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An Carl Franz Anton von Schreibers

[Concept.]

Ew. Hochwohlgeboren

vergegenwärtigen sich geneigtest und lebhaft den Zustand, in welchen mich das Abscheiden unseres unvergeßlichen Fürsten setzen mußte, und Sie entschuldigen gewiß mein bisheriges Stillschweigen. Seit jenem Augenblick, der uns in die traurige Gewißheit versetzte, fand ich mich, in so hohen Jahren, kaum fähig denen Obliegenheiten genug zu thun, die der Tag gleichgültig von mir forderte, eben als wenn es noch die freudige und behagliche Zeit wäre, wo man unter den Augen des vorzüglichsten Fürsten sich zu beschäftigen das Glück hatte.

Auch ist seit jenem Ereigniß meine Wirkung in die Ferne sehr viel geringer, und erst nach und nachricht ich mich wieder ein, die früheren Verhältnisse, nach Maaßgabe der gegenwärtigen Zustände, wieder anzuknüpfen.

Nehmen Ew. Hochwohlgeboren daher verpflichteten Dank, daß Sie mir Veranlassung geben, zu versichern: Gesinnungen und Vertrauen voriger Zeit seyen noch immer dieselbigen, auch habe sich wahrhafte Hochachtung und treue Anerkennung keineswegs vermindert. Ich erwarte daher dankbar die nächste Sendung der Flora brasiliensis, welche mir besonders in dem Augenblicke sehr [165] willkommen ist, da ich Veranlassung finde mich wieder für einige Zeit mit Botanik zu beschäftigen.

Sollte sich einiges, zur comparirenden Anatomie gehöriges Osteologisches um einen billigen Preis wieder vorfinden, so bitte mir solches als einen Versuch in unsern neuen Verhältnissen zuzusenden. Es steht zu hoffen, daß unser gnädigst regierender Herr seinem Herrn Vater, wie im Übrigen, also auch in Förderniß der Naturwissenschaften nachzustreben sich beeifern werde.

Für die früher mitgetheilten Notizen, die Reise der jungen Giraffe betreffend, danke verpflichtet. Wie ist es diesem zarten, Wärme gewohnten Geschöpf bisher ergangen?

Warum kann ich nicht an Ihrer Seite, und wär es auch nur auf einige Zeit, unter so vielen Schätzen frische Belehrung suchen und gegenwärtig seyn, wenn Ihr brasilianischer Reisender das Allerneuste entfalten.

Hier darf ich wohl aussprechen, daß die Naturbetrachtungen, denen ich so viele Jahre meines Lebens gewidmet, mich erst jetzt in hohem Grade belohnen, indem sie unter den Trost- und Ermunterungsgründen, bey manchen eindringenden Übel, sich am treusten und wirksamsten verhalten.

Viele werthe Männer hinwegraffend hat der Januar sich grausam gegen uns erwiesen. An mehreren Erdpuncten waren unsere vorzüglichen Männer nicht sicher. Adam Müller in Wien, Friedrich Schlegel in Dresden, [166] Doctor Hassel in Weimar, Professor Reisig in Venedig wurden ganz unvermuthet, letzterer am frühzeitigsten, abgerufen; und mir kommt es in meinen hohen Jahren ganz eigen vor, von dem Verluste so vieler Jüngeren Zeuge seyn zu müssen.

Halten Ew. Hochwohlgeboren sich daher versichert, daß ich, so wie den Wissenschaften, also auch treuerprobten Freunden immer gleich anhänglich verbleibe, und lassen mich von Zeit zu Zeit aus dem Reichthum Ihrer Erfahrung das Geeignete freundlichst vernehmen.

Weimar den [16.] Februar 1829.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1829. An Carl Franz Anton von Schreibers. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-6AF2-6