns wenigstens einen Wink, wohin wir unsere Aufmerksamkeit, unser Bestreben richten sollen?

GRAF.

Das ist mein Vorsatz. – Nach allen Prüfungen, die ihr ausgestanden habt, ist es billig, daß ich euch einen Schritt weiter führe, daß ich euch gleichsam eine Magnetnadel in die Hand gebe, die euch zeige, wohin ihr eure Fahrt zu richten habt. Vernehmt! –

DOMHERR.
Ich bin ganz Ohr!
RITTER.
Meine Aufmerksamkeit kann nicht höher gespannt werden!
MARQUIS
beiseite.
Ich bin äußerst neugierig!
MARQUISE
beiseite.
Was wird er vorbringen?
GRAF.

Wenn der Mensch, mit seinen natürlichen Kräften nicht zufrieden, etwas Besseres ahnet, etwas Höheres begehrt; wenn er sich eine unverwüstliche Gesundheit, ein dauerhaftes Leben, einen unerschöpflichen Reichtum, die Neigung der Menschen, den Gehorsam der Tiere, ja sogar Gewalt über Elemente und Geister stufenweise zu verschaffen [62] denkt: so kann es nicht ohne tiefe Kenntnis der Natur geschehen. Hierzu eröffne ich euch die Pforte. – – Die größten Geheimnisse, Kräfte und Wirkungen liegen verborgen – – in verbis, herbis et lapidibus.

ALLE.
Wie?
GRAF.
In Worten, Kräutern und Steinen.

Pause.
MARQUISE
für sich.
In Steinen? Wenn er die meint, die ich in der Tasche habe, so hat er vollkommen recht.
MARQUIS.

In Kräutern? Man sagt, es sei kein Kraut gewachsen, das unser bestimmtes Lebensziel verlängern könne; und doch muß Ihnen ein solches Kraut bekannt sein, da Sie Ihr Leben nicht allein hoch gebracht, sondern auch Ihre Kräfte, Ihr äußeres Ansehen so lange erhalten haben.

GRAF.
Die Unsterblichkeit ist nicht jedermanns Sache.
DOMHERR.

In Worten? Hier ahne ich das meiste, erhabner Lehrer. Gewiß habt Ihr eine Sprache, eine Schrift, wodurch ganz andere Dinge bezeichnet werden als mit unsern armseligen Lauten, wodurch wir nur die gemeinsten Dinge auszudrücken imstande sind. Gewiß besitzest du die geheimnisvollen Zeichen, mit denen Salomon die Geister bezwang?

GRAF.

Alle diese, ja die sonderbarsten Charaktere, die man jemals gesehen hat, Worte, die eine menschliche Lippe kaum auszusprechen vermag.

RITTER.
O lehre sie uns nach und nach buchstabieren.
GRAF.

Vor allen Dingen müßt ihr erkennen, daß es nicht auf die Lippen ankommt, nicht auf die Silben, die ausgesprochen werden, sondern auf das Herz, das diese Worte nach den Lippen sendet. Ihr sollt erfahren, was eine unschuldige Seele für Gewalt über die Geister hat.

NICHTE
für sich.

Ach Gott! Nun wird er mich vorrufen; ich zittre und bebe! Wie schlecht werde ich meine Rolle spielen! Ich wollte, ich wäre weit von hier, ich hätte diesen Menschen niemals gesehen.

[63]
GRAF.

Tritt herbei, schönes unschuldiges Kind! Ohne Furcht, ohne Sorge, tritt näher, mit einer holden Freude, daß du zu dem Glück auserlesen bist, wornach so viele sich sehnen.

DOMHERR.
Was soll das geben?
RITTER.
Was haben Sie vor?
GRAF.
Wartet und merket auf!

Musik. Der Graf gibt ein Zeichen. Ein Dreifuß steigt aus dem Boden, auf welchem eine erleuchtete Kugel befestigt ist. Der Graf winkt der Nichte und hängt ihr den Schleier über, der ihn vorher bedeckt hat, doch so, daß ihr Gesicht frei bleibt; sie tritt hinter den Dreifuß. Bei dieser Pantomime legt der Graf sein gebieterisches Wesen ab; er zeigt sich sehr artig und gefällig, gewissermaßen ehrerbietig gegen sie. Die Kinder mit den Rauchfässern treten neben den Dreifuß. Der Graf steht zunächst der Nichte, die übrigen gruppieren sich mit Verstand. Die
Jünglinge stehen ganz vorn. Die Nichte sieht auf die Kugel, die Gesellschaft auf sie, mit der größten Aufmerksamkeit. Sie scheint einige Worte auszusprechen, sieht wieder auf die Kugel und biegt sich dann erstaunt, wie jemand, der was Unerwartetes sieht, zurück und bleibt in der Stellung stehen. Die Musik hört auf.
GRAF.
Was siehst du, geliebte Tochter? Erschrick nicht, fasse dich! Wir sind bei dir, mein Kind!
RITTER.
Was kann sie sehen? Was wird sie sagen?
DOMHERR.
Still, sie spricht!

Nichte spricht einige Worte, aber leise, daß man sie nicht verstehen kann.
GRAF.
Laut, meine Tochter, lauter, daß wir es alle verstehen!
NICHTE.

Ich sehe Kerzen, helle brennende Kerzen in einem prächtigen Zimmer. Jetzt unterscheide ich chinesische Tapeten, vergoldetes Schnitzwerk, einen Kronleuchter. Viele Lichter blenden mich.

GRAF.
Gewöhne dein Auge, sieh starr hin; was siehst du weiter? Ist niemand im Zimmer?
NICHTE.

Hier! – Laßt mir Zeit – hier in dem Schimmer [64] beim Kerzenlichte – am Tische sitzend – erblick ich eine Dame; sie schreibt, sie liest.

DOMHERR.
Sag, kannst du sie erkennen? Wie sieht sie aus? Wer ist's? Verschweige nichts!
NICHTE.

Ihr Gesicht kann ich nicht sehen; die ganze Gestalt schwankt vor meinen Augen wie ein Bild auf bewegtem Wasser.

MARQUISE
für sich.
Ganz vortrefflich spielt das gute Kind uns ihre Lektion vor.
MARQUIS
für sich.
Ich bewundere die Verstellung. Liebe Natur, wozu bist du nicht fähig!
NICHTE.

Jetzt! jetzt! Ihr Kleid kann ich deutlicher sehen; himmelblau fällt es um ihren Sessel, und wie der Himmel ist es mit silbernen Sternen besät.

DOMHERR
zur Marquise.

Nun werde ich ganz glücklich! Es ist die geliebte Fürstin. Man sagte mir von diesem Kleide, blau mit silbernen Muschen, die den Augen des Kindes als Sterne erscheinen. Horch!

NICHTE.
Was seh ich! Großer Meister, erhabener Kophta, entlaß mich! Ich sehe fürchterliche Dinge.
GRAF.
Bleibe getrost und sprich: was siehst du?
NICHTE.
Ich sehe zwei Geister hinter dem Stuhle; sie flüstern einer um den andern der Dame zu.
GRAF.
Sind sie häßlich?
NICHTE.
Sie sind nicht häßlich, aber mich schaudert's.
GRAF
zum Domherrn.

Diese Geister sprechen zum Vorteil eines Freundes. Kannst du die Dame erkennen? Kennst du den Freund?

DOMHERR
ihm die Hand küssend.
Du bist ewig meiner Dankbarkeit versichert!
NICHTE.

Sie wird unruhig; das Flüstern der Geister hindert sie am Lesen, hindert sie am Schreiben; ungeduldig steht sie auf; die Geister sind weg. Sie wendet ihr Gesicht ab. Laßt mich einen Augenblick.

GRAF.
Nur gelassen, meine Tochter! Wenn du wüßtest, unter welchem Schutze du stehst! Er unterstützt sie.
[65]
RITTER
für sich.

O wie sie liebenswürdig ist! Wie reizend in ihrer Unschuld! Nie hat mich ein Mädchen so gerührt. Nie hab ich eine solche Neigung empfunden! Wie sorge ich für das gute Kind! Gewiß, der Domherr, die Tante – das himmlische Wesen ahnet nicht, in welcher Gefahr sie schwebt! O wie gern möcht ich sie aufmerksam machen, sie retten, wenn ich mich auch ganz dabei vergessen sollte.

GRAF.
Nimm dich zusammen, meine Taube, sieh hin; gewiß, du hast uns noch mehr zu offenbaren!
NICHTE
auf die Kugel blickend.
Sie tritt ans Kamin, sie blickt in den Spiegel! Ahi!
GRAF.
Was ist dir?
NICHTE.
Ahi!
MARQUISE.
Was hast du?
NICHTE.
Ach, in dem Spiegel steht der Domherr.
DOMHERR.
Welche Glückseligkeit! Meister – ich – wie soll ich dir danken! Das tust du alles für mich!
NICHTE.
Sie sieht hinein, sie lächelt; weg ist der Domherr, sie sieht sich selbst.
RITTER.
Welche Wunderkraft! Welche Gaben!
NICHTE
mit einem gefühlvollen freudigen Ausdruck.

Ja nun! – Ich sehe alles nun deutlich, ich sehe die herrliche Schönheit, das liebenswürdige Gesicht. Wie ihm die Traurigkeit so schön steht, die sich über alle Züge verbreitet.

DOMHERR
der bisher die Hände des Grafen gehalten und sie öfters geküßt.
Unaussprechlich, unbeschreiblich beglückst du deinen Knecht!
NICHTE.

