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An Charlotte von Stein

(Mit Seidels Tagebuch.)


Den 11. Okt. um 10 Uhr von Lauterbrunn ab. Der Regen hatte die Weege sehr schlimm gemacht. Herrliche Felsen und Felsenbrüche. Die Sonne kam hervor die Wolken hoben sich von den Bergen. Hier und da kam der schöne blaue Himmel hervor. Um 4 Uhr Nachmittags kamen wir nach Gründelwald sahen noch vor Tische den sogenannten untern Glätscher der bis ins Thal dringt und daran die herrliche Eishöle woraus das Eiswasser seinen Ablauf hat. und suchten Erdbeern in dem Hölzgen das gleich darneben steht.

Den 12. Okt. früh um 7 ab. Es war sehr kalt und hatte gefrohren. Ich verirrte mich half mir aber wieder zur Gesellschafft wir sahen den Obern Glätscher. Von allem diesem nähere mündliche Auslegungen. Den Scheidek hinauf wurd es uns sämtlich warm. Streit über den Mettyberg und Jungfrauhorn. Hier wächst zwischen den Steinen ein hartes Gewächs, Bergrose genannt dessen Blätter einen starken balsamischen Geruch haben. Auf dem Gipfel ist ein kleiner See. Um 1 Uhr waren wir im Schwarzwald. Hier sieht man auf der rechten Seite das Wollhorn, Wetterhorn und Engelhorn. Das Wetter war heiter. Hier assen wir bei einem Bauer was wir mit genommen hatten. Der Weeg ins Haslithal ist der angenehmste [80] den man gehen kann. Wir besahen einen Käsespeicher die hier aller Enden stehn nun aber nach und nach gegen den Winter geleert und verlassen werden. Die Hirten waren erst selbigen Morgen mit dem Vieh abgetrieben. Der Weeg geht an hohen Felswänden vorbey. Der erste Blik vom Berg herab in das Hasliland ist frappirend, die Gegend ist erstaunend weit und angenehm. Vom Gipfel des Scheideks bis ins Haslithal geht man über 4 Stunden immer Berg ab. Hier gingen wir links an dem Berg nach dem Reichenbach und dann nach Hof wo wir etwas assen. Von hier auf Gutannin. Der Weeg ist bös weil man so oft über elende Stiege über die Aar muss, an Felsenwänden weg wo ein bloser Pfad ausgehauen ist und unten immer grosse Abgründe. Hierzu kam die einbrechende Nacht. Herr v. Wedel und Wagner waren wegen ihres Schwindels übel dabei zu Muthe. Eine halbe Stunde vor Guotanin nahmen wir Zuflucht in einem Bauernhauss. ich ging Wagnern der noch zurük war mit einer Laterne entgegen. Schöne Familie in dem Hauss. Wir kamen endlich mit Schindelfakeln nach 8 Uhr daselbst an. Schlechter Wein und schlechte Wirtschaft daselbst.

Den 13. Okt. um 7 Uhr ab und wieder zurük. Wir kehrten wieder bei der schönen Familie ein und frühstükten noch einmal, der Weeg den wir nun mit mehr Muse und Vergnügen machten ist über allen Ausdruk schön. Er krümmt zwischen den hohen Bergen bald herüber bald über die Aar die bei Hof sich zwischen zwei hohen Felsenwänden durchdrängt und eine halbe Stunde drauf wieder heraus kommt. Das Thal bei Hof im Grund genannt ist rund mit Bergen umgeben das gar schön aussieht. Aus dem Meiringer Wirthshauss wo wir zu Mittag assen sieht man [81] zwei kleine Wasserfälle angenehm den Berg herabkommen. Von Petern haben wir niemand zu sprechen können kriegen. Wir gingen um 3 wieder ab und der Herr Geh. Rath voraus. Der Weeg nach Brienz ist grad und schön von fruchtbaren Bergen eingefasst. Auf der linken Seite kommt man an dem Wandel- und Olzibach vorbei. Abends 1/2 7 waren wir in Brienz. Ein Schwager des Peters war denen Herrns nachgelaufen und gab ihnen einen Brief mit, ausser dieser Schwester hat er noch einen Bruder eine Stiefmutter und Stiefgeschwiester. Vor dem Wirthshauss musten zwei Bursche nach Schweizermanier in dem Gras mit einander ringen. Die Aussicht von dem Brienzer See nach den Haslibergen und den Schneegebirgen bei untergehender Sonne ist gros. Es war schon Nacht als auf den Schneebergen oben noch die Sonne glänzte.

Den 14. früh 8 Uhr ab. Es war wieder der schönste heiterste Tag. um 11 Uhr waren wir in Unterlachen einem Kloster wo man anlandet und biss Untersewen zu Fuse geht. In dem Wirthshauss trafen wir wieder den berühmten Doktor Tavaros an mit seiner ganzen Famielie und übrigen Rotte die zusammen 12 Personen ausmachen. 1/2 3 gingen wir ab. Der Herr Geh. Rath las aus dem Homer von den Sirenen. Eine Stunde nach Untersewen erscheint die Beatushöle wir stiegen aus und kletterten den Berg hinan wo man expres einen Weeg in den Berg eingehauen hat. Aus der Höhle die vorn über 3 Mannshöhe hat hinten aber steigend niedriger wird und sehr tief hinein geht komt ein schönes Wasser, daneben ist noch eine d° zwischen beiden ist ein heiliger Epheustamm hoch den Fels hinangelaufen dessen Zweige feierlich drüber herabhängen, eine Kanaillehand hat ihn und wohl erst vor einigen Tagen unten durchgehauen. [82] Der Stamm war drei Spannendick, er ist noch frisch und grün. Herrliches Grün des Sees von oben. Wasserfall. Der Mond kam hervor. Der See ward bewegt und bildete allerlei schöne Wellungen und Kräusel auf der Fläche. Um 7 in Thun.

Den 15. früh 9 3/4 ab. Der Herr Geh. Rath wollte auf der Aar bis Bern fahren, es gebrach an Gelegenheit und unterblieb. Um 1 Uhr waren wir in Bern.

So weit also mit diesem. Nun lass ich noch ein Blat abschreiben das ich im Münsterthal schrieb d. 3. Octbr. Es liegt zwischen Basel und Biel. Ich nahm soviel möglich war alles zusammen was ich an Gegenständen des Tags gesehn und bey ihnen in mir vorgegangen war. nicht immer hat man soviel reinheit nicht immer die Gedult und Entschlossenheit aufs Papier mit seinen Erscheinungen zu gehn. Adieu.

Heut Abend schwäzt meine Feder wie ein Specht.

Avis au Relieur.

Erst kommt das Tagebuch nach seinen Numern 1. bis 6. Sodann der Gesang, sodann die Beschreibung des Münsterthals. Und wenn man will zulezt das Avertissement des Docktors. Grüsen Sie ihre Mutter und die kleine. Und wenn Sie in Kochberg noch sind die Schleusingen.

Grüsen Sie Kästner und die Kinder.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1779. An Charlotte von Stein. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-6B5D-1