29/8096.

An Ottilie von Goethe

Dein ausführliches Schreiben, meine liebe Tochter, hat mir sehr viel Vergnügen gemacht und ich erwidere dir sogleich einiges in Hoffnung euch bald wieder zu sehen. Wenn du das Schwesterchen einige Zeit bey dir beherbergen willst, so wird es mir sehr erfreulich seyn, besonders wenn es in die Zeit fällt, wo ich auch zu Hause bin; da wir uns denn, wie ich hoffe, recht gut vertragen werden. Daß die Sibyllen in der östlichen Luft sich wohl befanden freut mich sehr, so wie es ganz natürlich schien, da sie sich ihres Ursprungs dorther wieder erinnern mußten. Die [204] Wirkung dieser Gedichte empfindest du ganz richtig, ihre Bestimmung ist, und von der bedingenden Gegenwart abzulösen und uns für den Augenblick dem Gefühl nach in eine gränzenlose Freiheit zu versetzen. Dieß ist zu einer jeden Zeit wohlthätig, besonders zu der unseren. Ebenso darf ich dir die fünf Stanzen fernerhin empfehlen. Wie jene Gedichte das Gefühl, die Einbildungskraft erweitern, so eröffnen diese dem Nachdenken einen unendlichen Raum, und lassen alles, was wir nur erfahren haben, wie in tausendfältigen Spiegeln wieder erblicken.

Vor allen Dingen aber möchte ich euch wohl in Weimar wiedersehen, ich richte mich ein, daß es nach Verlauf einer Woche möglich wird; freylich habe ich zu thun, bis das Versäumte der unglücklichen vierzehn Tage wieder eingeholt wird. Mit einiger Anhaltsamkeit wird sich es auch wohl geben.

Mittlerweise ist ja wohl auch der Kleine von seiner erkünstelten Krankheit genesen.

Wenn mich die liebe Mutter Donnerstag besuchen wollte, so richtete ich mich darauf ein, je eher ich es weiß desto besser ist es, sonst ist es auch Mittwoch Abends Zeit durch die Boten.

Der Eurige

Jena den 21. Juny 1818.

G. [205]

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1818. An Ottilie von Goethe. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-6D6B-F