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An Philipp Christoph Kayser

Frankfurt am Main den 29. Dez. 1779.

Ich schike Ihnen hier, lieber Kaiser eine Operette die ich unterweeges für Sie gemacht habe. Es sind [155] die aller einfachsten Umrisse, die Sie nunmehr mit Licht, Schatten und Farben herausheben müssen wenn sie frappiren und gefallen sollen. Über das Stük selbst will ich Ihnen nichts sagen biss Sie es gelesen haben, alsdann bitt' ich dass Sie mir weitläufig schreiben ob Sie's unternehmen wollen und wie Sie's anzugreiffen gedenken. Sie werden ohne meine Erinnerung sehen, dass es mir drum zu thun war, eine Menge Gemüthsbewegungen in einer lebhaft fortgehenden Handlung vorzubringen, und sie in einer solchen Reihe folgen zu lassen, dass der Komponist sowohl in Übergängen als Contrasten seine Meisterschaft zeigen kann. Hierüber ein mehreres, wenn Sie mir selbst erst Ihre Gedanken geschrieben haben. Nur eins muss ich noch vorläufig sagen: Ich bitte Sie darauf acht zu geben, dass eigentlich dreierlei Arten von Gesängen drinne vorkommen.

Erstlich Lieder, von denen man supponiret, dass der Singende sie irgendwo auswendig gelernt und sie nun in ein und der andern Situation anbringt. Diese können und müssen eigne, bestimmte und runde Melodien haben, die auffallen und iedermann leicht behält.

Zweitens Arien, wo die Person die Empfindung des Augenbliks ausdrükt und, ganz in ihr verlohren, aus dem Grunde des Herzens singt. Diese müssen einfach wahr, rein vorgetragen werden, von der sanftesten biss zur heftigsten Empfindung. Melodie und [156] Akkompagnement müssen sehr gewissenhaft behandelt werden.

Drittens kommt der rytmische Dialog, dieser giebt der ganzen Sache die Bewegung, durch diesen kann der Componist die Sache bald beschleunigen, bald wieder anhalten, ihn bald als Deklamation in zerrissnen Takten traktiren, bald ihn in einer rollenden Melodie sich geschwind fortbewegen lassen. Dieser muss eigentlich der Stellung Handlung und Bewegung des Akteurs angemessen sein und der Komponist muss diesen immer fort vor Augen haben, damit er ihm die Pantomime und Aktion nicht erschweere. Dieser Dialog, werden Sie finden, hat in meinem Stük fast einerlei Sylbenmaas und wenn Sie so glüklich sind ein Hauptthema zu finden, das sich gut dazu schikt, so werden Sie wohl thun solches immer wieder hervor kommen zu lassen und nur durch veränderte Modulation, durch Major und Minor, durch angehaltenes oder schneller fortgetriebenes Tempo die einzelne Stellen zu nüanciren. Da gegen das Ende meines Stüks der Gesang anhaltend fortgehen soll, so werden Sie mich wohl verstehen was ich sage, denn man muss sich alsdenn in acht nehmen dass es nicht gar zu bunt wird. Der Dialog muss wie ein glatter goldner Ring sein, auf dem Arien und Lieder wie Edelgesteine aufsizen. Es versteht sich dass ich hier nicht von dem vordern prosaischen Dialog rede, denn dieser muss nach meiner Intention gesprochen [157] werden, ob Ihnen gleich frei bleibet nach Gefallen hier und da Akkompagnement einzuweben. Übrigens werden Sie wohl von selbst finden, dass viel Gelegenheit da ist, manichfaltigen musikalischen Reichthum anzubringen. Sollten Sie sich entschliessen es zu komponiren, so muss ich bitten, sich sein balde drüber zu machen, damit es bei uns zu einer Zeit noch aufgeführet werden kann, wo das Interesse der Schweizererzählungen noch nicht verraucht ist.

Ich erwarte schleunige Antwort und verspare biss dahin was ich weiter zu sagen habe.

Leben Sie wohl. Ihrem Vater hab ich von Ihnen erzählt, schicken Sie doch dem Manne etwas von Ihrer Composition, man muss den Menschen Freude machen solang sie leben.

Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1779. An Philipp Christoph Kayser. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-6B2B-2