Sie wird unruhig, das Zimmer scheint ihr zu enge, sie geht nach der Glastüre, sie will hinaus. Ach! Ach ! –

GRAF.
Ermanne dich! Nur noch einen Augenblick! Sieh noch einmal hin!
NICHTE
verwirrt.
Die Geister stehn ihr zur Seite. Sie öffnen die Türe, draußen ist's dunkel.
MARQUISE
zum Domherrn.
Sie geht dir entgegen.
[66]
DOMHERR.
Ist's möglich!
MARQUISE.
Du wirst's erfahren.
NICHTE.
Ach! Sie fällt in Ohnmacht.
RITTER.
O Gott! Helft ihr! Schont sie! Es ist unverzeihlich, daß Ihr sie nicht eher entlassen habt!
MARQUISE.
Hier ist Salz.

Die Hauptpersonen drängen sich zu ihr, die Jünglinge treten aus dem Proscenio ins Theater, die Kinder furchtsam zu ihnen. Es macht alles eine schöne, aber wilde Gruppe.
GRAF.
Überlaßt sie mir! Nur durch himmlischen Balsam kann sie erquickt werden.

Der Vorhang fällt.

4. Akt

1. Auftritt
Erster Auftritt
Zimmer der Nichte.
Die Nichte. Ein Mädchen.

NICHTE
bei der Toilette.

Ein Mädchen hilft ihr sich ankleiden und geht sodann in die Garderobe; sie kommt mit einem Bündel zurück und geht über das Theater. Was trägst du da? Was ist in dem Bündel?

MÄDCHEN.
Es ist das Kleid, das Sie mir befahlen zum Schneider zu schaffen.
NICHTE.
Gut. Daß ich es, wo möglich, morgen oder übermorgen wiederhabe.

Mädchen geht ab.
NICHTE.

Nun bin ich angezogen, wie es meine Tante befohlen hat. – Was mag diese neue Mummerei bedeuten? – [67] Wenn ich bedenke, was mir heute begegnet ist, so habe ich alles zu befürchten. Kaum erhole ich mich von jener schauderhaften Szene, so mutet man mir zu, mich umzukleiden, und wenn ich mich recht ansehe, so ist daß ungefähr, wie ich die Prinzessin beschrieben habe. Der Domherr liebt die Fürstin, und ich soll sie wohl gar vorstellen? In welche Hände bin ich geraten! Was hab ich zu erwarten? Welchen grausamen Gebrauch macht meine Tante von dem Vertrauen, das ich ihr zu voreilig hingab! Wehe mir! Ich sehe niemanden, an den ich mich wenden könnte. Die Gesinnungen des Marquis werden mir nun deutlicher. Es ist ein eitler, frecher, leichtsinniger Mann, der mich unglücklich gemacht hat und bald in mein Verderben willigen wird, um mich nur loszuwerden. Der Domherr ist ebenso gefährlich. Der Graf ein Betrüger. – – Ach, nur der Ritter wäre der Mann, an den ich mich wenden könnte. Seine Gestalt, sein Betragen, seine Gesinnungen zeichneten mir ihn im ersten Augenblicke als einen rechtschaffenen, einen zuverlässigen tätigen Jüngling; und wenn ich mich nicht irre, war ich ihm nicht gleichgültig. – Aber ach! betrogen durch die unverschämte Mummerei der Geisterszene, hält er mich für ein Geschöpf, das der größten Verehrung wert ist. Was soll ich ihm bekennen? Was soll ich ihm vertrauen? – – Es komme, wie es wolle, ich will es wagen! Was hab ich zu verlieren? Und bin ich nicht schon in diesen wenigen Stunden der Verzweiflung nahe gebracht? – Es entstehe, was wolle, ich muß ihm schreiben. Ich werde ihn sehen, mich ihm vertrauen; der edle Mann kann mich verdammen, aber nicht verstoßen! Er wird einen Schutzort für mich finden. Jedes Kloster, jede Pension soll mir ein angenehmer Aufenthalt werden. Sie spricht und schreibt.

»Ein unglückliches Mädchen, das Ihrer Hülfe bedarf und von dem Sie nicht übler denken müssen, weil sie Ihnen vertraut, bittet Sie morgen früh um eine Viertelstunde [68] Gehör. Halten Sie sich in der Nähe, ich lasse Ihnen sagen, wenn ich allein bin. Die traurige Lage, in der ich mich befinde, nötigt mich zu diesem zweideutigen Schritt.«

So mag es sein! – – Der kleine Jäck ist mir wohl ein sichrer Bote. Sie geht an die Türe und ruft. Jäck!

2. Auftritt
Zweiter Auftritt
Nichte. Jäck.

NICHTE.
Kleiner! weißt du des Ritters Greville Wohnung?
JÄCK.
Ich bin oft dort gewesen.
NICHTE.
Willst du mir wohl gleich ein Billett an ihn bestellen? Aber daß es niemand erfährt!
JÄCK.
Recht gern! Was hab ich davon?
NICHTE
indem sie ihm Geld reicht.
Einen Laubtaler!
JÄCK
der sich auf einem Fuß einigemal herumdreht.
Ich habe Flügel.
NICHTE
indem sie ihm das Billett gibt.
Hier!
JÄCK.

Das Geld wird bald verdient sein. Wahrscheinlich ist er in der Nähe. Um diese Zeit pflegt er in das Kaffeehaus an der Ecke zu kommen.

NICHTE.
Das wäre schön. Nur vorsichtig!
JÄCK.
Geben Sie nur. Verlassen Sie sich auf mich.
NICHTE.
Du bist ein durchtriebener Schelm!
JÄCK.
Ich bin zu brauchen, das weiß Ihre Tante.
3. Auftritt
Dritter Auftritt
NICHTE
allein.

Wie frech dieser Knabe ist! Wie abgerichtet! So sollt ich auch werden; und wäre sie langsamer zu Werke gegangen, sie hätte mich Schritt vor Schritt ins Verderben geführt. Glücklicherweise werd ich es gewahr und fühle noch soviel Kraft, mich zu retten. Geist [69] meiner Mutter, steh mir bei! Ein Fehler riß mich aus dem gleichgültigen Zustande, in welchem ich sonst zwischen Tugend und Laster schlummerte. O möge dieser Fehler der erste Schritt zur Tugend sein!

4. Auftritt
Vierter Auftritt
Nichte. Marquise.

MARQUISE.
Lassen Sie sehen, Nichte, wie finden Sie sich in das neue Kleid?
NICHTE.
Nicht eben so ganz, als wenn es mein eigen wäre.
MARQUISE.
Nun, nun, es geht schon! Es kleidet Sie alles.
NICHTE.
Auch der Betrug, wie Sie heute gesehen haben.
MARQUISE.

Wer wird solche Worte brauchen!Etwas an ihr zurechtrückend. So! es muß mehr an den Leib geschlossen sein, und diese Falte muß reicher fallen. Der Wagen wird bald kommen, und wir fahren heute noch aufs Land.

NICHTE.
Noch heute?
MARQUISE.
Ja, und Sie haben heute noch eine Rolle zu spielen.
NICHTE.

Noch eine? Sie sind unbarmherzig, Tante. Die erste hat mir schon so viel Mühe gekostet, daß Sie mich mit der zweiten verschonen sollten.

MARQUISE.

Eben deswegen, mein Kind. Noch diese und dann die dritte und vierte, und es wird Ihnen keine Mühe mehr kosten.

NICHTE.
Ich fürchte, Sie finden mich nicht halb so fähig, als Sie glauben.
MARQUISE.
Es kommt auf einen Versuch an. Diese Nacht werden Sie eine sehr geringe Rolle zu spielen haben.
NICHTE.
In diesem prächtigen Kleide?
MARQUISE.
Dem Inhalte nach, meine ich. Sie haben eine halb stumme Liebhaberin vorzustellen.
NICHTE.
Wie verstehn Sie das?
[70]
MARQUISE.

Ich bringe Sie in einen Garten, führe Sie in eine Laube, gebe Ihnen eine Rose, und Sie verweilen einen Augenblick. Es kommt ein Kavalier auf Sie zu, er wirft sich Ihnen zu Füßen, er bittet Sie um Vergebung, Sie geben einen unvernehmlichen Laut von sich: »Mein Herr!« – oder was Sie wollen; – er fährt fort, um Verzeihung zu bitten. »Stehn Sie auf!« versetzen Sie leise; er bittet um Ihre Hand als um ein Zeichen des Friedens. Sie reichen ihm Ihre Hand; er bedeckt sie mit tausend Küssen. »Stehn Sie auf!« sagen Sie alsdann, »entfernen Sie sich, man könnte uns überraschen!« Er zaudert; Sie stehen vom Sitze auf: »Entfernen Sie sich!« sagen Sie dringend und drücken ihm die Rose in die Hand. Er will Sie aufhalten. »Es kommt jemand!« lispeln Sie und eilen aus der Laube. Er will zum Abschiede einen Kuß wagen; Sie halten ihn zurück, drücken ihm die Hand und sagen sanft: »Wir sehn uns wieder!« und machen sich von ihm los.

NICHTE.

Liebe Tante, verzeihen Sie mir, es ist eine schwere, eine gefährliche Aufgabe. Wer ist der Mann? Wen soll ich vorstellen? Wird die Nacht, werden die Umstände ihn nicht verwegner machen? Können Sie mich so aussetzen?

MARQUISE.

Du bist sicher, mein Kind. Ich bin in der Nähe und werde nicht einen Augenblick verweilen, wenn ich diese letzten Worte höre. Ich trete herbei und verscheuche ihn.

NICHTE.
Wie soll ich meine Rolle recht spielen, da ich nicht weiß, wen ich vorstelle?
MARQUISE.
Betragen Sie sich edel, sprechen Sie leise; das übrige wird die Nacht tun.
NICHTE.
Welch einen Argwohn erregt mir das blaue Kleid, diese silbernen Muschen!
MARQUISE.

