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An Christian Gottlob Voigt

Wie oft hab ich mich nicht schon hingesetzt um Ihnen, verehrtester Freund, ein Wort der aufrichtigsten Theilnahme zu zu rufen, und immer habe ich mich wie gelähmt gefühlt, es war mir nicht möglich nur den mindesten Ausdruck meiner Gesinnungen zu finden. Jetzt erst da Herr von Wolfskeel mich versichert Sie sehen rs nicht ungern wenn Freunde theilnehmend Ihres Verlustes gedencken; So gewinne ich es über mich die traurige Pflicht, nach langem Zögern zu erfüllen.

[412] Im Augenblick als die beyden Monarchen am schwarzen Thor zu Dresden von der Menge erwartet wurden, gelangte zu mir ein dunckles Gerücht was in Weimar am 18ten Apr. vorgefallen und nach den unbestimmten Nachrichten mußte ich befürchten daß Ew. Exell. Person gefährdet sey und wie mußte dies die Sorge vermehren die in mir aufstieg als ich eine ungeheure wilde Volcksmasse in Sachsen und Thüringen vordringen sah, ich dachte mir unsre Fürsten und das Land von Ihrer Vorsorge, Ihrem Beystand entblöst und sah alles so schwarz daß ich mich kaum freuen konnte, persönlich so großen Übeln entgangen zu seyn. In diesem Irrthum blieb ich mehrere Tage, bis mir die Aufklärung neuen Schmerz bereitete, indem der Nachricht von der Befreyung Ihres Herrn Sohns, die Nachricht von seinem Ableben auf dem Fuße folgte.

Und hier befinde ich mich wieder in dem Falle dessen ich zuerst erwähnte. Was kann man hinzufügen wenn die Sache ausgesprochen ist.

Als ich über den Sturz, wodurch Wieland und seine Tochter so sehr beschädigt wurden, äusserst betroffen und aufgeregt, mich kaum zu fassen wußte, ward mir zuerst wieder einige Ruhe und Gleichmuth wieder hergestellt als ich den leidenden Freund selbst, seine Heiterkeit seine Geduld vor mir sah die meinen ungebärdigen Verdruß über diesen ungeschickten Schicksalsstreich augenblicklich beschämte. Und so nahe ich mich auch gegenwärtig Ihnen verehrtester, seitdem ich [413] von unsern besuchenden Freunden vernommen daß Sie Sich ununterbrochen und glücklich beschäftigen, Theilnehmen und jenes traurige Andencken nicht entschieden ablehnen, ja selbst an Erinnerung früher und hoffnungsvoller Zeiten Freude und Erquickung finden. So bewahrheitet sich denn abermals der paradox aufgestellte Satz: daß der eigentliche Trost nur von dem Leidenden, die Fassung nur von dem Beschädigten ausgehen könne.

Lassen Sie mich für diesmal schließen und nur so viel von mir hinzufügen: daß äussere Ruhe und körperliches Wohlseyn mich diesmal hier sehr glücklich machen könnten, wenn nicht die Verdüsterung des politischen und militarischen Himmels und die Nähe sovieler unaussprechlich unglücklichen jedes Behagen verscheuchte, dergestalt daß wir es uns zum Vorwurf machen, in dem Moment wo jedermann leidet und fürchtet, einige vergnügte Stunden zu geniessen, wie mir denn doch manche in den hiesigen Gebirgen gönnt waren. Der ich mich dringend empfehle

Teplitz d. 26. Juli 1813.

Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1813. An Christian Gottlob Voigt. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-6D7C-9