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An Johann Heinrich Wilhelm Tischbein

Wenn Sie sich, mein theuerster alter Freund, wieder einmal anmelden, so ist Ihre Erscheinung gewiß die erfreulichste. Mit liebevollen harmonischer Färbung wirken Sie von Zeit zu Zeit in die Ferne, immer willkommen. Seit Ankunft jenes lieblichen Bändchens, das so viel heitere, wohlgedachte, anmuthig dargestellte Symbole mittheilt, ist es wenig in meinen Händen gewesen, sondern, von Freunden zu Freundinnen wandelnd, hat es manche Familie erfreut und ist einigemal an denselbigen Platz wieder Verlangt worden. Sie können also denken, wie angenehm es mir ist, zu hören, daß Sie in diesen mittheilbaren [200] Art fortgefahren haben, und würden mich und werthe Personen gar sehr verbinden, wenn Sie von Zeit zu Zeit etwas dergleichen, durch die Post, wohl eingepackt übersenden und zugleich die Zeit bestimmen wollten, wann es wieder zurückgehen müßte. Nach diesem Verhältniß würde ich mich beeilen, so viel Freunde der sittlich-bildenden Kunst als möglich daran theinehmen zu lassen.

Wie sehr ich die Vasenzeichnung bewundere, haben Sie selbst empfohlen, da Sie mir solche so lange zugedacht und endlich gesendet, wofür ich den verpflichtetsten Dank abstatte. Sie hat mich und Meyern vielmals ergetzt, auch in Gegenwart von Freunden, die sonst auch etwas von Kunst verstehen wollten und wirklich verstehen, dießmal aber nicht nachkommen konnten und Erklärung verlangten. Da es aber nicht wohl thunlich ist, jemanden über solche zarte Kunstverdienste die Augen aufzuschließen, so ergetzten wir uns, durch Ihre Fürsorge ein offenbares Geheimniß zu besitzen. Wie groß sind denn die Figuren auf Ihrer Originalzeichnung? Ich möchte gar zu gern eine größere und ausgeführtere Nachbildung sehen.

Wie natürlich dieser Wunsch sey, geht schon daraus hervor, daß Sie selbst an den Briefrand noch ein zweytes Mal den Fuß und das an ihn anschlagende, so graziöse Gewand gezeichnet haben; daher verzeihen Sie gewiß meiner Verehrung für diese Darstellung, wenn ich mich ungenügsam erweise.

[201] Da Ihre idyllischen Bilder, wie es scheint, transportabel seyn möchten, so beziehe meinen obigen Wunsch auf dieselben und bitte mir solche durch die fahrende Post unfrankirt zu schicken; sie kommen zu der von Ihnen zu bestimmenden Zeit genau zurück. Die um den Fels schwebenden Nymphchen möchte ich freylich gern genauer kennen lernen.

Wenn Sie uns jemals besuchten, würden Sie gewiß Freude haben zu sehen, daß ich jeden Federstich von Ihnen aufgehoben und die römischen Scherze alle gar wohl verwahrt habe; da ist das verteufelte zweyte Kissen, die Schweineschlacht im Minerventempel und sonst noch viel Liebes und Gutes, das wir zu einer Zeit in freundschaftlicher Thätigkeit genossen, die bey Rückerinnerung durch den nachfolgenden Contrast erst noch schätzenswerther empfunden wird.

Melden Sie mir doch auch von den lieben Ihrigen, wie sie wachsen, gedeihen und sonst etwas Persönliches und Häusliches. Ich habe mich diesen Winter über ungewöhnlich wohl befunden; mein Sohn hat eine liebenswürdige muntere Frau gewonnen, und schon laufen zwey Enkel um mich her. Möge unsern alten Tagen und Jahren noch manches Gute vorbehalten seyn.

treulichst

Weimar den 21. April 1821.

J. W. v. Goethe. [202]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1821. An Johann Heinrich Wilhelm Tischbein. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-6BB4-A