Nun gut, wenn Sie es denn vermuten, wenn Sie es erraten. Sie stellen die Prinzessin vor, und der Kavalier wird der Domherr sein.

[71]
NICHTE.

Liebe Tante, wie können Sie einem unglücklichen verlassenen Mädchen solch eine sonderbare Unternehmung zumuten! Ich begreife den Zusammenhang nicht, ich sehe nicht, was es Ihnen nutzen kann; aber bedenken Sie, daß es kein Scherz ist. Wie hart würde einer gestraft, der die Hand des Fürsten in irgendeiner Unterschrift nachahmte, der das Bild seines Königes auf ein unechtes Metall zu prägen sich unterfinge? Und ich soll, wissentlich, mein armseliges Selbst für die geheiligte Person einer Fürstin geben, soll mit erlogenen Zügen, durch erborgte Kleider die äußere Gestalt jener erhabenen Person nachäffen und durch mein Betragen in ebendem Augenblick die edle Sittlichkeit schänden, die den Charakter dieser großen Fürstin macht? Ich schelte mich selbst, ich bin zu bestrafen, bin zu verdammen. Haben Sie Mitleid mit mir! denn Sie werden mich nicht retten, wenn man mich verurteilt. Wollen Sie mich zu einer Verbrecherin machen, weil ich Ihnen einen Fehler eingestand?

MARQUISE.
Es ist nicht zu ändern.
NICHTE
bittend.
Meine Tante!
MARQUISE
gebieterisch.

Meine Nichte! – Sobald der Wagen da ist, erfahren Sie es; werfen Sie dann Ihren Mantel um und folgen Sie mir.

NICHTE.
Ich wünschte –
MARQUISE.
Sie wissen, was zu tun ist; es kann nichts abgeändert werden.
5. Auftritt
Fünfter Auftritt
Nichte, nachher Jäck.

NICHTE.

So war mein Argwohn auf dem rechten Wege! Es ist gewiß, was ich fürchtete. Sie will mich dem Domherrn auf eine oder die andere Weise in die Hände liefern, und vielleicht ist der Marquis selbst mit ihr einig. Von solchen Menschen läßt sich alles erwarten, und desto besser habe ich getan, mich an den Ritter zu wenden. Ich werde [72] mich heute schon zu betragen wissen, und morgen, wenn ich mich in ihm nicht betrogen habe –

JÄCK
in der Türe.
Ist sie weg?
NICHTE.
Nur herein!
JÄCK.
Wie gesagt, so getan!
NICHTE.
Was bringst du?
JÄCK.

Hier ein Blättchen! Indem er ihr ein Billett gibt und sich dann im Sprunge herumdreht. Und noch einen Laubtaler vom Ritter für meine Mühe. Brauchen Sie mich ferner zum Kurier.

NICHTE.
Wo hast du ihn angetroffen?
JÄCK.
Im Kaffeehause gegenüber, wie ich sagte.
NICHTE.
Sagte er was zu dir?
JÄCK.

Er fragte, ob Sie zu Hause, ob Sie allein seien? – Ich muß sehen, was es gibt; ich höre, die gnädige Frau fährt aus.

6. Auftritt
Sechster Auftritt
Nichte, nachher der Ritter.

NICHTE
das Billett lesend.

»Ich weiß Ihr Vertrauen zu schätzen und freue mich unendlich darüber. Schon habe ich Sie im stillen beklagt; in wenig Minuten bin ich bei Ihnen« –

O Gott, was will das heißen?

»Bis morgen früh kann ich meiner Ungeduld nicht gebieten. In Ihrem Quartier hab ich eine Zeitlang gewohnt und besitze noch durch einen Zufall den Hauptschlüssel. Ich eile nach Ihrer Garderobe; sein Sie ohne Sorgen, es soll mich niemand entdecken, und verlassen Sie sich in jedem Sinn auf meine Diskretion.«

Ich bin in der entsetzlichsten Verlegenheit! Er wird mich in diesen Kleidern finden! Was soll ich sagen?

RITTER
der aus der Garderobe tritt.
Sie verzeihen, daß ich eile; wie hätt ich diese Nacht ruhig schlafen können?
NICHTE.
Mein Herr –
[73]
RITTER
sie scharf ansehend.
Wie find ich Sie verändert? Welcher Aufputz! Welche sonderbare Kleidung! Was soll ich dazu sagen?
NICHTE.

O mein Herr! ich hatte Sie jetzt nicht vermutet. Entfernen Sie sich, eilen Sie! Meine Tante erwartet mich diesen Augenblick. Morgen früh –

RITTER.
Morgen früh wollen Sie mir vertrauen, und heute nicht?
NICHTE.
Ich höre jemand kommen, man wird mich rufen.
RITTER.
Ich gehe, sagen Sie nur: was stellt das Kleid vor?
NICHTE.
O Gott!
RITTER.
Was kann das für ein Vertrauen sein, wenn Sie mir diese Kleinigkeit verschweigen?
NICHTE.
Alles Vertrauen hab ich zu Ihnen, nur – das ist nicht mein Geheimnis. Dieses Kleid –
RITTER.

Dieses Kleid ist mir merkwürdig genug. Einigemal hat sich die Prinzessin in einem solchen Kleide sehen lassen. Selbst heute haben Ihnen die Geister die Fürstin in diesem Kleide gezeigt, und nun find ich Sie –

NICHTE.
Rechnen Sie mir diese Maskerade nicht zu.
RITTER.
Welche entsetzliche Vermutungen?
NICHTE.
Sie sind wahr.
RITTER.
Die Geisterszene?
NICHTE.
War Betrug.
RITTER.
Die Erscheinungen?
NICHTE.
Abgeredet.
RITTER.

O ich Unglücklicher! O hätten Sie mir ewig geschwiegen! Hätten Sie mir den süßen Irrtum ge lassen! Sie zerstören mir den angenehmsten Wahn meines Lebens!

NICHTE.

Ich habe Sie nicht berufen, Ihnen zu schmeicheln, sondern Sie als einen edeln Mann um Rettung und Hülfe anzuflehn. Eilen Sie, entfernen Sie sich! Wir sehen uns morgen wieder. Verschmähen Sie nicht ein unglückliches [74] Geschöpf, das nach Ihnen wie nach einem Schutzgott hinaufsieht!

RITTER.

Ich bin verloren! Auf ewig zugrunde gerichtet! Wüßten Sie, was Sie in diesem Augenblick mir geraubt haben, so würden Sie zittern; Sie würden mich nicht um Mitleid anflehn. Ich habe kein Mitleid mehr! Den Glauben an mich selbst und an andre, an Tugend, Unschuld, an jede Größe und Liebenswürdigkeit haben Sie mir entrissen. Ich habe kein Interesse mehr, und Sie verlangen, daß ich es an Ihnen nehmen soll? Meine Zutraulichkeit ist auf das schändlichste mißhandelt worden, und Sie wollen, daß ich Ihnen trauen soll? Ihnen, einer doppelten, dreifachen Schauspielerin? Welch ein Glück, daß ich diesen Abend hieher kam und Ihnen nicht Zeit ließ, sich vorzubereiten, die Maske anzulegen, mit der Sie auch mich zu hintergehen dachten!

NICHTE.
Ich bin ganz unglücklich! Eilen Sie! Entfernen Sie sich! Man kommt!
RITTER.
Ich gehe, Sie nie wiederzusehen!
7. Auftritt
Siebenter Auftritt
Die Nichte. Der Marquis.

MARQUIS
halb in der Türe.
Sind Sie allein, Nichte? Nur ein Wort!
NICHTE
indem der Marquis wieder zur Tür hinaussieht, betrachtet sie sich geschwind im Spiegel.
Ich sehe verweint, verworren aus! Was werd ich sagen?
MARQUIS
sie umarmend und fest an sich drückend.
Süßes, holdes Geschöpf!
NICHTE
ihn zurückhaltend.
Um Gottes willen, Marquis!
MARQUIS.
Wir sind allein, fürchten Sie nichts!
NICHTE
sich von ihm losmachend.
Die Marquise erwartet mich.
Beiseite. Wenn der Ritter noch da wäre!
MARQUIS.
Was haben Sie? Sie sehen ganz verstört aus.
[75]
NICHTE.
Ach Gott! Die Zumutungen meiner Tante –
MARQUIS.
Du dauerst mich, liebes Kind; aber ich will dich retten.
NICHTE.

Sie wissen doch, heute nacht soll ich die Rolle der Prinzessin spielen. Es ist erschrecklich! Kommen Sie! Sie sieht sich inzwischen furchtsam nach der Garderobetür um.

MARQUIS.

Bleiben Sie, bleiben Sie, eben deswegen bin ich hier! Spielen Sie heute nacht Ihre Rolle nur gut, Sie haben nichts zu besorgen.

NICHTE.
So lassen Sie uns gehen.
MARQUIS.
Nein doch; ich wollte Ihnen sagen –
NICHTE.
Dazu ist's morgen Zeit.
MARQUIS.
Keineswegs! Sie scheinen diese Abenteuer weniger zu fürchten, als Sie sollten.
NICHTE
wie oben.
Ich bin in der größten Verlegenheit!
MARQUIS.
Es steht Ihnen noch etwas Seltsames diese Nacht bevor, an das Sie nicht denken.
NICHTE.
Was denn? Sie erschrecken mich!
MARQUIS.
Daß Sie mit mir wegreisen werden.
NICHTE.
Mit Ihnen?
MARQUIS.
Und das sagen Sie mit einer Art von Widerwillen?
NICHTE.
Ich weiß nicht, was ich sagen soll.
MARQUIS.

Ich werde Sie leicht aufklären. Die Maskerade, zu der Sie angezogen sind, ist nicht ein bloßer Scherz. Meine Frau hat im Namen der Prinzessin den Domherrn um einen wichtigen Dienst ersucht, und Sie sollen die Dankbarkeit der Fürstin gegen den betrogenen Mann ausdrücken.

