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An Sulpiz Boisserée

[12. August 1819.]

Ehe es entschieden war wohin ich meinen Weg richten würde, wollte ich auf Ihren lieben Brief [257] nichts erwidern. Nunmehr de es ausgemacht ist, daß ich nach Carlsbad gehe, begrüße ich Sie zum schönsten aus der Ferne.

Die Theilnahme, die Sie an meinen Arbeiten aussprechen, freut mich unendlich, weil ich darin Folge und Wirkung eines früheren fruchtbaren Zusammenseyns gar deutlich gewahre. Wenn man eine Zeitlang so bedeutende Tage zusammen verlebt hat, so versteht man sich für die übrigen Jahre zum deutlichsten.

Daß von der vorübergehenden Erscheinung des kaiserlichen Festes soviel übrig bleiben konnte, um auch ferner zu erfreuen und zu ergötzen, macht mir gegenwärtig selbst Vergnügen; den Werth solcher Dinge, die durch Vorsatz, Drang und Muß entstehen, erkennt man erst hinterdrein, da ihre Entstehung immer etwas Peinliches, ja Ängstliches mit sich führt.

Ein reinliches Exemplar des Divans mit ausgemahltem Titelkupfer soll unmittelbar an Sie abgehen, vor meiner Abreise, wenn ich dergleichen bis dahin zusammenbringen kann. Sie werden dem Werklein ansehen, welche Ausdauer und Anstrengung gefordert war, um es zu ründen und abzuschließen.

Von Ihrer Sammlung lasse mir viel erzählen; niemand sieht sie, ohne bleibendsten Eindruck davon zu behalten. Die wundersame Wirkung, die ein solcher Schatz auf Stuttgart und dessen Umgebung ausüben wird, ist gar nicht zu berechnen: denn man kann es immer als ein Evangelium ansehen, das [258] frisch und neu gepredigt wird, ich möchte es gar gern auch mir wieder einmal verkündigen lassen.

Auch bey einer neuen Darstellung des Cölner Doms haben wir Ihrer mit Freuden gedacht. Moller giebt, wie Sie wissen, von dem Facsimile seiner Zeichnung Druck und Contradruck, das hat man hier, auf Leinwand gezogen, schattirt und illuminirt, wodurch denn ein sehr schöner Begriff uns entgegen kommt. Worin ich besonders die Sagacität des alten Künstler bewundert habe, ist die schickliche Größe des Maaßstabes. In der Entfernung, in der man das Ganze übersehen muß, macht es gerade ein Bild, das sich in der Einbildungskraft an die Stelle der Wirklichkeit setzt, woraus eine sehr angenehme Befriedigung für Auge und Sinn sich hervorthut.

Wegen des Büchleins: Über das Studium der griechischen Künstler, will ich soviel sagen. Es lag eine ausführliche Recension zu Handen, als wir bey näherer Betrachtung der Sache lieber davon künftig ganz zu schweigen den Schluß faßten. Denn genau besehen sind beyde Theile einig, nur daß jeder die Seite von wo er ausgeht in das günstigste Licht setzt und auf die andere den Schatten wirft, indessen der Gegenstand in der Mitte unwandelbar stehen bleibt. Er werde beleuchtet, wie es auch komme. Was uns zum Schweigen und Abwarten am entschiedensten bestimmte, war die Ausstellung der deutschen Künstler zu Rom bey des Kaisers Anwesenheit. Aus mehreren [259] Briefen, die zu mir gelangten, so wie aus der Beylage No: 124 zur Allgemeinen Zeitung ließ sich ersehen, daß die Sache auch wieder ziemlich leidenschaftlich zur Sprache gekommen. Wir sind der Überzeugung daß sich dieses Räthsel nur praktisch auflösen lasse. Durch Erhaltung und zweckmäßige Vermehrung Ihrer Sammlung entscheiden Sie mehr, als mit Worten jemals geschehen kann.

Der Beyfall, den Sie den Philostratischen Bildern geben, erfreut mich gar sehr, indem ich so eben die andere Hälfte jener Gallerie zu bearbeiten gedenke. Es ist ein wundersam erfreuliches Leben in diesen Bildern. Von den merkwürdigen Resten der Arbeiten des Phidias besitze ich zwey Abbildungen in wirklicher Größe, mit vorzüglicher Sorgfalt gearbeitet, den Hercules und die Parzen. Damit begnüge ich mich einstweilen und auch hier schon werden ganz zu sehr geneigt Rückschritte zu thun, so stünde hier eine neue Laufbahn offen.

Wir wollen übrigens mit bestem Willen zusehen was die Lebenden hervorbringen, indem wir die Thaten der Abgeschiedenen verehren. Und so leben Sie für dießmal zum allerschönsten wohl mit wiederholten Grüßen an die brüderlichen Freunde.

treulichst

Weimar den 7. August 1819.

Goethe. [260]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1819. An Sulpiz Boisserée. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-6BA7-8