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An Gräfin Josephine O'Donell

Da sich die liebe Excellenz abermals als ernsthafte Dame Ihrem demüthigen Freunde nähert und denselben wo nicht mit bedencklichen doch mit bedeutenden [259] Worten anredet; so erfordert die Schuldigkeit daß derselbe sich ungesäumt mit gebührender Erwiederung einfinde, welches auch hiermit geziemend, und zwar vorerst eigenhändig geschieht.

Es ist nicht zu läugnen daß wir andern Poeten einigermaßen verwandt sind mit dem Cammerdiener des Königs Midas, nur unterschreiben wir uns von diesem Herrn Vetter darin gar merklich daß wenn derselbe die Mängel seines Prinzipals ohnmöglich verschweigen konnte, wir dagegen es sehr peinlich finden von den Vollkommenheiten unserer Herrinnen zu schweigen.

Sie haben daher meine scharfsichtige Freundinn, mich irgend eines Vorhabens in gegründetem Verdacht, nur muß ich zu meiner Rettung und Rechfertigung versichern, daß ich dergleichen Anmasungen niemals aus eigner, uns vom Urvater Helios verliehenem Macht und Gewalt würde gewagt haben, vielmehr sollte ein gewißer stiller Wunsch im Laufe dieses Jahrs gegen die Freundinn verlauten und in Form einer gnädig weiter zu befördernden Bitte vor derselben erscheinen.

Da aber Ihr letztes vertrauliches Schreiben, ahndungsvoll schon eine abschlägige Antwort auf ein nicht angebrachtes Gesuch enthält, so ergebe ich mich um so mehr darein und verschließe, auf diesen himmlischen Fingerzeig, meine Gesinnungen und Vorhaben in einem stillen treuergebenen Herzen, wo sie [260] auf jede Art zu wuchern nicht ermangeln werden. Bekennend oder schweigend

W. d. 22. Jan. 1813.

immer derselbeGoethe.


Zunächst aber sollen Sie, verehrteste Freundinn, höchlichst gepriesen seyn daß Sie mir über meine biographische Masquerade ein freundliches Wort haben sagen wollen. Sie bemerken sehr richtig, daß ich eigentlich nur mein späteres Leben hinter das frühere verstecken kann.

Ein aufmunternder Beyfall ist mir sehr viel werth, weil das Unternehmen viele Schwierigkeiten hat, die mit dem Fortschritt immer wachsen und in jedem Band auf eine eigne Weise überwunden seyn wollen. Ich empfehle Ihnen auch die Fortsetzung dieses Büchleins, denn es ist eigentlich, wie meine meisten Arbeiten, eine Ausgeburt des Schattens und der Kühle, denen die heiße Zone der hellen Lichtwelt nicht recht gemäß ist.

Herr Abt Bondi hat mir gegen das Sonett einen musterhaft schönen Brief geschrieben, wie er vielleicht auch nur in der italiänischen Sprache zu schreiben ist. Begegnen Sie ihm irgendwo und mögen ihm etwas Verbindliches sagen so werd ich es dankbar erkennen.

Zum neuen Jahre hätt ich Ihnen gern gegen die allerliebsten Wünsche etwas gesendet. Allein diese Art Erfindung und Ausführung gehört nur Ihrem [261] großen und heitren Wien. Es scheint, daß die Künstler nun erst recht in das Genre kommen und alle Jahre bessere Einfälle haben.

Die Hafnerischen Werke sind glücklich angekommen und haben mich unmittelbar in Ihre Nähe versetzt. Sie stellen die große, sinnliche Masse der Hauptstadt recht lebhaft dar, aber zugleich von einem solchen Wuste begleitet, daß es mir angst und bange darin wird. Dem Herausgeber muß man das verdiente Lob zollen, daß er diese seltsamen Productionen der Vergessenheit entrissen und sie als Denkmal einer bedeutenden zeit und Localität aufgestellt hat.

Darf ich nun aber auch einmal wieder nach Ihrem lieben Sohn fragen. Jenen Aufsatz des Pensionsunternehmers hab ich mit Sorgfalt gelesen und ob man gleich dadurch nur von der äußern Form des Instituts unterrichtet wird, so glaubte ich doch daraus zu sehn, daß der Mann die Sache versteht und in guter Übung hat. Sagen Sie mir doch etwas von dem lieben Kinde, das Ihnen so werth seyn muß.

Und nun will ich noch hinzufügen, daß ich jenes Blatt, an das Sie mich erinnern, mit andern kostbaren Töplitzer Documenten sorgfältig aufhebe; aber ich muß versichern, daß ich jetzto noch weniger als damals wüßte, wie ich Ihren Wünschen entgegen kommen sollte. Wem bey solchem Gefühl, Tact und Urtheil, die lebendige Welt so gut als die Bücherwelt,[262] das Gegenwärtige sowie das Historische ganz eigentlich angehört, was bedürfte es da noch einer Anleitung, einer Weisung, einer Deutung; und so kann ich Ihrem Verlangen nur einen liebenswürdigen Irrthum entdecken, der das von außen erwartet, was die Natur schon innerlich lange zugetheilt hat. Weiter hab ich mit meinen Betrachtungen über diese Angelegenheit nicht gelangen können.

Ich schließe mit der Bitte um günstige Nachricht von dem Befinden unsrer allerhöchsten Gebieterinn.

W. d. 22tn Jan. 1813.

Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1813. An Gräfin Josephine O'Donell. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-6B9A-6