NICHTE
wie oben in Verlegenheit.
Ich soll ihm eine Rose geben.
MARQUIS.

Eine würdige Belohnung für einen solchen Dienst! Denn zu nichts Geringerem hat sich die blinde Leidenschaft des Domherrn bereden lassen, als das schöne Halsband von den Hofjuwelieren zu kaufen.

NICHTE.
Das Halsband?
[76]
MARQUIS.
Das wir gestern so sehr bewunderten, als wir diesen Ring kauften.
NICHTE.
Es ist nicht möglich!
MARQUIS.
So gewiß, daß ich schon einen Teil davon in der Tasche habe.
NICHTE.
Sie? Was soll das heißen? – Man könnte horchen.
MARQUIS.

So treten Sie hieher! Er nähert sich der Garderobe. Ja, mein Kind! Der Domherr besaß es kaum eine Viertelstunde; gleich war es in den Händen meiner Frau, um es der Prinzessin noch heute abend zu überliefern. Wie glücklich war das Weib in diesem Augenblick, und ich nicht weniger! Unbarmherzig brach sie die schöne Arbeit voneinander; es tat mir im Herzen weh, den kostbaren Schmuck so zerstört zu sehen, und ich konnte nur durch das herrliche Paketchen getröstet werden, das sie mir zu meiner Reise zubereitete. Ich habe wenigstens für hunderttausend Livres Steine in der Tasche. Ich geh noch heute nach England ab, mache dort alles zu Gelde, schaffe Silbergeschirr und Kostbarkeiten in Menge.

NICHTE
welche bisher die größte Verlegenheit verborgen.
Welche gefährliche Unternehmung!
MARQUIS.
Wir müssen jetzt nicht sorgen, sondern wagen.
NICHTE.
Ich wünsche Ihnen Glück!
MARQUIS.
Nein, du sollst es mir bringen! Du sollst und mußt meine Reisegefährtin sein.
NICHTE.
Sie wollen mich dieser Gefahr aussetzen?
MARQUIS.

Die Gefahr ist weit größer, wenn du zurückbleibst. Meine Frau ist verwegen genug, das Märchen, solang es nur gehen will, durchzuspielen. – Bis der erste Zahlungstermin kommt, ja noch weiter, ist sie ziemlich sicher. Indes kann ich dich nicht hier lassen.

NICHTE.
Bedenken Sie –
MARQUIS.

Ich weiß nicht, wie ich dein Betragen erklären soll. Wär es möglich, daß man mir schon dein Herz entwendet hätte? – Nein, es ist nicht möglich! Du bist verlegen, aber nicht verändert. Laß dich nicht etwa den [77] anscheinenden Reichtum des Domherrn blenden; wir sind jetzt reicher als er, der in kurzem sich in der größten Verlegenheit sehen wird. Ich habe alles genau berechnet. Du magst heute nacht die Person der Prinzessin noch vorstellen. – Es ist die Absicht meiner Frau, daß ich euch hinausbegleiten und dann gleich weiterfahren soll. Ich nehme deswegen einen besondern Wagen. Ist die Szene vorbei, so erkläre ich der Marquise kurz und gut, daß du mich begleitest. Du magst ein wenig widerstehen, ich führe dich mit Gewalt weg. Lärm darf sie nicht machen, aus Furcht, daß alles verraten wird. – Du hörst nicht zu; was ist dir?

NICHTE.

Verzeihen Sie mir – dieser Vorschlag – Ich bin verwirrt – ich verstumme! Bedenken Sie, in welcher Lage wir die Tante zurücklassen!

MARQUIS.

Sie wird sich schon helfen, sie ist klug genug. Sie hat diese Sache so weit gebracht, und wir verderben ihr nichts an ihrem Plan. Genug, ich will, ich kann dich nicht entbehren, und wenn du je an meiner Liebe zweifeltest, so siehst du nun, wie heftig sie ist. Ich werde dich nicht hier lassen, so vielen Nachstellungen, so vielen Gefahren ausgesetzt; nicht acht Tage, so hab ich dich verloren. Die unsinnige Leidenschaft des Domherrn zur Fürstin hält ihn nicht von andern Liebeshändeln zurück. Nur wenige Tage, und du wirst unter dem Schleier seine Gebieterin und ohne Schleier sein gehorsamstes Liebchen sein. Komm! – So hab ich es beschlossen, und davon laß ich nicht ab. Er umarmt sie. Du bist mein geworden, und niemand soll dich mir rauben! Meine Frau war mir niemals hinderlich, und wenn sie die Steine glücklich davonbringt, wird sie uns gern verzeihen. – Wie ist dir? Du bist nicht bei dir!

NICHTE.
Es ist um mich geschehen! Führen Sie mich, wohin Sie wollen.
MARQUIS.

Wisse nur, es ist schon alles richtig. Unter einem andern Vorwande habe ich von deinem Kammermädchen [78] nur das Notwendigste zusammenpacken lassen. Es kommt auf wenige Tage an, so sind wir neu und besser als jemals gekleidet. Wir wollen uns nicht mit alter Trödelware beschweren. Er führt die Nichte ab, die ihm trostlos folgt und nochmals zurück nach der Garderobetür sieht.

8. Auftritt
Achter Auftritt
DER RITTER
der aus dem Kabinett hervorgeht.

Was hab ich gehört, und in welchen Abgrund von Verräterei und Nichtswürdigkeit hab ich hineingeblickt! Niemals konnte ich diese Menschen achten, mit denen ich leben mußte! Oft waren sie mir verdächtig; aber wenn man sie bei mir solcher verruchten Handlungen wegen angeklagt hätte, ich hätte sie gegen jedermann in Schutz genommen. Nun versteh ich dich, schöne Verführerin, warum du mich erst morgen früh sehen wolltest! Gewiß war es ihr bekannt, daß der Marquis heute nacht verreisen solle; aber daß er sie zwingen würde, mit ihm zu gehen, dachte sie nicht. Sie glaubte gewiß, seine Neigung zu ihr sei erschöpft, wie ihre Neigung zu ihm. O die Abscheuliche! Diese Unschuld zu heucheln! – Wie ein himmlischer Geist stand sie vor uns, und die reinsten Wesen schienen durch ihren Mund zu sprechen, indes sie, eines Liebhabers überdrüssig, sich nach andern umsieht und über die Zauberkugel weg nach den betrogenen Männern schielt, die sie als ein himmlisches Wesen anbeten. Wie soll ich das alles zurechtlegen, was ich gehört habe? Was soll ich tun? Der Graf und die Marquise spinnen den unerhörtesten Betrug an. Um ihren ungeheuern Plan durchzuführen, wagen sie es, den Namen einer vortrefflichen Fürstin zu mißbrauchen, ja sogar ihre Gestalt in einem schändlichen Possenspiel nachzuäffen. Früher oder später wird sich's entdecken, und die Sache endige sich, wie sie wolle, so muß sie dem Fürsten und der Fürstin höchst unangenehm [79] sein. Es leidet keinen Aufschub. – Soll ich hingehen und dem betrogenen Domherrn die Augen eröffnen? Noch wäre es möglich, ihn zu retten! Das Halsband ist zerstückt; aber noch ist der Marquis hier, man kann sie festhalten, ihnen den Schmuck abnehmen, die Betrüger beschämen und sie in der Stille verjagen. – Gut, ich gehe. – Doch halt! Das tu ich um des kalten, eigennützigen Weltmannes willen? Er wird mir danken und für die Rettung aus der ungeheuren Gefahr mir seine Protektion versprechen, mir eine ansehnliche Charge zusichern, sobald er sich wieder würde in Gunst gesetzt haben. Diese Erfahrung macht ihn nicht klug; er wird dem ersten besten Betrüger sich wieder in die Hände geben, sich immer leidenschaftlich, ohne Sinn, Verstand und ohne Folge betragen; wird mich als einen Schmarotzer in seinem Hause dulden; wird bekennen, daß er mir Verbindlichkeiten habe, und ich werde vergebens auf eine reelle Unterstützung warten, da es ihm, ungeachtet seiner schönen Einnahme, immer an barem Gelde fehlt. – – Geht nachdenkend auf und nieder. Törichter, beschränkter Mensch! Und du siehst nicht ein, daß sich hier der Weg zu deinem Glücke öffnet, den du so oft vergebens gesucht hast? Mit Recht hat dich heute der Domherr als einen Schüler verlacht, mit Recht der Graf deine Gutmütigkeit auf eine verruchte Weise mißbraucht! Du verdientest jene Lektion, da du nicht einmal durch sie klüger geworden bist. – Sie glaubten nicht, dich zu ihrem Verderben zu unterrichten. – Wohl, so soll es sein! Ich eile zu dem Minister. Er ist eben auf dem Landhause, wohin diese Betrüger zusammen in die Falle gehen. Sie sind keiner Schonung wert! Es ist eine Wohltat fürs menschliche Geschlecht, wenn sie nach Verdienst gestraft werden, wenn man sie außerstand setzt, ihre Künste weiter fort zu treiben. Ich eile; der Moment ist entscheidend! Werden sie über der Tat ergriffen, so ist alles bewiesen. Die Steine, die der Marquis in der Tasche hat, zeugen wider ihn; es hängt [80] von dem Fürsten ab, die Schuldigen zu behandeln, wie es ihm recht dünkt, und ich werde mit leeren Versprechungen gewiß nicht hingehalten. Ich sehe mein Glück mit dem Anbruche des Tages hervortreten! Hier ist nicht ein Augenblick zu säumen! Fort! Fort!

