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An Carl Friedrich Zelter

Auf deinen theuren Brief, mein Werthester, der mir zur angenehmsten Stunde kam soll, zugesagter Maßen, noch vor meinem Austritt aus dem böhmischen Zauberkreise, dir abermals eine Zuschrift gewidmet seyn, die du um desto freundlicher und liebevoller empfangen wirst, da ich nichts als Gutes zu melden habe.

Soviel also zuerst: daß ich die kurzvergangene Zeit in Marienbad ohne Unbilden, ja heiter und wie in's Leben zurückkehrend zugebracht habe, auch mich jetzt so wohl befinde, als ich mich lange Zeit nicht gefühlt.

Ferner sey gemeldet, daß mir nach jenem Kuß dessen Spenderin du wohl errathen hast, noch eine [188] herrliche Gunst und Gabe von Berlin gekommen; MadameMilder nämlich zu hören, vier kleine Lieder, die sie dergestalt groß zu machen wußte, daß die Erinnerung dran mir noch Thränen auspreßt. Und so ist denn das Lob, das ich ihr seit so manchem Jahr ertheilen höre, nicht ein kaltes geschichtliches Wort mehr, sondern weckt ein wahrhaft Vernommenes bis zur tiefsten Rührung. Grüße sie zum schönsten; sie verlangte etwas von meiner Hand und erhält durch dich das erste Blättchen, das ihrer nicht ganz unwerth ist.

In völlig anderem Sinne und doch für mich von gleicher Wirkung hört ich Madame Szymanovska, eine unglaubliche Pianospielerin; sie darf wohl neben unsern Hummel gesetzt werden, nur daß sie eine schöne, liebenswürdige, polnische Frau ist. Wenn Hummel aufhört, so steht gleichsam ein Gnome da, der mit Hülfe bedeutender Dämonen solche Wunder verrichtete, für die man ihm kaum zu danken sich getraut; hört sie aber auf und kommt und sieht einen an, so weiß man nicht, ob man sich nicht glücklich nennen soll, daß sie aufgehört hat? Begegne ihr freundlich, wenn sie nach Berlin kommt, welches wohl nächstens geschehen wird, grüße sie von mir und sey ihr behülflich, wo du es angewendet findest.

Herr Huß, der derbe unermüdete Sammler, dank zum allerschönsten für das Andenken und die Schaumünzen. Er verdient wirklich, daß jeder Reisende [189] von seiner Gegend her ihm ein Scherflein beytrage; auch dieß Jahr ist er viel besucht gewesen.

Dieses führt mich auf Maler Hensel, der mir die Jetons überbrachte. Auch er, wie so manche andere, hat ein eingebornes Talent, was aber daraus werden kann, das weiß – nicht Gott, der sich um dergleichen schwerlich bekümmert – aber ich weiß es, der ich diesem Irrfall seit mehr als zwanzig Jahren zusehe. Auch er stickt in dem seichten Dilettantismus der Zeit, der in Alterthümley und Vaterländeley einen falschen Grund, in Frömmeley ein schwächendes Element sucht, eine Atmosphäre, worin sich vornehme Weiber, halbkennende Gönner und unvermögende Versuchler so gerne begegnen; wo eine hohle Phrasensprache, die man sich gebildet, so süßlich klingt, ein Maximengewand, das man sich auf den kümmerlichen Leib zugeschnitten hat, so nobel kleidet, wo man täglich von der Auszehrung genagt an Unsicherheit kränkelt, [und] um nur zu leben und fortzuwebeln, sich auf's schmächlichste selbst belügen muß.

Verzeihe und laß mich schweigen, denn es ist schon zuviel gesagt; dem redlich denkenden Einsichtigen aber bleibt es gräßlich, eine ganze nicht zu verachtende Generation unwiederbringlich im Verderben zu sehen. Die Älteren merken es schon, können aber weder sich selbst retten, noch mögen sie die andern warnen. Denn es ist schon Secte, die zusammen bleiben muß, wenn sie gelten will wo der Antretende [190] sich und der Austretende die Übrigen betrügt. Nochmals Verzeihung, denn ich erbitte sie von mir; man verdirbt sich immer eine Stunde, wenn man solche fruchtlose Schmerzen erneuert.

Auch ist es trostlos, von politischen Dingen, wohin man auch horcht, zu vernehmen. Mich von allen solchen, wie von ästethischen Gesprächen und Vorlesungen zu befreyen, hatte ich mich auf sechs Wochen einem sehr hübschen Kinde in Dienst gegeben, da ich denn vor allen äußern Unbilden völlig gesichert war.

Nun aber doch das eigentlich Wunderbarste! Die ungeheure Gewalt der Musik auf mich in diesen Tagen! Die Stimme der Milder, das Klangreiche der Szymanowska, ja sogar die öffentlichen musikalichen Exhibitionen des hiesigen Jägercorps falten mich aus einander, wie man eine geballte Faust freundlich flach läßt. Zu einiger Erklärung sag ich mir: du hast seit zwey Jahren und länger gar keine Musik gehört (außer Hummeln zweymal), und so hat sich dieses Organ, insofern es in dir ist, zugeschlossen und abgesondert; nun fällt die Himmlische auf einmal über dich her, durch Vermittlung großer Talente, und übt ihre ganze Gewalt über dich aus, tritt in alle ihre Rechte und weckt die Gesammtheit eingeschlummerter Erinnerungen. Ich bin völlig überzeugt, daß ich im ersten Tacte deiner Singakademie den Saal verlassen müßte. Und wenn ich jetzt bedenke, was das heißt, alle Woche nur einmal eine Oper zu [191] hören, wie wir sie geben, einen Don Juan, die heimliche Heirath in sich zu erneuern und diese Stimmung, in die übrigen eines thätigen Lebens aufzunehmen; so begreift man erst, was das heiße, einen solchen Genuß zu entbehren, der wie alle höheren Genüsse den Menschen aus und über sich selbst, zugleich auch aus der Welt und über sie hinaus hebt.

Wie schön, wie nothwendig wär es nun, daß ich an deiner Seite zu verweilen Gelegenheit fänd! Du würdest mich durch allmähliche Leitung und Prüfung von einer krankhaften Reizbarkeit heilen, die denn doch eigentlich als die Ursache jenes Phänomens anzusehen ist und mich nach und nach fähig machen, die ganze Fülle der schönsten Offenbarung Gottes in mich aufzunehmen. Nun muß ich sehen, durch einen klang und formlosen Winter durchzukommen, vor dem mir denn doch gewissermaßen graut. Doch wollen wir mit gutem Humor und Muth auch die schwarzen Tage für uns und die Freunde zu nutzen suchen. Tausendfältiges treues Lebewohl!

Eger den 24. August 1823.

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1823. An Carl Friedrich Zelter. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-6CE0-F