29/8019.

An Carl Gustav Carus

Ew. Wohlgeboren

Sendung kommt mir zu einem glücklichen und bedeutenden Moment: denn indem ich seit einem Jahr den [97] Auftrag habe in Jena, unter Leitung Herrn Professor Renners, eines vorzüglichen Mannes, dessen Verdienste Ihnen gewiß nicht unbekannt sind, eine Schule der Thierkunde einzuleiten und zu fördern, damit uns die höchst nothwendigen und nützlichen Haus-Geschöpfe, im gesunden und kranken Zustand, sodann auch in ihrem Bezug zu der übrigen animalischen Welt genauer bekannt würden; so gab mir dieß den schönsten Anlaß ältere leidenschaftliche Studien zu erneuern, meine Papiere vorzunehmen und einiges, als Zeugniß meines innigsten Antheils, dem Publikum darzulegen.

Wenn ich nun schon längst ein Compendium entbehre, welches methodisch genug angelegt wäre den hohen Begriff zu erleichtern und die ungeheuere Naturidee knapp im Einzelnen und lebendig im Allgemeinen nachzuweisen; so mußte mir Ihre Arbeit höchst erwünscht seyn und ich zweifle nicht daß in wenigen Jahren sich der akademische Unterricht nach Ihrer Leitung richten werde. Wie sehr hätte ich gewünscht dieses nächsten Sommer schon bey uns zu erleben.

Da ich mich seit vierzig Jahren in diesem Felde redlich abquäle; so gehöre ich gewiß unter die welche Ihr Werk höchlich schätzen. Nur wenige Stunden konnte bisher darauf verwenden, allein ich sehe schon auf jedem Blatt, auf jeder Tafel meine Wünsche erfüllt. Das von andern Geleistete, Bekannte, aber in[98] tausenderley Schriften und Heften Zerstreute gesammelt und mit Neuem, Eignen vervollständigt.

Ich nehme nun mit desto mehr Zuversicht meine alten Papiere vor, da ich sehe daß alles was ich in meiner stillen Forscher-Grotte für recht und wahr hielt, ohne mein Zuthun, nunmehr an's Tageslicht gelangt. Das Alter kann kein größeres Glück empfinden als daß es sich in die Jugend hineingewachsen fühlt und mit ihr nun fortwächst. Die Jahre meines Lebens die ich, der Naturwissenschaft ergeben, einsam zubringen mußte, weil ich mit dem Augenblick in Widerwärtigkeit stand, kommen mir nun höchlich zu Gute da ich mich jetzt mit der Gegenwart in Einstimmung fühle, auf einer Altersstufe wo man sonst nur die vergangene Zeit zu loben pflegt.

Nehmen Sie beykommendes Heft freundlich auf! Sie finden größtentheils darin worüber wir einig sind. Zu Michael hoffe ein zweytes zu senden. Unterrichten Sie mich von Zeit zu Zeit von Ihren Zuständen und Arbeiten, ich habe Pflicht und Muße daran Antheil zu nehmen.

Vergessen darf ich zum Schlusse nicht daß die geistreiche Behandlung der Tafeln für den allgemeinen Begriff, wie er hier erwartet werden kann, sehr willkommen erscheint. Verzeihen Sie übrigens eine etwas eilige Behandlung Ihrer so wichtigen Arbeit. Bey so vielem Zudrang bin ich gewohnt daß Freunde es nicht so genau mit mir nehmen: denn manchen lieben [99] werthen Brief ließ ich unbeantwortet eben weil ich etwas Würdiges zu erwidern mir zu Pflicht machte.

Das Beste wünschend

ergebenst

Jena d. 23. März 1818.

Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1818. An Carl Gustav Carus. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-6C91-0