5. Akt

1. Auftritt
Erster Auftritt
Nacht.
Ein Lustgarten. Rechter Hand der Schauspieler eine Laube.
Der Graf. La Fleur.

LA FLEUR.

Ich höre noch niemand. Es rührt sich nichts im ganzen Garten. Ich bin recht verlegen. Ich habe doch gewiß recht gehört.

DER GRAF
mit anmaßlicher Bedeutung.
Du hast recht gehört.
LA FLEUR.

Nun, wenn Sie es selbst wissen, so ist es desto besser; denn Sie können versichert sein, daß ich immer die Wahrheit sage. Um diese Stunde wollte meine Herrschaft hier in diesem Garten sein. Ich weiß nicht, was sie vorhaben. Mit vier Pferden sind sie vor uns weggefahren, und ihr Wagen wird an der kleinen Tür stillhalten. Ich habe Sie deswegen an der andern Seite aussteigen lassen. Ich vermute, der Domherr ist auch hierher bestellt.

GRAF
wie oben.

Warte! Er hält seinen kleinen Finger ans Ohr. Dieser Ring sagt mir, daß du gewissermaßen wahr redest.

LA FLEUR.
Gewissermaßen?
GRAF.

Ja. Das heißt: insoferne du es selbst wissen kannst. Ich bin nicht allwissend; aber dieser Ring sagt mir immer: ob die Menschen lügen oder ob sie sich irren.

LA FLEUR.
Wenn ich Ihnen raten sollte – doch Sie wissen schon, was das Beste ist.
[81]
GRAF.
Sprich nur! ich will schon sehn, ob du mir das Beste rätst.
LA FLEUR.

Ich dächte, wir gingen sachte diese dunkle Allee hinauf und horchten immer im Gehen, ob wir nicht irgend etwas kommen oder lispeln hören.

GRAF.
Ganz recht. Geh nur voraus und horche, ob der Weg sicher ist.
2. Auftritt
Zweiter Auftritt
DER GRAF
allein.

Ich begreif es nicht – und nach allen Umständen, die dieser Mensch angibt, ist es höchst wahrscheinlich. Die Marquise bestellt den Domherrn hier heraus; wär es möglich, daß es ihr gelungen wäre, die Prinzessin zu gewinnen? was ich immer für ein albernes Unternehmen, was ich für Lüge und Trug hielt. – Wenn ihr das gelingt, was soll dann dem Menschen nicht gelingen! Er geht von der linken Seite im Grunde ab.

3. Auftritt
Dritter Auftritt
Der Ritter. Der Oberst der Schweizergarde. Sechs Schweizer kommen von der linken Seite aus den vordern Kulissen.

OBERST
der zuletzt herauskommt, nach der Szene.

Hier bleibt versteckt und rührt euch nicht eher, es mag sich zutragen, was will, bis ihr Waldhörner hört. In dem Augenblick, da sie stillschweigen, fallt zu und nehmt gefangen, wen ihr im Garten findet. Zu den Schweizern, die auf dem Theater stehn. Ihr gebt auf das nämliche Signal acht. Viere verbergen sich bei der großen Pforte; laßt herein, es komme, wer will, aber niemanden hinaus.

EIN SCHWEIZER.
Herein mögen sie kommen, hinaus soll keiner.
DER OBERST.
Und wer hinaus will, den haltet fest.
SCHWEIZER.
Wir wollen schon wacker anfassen.
[82]
OBERST.

Und wenn die Waldhörner schweigen, so bringt hierher, wen ihr etwa angehalten habt. Zwei aber halten die Pforte besetzt.

SCHWEIZER.

Ja, Herr Obrist. Ich und mein Kamrad bringen Euch die Gefangenen, und der Michel und der Dusle bleiben bei der Pforte, daß nicht etwa ein anderer hinausschlupfet.

OBERST.
Geht nur, Kinder, geht, so ist's recht!

Die vier Schweizer gehen ab.
OBERST.
Ihr beiden tretet etwa zehn Schritte von hier ins Gebüsch; das übrige wißt ihr.
SCHWEIZER.
Gut.
OBERST.

So, Ritter, wären unsre Posten alle besetzt. Ich zweifle, daß uns einer entgeht. Wenn ich sagen soll, so glaub ich, wir werden hier auf diesem Platze den besten Fang tun.

RITTER.
Wieso, Herr Oberst?
OBERST.

Da von Liebeshändeln die Rede ist, so werden sie dieses Plätzchen gewiß aussuchen. In dem übrigen Garten sind die Alleen zu gerade, die Plätze zu licht; dieses Buschwerk, diese Lauben sind für die Schalkheiten der Liebe dicht genug zusammengewachsen.

RITTER.
Ich bin recht in Sorgen, bis alles vorüber ist.
OBERST.
Unter solchen Umständen sollt es einem Soldaten erst recht wohl werden.
RITTER.

Ich wollte als Soldat lieber an einem gefährlichen Posten stehn. Sie werden mir es nicht verdenken, daß es mir bang um das Schicksal dieser Menschen ist, wenn sie gleich nichtswürdig genug sind und meine Absicht ganz löblich war.

OBERST.

Sein Sie ruhig! Ich habe Befehl vom Fürsten und vom Minister, die Sache in der Kürze abzutun; man verläßt sich auf mich. Und der Fürst hat sehr recht. Denn wenn es Händel gibt, wenn die Geschichte Aufsehn macht, so denken doch die Menschen von der Sache, was [83] sie wollen, und es ist also immer besser, man tut sie im stillen ab. Desto größer wird auch Ihr Verdienst, lieber junger Mann, das gewiß nicht unbelohnt bleiben wird. Mich dünkt, ich höre was; lassen Sie uns beiseite treten.

4. Auftritt
Vierter Auftritt
Die Marquise. Der Marquis. Die Nichte.

DIE MARQUISE
zum Marquis, der nur eben heraustritt.
Bleiben Sie nur immer in diesem Gebüsch und halten Sie sich still. Ich trete gleich wieder zu Ihnen.

Der Marquis tritt zurück.
MARQUISE.
Hier, liebes Kind, ist die Laube, hier ist die Rose; das übrige wissen Sie.
NICHTE.

O liebste Tante, verlassen Sie mich nicht! Handeln Sie menschlich mit mir; bedenken Sie, was ich Ihnen zuliebe tue, was ich Ihnen zu Gefallen wage!

MARQUISE.

Wir sind bei Ihnen, mein Kind; nur Mut! Es ist keine Gefahr, in fünf Minuten ist alles vorüber. Die Marquise tritt ab.

NICHTE
allein.

O Gott, was hilft es, daß eine tiefe Nacht die Schuld bedeckt? Der Tag bewillkommt eine jede gute Tat, die im stillen geschah, und zeigt ein ernstes fürchterliches Gesicht dem Verbrecher.

5. Auftritt
Fünfter Auftritt
Die Nichte. Der Domherr.
Die Nichte setzt sich in die Laube und hält die Rose in der Hand.

DER DOMHERR
der von der entgegengesetzten Seite aus dem Grunde des Theaters hervorkommt.

Eine tiefe Stille weissagt mir meine nahe Glückseligkeit. Ich vernehme keinen Laut in diesen Gärten, die sonst durch die Gunst des Fürsten allen Spaziergängern [84] offenstehn und bei schönen Abenden oft von einem einsamen unglücklich Liebenden, öfter von einem glücklichen frohen Paar besucht werden. O ich danke dir, himmlisches Licht, daß du dich heute in einen stillen Schleier hülltest! Du erfreuest mich, rauher Wind, du drohende trübe Regenwolke, daß ihr die leichtsinnigen Gesellschaften verscheuchet, die in diesen Gängen oft umsonst hin und wider schwärmen, die Lauben mit Gelächter füllen und ohne eigenen Genuß andere an den süßesten Vergnügungen stören. O ihr schönen Bäume, wie scheint ihr mir seit den wenigen Sommern gewachsen, seit mich der traurige Bann von euch entfernte! Ich seh euch nun wieder, seh euch mit den schönsten Hoffnungen wieder, und meine Träume, die mich einst in euern jungen Schatten beschäftigten, werden nunmehr erfüllt. Ich bin der glücklichste von allen Sterblichen.

MARQUISE
die leise zu ihm tritt.
Sind Sie es, Domherr? Nähern Sie sich, nähern Sie sich Ihrem Glück! Sehn Sie dort in der Laube?
DOMHERR.
O ich bin auf dem Gipfel der Seligkeit!

Die Marquise tritt zurück.
DER DOMHERR
tritt an die Laube und wirft sich der Nichte zu Füßen.

Anbetungswürdige Sterbliche, erste der Frauen! Lassen Sie mich zu Ihren Füßen verstummen, lassen Sie mich auf dieser Hand meinen Dank, mein Leben aushauchen.

NICHTE.
Mein Herr –
DOMHERR.

Öffnen Sie mir nicht Ihre Lippen, Göttliche! es ist an Ihrer Gegenwart genug. Verschwinden Sie mir wieder, ich habe jahrelang an diesem glücklichen Augenblicke zu genießen. Die Welt ist voll von Ihrer Vortrefflichkeit; Ihre Schönheit, Ihr Verstand, Ihre Tugend entzückt alle Menschen. Sie sind wie eine Gottheit; niemand naht sich ihr, als um sie anzubeten, als um das Unmögliche von ihr zu bitten. Und so bin ich auch hier, meine Fürstin –

[85]
NICHTE.
O stehn Sie auf, mein Herr –
DOMHERR.

Unterbrechen Sie mich nicht. So bin ich auch hier, aber nicht um zu bitten, sondern um zu danken, für das göttliche Wunder zu danken, womit Sie mein Leben retteten.

NICHTE
indem sie aufsteht.
Es ist genug!
DOMHERR
kniend und sie zurückhaltend.

