8/2623.

An den Herzog Carl August

Rom d. 17. Nov. 87.

Ihr werther Brief von Eisenach versichert mich Ihres Wohls und läßt mich sehen daß Sie Ihre neue Laufbahn mit Muth und Freudigkeit antreten. Möge ein günstiges Schicksal Ihr Unternehmen für Sie und die Ihrigen zum Besten kehren und alle Besorgnisse nach und nach auflösen und zerstreuen, die sich über Ihr Beginnen in den Herzen so vieler gesammelt und festgesetzt haben. Mein Schicksal ist mit dem Ihrigen so genau verwandt, daß ich nichts für Sie wünschen kann, das ich mir nicht selbst wünsche.

[291] Sie erlauben mir, ja Sie fordern mich auf Ihnen öfter zu schreiben, ich will es mit Freuden thun, wenn mir vergönnt ist auf das Papier zu setzen was der Tag und die Stunde giebt, das denn nicht immer das bedeutendste seyn möchte; der großen Resultate sind so wenig und jelänger man Gegenstände betrachtet desto weniger getraut man sich etwas allgemeines darüber zu sagen. Man möchte lieber die Sache selbst mit allen ihren Theilen ausdrucken oder gar schweigen.

Ich muß immer heimlich lachen wenn ich Fremde sehe, die beym ersten Anblick eines großen Monumentes sich den besondern Effeckt notiren, den es auf sie macht. Und doch wer thuts nicht? und wie viele begnügen sich nicht damit?

Sie haben indeß zwey Briefe von mir erhalten einen von Fraskati, den andern (glaub ich) von Castell Gandolfo wenigstens enthielt er die Nachricht von einer militarischen Reliquie der dortigen Gegend.

Egmont ist nun in Weimar. Ich habe große Freude an der Art wie ihn die Freunde aufgenommen haben. Auch Ihnen und Ihresgleichen darf er sich hoffe ich präsentiren, denn ich möchte nun nichts mehr schreiben, was nicht Menschen die ein großes und bewegtes Leben führen und geführt haben, nicht auch lesen dürften und möchten.

Kayser aus Zürch ist hier und hat die Partitur unsrer Oper mitgebracht, ich habe viel Genuß an ihm und seiner Arbeit. Durch ihn genieße ich auch erst [292] die hiesige Musik, weil sich doch nichts in der Welt ohne wahre, innre Kenntniß recht genießt.

Von meinem übrigen Wesen und Treiben das nächstemal.

Und nun ein Wort von Ihrer Frau Mutter Reise, die mir schwer auf dem Herzen liegt. Sie wollte noch dieses Jahr hierher und es war ein sehr kühnes, ja ein verwegnes Unternehmen, mit denen mir bezeichneten Personen, mit einer ganz bonhomischen, ununterrichteten, so gut als mit dem Lande unbekannten Carawane einen Zug durch diese Gegenden anzutreten. Ich habe ihr pflichtmäßig und geheimderäthlich die Gründe vorgelegt warum die Reise noch ein Jahr aufzuschieben sey. Glücklicherweise kamen einige Umstände dazu, die sie determinirten noch zu bleiben und zu warten. Ich bin nun über ein Jahr im Lande und weiß was vornehme Reisende hier erwartet und wie schwer es für Fremde ist Genuß, Menage und Anstand nur einigermassen zu verbinden. Vielleicht ist es in diesem Lande schwerer, als in andern, doch iß es wieder leicht und sehr bequem wenn mans weiß, nur weil niemand Vortheil davon hat den Fremden zu unterrichten, vielmehr von Unwissenheit und Ungeschick zu profitiren ist; so gehts aus einem ins andre. Genug das allgemeine Reise Schicksal wird hier besonders fühlbar. Vor einigen Tagen habe ich einen Italiäner nach Weimar geschickt, einen sehr guten Menschen wenn er gut genutzt wird, eine Art von [293] Maitre Jacques, der das mechanische der Reise zu besorgen, alle Händel mit den Postmeistern Wirthen pp abzuthun hat, das ist schon sehr viel, weil die Seccatur und Prellerey in Italien unendlich ist; man muß nothwendig einen Italiäner an die Italiäner hetzen, um mit ihnen fertig zu werden. Nun ist es aber leider noch um das moralische und politische, um Kunst und Naturgenuß zu thun wo ich wohl rathen kann und kann sagen: da und da liegts, weil es aber auf die Leitung eines jeden einzelnen Tages ankommt und auf ein Zusammenhalten der ganzen Zeit und Absicht; so ist da Vieles dem Glück und dem Zufall überlaßen was bedacht und geführt werden sollte. Eine Sache die im ganzen Leben schwer ist und auf Reisen am schwersten von Großen und Vornehmen ausgeübt werden kann ist nach meinem Bedüncken: die Dienstleistungen und Dienstanerbietungen mehrerer Menschen die man nicht genau kennt und die sich immer zudrängen anzunehmen oder abzulehnen und einen jeden nach seiner Art zu brauchen, ohne sich zu kompromittiren, oder zu secciren. Einzeln kommt jeder eher durch, eine große Gesellschafft leidet gewiß drunter. Für Rom und Neapel wäre so ziemlich gesorgt, in Florenz soll es auch nicht fehlen und man muß denn auch etwas dem Glück überlassen.

