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An Wilhelm von Humboldt

[Concept.]

Töplitz, verehrter Freund, behauptet sich also bey seiner Eigenschaft, unsern Zusammenkünsten ungünstig zu seyn, und sie ist mir dießmal doppelt verdrüßlich, weil ich nach Ihrer Abreise von Carlsbad den Werth Ihrer Gegenwart recht mit Bewußtseyn recapitulirte und so manches Gespräch wieder anzuknüpfen und fortzuführen wünschte; besonders war mir peinlich, daß ich Ihre schöne Darstellung, wie die Sprachen über die Welt verbreitet seyen, nicht gleich vollständig aufgezeichnet, ob mir gleich das Meiste davon geblieben ist. Wollten Sie mir etwas recht Freundliches erzeigen, so schrieben Sie mir eine solche Übersicht gefällig auf und ich würde mir eine Hemisphären Charte darnach illuminiren und sie zu dem Atlas des Lesage hinzufügen; wie ich denn überhaupt, da ich mich des Jahrs so lange auswärts aufhalte, immer mehr an eine compendiarische und tabellarische Reisebibliothek gedenken muß. So wird jetzt mit Beyhülfe des Hofrath Meyer die Geschichte der Plastik und Malerey an den Rand der Bredowischen Tabellen hinzugeschrieben und so würde mir Ihre Sprachcharte in gar vielen Fällen zu Auffrischung des Gedächtnisses und zum Leitfaden bey mancher Lectüre dienen.

Über Berlin und über das, was sich dort, nach[84] Ihren früheren Anstalten und Anregungen, bewegt, hätte ich gern umständlich mit Ihnen gesprochen. Große Städte erhalten immer das Bild ganzer Reiche in sich und wenn sie auch gewisse fratzenhafte Übertriebenheiten zu eigen haben mögen, so stellen sie doch die Nation concentrirt zu Augen.

Staatsrath Langermann, dessen guter Wille und Thätigkeit so schön im Gleichgewichte stehn, erfreut mich schon seit vierzehn Tagen durch seinen lehrreichen Umgang und macht mir, sowohl durch seine Rede als sein Beyspiel, zu manchen Dingen wieder Muth, die ich schon aufzugeben bereit bin. Es ist gar zu belebend, die Welt wieder einmal durch ein Organ eines wahrhaft thätigen Mannes anzusehn: denn zu beleben verstehn die Deutschen im Einzelnen selten und im Ganzen niemals.

Hier finde ich einen ganz natürlichen Übergang zu der Notiz, die sie mir geben, daß unser Wolf mit dem Niebuhrschen Werke nicht zufrieden ist, er, der vorzügliches Recht hätte es zu seyn. Ich bin jedoch hierüber ganz beruhigt, ich schätze Wolfen unendlich wenn er wirkt und thut, aber theilnehmend habe ich ihn nie gekannt, besonders am Gleichzeitigen, und hierinn ist er ein wahrer Deutscher. Sodann weiß er viel zu viel, um sich noch belehren zu mögen und um nicht die Lücken in dem Wissen anderer zu entdecken. Er hat seine eigne Denkweise, wie sollte er fremden Ansichten etwas abgewinnen? und gerade die großen [85] Vorzüge, die er hat, sind recht geeignet, den Geist des Widerspruchs und des Ablehnens zu erregen und zu erhalten.

Was mich Layen betrifft, so bin ich Niebuhrs erstem Bande sehr viel schuldig geworden, und ich hoffe, der zweyte soll meine Dankbarkeit gegen ihn vermehren. Ich bin sehr neugierig auf seine Entwickelung der lex agraria. Man hat von Jugend auf davon gehört, ohne daß man einen bestimmten Begriff davon hätte. Wie angenehm ist es, einen unterrichteten und geistreichen Mann über einen solchen Gegenstand zu hören und zwar in diesen Zeiten, wo man Staats- und Völkerrecht, sowie alle bürgerrechtlichen Verhältnisse mit größeren Freyheit und Unbefangenheit zu betrachten aufgefordert ist. Man sieht welcher Vortheil es sey, wenig zu wissen und von dem wenigen sehr viel vergessen zu haben. Niemals mischte ich mich gern in die Händel des Tags, kann mir aber nicht versagen, in der Stille mein Schnippchen dazu zu schlagen.

Ihrer Frau Gemahlinn wünsche ich bestens empfohlen zu seyn. Körners grüßen Sie mir zum schönstens. Wenn der junge Mann wieder etwas fertig hat, bitte ich mir es gleich zu schicken. Ein größeres Stück zum 30. Januar, dem Geburtstage der Herzoginn, wäre mir dießmal sehr willkommen. Tausend Lebewohl.

Carlsbad den 31. August 1812.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1812. An Wilhelm von Humboldt. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-6D29-5