Jawohl, der Worte genug, der Worte schon zuviel! Vergeben Sie! Die Götter selbst verzeihen, wenn wir mit Worten umständlich bitten, ob sie gleich unsre Bedürfnisse, unsre Wünsche lange schon kennen. Vergeben Sie meinen Worten! Was hat der arme Mensch Bessers als Worte, wenn er das hingeben möchte, was ihm ganz zugehört. Sie geben den Menschen viel, erhabene Fürstin; kein Tag, der nicht durch Wohltaten ausgezeichnet wäre; aber ich darf mir in diesem glücklichen Augenblicke sagen, daß ich der einzige bin, der Ihre Huld in diesem Grade erfährt, der sich sagen kann: Sie bezeigt dir Vergebung auf eine Weise, die dich höher erhebt, als du jemals tief fallen konntest. Sie kündigt dir ihre Gnade an auf eine Art, die dir ein ewiges Pfand dieser Gesinnungen ist; sie macht dein Glück, sie befestigt's, sie verewigt's, alles in einem Augenblick.

DIE NICHTE
macht eine Bewegung vorwärts, die den Domherrn nötigt, aufzustehn.

Entfernen Sie sich; man kommt! Wir sehn uns wieder. Sie hat ihm, indem er aufstand, die Hand gereicht und läßt ihm, da sie sich zurückzieht, die Rose in den Händen.

DOMHERR.

Ja nun will ich eilen, ich will scheiden, will dem brennenden Verlangen widerstehn, das mich zur größten Verwegenheit treibt. Er naht sich ihr mit Heftigkeit und tritt gleich wieder zurück. Nein, befürchten Sie nichts! Ich gehe, aber lassen Sie mich es aussprechen, denn es hängt doch nur mein künftiges Leben von Ihren Winken ab. Ich darf alles bekennen, weil ich Macht genug über mich selbst habe, diesem glücklichen Augenblick hier gleichsam zu trotzen. Verbannen Sie mich auf ewig von Ihrem Angesicht, [86] wenn Sie mir die Hoffnung nehmen, jemals in diesen Armen von allen verdienten und unverdienten Qualen auszuruhn. Sagen Sie ein Wort. Sie bei der Hand fassend.

NICHTE
ihm die Hände drückend.
Alles, alles, nur jetzt verlassen Sie mich!
DOMHERR
auf ihren Händen ruhend.
Sie machen mich zum glücklichsten Menschen, gebieten Sie unumschränkt über mich.

Es lassen sich in der Ferne zwei Waldhörner hören, die eine höchst angenehme Kadenz miteinander ausführen. Der Domherr ruht indessen auf den Händen der Nichte.
6. Auftritt
Sechster Auftritt
Die Vorigen. Die Marquise. Der Marquis, hernach der Oberste der Schweizergarde. Schweizer.

MARQUISE
zwischen die beiden hineintretend.

Eilen Sie, mein Freund, entfernen Sie sich; ich habe ein Geräusch gehört, Sie sind keinen Augenblick sicher. Man könnte die Prinzessin im Schlosse vermissen; eilen Sie, wir müssen weg.

DOMHERR
sich losreißend.

Ich muß, ich will hinweg. Leben Sie wohl, lassen Sie mich keine Ewigkeit schmachten. Er geht sachte nach der linken Seite des Grundes.

MARQUISE.

Nun folgen Sie mir, Nichte. Leben Sie wohl, Marquis, machen Sie Ihre Sachen gut, Sie sollen Ihre Frau – Ihre Freundin bald wiedersehn. Umarmen Sie ihn zum Abschied, Nichte.

DER MARQUIS
umarmt die Nichte und zieht sie auf seine Seite herüber.
Hierher, schönes Kind, kommen Sie mit mir; vor jener Türe steht mein Wagen.
DIE NICHTE
zaudernd.
O Gott, was will das werden!
MARQUISE
nach der Nichte greifend.
Was heißt das, Marquis? Sind Sie toll?
[87]
MARQUIS.

Machen Sie keinen Lärm; das Mädchen ist mein. Lassen Sie mir dieses Geschöpf, in das ich rasend verliebt bin, und ich verspreche Ihnen dagegen, alles treulich auszurichten, was Sie mir aufgetragen haben. Ich gehe nach England, besorge Ihre Geschäfte, wir erwarten Sie dort und wollen Sie wohl und redlich empfangen; aber lassen Sie mir das Mädchen.

MARQUISE.

Es ist nicht möglich! Folgen Sie mir, Nichte. Was sagen Sie zu der Verwegenheit meines Mannes? Reden Sie! Sind Sie mit ihm einverstanden?

NICHTE
zaudernd.
Meine Tante –
MARQUIS
sie fortziehend.

Gestehn Sie es ihr, keine Verstellung! Es ist abgeredet! Kommen Sie! Keinen Widerstand, oder ich mache Lärm und bin in diesem Augenblicke meiner Verzweiflung fähig, uns alle zu verraten.

MARQUISE.
Entsetzlich! Entsetzlich! Ich bin zugrunde gerichtet.

Die Waldhörner schweigen auf einmal, nachdem sie ein lebhaftes Stück geblasen.
DER OBERSTE
der den Domherrn zurückbringt und dem zwei Schweizer folgen.
Hierher, mein Herr, hierher!
DOMHERR.
Was unterstehn Sie sich? Dieser Spaziergang ist einem jeden freigegeben.
OBERSTER.
Jedem Spaziergänger, nicht dem Verbrecher! Sie entkommen nicht; geben Sie sich gutwillig.
DOMHERR.
Glauben Sie, daß ich unbewaffnet bin?Er greift in die Tasche und zieht ein Terzerol hervor.
OBERSTER.

Stecken Sie Ihr Terzerol ein. Sie können nach mir schießen; aus dem Garten kommen Sie nicht. Alle Zugänge sind besetzt. Es kommt niemand hinaus. Ergeben Sie sich in das Schicksal, dem Sie mutwillig entgegenrannten.

MARQUISE
die indessen aufmerksam geworden ist und gehorcht hat.

Welch ein neuer, unerwarteter Auftritt! Kommt auf diese [88] Seite. Wenn wir nicht einig sind, gehen wir miteinander zugrunde.


Die Marquise, der Marquis, die Nichte wollen sich auf die Seite zurückziehn, wo sie hereingekommen sind; es treten ihnen zwei Schweizer in den Weg.
MARQUISE.
Wir sind zugrunde gerichtet!
MARQUIS.
Wir sind verraten!
NICHTE.
Ich bin verloren!
DOMHERR
der in diesem Augenblick neben die Nichte zu stehen kommt.
O Gott!
OBERSTER.
Niemand gehe von der Stelle! Sie sind alle meine Gefangenen.
DOMHERR
auf die Nichte deutend.
Auch diese?
OBERSTER.
Gewiß!
DOMHERR.
Mein Unglück ist so groß, daß ich es in diesem Augenblick nicht überdenken kann.
OBERSTER.
Nicht so groß als Ihre Unbesonnenheit!
DOMHERR.

Ich will jeden Vorwurf ertragen, alles, was mir eine beleidigte Gerechtigkeit von Strafen auferlegen kann; ich folge Ihnen, schleppen Sie mich in einen Kerker, wenn es Ihnen befohlen ist: nur verehren Sie dies überirdische Wesen! Verbergen Sie, was Sie gesehen haben, leugnen Sie, erfinden Sie. Sie tun dem Fürsten einen größern Dienst als mit der traurigen, schrecklichen Wahrheit, daß seine Tochter, seine einzig geliebte Tochter –

OBERSTER.

Ich kenne meine Pflicht. Ich sehe hier nur meine Gefangenen; ich kenne nur meine Ordre und werde sie vollziehn.

MARQUISE.
Wohin!
MARQUIS.
O warum mußt ich mit hieherkommen!
NICHTE.
Meine Furcht war gegründet!
DOMHERR.

So bin ich denn der unglücklichste aller Menschen! Was hat man im Sinn? Ist's möglich! Was kann der Fürst gegen das Liebste beginnen, das er auf der Welt [89] hat? Meine Gebieterin – meine Freunde – ich bin's, der euch unglücklich macht! O warum mußt ich leben? warum so lieben? warum verfolgt ich nicht den Gedanken, der mir mehr als einmal einkam, in einem fremden Lande meine Zärtlichkeit, meine Ehrbegier an andern Gegenständen abzustumpfen? Warum floh ich nicht? Ach, warum ward ich immer wieder zurückgezogen? Ich möchte euch Vorwürfe machen, ich möchte mich schelten, mich hassen; und doch, wenn ich mich in diesem Augenblicke ansehe, so kann ich nicht wünschen, daß es anders sein möchte. Ich bin immer noch der Glücklichste mitten im Unglück!

OBERSTER.
Endigen Sie, mein Herr; denn es ist Zeit, und hören Sie mich an.
DOMHERR.

Ja, ich will; aber zuerst entlassen Sie unsre Gebieterin. Wie? sie sollte hier in Nacht und Tau stehen und das Urteil eines Unglücklichen anhören, an dem sie teilnimmt? Nein, sie kehre zurück in ihre Zimmer, sie bleibe nicht länger den Augen dieser Knechte ausgesetzt, die sich über ihre Beschämung freuen! Eilen Sie, eilen Sie, meine Fürstin! wer kann sich Ihnen widersetzen? Und dieser Mann, der mich gefangenhalten darf, diese Kolossen, die mir ihre Hellebarden entgegensetzen, sind Ihre Diener. Gehn Sie, leben Sie wohl! Wer will Sie aufhalten? Aber vergessen Sie nicht eines Mannes, der endlich zu Ihren Füßen liegen konnte, der endlich Ihnen beteuern durfte, daß Sie ihm alles in der Welt sind. Sehn Sie noch einen Augenblick auf seine Qual, auf seine Wehmut, und dann überlassen Sie ihn dem grausamen Schicksal, das sich gegen ihn verschworen hat.


