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An Friedrich Wilhelm Heinrich von Trebra

[Concept.]

Fürwahr! du hast mich, mein würdiger verehrter Freund, durch deine Sendung überrascht und durch die herrlichen Platten in Erstaunen gesetzt. Ich erinnerte mich wohl manchmal unserer kühnen Wagnisse zu Entdeckung eines geologischen Punctes, der noch heut zu Tage so gut wie damals höchst bedeutend und wie die wenigen ihm ähnlichen Fälle, immer noch ein Räthsel bleibt. Ich betrachtete die in meiner Sammlung sich vorfindenden Stücke dieser Gebirgsgrenze, die ich deiner Fürsorge verdanke, und ward hie und da auf meinen Reisen wohl manchmal auf etwas annäherndes, niemals aber ganz gleiches hingewiesen. Der schönen Platten hingegen erinnerte ich mich nicht mehr; wüßte auch wirklich nicht zu sagen, ob ich sie jemals gesehen habe. Die mir zugedachte soll als ein herrliches Monument unserer Liebe und Freundschaft niedergelegt bleiben; unserer [119] wechselseitigen Neigung, die eben so beständig und dauerhaft ist, als die Neigung zur Natur, als die stille Leidenschaft, ihre Räthsel anzuschauen und der Wunsch, durch unsern eignen selbst räthselhaften Geist ihren Mysterien etwas abzugewinnen.

Jene sogenannten Grund- und Übergangsgebirge kommen jetzt wieder auf's neue zur Sprache. Es ist gut, wenn man so schwere Massen im Kopfe hin und wieder legt, aber mich dünkt doch unsere liebe Geognosten-Jugend vermißt sich jetzt etwas zu viel, indem ich diese alten Weltpfeiler zu schütteln denkt. Wir wollen aufmerkend abwarten. In Carlsbad und Töplitz habe ich diesen Sommer wenigstens zu meiner eignen Beruhigung und Zufriedenheit ältere Beobachtungen fortgesetzt. Warum können wir nicht wieder einmal zusammen die Höhen und Tiefen erklimmen!

Möchte mir doch dein gutes Gedächtniß zu Hülfe kommen, indem ich mit meinen biographischen Versuchen vorwärts schreite. Es ist mir zwar viel geblieben, aber doch beschämst du mich an lebhafter Erinnerung bedeutender Worte und Ereignisse. Du hast mich früher schon auf einiges aufmerksam gemacht und würdest mein Unternehmen gar sehr fördern, wenn du mir die Bilder jener glücklichen Epoche unseres Zusammenlebens nur mit flüchtiger Feder, wie es dir wohl ansteht, wieder aufrichten wolltest. Die früheren Zeiten der Kindheit und ersten Jugend [120] bleiben lebhaft bestimmt in der Einbildungskraft geprägt, wenn die spätern Ereignisse, die sich leidenschaftlicher über einander drängen, sich wechselseitig aufheben und nur erst mit einiger Anstrengung und von ihrer Seite, wie der Geist des Hohenpriesters widerstrebend hervorrufen lassen.

Nimm das zweyte Bändchen meiner dichterischen Wahrheit, welches ich nächstens der fahrenden Post übergebe, freundlich auf und laß mich bey dieser Gelegenheit dir und den deinigen auf's neue empfohlen seyn. Unserer theuerer Fürst wird dir selbst schreiben und seinen Dank und seine Freude über das Gesendete, die nicht geringer sind als die meinigen, gewiß recht freundlich und lebhaft ausdrucken.

Mit dem aufrichtigsten Wunsch, daß du diesen Winter in unterbrochener Thätigkeit zubringen mögest, nenne ich mich wie immer und für ewig.

Weimar, den 27. October 1812.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1812. An Friedrich Wilhelm Heinrich von Trebra. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-6C8C-D