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An Christian Gottfried Daniel Neesvon Esenbeck
Ew. Hochwohlgeboren
haben mich abermals durch die umständliche Nachricht des hold und geistreich unternommenen Festes wahrhaft verpflichtet. Hiebey dringen sich gar mancherlei Betrachtungen auf. Erlauben Sie mir die allgemeinsten:
Alles, was sich ereignet, erfreulich oder unerfreulich, müssen wir zuletzt geschehn seyn lassen; dabey ist denn aber jedesmal die genauste Kenntniß des Vorgegangenen [146] wünschenswerth und beruhigend. Hievor danke ich nun zum allerbesten, mit Hoffnung und Wunsch, daß die Glieder der werthen dießmal vereinten Gesellschaft, zu welchem Feste sie sich auch versammeln dürften, auch meiner gedenken möchten.
Gar manches, was ich darüber zu sagen hätte, verspare ich auf eine andere Gelegenheit. Nur soviel! Es werden Tage kommen, wo man erkennen wird, daß man in solchem Falle sich eben selbst feyert. Die reine Bildungslust, jedem einwohnend, auf eine friedliche Ausgleichung sittlicher Verhältnisse hinstrebend, sie ist's, die sich gesellig am freudigsten offenbart. Daß die Erinnerung an mich hiezu Anlaß gibt, habe ich für ein Glück zu achten. Jener Trieb war von Jugend an der meinige, und es ist ein eigen ehrenwerthes Schicksal das ich gerade in ein gleichsinnig wirkendes Jahrhundert eintraf. Doch waren übereilte gewaltsame, heimtückische Manifestationen ganz gegen meine Begriffe und Einsichten, so daß ich sehr alt werden mußte, um mich mit dem sogenannten Zeitgeist einigermaßen wieder auszusöhnen und ihn von seinen widerwärtigen Verkörperungen zu unterscheiden.
Sie sehen, daß ich rede da, wo ich zu schweigen gedachte, aber ich müßte keinen bessern Commentar zu Ihrem werthen Brief; jede Zeile desselben phosphorescirt von allerliebster Neigung und herzlichem Wohlwollen.
Soviel für heute, mehreres nächstens.
[147] Herrn Canzler v. Müller beneide, für die Acta dancke zum schönsten, wegen abstrusen Briefes bitte um Entschuldigung. Nächstens das freyere, weitere.
treulichst
Goethe.