Er wirft sich der Nichte zu Füßen, die sich auf die Marquise lehnt. Der Marquis steht dabei in einer verlegenen Stellung, und sie machen auf der rechten Seite des Theaters eine schöne Gruppe, in welcher die zwei Schweizer nicht zu vergessen sind. Der Oberste und zwei Schweizer stehn an der linken Seite.

[90]
7. Auftritt
Siebenter Auftritt
Die Vorigen. Der Graf.

DER GRAF
den zwei Schweizer mit den umgekehrten Hellebarden vor sich hertreiben.

Ich sag euch, daß ihr eure Grobheit zeitlebens zu büßen haben werdet! Mir so zu begegnen! Dem größten aller Sterblichen! Wißt, ich bin Conte di Rostro, di Rostro impudente, ein ehrsamer, überall verehrter Fremder, ein Meister aller geheimen Wissenschaften, ein Herr über die Geister –

SCHWEIZER.

Bring Er das unserm Obersten vor, der versteht das Welsche, sieht Er; und wenn Er nicht geradezu geht, so werden wir Ihn rechts und links in die Rippen stoßen und Ihm den Weg weisen, wie's uns befohlen ist.

GRAF.
Habt Ihr Leute denn gar keine Vernunft?
SCHWEIZER.

Die hat der, der uns kommandiert. Ich sag's Ihm, geh Er geradezu, ganz gerade dahin, da steht unser Oberster.

GRAF
gebieterisch.
Wagt es nicht, mich anzurühren!
DOMHERR
der auf die Stimme des Grafen zu sich kommt und auffährt.

Ja, da erwartete ich dich, großer Kophta, würdigster Meister, erhabenster unter allen Sterblichen! So ließest du deinen Sohn fallen, um ihn durch ein Wunder wieder zu erheben. Wir sind dir alle auf ewig verpflichtet. Ich brauche dir nicht zu gestehen, daß ich dieses Abenteuer hinter deinem Rücken unternahm. Du weißt, was geschehen ist; du weißt, wie unglücklich es ablief; sonst wärst du nicht gekommen. In dieser einzigen Erscheinung, großer Kophta, verbindest du mehr edle Seelen, als du vielleicht auf deiner langen Wallfahrt auf Erden beisammen gesehen hast. Hier steht ein Freund vor dir, vor wenig Augenblicken der glücklichste, jetzt der unglücklichste aller Menschen. Hier eine Dame, des schönsten Glücks wert. Hier Freunde, die das Mögliche und Unmögliche zu wirken mit der lebhaftesten Teilnahme versuchten. Es ist was Unglaubliches geschehen. Wir [91] sind hier beisammen, und wir leiden nur aus Mißtrauen gegen dich. Hättest du die Zusammenkunft geführt, hätte deine Weisheit, deine Macht die Umstände gefügt – Einen Augenblick nachdenkend und mit Entschlossenheit fortfahrend. Nein, ich will nichts sagen, nichts wünschen: dann wäre alles gegangen, wie es abgeredet war, du hättest nicht Gelegenheit gehabt, dich in deinem Glanze sehen zu lassen, gleichsam als ein Gott aus einer Maschine herunterzusteigen und unsre Verlegenheit zu endigen. Er naht sich ihm vertraulich und lächelnd. Was beschließen Sie, mein Freund? Sehn Sie, schon stehn unsre Wächter wie betäubt: nur ein Wort von Ihnen, so fallen sie in einen Schlummer, in dem sie alles vergessen, was geschah, und wir begeben uns inzwischen glücklich hinweg. Geschwind, mein Freund, drücken Sie mich an Ihre Brust, verzeihen Sie mir und retten Sie mich!

GRAF
gravitätisch ihn umarmend.
Ich verzeihe dir!Zu dem Obersten. Wir werden zusammen sogleich von hier wegfahren.
OBERSTER
lächelnd.
O ja! recht gern!
DOMHERR.
Welch ein Wunder!
MARQUISE
zum Marquis.
Was soll das heißen? Wenn der uns noch rettete!
MARQUIS.
Ich fange an zu glauben, daß er ein Hexenmeister ist.
OBERSTER.

Ich brauche diese Reden nicht weiter anzuhören; ich weiß nur schon zu klar, mit wem und was ich zu tun habe. Gegen die Szene gekehrt. Treten Sie nur auch herein, junger Mann, Sie haben mich lange genug allein gelassen.

8. Auftritt
Achter Auftritt
Die Vorigen. Der Ritter.

RITTER.
Ja, hier bin ich, die Abscheulichen zu beschämen und die Toren zu bedauern!
[92]
DIE ÜBRIGEN
außer dem Obersten.
Was soll das heißen? Der Ritter! Entsetzlich! Es ist nicht möglich!
RITTER.
Ja, ich bin hier, um gegen euch alle zu zeugen.
NICHTE.
Daran bin ich allein schuld!
DOMHERR.
Was soll das heißen? Ich werde wahnsinnig!
OBERSTER.

Sie kennen also diesen Mann? Hier geht alles natürlich zu, außer daß dieser in solcher Gesellschaft ehrlich geblieben ist. Er hat eure Schelmereien beobachtet, er hat sie dem Fürsten entdeckt, und ich habe den Auftrag, zu untersuchen und zu strafen. Zum Domherrn. Zuvörderst also, damit Sie einsehen, auf welchem Wege man Sie bisher geführt, von wem Sie geführt worden, wie sehr Sie betrogen sind, so erkennen Sie doch endlich das Phantom, womit man diesen Abend unsre Fürstin gelästert hat. Er hebt der Nichte den Schleier vom Gesicht.


Domherr erkennt sie und drückt pantomimisch sein Entsetzen aus.
RITTER.
Wie die Fürstin, so die Geister! – Solchen Menschen vertrauten Sie!
DOMHERR.
Auch Ihnen vertraut ich, und Sie, merk ich, haben mich zugrunde gerichtet.
OBERSTER.

Diese Nichtswürdigen haben sich Ihrer Schwäche bedient und Sie zu den strafwürdigsten Unternehmungen angefeuert. Was können Sie erwarten?

DOMHERR.
Herr Oberst –
OBERST.

Beruhigen Sie sich! Und erfahren Sie zuvörderst, daß der Fürst edel genug denkt, um auch diesmal Ihren Leichtsinn, Ihren Frevel mit Gelindigkeit zu bestrafen. Was sag ich, bestrafen? Er will vielmehr den zweiten Versuch machen, ob es möglich sei, Sie zu bessern, Sie der großen Ahnherrn würdig zu machen, von denen Sie abstammen. Ihre Entfernung vom Hofe, die nun zwei Jahre dauert, hat Ihnen wenig genutzt. Ich kündige Ihnen an, daß Sie frei sind, aber nur mit der Bedingung, daß Sie binnen acht Tagen das Land verlassen, unter dem Vorwande, als wenn Sie eine große Reise zu tun willens wären. [93] Mit Ihrem Oheim, den der Fürst besonders schätzt, dem er vertraut, wird alles abgeredet und eingerichtet werden. Sie können frei in Ihrem Wagen zurückkehren, wenn Sie nur erst unterrichtet sind, wie es mit dem gefährlichen Juwelenhandel aussieht, in den Sie sich eingelassen haben.

DOMHERR.
Was muß ich erfahren! Was muß ich erleben!
OBERST
zu dem Marquis.
Geben Sie zuvörderst die Juwelen heraus, die Sie in der Tasche haben.
MARQUIS.
Die Juwelen? Ich weiß von keinen!
EIN SCHWEIZER.
Er hat da was erst in den Busch geworfen. Es muß nicht weit liegen.

Man sucht und bringt das Kästchen hervor, das man dem Obersten überreicht.
OBERST.

Leugnet nicht weiter! Es ist alles am Tage. Zur Marquise. Wo sind die übrigen Steine? Gestehn Sie nur! Sie kommen nicht wieder nach Hause, und zu Hause bei Ihnen ist in diesem Augenblicke alles versiegelt. Verdienen Sie die Gelindigkeit, mit der man Sie zu behandeln gedenkt.

MARQUISE.
Hier sind sie. Das Schmuckkästchen hervorbringend. So dacht ich sie nicht loszuwerden.
OBERST
zum Domherrn.

Man wird diese Juwelen den Hofjuwelieren wieder zustellen und Ihre Verbindlichkeit dagegen einlösen. Die falsche Unterschrift der Prinzessin werden Sie dagegen zurücklassen. Ich halte Sie nicht weiter auf, Sie können gehen.

DOMHERR.

Ja, ich gehe. Sie haben mich beschämt gesehn; aber glauben Sie nicht, daß ich erniedrigt bin. Meine Geburt gibt mir ein Recht auf die ersten Bedienungen im Staate; diese Vorzüge kann mir niemand nehmen, und noch weniger wird man mir die Leidenschaft aus dem Herzen reißen, die ich für meine Fürstin empfinde. Sagen Sie es ihr, wie glücklich mich dieses Phantom gemacht hat. Sagen Sie ihr, daß alle Demütigungen nichts gegen [94] den Schmerz sind, mich noch weiter von ihr entfernen zu müssen; in ein Land zu gehen, wo ich sie nicht mehr auch nur im Vorüberfahren erblicken werde: aber ihr Bild und die Hoffnung werden nie aus meinem Herzen kommen, solange ich lebe. Sagen Sie ihr das. Euch übrige verachte ich. Ihr waret geschäftig um meine Leidenschaft, wie Käfer um einen blühenden Baum; die Blätter konntet ihr verzehren, daß ich mitten im Sommer wie ein dürres Reis dastehe; aber die Äste, die Wurzeln mußtet ihr unangetastet lassen. Schwärmt hin, wo ihr wieder Nahrung findet! Der Domherr geht ab.

