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An Carl Ludwig von Knebel

Bis ich das erwünschte Vergnügen habe dich wiederzusehen, wollen wir es an schriftlicher Unterhaltung nicht fehlen lassen. Bergrath Voigt wird dir manches bedeutende erzählt und vorgewiesen haben. Er hat manches gute und vortheilhafte bemerkt und gesammelt und sich wacker genug gehalten. Den armen Hanauern, von denen er so viel gutes zu sagen weiß, ist es indeß übel genug ergangen.

Ich habe die Zeit, mehr um mich zu zerstreuen, als um etwas zu thun, gar mancherley vorgenommen, besonders habe ich China und was dazu gehört fleißig durchstudirt. Ich hatte mir dieses wichtige Land gleichsam aufgehoben und abgesondert, um mich in Fall der Noth, wie es auch jetzt geschehen, dahin zu flüchten. Sich in einem ganz neuen Zustande auch nur in Gedanken zu befinden ist sehr heilsam. Die Ankunft des Hofrath Klaproth, dessen du dich wohl aus früheren Zeiten erinnerst, und der ein eingefleischter Chinese ist, hat mich sehr gefördert, indem er mir gar manches suppliren und bestätigen konnte. Nur [28] eins will ich bemerken, manches andere zu mündlicher Unterhaltung aussetzend. Sowohl aus den ältesten Nachrichten der Missionarien, als aus den neusten Reisebeschreibungen konnte ich mir eine Art Geologie dieses großen Landes zusammensetzen. Merkwürdig war mir, daß das Ur- und Grundgebirg sich durchaus, ja bis an die Meeresküste, obgleich in geringerer Höhe, als es bey uns zu geschehen pflegt, aus dem Boden erhebt, deswegen auch Granit, Talk- und Thongebirgsarten häufig vorkommen, nicht weniger der Urkalk. Sich hiervon durch das Anschauen zu überzeugen gab es eine artige Gelegenheit. Schon vor einigen Jahren hatte ich aus Kopenhagen ein chinesisches Mahlerkästchen erhalten, worin mir besonders einige Tafeln von Parischem Marmor, von großem salinischen Korne merkwürdig waren; ich glaubte, sie seyen in Europa hinzugefügt worden. Nun versichert mir aber Klaproth, sie seyen, eben so gut als die übrigen Geräthschaften, von Lydischem und Bildstein, echt chinesisch, indem er von solchem salinischen Urkalk in Petersburg kleine Schirme gesehen, die auf solchen dünngesägten Platten an der einen Seite ein Bild, an der anderen einen Sittenspruch enthielten. Die große Übereinstimmung der Erdbildung, auf noch so entfernten Puncten, deutet auch hier auf die Einfachheit der Naturwirkungen, deren Mannigfaltigkeit wie erst recht fassen und begreifen, jemehr wir das Eine, wo alles herstammt, [29] schauen und verehren lernen. So viel für dießmal. Die Ankunft der Hoheiten hat uns zu guter Stunde Hoffnung besserer Tage gebracht.

d. 10. Nov. 1813.

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1813. An Carl Ludwig von Knebel. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-6DAF-8