Dann ist noch ein Haupt Bedencken bey der Reise: daß sie im rechten Zeitmaße geschehe und die Reisenden auch geziemend wiederkehren. Um einen Leibarzt habe [294] ich sehr gebeten, er ist aber abgeschlagen worden, ich habe auf einen Chirurgus kapitulirt, der nun leider erst gesucht wird. Keine Dame kenne ich die ich vorschlagen möchte, kann also auch dazu nichts sagen; die Caravanne wird auch dadurch noch größer und schwerer zu bewegen.

Ich will thun und vorbereiten, was möglich ist, wenn nur Einsiedel ein wenig thätiger und gewandter wäre! Auch höre ich daß er gar nicht wissen soll, wie er mit dieser Reise dran ist. Ich glaube es wohl.

Und nun noch ein politisch Wort, ob ich gleich nur das allgemeinste der Welthändel sehen kann. Ich lese fleisig die Zeitungen und da neuerdings sich alles bald aufdeckt und entwickelt, so vieles öffentlich verhandelt wird, was sonst verborgen tracktirt wurde; so kann man mit einer freyen Vorstellungs Art die Lage der Sache ziemlich übersehen.

Mir scheint es für Freund und Feind bedencklich daß Franckreich so weit herunter ist. Wenn auf der einen Seite die Preusisch-Englisch-Oranischen Absichten leichter auszuführen sind; so haben auf der andern Seite Catharina und Joseph auch freyes Spiel und können sich vielleicht in einem Augenblicke süd und ostwärts ein ungeheures Übergewicht verschaffen, indem der Nord und West (wozu ich Franckreich mitrechne) mit einander nicht einig sind. Aus diesen Gegenden kann ich sagen: daß man sich im Stillen und Einzelnen [295] für Rußland und dem Kayser fürchtet und glaubt daß unter keiner Bedingung der Kayser jene große Aus- und Absichten Catharinens auf Constantinopel pp begünstigen könne wenn nicht auch einem Nachgebohrnen seines Hauses der Besitz von Italien versichert sey. Soviel ist gewiß daß der Kirchenstaat und beyde Sicilien ohne Schwerdtstreich wie Holland wegzunehmen wären. Man legte sich mit ein Paar Linienschiffen in den Golf von Neapel und bäte sich zwey Thore von Rom aus; so wäre die Sache gethan. Aus verschiednen Bewegungen glaube ich daß der päpstliche und neapolitanische Hof auf einer solchen Spur sind, obgleich das allgemeine Publikum sich nichts davon träumen läßt. Das Volk ist mißvergnügt die Geistlichkeit besonders die Mönche sind kayserlich gesinnt. Noch gestern sagte ein 70jähriger Mönch: wenn ich nur noch in meinen alten Tagen erleben sollte daß der Kayser käme und uns alle aus den Klöstern jagte, selbst die Religion würde dabey gewinnen. Wenn die Russischen Schiffe ins Mittelländische und Adriatische Meer kommen wird man bald mehr sehn.

Verbrennen Sie doch ja meine Briefe gleich daß sie von niemanden gesehen werden, ich kann in dieser Hoffnung desto freyer schreiben. Leben Sie tausendmal wohl! Und wenn Ihr neuster Schritt manche Mißvergnügte gemacht hat, wenn Sie im Dienste manchem streng aufdrücken müssen, wenn Sie in [296] einem halb feindlichen Lande nicht immer Zufriedne vor Sich sehen; so genießen Sie wenigstens des Gedanckens: daß Sie Einen Menschen, der Ihnen nah angehört, durch Ihre Liebe, Güte und Nachsicht ganz glücklich machen.

G.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1787. An den Herzog Carl August. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-6D47-0