OBERSTER.

Die übrigen werden unter guter Bedeckung ganz in der Stille auf eine Grenzfestung gebracht, bis man hinlänglich untersucht hat, ob ihre Schelmstreiche nicht vielleicht noch weiter um sich gegriffen haben. Findet sich's, daß sie in weiter keine Händel verwickelt sind, so wird man sie in der Stille des Landes verweisen und so von diesem betrügerischen Volke sich befreien. Es sind eben vier, ein Wagen voll. Fort mit ihnen! Man begleite sie bis an das große Tor, wo ein Fuhrwerk steht, und übergebe sie dort den Dragonern.

NICHTE.

Wenn ein unglückliches Mädchen von einem strengen Urteilsspruch noch auf Gnade sich berufen darf, so hören Sie mich an. Ich unterziehe mich jeder Strafe, nur trennen Sie mich von diesen Menschen, die meine Verwandten sind, sich meine Freunde nannten und mich in das tiefste Elend gestürzt haben. Verwahren Sie mich, entfernen Sie mich; nur haben Sie Barmherzigkeit, bringen Sie mich in ein Kloster.

RITTER.
Was höre ich?
OBERST.
Ist es Ihr Ernst?
NICHTE.

O hätte dieser Mann geglaubt, daß meine Gesinnungen aufrichtig seien, so wären wir alle nicht, wo wir sind. Ritter, Sie haben nicht edel gehandelt! Durch meine Unvorsichtigkeit, durch einen Zufall haben Sie das Geheimnis erfahren. Wären Sie der Mann gewesen, für den [95] ich Sie hielt, Sie hätten diesen Gebrauch nicht davon gemacht, Sie hätten den Domherrn unterrichten, die Juwelen beischaffen und ein Mädchen retten können, das nun unwiederbringlich verloren ist. Es ist wahr, man wird Sie für diesen Dienst belohnen; unser Unglück wird ein Kapital sein, von dem Sie große Renten ziehen. Ich verlange nicht, daß Sie im Genuß der fürstlichen Gunst, der einträglichen Stellen, in deren Besitz Sie sich bald befinden werden, an die Tränen eines armen Mädchens denken sollen, deren Zutraulichkeit Ihnen Gelegenheit gab, zu horchen. Aber brauchen Sie jetzt, da Sie ein bedeutender Mann bei Hofe sind, Ihren Einfluß, das zu bewirken, warum ich Sie bat, da Sie noch nichts hatten, wenigstens zeigten, als Gesinnungen, die ich ehren mußte. Erlangen Sie von diesem ernsthaften würdigen Manne nur, daß ich nicht mit dieser Gesellschaft weggebracht werde; daß meine Jugend in einem fremden Lande nicht größern Erniedrigungen ausgesetzt werde, als ich in diesem leider schon dulden mußte. Zum Obersten. Ich bitte, ich beschwöre Sie, mein Herr, wenn Sie eine Tochter haben, an der Sie Freude zu erleben wünschen, so schicken Sie mich fort; aber allein. Verwahren Sie mich; aber verbannen Sie mich nicht!

OBERST.
Sie rührt mich!
RITTER.
Ist es Ihr Ernst?
NICHTE.
O hätten Sie es früher geglaubt!
OBERST.
Ich kann Ihren Wunsch erfüllen; ich gehe in nichts von meiner Instruktion ab.
NICHTE.

Ja, Sie erfüllen ganz Ihre Instruktion, wenn die Absicht ist, wie es scheint, diesen verwegenen Handel im stillen beizulegen. Verbannen Sie mich nicht, schicken Sie mich in kein fremdes Land; denn die Neugierde wird rege werden. Man wird die Geschichte erzählen, man wird sie wiederholen. Man wird fragen: »Wie sieht das abenteuerliche Mädchen aus? Sie soll, sie muß der Prinzessin gleichen, sonst hätte die Fabel nicht können erfunden,[96] nicht gespielt werden. Wo ist sie? Man muß sie sehen, man muß sie kennen.« O Ritter, wenn ich ein Geschöpf war, wie Sie dachten, so wäre der gegenwärtige Fall für mich erwünscht genug, und ich brauchte keine Ausstattung weiter, um in der Welt mein Glück zu machen.

OBERST.

Hiermit sei es genug! Begleitet jene drei an den Wagen; der Offizier, dem ihr sie übergebt, weiß schon das Weitere.

MARQUIS
leise zur Marquise.
Es ist nur von Verbannung die Rede. Wir wollen demütig abziehn, um das Übel nicht ärger zu machen.
MARQUISE.

Wut und Verdruß kochen mir im Herzen; nur die Furcht vor einem größern. Übel hält mich ab, ihr Luft zu machen.

OBERST.
Nun fort!
MARQUISE.

Bedenken Sie, Herr Oberst, und lassen Sie den Fürsten bedenken, welches Blut in meinen Adern fließt, daß ich ihm verwandt bin und daß er seine eigne Ehre verletzt, wenn er mich erniedrigt!

OBERST.

Das hätten Sie bedenken sollen! – Gehen Sie! Schon hat man diese noch lange nicht erwiesene Verwandtschaft zu Ihrem Vorteil mit in Anschlag gebracht.

GRAF.

Mein Herr, Sie vermischen mit diesem Gesindel einen Mann, der gewohnt ist, überall ehrenvoll behandelt zu werden.

OBERST.
Gehorchen Sie!
GRAF.
Es ist mir unmöglich!
OBERST.
So wird man Sie's lehren.
GRAF.
Ein Reisender, der überall, wo er hinkommt, Wohltaten verbreitet.
OBERST.
Es wird sich zeigen.
GRAF.
Dem man wie einem Schutzgeist Tempel bauen sollte.
OBERST.
Es wird sich finden.
GRAF.
Der sich als Großkophta legitimiert hat.
OBERST.
Wodurch?
[97]
GRAF.
Durch Wunder.
OBERST.
Wiederholen Sie eins und das andre, rufen Sie Ihre Geister herbei, lassen Sie sich befreien!
GRAF.
Ich achte euch nicht genug, um meine Macht vor euch sehen zu lassen.
OBERST.
Groß gedacht! So unterwerfen Sie sich dem Befehl.
GRAF.

Ich tue es, meine Langmut zu zeigen; aber bald werde ich mich offenbaren. Ich werde Ihrem Fürsten solche Geheimnisse melden, daß er mich im Triumphe zurückholen soll, und Sie werden vor dem Wagen voranreiten, in dem der Großkophta verherrlicht zurückkehren wird.

OBERST.
Das wird sich alles finden; nur heute kann ich Sie unmöglich begleiten. Fort mit Ihnen!
SCHWEIZER.
Fort, sagt der Oberste, und wenn Ihr nicht geht, so werdet Ihr unsre Hellebarden fühlen.
GRAF.
Ihr Elenden, ihr werdet bald vor mir ins Gewehr treten.
DIE SCHWEIZER
schlagen auf ihn los.
Will Er das letzte Wort haben?

Die Schweizer mit den drei Personen ab.
OBERST
zur Nichte.

Und Sie sollen noch heute nacht in das Frauenkloster, das keine Viertelstunde von hier liegt. Wenn es Ihr Ernst ist, sich von der Welt zu scheiden, so sollen Sie Gelegenheit finden.

NICHTE.

Es ist mein völliger Ernst. Ich habe keine Hoffnung mehr auf dieser Welt. Zum Ritter. Aber das muß ich Ihnen noch sagen, daß ich meine erste, lebhafte Neigung mit in die Einsamkeit nehme – die Neigung zu Ihnen.

RITTER.

Sagen Sie das nicht, strafen Sie mich nicht so hart. Jedes Ihrer Worte verwundet mich tief. Ihr Zustand ist gegen den meinigen zu beneiden. Sie können sagen: »Man hat mich unglücklich gemacht«; und welchen unerträglichen Schmerz muß ich empfinden, wenn ich mir sage: [98] »Auch dich zählt sie unter die Menschen, die zu ihrem Verderben mitwirkten.« O vergeben Sie mir! vergeben Sie einer Leidenschaft, die, durch einen unglückseligen Zufall mit sich selbst uneins, das verletzte, was ihr noch vor wenig Augenblicken das Liebste, das Werteste auf der Welt war. Wir sollen uns trennen! Unaussprechlich ist die Qual, die ich in diesem Zustand empfinde. Erkennen Sie meine Liebe und bedauren Sie mich. O daß ich nicht meiner Empfindung folgte und nach der zufälligen Entdeckung gleich zum Domherrn eilte! Ich hätte mir einen Freund, eine Geliebte erworben, und ich hätte mein Glück mit Freuden genießen können. Es ist alles verloren.

OBERST.
Fassen Sie sich!
NICHTE.

Leben Sie wohl! Diese letzten tröstlichen Worte werden mir immer gegenwärtig bleiben.Zum Oberst. Ich sehe an Ihren Augen, daß ich scheiden soll. Möge Ihre Menschlichkeit belohnt werden!


Sie geht mit der Wache ab.
OBERST.

Das arme Geschöpf dauert mich! Kommen Sie! Alles ist gut gegangen. Ihre Belohnung wird nicht ausbleiben.

RITTER.

Sie mag sein, welche sie will, so fürstlich, als ich sie erwarten darf; ich werde nichts genießen können, denn ich habe nicht recht gehandelt. Mir bleibt nur ein Wunsch und eine Hoffnung, das gute Mädchen aufzurichten und sie sich selbst und der Welt wiederzugeben.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Werke. Dramen. Der Großkophta. Der Großkophta. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-65AE-6