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An Adelheid Amalia Fürstin von Gallitzin

[Concept.]

Heute früh ist die Sammlung mit der fahrenden Post abgegangen und ich wünsche daß sie glücklich ankommen möge. Wenn man den Ausdruck des Dancks in die besten Wohlgerüche verwandeln könnte, so würde Ihnen bey Eröffnung des Kästchens der angenehmste Duft entgegendringen. Leider läßt sich eine wahrhafte Dankbarkeit mit Worten nicht ausdrücken und eben so wenig darf sie an eine unmittelbare Wiedervergeltung denken, lassen Sie mir deswegen nur mit wenigen Worten wiederholen daß Ihre Wohltat sehr groß war, sowohl des Vertrauens, das Sie mir zeigten, als des Kunstgenusses den Sie mir gewährten. Die Kentnisse die ich mir dadurch erwarb, [32] werden mich mein ganzes Leben begleiten, so wie Ihnen das Bewußtseyn bleiben muß einen Freund ganz auf seine eigenste Weise glücklich gemacht zu haben.

Sie erlauben mir nun daß ich auch einiges von meinen Zuständen sage. Außer den Begebenheiten, Geschäften und Zerstreuungen, die jeder Tag hervorbringt und dadurch gleichsam sich selbst verzehrt, führe ich das Interesse der Naturbetrachtung immer bey mir im Stillen fort. Ich habe die Gestalt, die Bildung und Umbildung organischer Körper besonders in's Auge gefaßt, und, wie ich, vor verschiedenen Jahren, über die Metamorphose der Pflanzen eine kleinere Schrift zum Versuche herausgab, so habe ich bisher immer weiter beobachtet und gedacht, und mich auch über das Thierreich ausgebreitet. Ich sehe hierinne eine sehr schöne Beschäftigung auch für die spätern Jahre, wo man immer Ursache hat mehr von den Gegenständen zu nehmen, da man nicht mehr, wie in früherer Zeit, ihnen so vieles geben kann.

Die mit diesen Betrachtungen verwandten Naturwissenschaften habe ich nicht versäumt, besonders habe ich die Farbenlehre, von der Sie mich schon, in jenen glücklichen Stunden die ich mit Ihnen zubrachte, so eingenommen fanden, fleißig bearbeitet und mich äußerst bemüht alle Phänomene kennen zu lernen und sie in der reinsten Ordnung, die mir möglich war, zusammen zu stellen.

[33] Diese Arbeiten haben mich genöthigt meinen Geist zu prüfen und zu üben, und wenn auch für die Wissenschaften kein Resultat daraus entspränge, so würde der Vortheil den ich selbst daraus ziehe mir immer unschätzbar seyn. Denn wie bedeutend ist es die Grenzen des menschlichen Geistes immer näher kennen zu lernen, und dabey immer deutlicher einzusehen daß man nur desto mehr verrichten kann, je reiner und sichrer man das Organ braucht das uns überhaupt als Menschen und besonders als individuellen Naturen gegeben ist.

Auch verläßt mich bey diesen ernsteren, und, wie es beynah scheinen sollte, trockneren Betrachtungen, die Lust und Liebe zur Dichtkunst nicht. Indem ich ganz freye Stunden abwarte in denen sie allein möglich wird, so habe ich den Vortheil daß das, was bey mir ohne mein eignes Bewußtsein reif geworden, gleichsam von selbst abfällt und mir eine bequeme, überraschende Erscheinung giebt.

Schon vor einiger Zeit schrieb ich Ihnen daß ich mich mit dem epischen Altvater beschäftige, jetzt kann ich Ihnen sagen daß ich mit einem eignen Gedichte, von der erzählenden Art, beynahe fertig bin. Ich darf es Ihnen ja wohl, so bald es gedruckt ist, zuschicken?

Übrigens bin ich, mit den meinigen, gesund, mit allen Einschränkungen die mich umgeben bekannt und zufrieden, in einem mäßigen Genusse der Gegenwart und ohne Sorge für die Zukunft.

[34] Leben auch Sie recht wohl verehrteste Freundin und gedenken meiner in dem Kreise der Ihrigen denen ich mich sämmtlich zu empfehlen bitte.

W. d. 6. Febr. 1797.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1797. An Adelheid Amalia Fürstin von Gallitzin. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-6D8C-5