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An Johann Friedrich Heinrich Schlosser

Der Unfall, der Ihr Haus und also auch uns betroffen, ward mir von Boisserée aus Paris gemeldet, wodurch ich in das nächste Mitgefühl des Schmerzes versetzt worden. Er schilderte mir lebhaft den schrecklichen Übergang vom Hoffen zum traurigsten Entbehren. Wenn ich meine Gedanken nunmehr zu Ihnen wendete: wie Sie, von glücklicher und froh vollbrachter Reise zurückkehrend, gerade das Unerfreulichste, Zerstörende vernehmen mußten, so gehörte dieß zu den traurigen Fällen, die mich, vor dem Jahresschluß, an meinen Werthesten betroffen haben.

Unsere, nie genug zu verehrende Frau Großherzogin hat unversehens, in eignen Zimmer, einen Fall gethan, wodurch sie die beiden Röhren des rechten Arms, gerade über dem Gelenke, zerbrach; das Hauptübel ist glücklich geheilt; aber ein hartnäckig zu- und abnehmender Handgeschwulst will sich noch nicht bändigen lassen. Ähnliche Übel an Freunden und Bekannten mußt ich gleichfalls erleben, und Sie werden auch mich bedauern, daß ich, bey einem höchst leidlichen Befinden, meine Geistesheiterkeit durch solche nachverwandte Schicksale getrübt sehe.

Empfehlen Sie mich Ihrer theuren Gattin und gedenken mein, in traurigen und frohen Stunden, als eines treulich Theilnehmenden.

[86] Drey Paquete der uns gegönnten Deductionen sind wohlbehalten angekommen. Meine Sorgfalt für die jenaische Bibliothek wird solche freundschaftliche Beyträge höchlich belohnt. Rath Vulpius freut sich dabey der zuwachsenden Arbeit und empfiehlt sich zum allerbesten.

Für die der rudolstädtischen Sammlung erwiesene Aufmerksamkeit danke schönstens; man soll nicht müde werden dergleichen Dinge auszubieten; wie ich denn die wunderbarsten Fälle erlebt habe, daß eine Empfehlung nach Osten eine Wirkung nach Westen verursachte, wo gerade dieser Gegenstand gewünscht und verlangt wurde.

Versichern Sie Ihren guten Bruder meiner aufrichtigsten Theilnahme. Es ist so schmerzlich, daß unser guter Wille zu thätigem Beystand sich in solchen Fällen nur gelähmt findet. Es ist gerade, als wenn man selbst untergegangen wäre.

Ich beschäftige mich eben mit Studien, über die ich mich sonst mit ihm zu unterhalten pflegte, und dieß vergegenwärtigt mir leider nur um so mehr seinen augenblicklichen Zustand.

Ihre liebe Schwester läßt sich lange erwarten. Wenn es Ihr am Orte des gegenwärtigen Aufenthalts wohlgeht und wohlgefällt, so wollen wir uns gerne mit der Hoffnung trösten, sie endlich doch noch bey uns zu sehen.

Erlauben Sie, theuersten und gefälligster Freund,[87] daß ich Sie von Zeit zu Zeit, wie ehemals, mit einer kleinen Bestellung belästigen und Ihnen deshalb eine kleine Casse nächstens anweisen darf.

treulich verbunden

Weimar den 10. Januar 1821.

J. W. v. Goethe.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1821. An Johann Friedrich Heinrich Schlosser. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-6AFA-5