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An Carl Friedrich Zelter

In der Zeitschrift Cäcilia, Heft 24 findet du einen bedeutenden Aufsatz über Musikstand von Neapel, von einem der sich F. S. Kandler unterschreibt, einem Manne von dem ich wohl mehr zu erfahren wünschte. Mir hat an dieser kleinen Abhandlung, so darf man sie wohl nennen, alles wohlgethan: ruhiger Sinn, treue Kenntniß, Überblick, Neigung gegen das Einzelne, ernst-alter Glaube, Läßlichkeit gegen das Lebendige, Mäßigung und eine so reine Redlichkeit, daß wie das Lobens- so das Tadelnswerthe als existirend, als Folge des Vorhergehenden, als unerläßlich im Gegenwärtigen und, weil es manchem Augenblicke genug thut, noch immer hübsch genug erscheint.

Diesen Eindruck hat auf mich Laien dieses Heft gemacht, es spricht zu mir blos historisch zum Verstande, widerspricht aber demjenigen nicht was ich schon weiß und kenne, und so darf ich denn auch wohl jenem Kunstverwandten vertrauen, der, als Mensch höchst sinnig, treu und geordnet denkend, auch insofern man ihn als geselligen Musiker betrachtet höchst liebenswürdig erscheint. Ich wünsche daß dein Urtheil mein Gefühl rechtfertigen möge.

Bey dieser Gelegenheit haben sich alte Betrachtungen erneuert, die ich hier aussprechen will: der [213] Musiker, wenn er sonst sinnlich und sinnig, sittlich und sittig begabt ist, genießt im Lebensgange große Vortheile, weil er dem Lebendig-dahin-fließenden und aller Art von Genüssen sich mehr assimiliren kann. Einen ganz eignen Reiz haben daher deine Reiseberichte und zwar einen doppelten: dem wackern Manne hat sich der Architekt und der Musiker zugesellt, und der Bereich dieser Societät ist gar nicht auszumessen.

In zwey starken Octavbänden haben uns die Engländer ihre lebenden Poeten vorgeführt, kurz biographisch, mehr oder weniger in Beyspielen. Ich studire seit einiger Zeit dieß Werk gar fleißig, es gibt zu höchst interessanten Vergleichungen Anlaß. Die entschiedenen Vorzüge dieser sämmtlichen Poeten entwickeln sich aus ihrer Abkunft und Lage: der geringste hat Shakespeare zum Ahnherrn und den Ocean zu seinen Füßen.

Nachstehend hab ich dir einiges mittheilen wollen von dem was mir Angenehmes worden ist in meinem vierwöchentlichen, freylich vom Wetter wenig begünstigten Gartenaufenthalt; auch ein altschottisches Lied lege bey, welches wohl seinen starren derben Charakter behauptet.

Die Sendung der guten Doris ist glücklich angekommen, wofür ich schönstens danke; das Geld er folgt sogleich.

Nun geh ich in die Stadt zurück, um Herrn [214] Grafen Sternberg der sich anmeldete immer bey der Hand zu seyn, wenn er von Hof- und Weltpflichten sich frey machen konnte. Ich freue mich gar sehr darauf mit ihm wichtige Puncte der Naturforschung durchzusprechen.

Nun aber sage mir von dem Übel das dein gutes Kind befallen hat. Ist dessen Sitz in der Hüfte, im Knie, oder den untern Theilen? Hast du denn Rust, den einsichtigen, kühnen, ja verwegenen Mann nicht zu Rathe gezogen? Leider ist in solchen Fällen oft die Cur ein größeres Übel als das Übel selbst.

Wolltest du nun, mein Theuerster, mein Briefe von 1826 schicken, daß auch dieses Jahr vereint abgeschrieben werde; die übrigen sind in Ordnung, auch schon zum größten Theil corrigirt.

Begegnet dir bey'm Auspacken meine musicalische Tabelle, so sende sie mir doch gleichfalls; ich mag sie wieder einmal gerne vor Augen haben; denn ich bilde mir ein es seyen mir einige neue Lichter über diese Region aufgegangen.

Nun lebe wohl und halte dich durch Gutes und Böses möglichst hindurch. Wenn nur nicht so manches zusammenkäme was gewisse Augenblicke unerträglich macht und doch kaum einer Xenie werth ist. Einiges zur Erheiterung, wie, hoff ich, Nachstehendes gedeihen wird, kann ich von Zeit zu Zeit mittheilen.

treu angehörig
Weimar den 9. Juni 1827.
J. W. Goethe.

[215] [Beilage.]
Altschottisch.

Matt und beschwerlich
Wandernd ermüdigt,
Klimmt er gefährlich,
Nimmer befriedigt;
Felsen ersteigt er
Wie es die Kraft erlaubt,
Endlich erreicht er
Gipfel und Bergeshaupt.
Hat er mühselig
Also den Tag vollbracht,
Nun wär es thörig
Hätt es darauf noch Acht.
Froh ist's unsäglich
Sitzendem hier,
Athmend behäglich
An Geishirtens Thür.
Speis ich und trinke nun
Wie es vorhanden,
Sonne sie sinket nun
Allen den Landen;
Schmeckt es heut Abend
Niemand wie mir,
Sitzend mich labend
An Geishirtens Thür.

Juni. 27.
G.
[216]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1827. An Carl Friedrich Zelter. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-6AAD-4