37/128.

An Johann Jacob und Marianne von Willemer

Den theuren Freunden am Maine muß ich vor meinem Abschiede aus Böhmen noch ein freundliches Wort zurufen; ich glaube mich ihnen näher indem die Stadt Eger, wo ich mich gegenwärtig aufhalte, unter demselben Breitegrad liegt als meine liebe Vaterstadt. Um aber zu dem gegenwärtigen Augenblick zu gelangen, muß ich geschichtlich verfahren und von den vergangenen Monaten einiges vorausschicken.

Nach meiner heftigen Krankheit waren die geistigen Kräfte gar bald wieder hergestellt; ich konnte, zu meiner und der Freunde Beruhigung, die mir obliegenden Geschäfte ordnungsgemäß betreiben, so daß ich gegen Pfingsten mich ziemlich frey gemacht hatte. Allein der Körper litt noch an einer gewissen Unthätigkeit, [209] die Muskelkraft war in's Stocken gerathen, und niemals fühlte ich ununterbrochene Bewegung nöthiger als eben da. Im Stillen macht ich mir daher den Plan meine vaterländischen Freunde wieder zu besuchen unangemeldet zu erscheinen, mich festhalten zu lassen sodann über Maynz und Coblenz nach Bonn zu wallfahrten und an dem letzten Orte mit wissenschaftlichen Männern mich eine Zeitlang zu unterhalten; zu empfangen, zu geben und über gewisse Puncte, über die man sich nicht leicht allein verständigt, mit Meistern vom Fache mich zu vereinigen. Den Rückweg überließ ich der Folgezeit und bey mir war alles gehörig eingeleitet.

Allein der Entschluß des Großherzogs nach Marienbad zu gehen hob meinen ganzen Plan auf; seinen Wünschen, worin er seine Befehle kleidete, dem Verlangen der Großherzogin, dem Andringen der Ärzte, Freunde, Kinder, die nichts natürlicher fanden, als daß ich einen Heilort, der mir so wohlthätig gewesen, nothwendig wieder besuchen müsse, konnte ich, durfte ich nicht widerstehen; und so traf ich am 2. Juli zugleich mit dem Fürsten in Marienbad ein. Seine Gegenwart, immer aufregend und belebend, brachte bald den ganzen Kreis in Umtrieb; schöne geräumige Wohnungen, liebenswürdige Nachbarschaft, freyer, fast ländlicher Aufenthalt, Bewegungen von Morgens bis Abends im Wandeln und Fahren, Eilen und Begegnen, Irren und Finden und für die Jugend zuletzt[210] im Tanze gaben Zeit und Gelegenheit zum Erneuen älterer Verhältnisse, zum Anknüpfen neuerer, zum Suchen und Gesucht-werden, zu Unterhaltung, Vertraulichkeit, Neigung und was sich nicht alles durch einander flocht; daß man sich eben ganz vergaß, sich weder krank noch gesund, aber behaglich und beynahe glücklich fühlte.

Den Grafen St. Leu, ehmaligen König von Holland, der im Vertrauen auf Marienbad von Florenz gekommen war, traf ich, nach so vielen Jahren wieder, wie ich ihn verlassen hatte, wohlwollend und zutraulich. Wie bedeutend ist nicht der Umgang mit einem solchen Manne, der als einer der wichtigsten Mitspieler des großen Weltdramas, durch die Gewalt des Allherrschers genöthigt auftrat, sodann abtrat seinem sittlichen Gefühl zu Folge. Damals als er sich vom Throne flüchtete, war er mein Wandnachbar in Teplitz, ich gewann seine Neigung, die er mir bis jetzt erhalten und dießmal erneut hat. Den Herzog von Leuchtenberg hab ich auch gesprochen, wo er sich über bedeutende Gegenstände unterhielt. Sinnig wohldenkende, gründlich unterrichtete, kenntnißreiche Männer pflogen mit mir länger oder kürzer belehrende Unterhaltung; und so find ich, wenn ich mir jetzt alles wiederhole, daß ich unendlich viel gewonnen, in manche Zustände hineingeblickt und vieles genossen habe.

Alles beruft mich wegen zusammenstimmender Freyheit des Geistes und Körpers; ich gestehe gern,[211] daß ich mich so fühle und mich eben deshalb, wenigstens dem Sinne nach, zu jenen Gegenden wende, wo ich Antheil hoffen kann, ohne den jedes Behagen doch immer nichtig seyn würde. Lassen Sie mich von Ihrer Seite, beste Mariane, auch wissen, wie Sie diesen Sommer zugebracht; der Freund gibt ja wohl auch einen Wink von seinem thätigen Befinden.

Schließen aber darf ich nicht ohne zu sagen, welche Genüsse mir die Musik dargereicht. Madame Milder von Berlin hat in vier kleinen Liedern eine Unendlichkeit vor uns aufgethan. Madame Szymanovska aus Warschau, die fertigste und lieblichste Pianospielerin, hat auch ganz Neues in mir aufgeregt. Man ist erstaunt und erfreut, wenn sie den Flügel behandelt, und wenn sie aufsteht und uns mit aller Liebenswürdigkeit entgegen kommt, so läßt man sich's eben so wohl gefallen.


Neigung, Friede,

Eger am 9. September 1823.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1823. An Johann Jacob und Marianne von Willemer. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-6C96-6